Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller



Hauptseite
       

Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Die NSA sammelt alles - macht sie dicht!

Wayne Madsen ist Enthüllungsjournalist, Autor und Kommentator. Er diente als Offizier in der US-Marine und arbeitete kurze Zeit für die NSA. Er ist heute Forschungsleiter am Electronic Privacy Information Center (EPIC) und ist seit langem ein Vorreiter der Aufdeckung und Bekämpfung des Überwachungsstaats.

Es ist eine Art glücklicher Zufall. Ich bin gestern abend hier in New York angekommen, auf der Rückreise, nachdem ich die vergangene Woche in den Archiven der Präsidenten Dwight Eisenhower und Harry S Truman mit Forschungen über die Frühzeit unseres nationalen Sicherheitsstaats verbracht hatte.

Im Mittleren Westen erlebt man zur Zeit eine Menge Erdbeben, und einige davon werden auf das Fracking zurückgeführt. Ich glaube aber, ein paar davon kommen daher, daß diese beiden Herrschaften, die Präsidenten Truman und Eisenhower, sich ständig im Grabe umdrehen, weil sie sehen, was aus den Instrumenten geworden ist, die Truman für den Kalten Krieg geschaffen hat und auf denen Eisenhower natürlich ausgebaut hat. Die CIA wurde 1947 eingerichtet, die NSA 1952.

Edward Snowdens Enthüllungen haben natürlich viele Menschen schockiert, aber für viele von uns, die schon seit Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre die Geschichte der NSA verfolgen, war das keine Überraschung. Als ich Mitte der 80er Jahre bei der NSA arbeitete, hörte ich zum ersten Mal einen Begriff, den einige NSA-Techniker, die in der Datenüberwachung arbeiteten, verwendeten: Sie sprachen von der „totalen Hörbarkeit“ (engl. total hearability). Ich kannte das Wort „Hörbarkeit“ nicht und mußte es im Wörterbuch nachschlagen: Es stand nicht drin! Es gab ein solches Wort nicht!

Das war zu einer Zeit, als die NSA noch in der analogen Welt arbeitete und alle möglichen Formen der Kommunikation über Telefon, Fernmeßtechnik etc. abhörte, einen großen Teil des Radiofrequenz-Spektrums, aber nicht über Glasfaserkabel, mit denen die Daten heute übertragen werden.

Das also war ihre Absicht - „totale Hörbarkeit“. Sie wollten alles mithören.

Dann kamen die 90er Jahre, das Ende der Administration Bush senior, die Clinton-Administration. Und die NSA hatte ein neues Programm, bei dem sie sagten: Wir wissen, daß die Leute ihre Informationen verschlüsseln, aber die NSA braucht Zugang dazu. So ließen sie sich etwas einfallen, was sie Key Escrow, Schlüssel-Hinterlegung, nannten. Das lief unter verschiedenen Bezeichnungen, „Clipper Chip“, „Capstone Chip“ - eine, die mir besonders gefiel, war „Tessera“.

Die Tessera war eine Erkennungsmarke, die die römischen Sklaven trugen, um sie gegenüber den römischen Behörden als Sklaven auszuweisen. Ich weiß nicht, wer bei der NSA für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, wenn die sich so etwas einfallen lassen, aber uns Datenschützern hat es nicht besonders gefallen.

Eines der wohl lustigsten Programme, das durch die Snowden-Enthüllungen bekannt wurde - die NSA sagt, sie entwirft diese Namen für ihre verschiedenen Systeme nach einer Art Musterbuch -, über das mußte ich lachen, es hieß: „Egoistische Giraffe“. Das erinnerte mich an einige der langen, schlaksigen Leute, mit denen ich bei der NSA zusammenarbeitete. Das Programm, mit dem sie den mexikanischen Präsidenten ausspähten, nannte sich „Weiße Tamale“ - und wir sollen glauben, daß sie auf diese Bezeichnung nur rein zufällig kommen?

Der Clipper Chip löste wahrscheinlich den ersten öffentlichen Feuersturm gegen die NSA aus, als sie der Allgemeinheit dieses neue Geschenk der Schlüssel-Hinterlegung machte.

Das alles sehende Auge

Dann kam natürlich der 11. September [2001]. Aber schon vor dem 11. September wußten wir, daß die NSA, schon seit dem Moment, als die Regierung Bush durch diese betrügerische Wahl im Jahr 2000 an die Macht kam, Druck auf die Telefongesellschaften - die Telcos - ausübte, ihnen Zugang zu ihren Datenvermittlungsstellen zu geben: AT&T, Verizon. Eine von ihnen, Qwest, weigerte sich, und ihr Vorstandschef wanderte wegen aufgebauschter Vorwürfe über Insidergeschäfte ins Gefängnis. Er wurde verurteilt und verbrachte einige Zeit in Haft. Er wäre sicherlich der erste, der Ihnen bestätigt, daß das ein politischer Prozeß war, weil er nicht mit der NSA mitspielen wollte.

Dann sahen wir, wie etwas entwickelt wurde, was sie als „Total Information Awareness“ (TIA), die „Totale Informationskenntnis“ bezeichneten. Das machten sie in DARPA, der Defense Advanced Research Projects Agency [Amt des Verteidigungsministeriums für fortgeschrittene Forschungsprojekte]. Und wen machten sie zum Leiter dieses Programms? Einen Kerl namens John Poindexter - Admiral Poindexter, einer der Täter in einer der größten Staatsverschwörungen seit Watergate, dem Iran-Contra-Skandal. Den machten sie dort zum Chef. Und die Leute in der Regierung sagten: „Man wirft uns alle möglichen Verschwörungen vor, aber es ist nicht wahr.“ Warum haben sie dann einen der Verschwörer der Iran-Contra-Affäre geholt, um die Totale Informationserkenntnis zu leiten? Sie kritisieren „Verschwörungstheorien“, aber das Logo dieses Programms war eine Pyramide mit einem alles sehenden Auge, das auf die Erde herunterschaute! Und solche Leute beschweren sich über „Verschwörungstheoretiker“!

Als die Untersuchungskommission zum 11. September gebildet wurde, traten zum erstenmal Whistleblower an mich heran. Ich hatte ja selbst bei der NSA gearbeitet. Die Vorstellung, daß es dort Whistleblower gab, war unerhört! Es hatte in den 80er Jahren Spione gegeben, da gab es den Fall Raymond Pelton und den Walker-Spionagering - aber daß sich Whistleblower meldeten, nicht um Geheimnisse zu verraten, sondern um Mißbräuche aufzudecken, das war für mich ein Schock. Und ich sagte mir, bei der NSA muß wirklich vieles falsch laufen, wenn so etwas geschieht.

Wie ist man mit diesen Leute umgegangen? Sie sprachen über Abhöraktionen ohne gerichtliche Anordnung - Stellar Wind. Sie haben einige von ihnen im Fernsehen gesehen, schon vor Snowdens Enthüllungen: Russ Tice, da war auch Tom Drake. Im Justizministerium gab es Thomas Tamm, einen Staatsanwalt. Sie alle wurden zu Verhören vorgeladen; einige von ihnen wurde vor einer Jury angeklagt, das FBI wollte sie ins Gefängnis bringen. Wir haben erlebt, wie diese Regierung, die Regierung Obama, acht oder neun Leute nach dem Spionagegesetz von 1917 angeklagt hat! Obama hat mehr Strafverfahren geführt als alle seine Vorgänger zusammen, um Whistleblower zum Schweigen zu bringen!

Und dann hörten wir den Startschuß für die „totale Hörbarkeit“: „Sammelt einfach alles.“ Die Aufgabe der NSA lautet: „Sammelt alles!“

Die Snowden-Enthüllungen

Dann kamen Snowdens Enthüllungen. Das wichtigste bei den Snowden-Enthüllungen - wir wußten, daß sie das taten, wir wußten, daß sie Journalisten überwachten. Ich selbst habe über ein Programm namens „Erste Früchte“ (First Fruits) geschrieben, das nicht nur erfaßte, was Journalisten über die NSA schrieben, sondern auch, mit wem sie am Telefon sprachen. Sie haben sich in unsere Kommunikation eingeklinkt und das in ihrer Datenbasis erfaßt.

Was Snowden uns gezeigt hat, ist, wiesie das gemacht haben. Wir wußten, daß sie es taten, aber er lieferte uns die technische Dokumentation, die uns zeigte, wie sie die Überwachung durchführten - und zwar flächendeckend. Es gibt jetzt die sog. SIGADs - Signal Intelligence Acticity Descriptors (Datenerfassungs-Aktivitätsbeschreiber), ihre Nomenklatur wurde früher für die NSA-Stationen wie z.B. Menwith Hill [in Großbritannien] oder Masawa in Japan verwendet. Jetzt haben wir SIGADs für die AT&T- und Verizon-Vermittlungsstellen hier im eigenen Land! Auch für Yahoo, für Google, für PayPal. Und diese Gruppe, die Pierre Omidyar gegründet hat, PayPal, gibt 100 Millionen Dollar an [Glenn] Greenwald und andere Journalisten, damit die über die NSA schreiben. Ich glaube, der wahre Grund dafür ist, daß er nicht wollte, daß herauskommt, daß PayPal einer der Hauptbeteiligten bei der NSA-Überwachung ist. Wie hält man das unter dem Teppich? Man kauft sich mit 100 Millionen Dollar ein paar Journalisten - das könnte funktionieren. Mich ärgert es ein bißchen, daß ich selbst noch kein solches Angebot bekommen habe!

Wir haben durch Snowden auch von den dritten Parteien bei der NSA-Überwachung gehört. Die zweiten Parteien sind die englischsprachigen Länder Kanada, Australien, Neuseeland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Angela Merkel zeigte sich vollkommen überrascht, als sie erfuhr, daß ihr Mobiltelefon von der NSA abgehört wurde. Aber hat sie mal beim Bundesnachrichtendienst nachgefragt, um etwas darüber zu erfahren? „Ja, wir arbeiten mit der NSA in diesem Programm zusammen, und wir hören alle Ihre Gespräche mit!“ Ich habe sie mit dem Polizeiinspektor in dem Film Casablanca verglichen, Inspektor Reynaud, der sagt: „Ich bin schockiert, daß in diesem Etablissement Glückspiel stattfindet!“, und dann seinen Gewinn einstreicht.

Okay, die NSA sammelt alles. Wenn Sie Onlinespiele spielen, wenn Sie Pornoseiten besuchen - die sind immer dabei und nutzen diese Informationen. Es ist flächendeckend. Es gibt in der Welt der NSA keine Privatsphäre.

Wir wissen von Operationen, wo gezielt Viren und Malware verbreitet werden (tailored access). Eine Menge Spam kommt von der NSA, sie sind daran beteiligt. Und was das Ausspähen führender Staatschefs angeht, das steht sogar in ihrem Statut, das machen sie schon seit Jahren. Die Staatschefs sind wahrscheinlich wütend, weil sie geglaubt hatten, sie seien dagegen immun, weil sie ja Staatschefs sind. „Wir sind die G-20, wie kann die NSA uns abhören?“ Wer zur Zielscheibe für die NSA wird, für den gibt es keinen sicheren Hafen.

Was kann man tun?

Nun, zum Schluß - denn ich will, daß wir noch Zeit für Fragen haben - möchte ich noch sagen: Was kann man tun? Viele Leute sagen: Es gab doch ein paar interne Berichte an Obama [über mögliche Änderungen bei der NSA], modifizieren wir das, was die NSA tut, schränken wir sie ein. Setzen wir die Beschränkungen des Gesetzes über die Überwachung ausländischer Geheimdienste (FISA) wieder in Kraft.

Mein Eindruck ist aber: Die NSA ist als Spionagebehörde völlig außer Kontrolle geraten. Schafft sie ab, versucht nicht, sie zu bessern. Macht sie dicht! Als der Schah gestürzt wurde, haben sie [seinen Geheimdienst] SAVAK nicht ausgebessert, sie haben ihn abgeschafft. Als die Apartheid in Südafrika fiel, haben sie das Büro für Staatssicherheit (BOSS) nicht ausgebessert, sie haben es abgeschafft. Sie haben den KGB abgeschafft, sie haben die Stasi abgeschafft. Sie haben die Securitate in Rumänien abgeschafft. Sie haben das Staatliche Forschungsbüro abgeschafft, nachdem sie Idi Amin gestürzt hatten. Sie haben die Tonton Macoute in Haiti abgeschafft, als sie Baby Doc abgesetzt hatten. Schaffen wir also auch die NSA ab.

Man kann die Einrichtungen gut nutzen. Sie haben einen wunderbaren Campus. Wir haben in unserem Land zuwenig Ingenieure und Wissenschaftler - man könnte daraus ein wunderbares Ausbildungszentrum für Ingenieure, für die Ausbildung von Technikern machen, und alle arbeitslosen NSA-Leute können dort weiter beschäftigt werden. Sie können alle die Leute, die diese Ausbildung brauchen, in Mathematik und Ingenieurwesen unterrichten. Oder es könnte auch einfach der Columbia-Campus der Universität von Maryland sein.

Jedenfalls war es sehr interessant, die Papiere von Eisenhower und Truman zu lesen. Ich muß sagen, wenn die heute noch da wären, dann würden sie mir zustimmen, bei dem, was mit der NSA passiert und was daraus geworden ist: Das läßt sich nicht reparieren, das kann man nur beenden!

Vielen Dank.