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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Zypern als Versuchskaninchen für den Bail-in

Von der Grünen Partei Zyperns kam die folgende Grußbotschaft an die Teilnehmer der Konferenz des Schiller-Instituts am 13./14. April.

Liebe Freunde,

ich möchte Ihnen zunächst danken für die Gelegenheit, die Sie mir bieten, mich an Ihre Konferenz zu wenden. Ich hoffe, daß Ihre Beratungen gute Früchte tragen und alternative Einsichten in diesen schweren Zeiten ergeben. Als Vertreter des Volkes von Zypern glaube ich, daß andere Perspektiven und alternative Maßnahmen dringendst notwendig sind, wenn die Welt vor dieser erzwungenen Schuldknechtschaft bewahrt werden soll.

Ich will mich kurz halten und nur die wesentlichen Komponenten der neu entdeckten zypriotischen Wirtschaftskrise berühren, als meinen kleinen Beitrag zu Ihren Beratungen, und dabei unsere grüne Perspektive in dieser Frage darlegen.

Wir glauben, daß die jüngsten Entwicklungen an der Wirtschaftsfront in Zypern direkt mit der allgemeinen wirtschaftlichen Rezession zusammenhängen, unter der dieses neue Jahrhundert leidet, mit der schnellen politischen Entwicklung von geopolitischer Bedeutung in der Region und mit der internen Politik der Insel. Diese Schlüsselelemente überlappen sich gegenseitig und trüben dadurch das Wasser, sodaß nur wenig Klarheit und wenig Hoffnung besteht, daß rationale Entscheidungen getroffen werden, um die Probleme, die entstanden sind, zu überwinden.

Die bisherige Regierung weigerte sich, sich mit dem Sturm zu befassen, dessen Wolken sich bereits seit 2008 angesammelt hatten, und war daher nicht darauf vorbereitet, mit ihrem Ausschluß von den internationalen Finanzmärkten umzugehen. Aber selbst dann wurden keine Strategien für die Handhabung des überwältigenden Defizits und der stets weiter wachsenden Schulden - sowohl der Regierung wie der privaten Unternehmen und insbesondere des Bankensektors - vorgelegt. Der Präsident der Republik Zypern und der Gouverneur der Zentralbank von Zypern schienen in einem ständigen Disput zu stehen1 und taten nichts, um gemeinsam zu versuchen, Lösungen für die bevorstehende Wirtschaftskrise herbeizuführen. Es war keine Überraschung, daß die Amtszeit des Gouverneurs nicht verlängert und ein neuer Gouverneur, Panikos Demetriades, ernannt wurde. Aber selbst dann schien es so, daß keine Lösungen vorgelegt wurden, um die Schlupflöcher2 und die wachsenden Probleme zu verringern, die aufgrund des erzwungenen „Haarschnitts“ bei den griechischen Staatsanleihen, mit dem Geldtransfer von zypriotischen Banken an griechische Banken und den wachsenden Schulden, die sich aufgrund der Europäischen Liquiditätshilfe in den beiden systemrelevanten Banken akkumulierten, entstanden waren..

Während all dies geschah, führten zypriotische Politiker einen Wahlkampf und versuchten, den anderen die Schuld zuzuschieben, während sich die Sturmwolken ansammelten und unser Bankensystem an die Grenzen stieß.

Im Januar 2013 verbreiteten sich die ersten Gerüchte über einen bevorstehenden „Bail-in“ und sorgten für einen Abzug von Bankguthaben einiger der größten Anleger in den Banken. Sobald die Präsidentschaftswahl vorüber war, zirkulierten diese Gerüchte erneut, diesmal mit größerer Sicherheit, und zwangen die Zentralbank von Zypern und die Regierung, Erklärungen abzugeben, daß solche Maßnahmen für unsere Seite inakzeptabel und sowieso unsinnig seien, da sie die Grundlagen des Bankensystems erschüttern würden. Es scheint, daß sie sich da geirrt haben, denn am 16. März forderten die Führer der Eurozone und der Weltwährungsfonds gemeinsam einen Bail-in von allen Anlegern sämtlicher Bankinstitute der Insel und vereinbarten unterschiedliche Prozentsätze für die Anleger mit mehr und mit weniger als 100.000 Euro.

Angesichts eines unmittelbar bevorstehenden Runs auf die Banken kehrte die Regierung [von der Sitzung in Brüssel] nach Zypern zurück und verlangte, daß das Parlament am nächsten Tag zu einer Sondersitzung zusammenkomme, um die notwendigen Gesetze zu beschließen. Die politischen Parteien reagierten, verschoben die Plenarsitzung auf Dienstag, den 19. März, und stimmten gegen die Entscheidung der Troika. Die Banken wurden für eine ganze Woche geschlossen, während die politische Führung der Insel sich beeilte, das beste aus einer schlechten Entscheidung zu machen, die mit ihrer Ablehnung einen Wirbelsturm von Folgen ausgelöst hatte. Schließlich stimmte das Parlament dafür, die größte systemrelevante Bank (Marfin Laiki) aufzulösen und ihre „guten“ Werte der zweiten systemrelevanten Bank der Insel (Bank of Cyprus) zu übertragen, um wenigstens einen Teil der Guthaben über 100.000 Euro zu retten (Guthaben von mehr als 100.000 Euro in Marfin Laiki werden eingefroren, bis die „schlechten“ Werte liquidiert sind, und wahrscheinlich nur zu einem Bruchteil zurückbezahlt, der Schätzungen zufolge bei 5-10% liegen wird). Guthaben in anderen Banken wurden nicht angetastet, aber unversicherte Guthaben (über 100.000 Euro) in der Bank of Cyprus bleiben eingefroren, bis der Prozentsatz, um den sie reduziert werden sollen, ausgerechnet ist. Gleichzeitig wurden sofort Beschränkungen bei den Geldtransfers sowohl innerhalb des Landes als auch ins Ausland erlassen, um Runs auf die Banken und weitere Krisen zu verhindern. Diese Beschränkungen sind auch heute noch, einen Monat nach diesen Ereignissen, in Kraft, was zum Stillstand der lokalen industriellen und kommerziellen Aktivitäten geführt hat.

Die Bombe, die uns die Troika vor die Füße geworfen hat und die von einigen als Schocktherapie und von anderen als Abschreckungsmaßnahme beschrieben wurde, hat unsere Bank- und Finanzoperationen völlig zerstört und den Bankrott nicht nur der Bankinstitute, sondern auch anderer privater Unternehmen herbeigeführt. Da die kleinen und mittleren Unternehmen 95% der wirtschaftlichen Mischung in Zypern darstellen (meist Unternehmen in Familienbesitz) und der Bankrott von etwa 60% aller in Zypern registrierten Unternehmen erwartet wird, ist klar, daß die Zyprioten auf viele Jahre hinaus große Härten und eine negative Entwicklung der Wirtschaft erleiden werden.

Die Grüne Partei Zyperns versucht seit vielen Jahren, diese Fragen anzusprechen und setzt sich für nachhaltige alternative Modelle der Entwicklung und für Zurückhaltung bei den Ausgaben der Regierung ein. Unsere Vorschläge für einen Grünen New Deal wurden aber nicht aufgegriffen, und die zyprische Wirtschaft ist weiterhin von einer ungesunden Mischung der wirtschaftlichen Aktivitäten beherrscht: Bankdienstleistungen, Tourismus und Bau. Es ist eine übermäßige Abhängigkeit von Importen entstanden, und da keine Gelder in die Förderung unserer kleinen Landwirtschafts- und Industriesektoren flossen und auch keine neuen Dienstleistungen (wie Forschung und Entwicklung, Schiffahrt oder erneuerbare Energien) in die Mischung eingeführt wurden, war es nur eine Frage der Zeit, bis unser ganzes System zusammenbrechen würde.

Die Frage ist, wie konnte es so weit kommen? War es bloß ein Mangel an Disziplin der Zyprioten selbst, oder haben andere politische Entscheidungsprozesse dafür gesorgt, daß der katastrophale Kurs beibehalten wurde? Unsere Einschätzung ist, daß die Lage, trotz einiger Mängel, die unseren bestehenden Strukturen innewohnten, unter Kontrolle war und der Kurs mit etwas Unterstützung geändert und ein neues, nachhaltiges und ausgewogenes Wirtschaftsmodell geschaffen werden konnte. Die neugewählte Regierung hat bereits ihre Entschlossenheit gezeigt, alle notwendigen Änderungen vorzunehmen, die Mehrheit der politischen Parteien auf der Insel haben ihre Bereitschaft geäußert, dabei mitzuwirken, und es wurden bereits im Vorjahr harte Entscheidungen getroffen, obwohl eine Absichtserklärung noch gar nicht unterzeichnet worden war. Was war das Schlüsselelement, das die Troika zu dem Schluß veranlaßte, Zypern sei das perfekte Versuchskaninchen für ihren nächsten Schritt nach dem Haarschnitt bei den Regierungsanleihen, nämlich, die Stützung der Banken durch das Geld ihrer eigenen Einleger?

Unsere Einschätzung ist, daß es die fehlende unmittelbare Rückwirkung auf die anderen Volkswirtschaften der Eurozone war (wegen der geringen Größe und dem Fehlen systemischer Beziehungen), die relative Leichtigkeit, mit der die institutionellen und gesetzlichen Änderungen durchgesetzt werden konnten, und überhaupt die Kontrolle, die man über ein so kleines Land erreichen konnte - all das trug dazu bei, daß diese Entscheidung getroffen wurde. Aber insgesamt glauben wir, daß es das letztendliche Ziel war, die völlige Kontrolle über die Politik dieser kleinen Nation zu erreichen, die sich im Netz der größeren geopolitischen Entwicklungen in der Region gefangen sieht und kurz davor stand, große Erdgasvorkommen anzuzapfen, die die EU verzweifelt unter ihrer eigenen - und keines anderen - Kontrolle halten will, und die sich als äußerst stur gegenüber Hinweisen der übrigen Mitgliedstaaten in Bezug darauf erwiesen hatte, was ihre Außenpolitik sein sollte, insbesondere in Bezug auf den Mitgliedstatus der Türkei in der EU. Diese Fakten können nicht leicht ignoriert werden, wenn man die gewaltigen Folgen betrachtet, die dieser einzelne Schlag gegen unsere Wirtschaft (der noch dazu von Unseresgleichen3 kam) für unsere inneren und äußern Beziehungen haben wird. Man schaudert, wenn man darüber nachdenkt, welche weiteren Entscheidungen uns noch bevorstehen, wenn erst einmal eine Absichtserklärung der Eurozonenländer unterzeichnet und ratifiziert ist.

Die Grüne Partei Zyperns betrachtet diese Absichtserklärung als ein sehr schlechtes Geschäft, das um jeden Preis verhindert werden sollte. Es würde stets ein unmittelbar drohender Bankrott bevorstehen, und der Mangel an Kontrolle über unseren eigenen Entscheidungsprozeß als Nation ist ein viel größeres Opfer, als unter Austeritätsmaßnahmen und einer Wirtschaftsdepression zu überleben, bis wieder eine normale wirtschaftliche Aktivität hergestellt ist. Es ist unsere Überzeugung, daß die Zyprioten ein hart arbeitendes Volk sind, das einen Weg finden wird, seine Wirtschaft und sein Land wiederaufzubauen, so wie 1974 nach der Invasion der Insel durch die Türkei, die dazu führte, daß sie nicht nur 35% ihres Territoriums verloren, sondern auch, und vielleicht noch wichtiger, 65% ihres produktiven Agrarlandes, 70% ihrer Mineralvorkommen, 70% ihrer industriellen Infrastruktur und 80% ihrer touristischen Infrastruktur. Diesmal werden wir alles in unserer Macht stehende tun, um nachhaltige und ausgewogene Wirtschaftsaktivitäten zu schaffen, in der Hoffnung, ein vorbildliches Land zu schaffen, das alle Prozesse des Grünen New Deal realisiert, die ein Land und eine Nation aus eigener Kraft und für lange Zeit stabil und wohlhabend machen können.

George Perdikes, Mitglied des Parlaments, Grüne Partei Zyperns

Efi Xanthou, Sekretärin für internationale Beziehungen, Grüne Partei Zyperns


Fußnoten

1. Herr Athanasios Orphanides war vom vorherigen Präsidenten der Republik zum Gouverneur der Zentralbank von Zypern ernannt worden, und Präsident Christofias (AKEL, Kommunistische Partei) traute ihm nicht, sodaß zwischen den beiden Institutionen kaum Informationen ausgetauscht wurden.

2. Einer der Gründe für die Pleite einer der beiden systemrelevanten Banken Zyperns war ihre Fusion mit einer griechischen Bank und die Übernahme der alten Schulden und schlechten Portfolios dieser Bank, eine Maßnahme, die von der Zentralbank von Zypern nicht abgesegnet worden war, aber aufgrund der Schlupflöcher in den Gesetzen nicht verhindert werden konnte.

3. Den anderen EU-Mitgliedern.