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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Dubna - eine Wissenschaftsstadt als Speerspitze im Entwicklungsprozeß

Stephan Hochstein berichtet über seinen Besuch in der rund 120 km nördlich von Moskau gelegenen russischen Wissenschaftsstadt Dubna.

Vom 26.-30 Oktober wurde eine Delegation des Schiller Instituts in die Wissenschaftsstadt Dubna in der Region Moskau anläßlich einer internationalen Veranstaltung eingeladen zur Besichtigung des Kernforschungsreaktors und des neuen Technologieparks. Ziel der Reise war es, einen Einblick in Rußlands Innovationspotential zu bekommen. Der russische Präsident Putin hatte auf seiner jüngsten Waldai-Konferenz darauf hingewiesen, daß die Zukunft einer Nation nicht in der militärischen Rüstung liegt, sondern im Bau neuer Wissenschaftsstätten.

Dubna selbst, 120 km entfernt von Moskau, ist eine sehr junge Stadt, die 1956 aus dem Zusammenschluß von zwei Dörfern entstanden ist. Der große Wegbereiter der sowjetischen Atomforschung, Igor Kurtschatow, setzte sich persönlich bereits 1946 für den Bau eines Protonen-Beschleuniger an diesem Ort ein und legte damit den Grundstein des ersten Forschungsinstituts. 1950 wurde ein weiteres Labor, das Elektrophysische Labor der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. 1956, zwei Jahre nach der Gründung von CERN, beschlossen elf Mitgliedstaaten des damaligen Ostblocks den Bau eines Gemeinsamen Kernforschungszentrums in Dubna. Die Stadt selbst ist und war ein Anziehungspunkt für internationale Wissenschaftler wie z.B. Frederic Joliot Curie, Niels Bohr und Akademiemitglied Georgij Fljorow.

Weltruhm erlangte Dubna durch die Namensgebung des 105. Elements im Periodensystem der Elemente, ?Dubnium?, das hier im Forschungskomplex entdeckt wurde.

Über die Jahre entwickelten sich eine Reihe neuer Labore und Forschungseinrichtungen, in Verknüpfung mit anderen Wissenschaften. So entstand das Bogoljubow-Labor für theoretische Physik, das Baldin-Labor, das Labor für Nukleare Probleme (LNP), das Fljorow-Labor und das Labor für Radiobiologie. Im Baldin-Labor werden mittels des Nuclotron Strahlen erzeugt, die den Einfluß von Weltraumstrahlung auf Ausrüstungsgegenstände im Weltraum simulieren. Des weiteren werden die radiobiologischen Effekte von Strahlen auf Organismen untersucht. Hier werden auch neue Strahlentherapien entwickelt, z.B. zur Bekämpfung spezifischer Tumore wie Gehirnkrebs.

Im Labor für Radiobiologie werden spezifische Forschungen betrieben über die Wechselwirkungen von Strahlen auf den menschlichen Organismus im interplanetaren Flug außerhalb des Erdmagnetfeldes. Hier werden auch die biogeochemischen Eigenschaften von Weltraumstaub untersucht.

Im LNP liegt der Schwerpunkt der Untersuchungen in der Erforschung der Neutrinophysik im Verbund mit der Astrophysik. Darüber hinaus arbeiten Wissenschaftler aus 16 Nationen an der Entwicklung neuer Materialien, Fortschritten in der Nanotechnologie und Biomedizin. Eine Besonderheit gilt der Erforschung der Geologie fremder Planeten und den Ursachen der Prozesse in Erdbebenzentren.

Das Herzstück der gesamten Forschungsanstalt bilden der einzige in Europa befindliche supraleitfähige Beschleuniger von schweren Ionen - der sogenannte Nuclotron -, ein Protonenbeschleuniger - das Phasotron - und der neutronenpulsierende Reaktor IBR-2. Bis 2019 soll ein weiterer Baustein für Forschungszwecke, der supraleitende Collider (NICA) fertiggestellt werden.

Das Institut selbst hat 4500 Mitarbeiter, wovon 1200 Wissenschaftler und 2000 Ingenieure sind. Es kooperiert mit über 700 Wissenschaftszentren und Universitäten in aller Welt. Das Forschungsinstitut sieht sich in den letzten Jahren dabei selbst als Brücke zwischen der EU und Rußland. In den letzten Jahren wurden hier am Institut fünf neue langlebigen Elemente entdeckt (113-116, 118).

Während einer Diskussionsrunde mit dem Leiter des JINR hatten wir die Möglichkeit, einige Fragen zu stellen: ?Nach 60 Jahren Forschung an ihrem Institut, was wäre ihre Botschaft an Europa, das in Bezug auf Kernkraft zunehmend paranoid geworden ist? Kann Dubna ein Modell für die Welt sein?? Der schmunzelnde Institutsleiter bestätigte nur, daß Kernkraft noch immer eine Perspektive für die Welt darstellt, und daß sein Institut alles tut, um eine internationale Verständigung und Ausbildung zu fördern.

1994 wurde auf dem Gelände der ehemaligen Militärschule in Dubna eine Universität gegründet, mit dem Ziel, Physiker und Wissenschaftler anzulocken und einzubinden. Die ehemalige Trennung zwischen der Akademie der Wissenschaften und den Universitäten wurde aufgehoben. Seit diesem Jahr ist Nuklearphysik auch ein eigenständiges Studienfach. Studenten werden hier sofort vom ersten Studienjahr in den Laboren eingebunden und treten mit den Wissenschaftlern in persönlichen Kontakt.

Wir vom Schiller-Institut hatten die Möglichkeit, sowohl mit dem Direktor der Universität als auch mit den Studenten persönlich ins Gespräch zu kommen. Jedem war die bedeutende historische Rolle der Stadt, aber auch für die Zukunft Rußlands ein wichtiges Anliegen. Jedem der Teilnehmer leuchtete ein, daß Wissenschaft und Forschung unerläßlich sind für die Zukunft der Menschheit. Deshalb wird die Menschheit bald mehr Ingenieure als Anwälte brauchen.

Wir fragten: ?Inwieweit gelingt die Integration von promovierten Studenten in die Forschungsabteilung und Unternehmen der Stadt?? Andere Teilnehmer fragten nach der spezifischen Qualität in Ausbildung und der Rolle von Frauen in der Wissenschaft.

Der Direktor selbst sprach ganz offen davon, daß nur eine ?Stadt der großen Ideen? Menschen anlocken und zukünftig binden kann. Eine Wissenschaftsstadt wie Dubna ist durch die Einbindung großer Ideen das Zentrum und der Garant für die Entfaltung menschlichen Lebens.

Seit 2001 trägt Dubna den Titel Wissenschaftsstadt, und seit 2006 befindet sich die ?Sonderwirtschaftszone? im Aufbau. Die wichtigsten Branchen liegen im Bereich der Anwendung von Erkenntnissen der Kernforschung in der Medizin und Nanotechnolgie und im IT-Sektor. Neue Unternehmen nutzen neuste Erkenntnisse für Anwendungen im Bereich der Medizin, Raumfahrt, Rohstoffaufarbeitung, der Materialverarbeitung und Elektrotechnik. Wir durften einige Betriebe vor Ort besuchen und konnten uns einen Einblick verschaffen.

So werden mit Hilfe des Zyklotrons neue Membranen aufgearbeitet, die wiederum als Filter für Produkte der Blutwäsche angewendet werden. Hier werden neue Früherkennungsprogramme für Herzkrankheiten entwickelt, neue Methoden zur Bekämpfung von Blutkrankheiten konzipiert, neue Oberflächen hergestellt und Platinen zum Bau von Raumschiffen gebaut.

Das Zusammenspiel von Industrie, Wissenschaft und Kultur in der Wissenschaftsstadt Dubna sorgt für die besten Voraussetzungen für eine wachsende, aufstrebende Gemeinschaft. Die Arbeitslosenrate in Dubna liegt bei 1 Prozent. Ein Großteil der städtischen Programme dient der wissenschaftlichen und kulturellen Förderung der Jugend, die gleichfalls als Präventivmaßnahmen zur Drogen- und Alkoholsuchtbekämpfung dienen. Wir erlebten während des Besuchs einen Auftritt des städtischen Knabenchors sowie des Streichquartetts.

Bei dem Gespräch der Versammlungsteilnehmer mit dem Bürgermeister über die Zukunft der Stadt kamen natürlich Fragen auf zur Integration von Wissenschaftszentren in den Entwicklungsprozeß der BRICS. Eine weitere wichtige Frage betraf Dubnas Rolle beim Wiederaufbau Syriens: Inwieweit kann Dubna Wissenschaftler integrieren und ausbilden, die später beim Wiederaufbau Syriens behilflich sein könnten?

Am letzten Tage wurden wir in die ?Regierung der Region Moskau? eingeladen. Alle Versammlungsteilnehmer hatten die Möglichkeit, dem Vizeminister Denis Butsajew Fragen zum Thema Wirtschaft zu stellen. ?Wie bedeutend sind Wissenschaftszentren in Rußland??, ?Welche Bedeutung haben Hochgeschwindigkeitszüge bei der Verbindung der Region Moskau mit Rußland und den BRICS??. ?Wie schädigend sind die deutschen Sanktionen gegen Rußland?? Die chinesischen Teilnehmer interessierten sich vor allem für einen stärkeren Verbund zwischen China und Rußland. Die Gäste aus Serbien und Slowenien interessierte die Frage, inwieweit sich Rußland in ihren Regionen stärker engagieren kann. Ein Gast aus Südafrika stellte eine Frage zu der Möglichkeit, Dienstleistungsgesellschaften wieder in produktive Gesellschaften zu transformieren.

Bei all den Antworten wurde klar, daß der BRICS-Prozeß nicht nur ein vorübergehender Prozeß für Rußland ist, sondern eine langfristige Entwicklungsstrategie beinhaltet. Vertreter der Region Moskau hatten bereits in den letzten Jahren immer wieder Wirtschaftsdelegationen zur Untersuchung von Wirtschaftszentren oder zur Besichtigung von Hochgeschwindigkeitszügen entsandt - sowohl in die chinesische Provinz Guanxi als auch nach Deutschland. Vor allem auf die Verbesserung der Verkehrswege wird seit fünf Jahren ein verstärktes Augenmerk gelegt.

Es ist den Behörden bewußt, daß man eine dezentrale Förderung der Regionen schaffen muß, und daß gleichzeitig lokale Industrien beim Aufbau gefördert werden müssen. Man ist sich aber auch im Klaren, das die Kooperation mit ausländischen Industriefirmen wie z.B. aus Vietnam und China zur Entwicklung der riesigen Landflächen Rußlands notwendig ist. Mendelejews Prognose für Rußland bei einem gleichbleibenden Entwicklungsstreben wie vor 150 Jahren, war eine Bevölkerung von 600 Millionen für ganz Rußland. Diesem Anspruch hinkt Rußland heute noch hinterher.

Trotz der Sanktionspolitik ist man in der Region Moskau auch weiterhin sehr offen für eine Zusammenarbeit mit Deutschland. Wie bereits anderwärtig berichtet wurde, siedeln sich dort momentan auch mehr deutsche Firmen an.

Als Fazit unserer Visite kann gesagt werden, daß das Projekt der ?Neuen Seidenstraße? nur dann Erfolg haben kann, wenn mehr solcher Wissenschaftsstädte in den Aufbauprozeß eingebunden werden. Dubna selbst ist eine wachsende Stadt, an jeder Ecke werden neue Häuser oder Industrien gebaut. Es zeigte sich auch, daß mit dem richtigen Konzept von Forschung und Entwicklung im Bereich der Kernforschung und der Raumfahrt alle Wissenschaften und Industrien von neuen Ideen profitieren. Wie sich bereits im Entwicklungsprozeß der BRICS gezeigt hat, bilden genau diese Technologien das Fundament der gegenseitigen Kooperation. Davon kann sich unser ?grünes? Europa momentan eine Scheibe abschneiden.

Berlin im 19. Jahrhundert gilt heute immer noch als Musterbeispiel für die Integration von Industrie und Forschung im Bereich Atom und Raumfahrt. Viele berühmte Erfinder haben dazu beigetragen, daß Berlin als Wissenschaftsstadt einen wichtigen Baustein in der Industrialisierung von Deutschland gespielt hat. Daran können wir heute wieder anknüpfen.

Stephan Hochstein