Die indisch-russisch-chinesische Allianz
Von Ramtanu Maitra
Ramtanu Maitra ist der Neu-Delhi-Korrespondent des Executive
Intelligence Review. Der Konferenz des Schiller-Instituts übermittelte er die
folgende Video-Botschaft.
Ich möchte Ihnen zunächst die aktuelle Lage beschreiben. Wir sind noch nicht
soweit, wie wir erwartet hatten, aber kürzlich besuchte der indische
Premierminister Manmohan Singh Moskau und flog dann direkt nach Beijing -
insgesamt eine fünftägige Reise vom 20.-24. Oktober: zwei Tage in Rußland, drei
Tage in China. Während seines Besuchs in Rußland wurden mehrere Abkommen
unterzeichnet, das wichtigste davon betraf das russische Interesse am Bau von vier
weiteren Kernreaktoren am selben Standort, wo bereits einer gebaut wurde und sich
ein zweiter im Bau befindet.
Das zweite ist, daß Indien mit Rußland auch eine Vereinbarung traf, gemeinsam
im Arktischen Meer nach Erdöl zu suchen. Und in außenpolitischer Hinsicht wurde in
Rußland vor allem darüber gesprochen, wie wichtig es ist, Zentralasien stabil zu
halten angesichts der Tatsache, daß die amerikanischen und NATO-Truppen 2014 aus
Afghanistan abziehen werden und das Land heute von Terroristen und Drogenhändlern
verseucht ist. So besteht in der Region große Sorge, daß sich diese Terroristen
nach dem Truppenabzug nach Osten wenden werden, nach Rußland, zum indischen Teil
Kaschmirs und auch zum westlichen Teil Chinas, d.h. der Provinz Xinjiang.
Außerdem wird der Drogenhandel für sehr viel Instabilität in der ganzen Region
sorgen. Man war sich daher in strategischer Hinsicht einig, daß die Stabilität
Zentralasiens für die Entwicklung der eurasischen Landmasse notwendig ist.
Karte: EIR
Die „südwestliche Seidenstraße“ entlang des Entwicklungskorridors von
Kunming nach Kolkata.
In China konzentrierten sich die Gespräche vor allem auf bilaterale Fragen,
aber das wichtigste, worüber gesprochen wurde - es gab schon früher darüber
Gespräche, aber diesmal wohl etwas handfestere -, ist ein Entwicklungskorridor von
Kunming nach Kolkata (ehemals Kalkutta): von Kunming in der chinesischen Provinz
Hunan über Myanmar und Bangladesch nach Kolkata in Indien (siehe
Abbildung). Es ist also ein Korridor, der vier Nationen miteinander
verbindet. Er ist auch Teil der alten Seidenstraße - in dem Sinne, daß die alte
Seidenstraße viele Routen hatte und dies eine davon war, die schon damals
existierte.
Die Chinesen hatten bereits umfangreiche Gespräche mit Bangladesch und
Bangladesch hat grünes Licht für das Projekt gegeben. Die Inder sind
offensichtlich auch einverstanden, aber die Initiative muß von Indien und China
kommen, da weder Myanmar noch Bangladesch die finanziellen oder materiellen Mittel
hat, um diesen wirtschaftlichen Entwicklungskorridor aufzubauen. Das war also sehr
gut, was da passiert ist. Aber all diese Dinge stehen bisher nur auf dem Papier.
Bis diese Vereinbarungen umgesetzt oder in Gang gebracht sind, kann man noch nicht
behaupten, daß etwas konkret geschehen ist.
Trilaterale Zusammenarbeit
Trotzdem ist diese trilaterale Zusammenarbeit extrem wichtig. Das hat Herr
LaRouche schon 1991 erkannt, als die Sowjetunion zusammenbrach und dieses Ereignis
den Weg für Rußland frei machte, ganz offen mit China und Indien
zusammenzuarbeiten. Und wenn Sie eine Karte anschauen und die Demographie dieser
Region betrachten, dann sehen Sie, daß auf dem Territorium dieser drei Nationen
etwa die Hälfte der Weltbevölkerung lebt.
Die Entwicklung dieses Gebiets könnte dank der Möglichkeiten dieser drei Riesen
die Weltbühne schnell verändern - wirtschaftlich, politisch und sozial. Es
existieren jedoch Probleme, die noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammen, als
die Chinesen Rußland noch kaum kannten und es viele Animositäten gab.
Indien und China wiederum hatten Schwierigkeiten wegen des Grenzkrieges von
1961. Die gemeinsame Grenze ist etwa 3700 km lang. Sie ist nicht völkerrechtlich
verbindlich festgelegt, sie stammt aus der britischen Herrschaftszeit und wurde
seitdem nicht zur beiderseitigen Zufriedenheit geklärt. Das ist bis heute ein
wunder Punkt zwischen Indien und China. Er wurde in der Vergangenheit wiederholt
dazu benutzt, die Lage so anzuheizen, daß sogar ein Krieg als wahrscheinlich
galt.
1991 sprach Herr LaRouche von einer trilateralen Einigung. Ein weiterer
wichtiger Mann, der frühere russische Premierminister Jewgenij Primakow, erwähnte
1995 bei einem Besuch in Delhi, daß Indien, China und Rußland nun zusammenarbeiten
müßten, um die Führung der eurasischen Landmasse zu übernehmen.
1999 wurde dann in Neu-Delhi die Trianguläre Vereinigung gegründet. Die
Vorsitzenden waren der Leiter des Instituts für Orientstudien der Russischen
Akademie der Wissenschaften Akademiemitglied R.B. Rybakow, Prof. Ma Jiali, damals
beim Chinesischen Institut für Zeitgenössische Internationale Beziehungen, und der
indische Professor Dr. Devendra Kaushik, damals Leiter der Schule für
Internationale Studien an der Jawaharlal-Nehru-Universität. Ich selbst habe die
Gründung organisiert und so starteten wir diese Trianguläre
Vereinigung.1
Später folgten verschiedene Ereignisse, die man als Gründe dafür anführen kann,
warum das Konzept nicht schneller bzw. nicht schnell genug voranschritt. Da war
der 11. September - schon vorher kam es 1997 zu einem gewaltigen Finanzkollaps in
Asien, und dann kam 2001 der 11. September. Dann kam das Jahr 2007 und damit der
Absturz der Weltwirtschaft, was wir der Wall Street, der City und deren
Unterstützung vom Weißen Haus zu verdanken hatten. Die Dinge liefen ganz schön aus
dem Ruder.
Aber jetzt bietet sich eine perfekte Gelegenheit, daß diese drei Länder
voranschreiten können. China ist jetzt selbstsicherer als in den 90er Jahren, als
es gerade erst angefangen hatte, sich zu entwickeln; jetzt ist es ein beinahe
entwickeltes Land. Rußland macht seinen Einfluß wieder geltend. Im Oktober kürte
das Forbes-Magazin Wladimir Putin zum mächtigsten Mann der Welt.
Die Schwäche, die ich sehe, insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt, ist in Indien,
wo die Führung extrem schwach ist. Manmohan Singh ist ein sehr schwacher
Staatsführer und was noch wichtiger ist, er steht am Ende seiner Amtszeit, er ist
81 oder 82 Jahre alt und das ist mit Sicherheit das Ende seines politischen
Lebens. Aber alle grundlegenden Voraussetzungen, diese trilaterale Entwicklung
voranzutreiben, sind gegeben.
Bush und Obama als Hindernis
Herr LaRouche hat 2003, 2004, 2005 und 2008 Indien besucht - viermal. Jedesmal,
wenn er dort war, kamen natürlich zahlreiche Themen zur Sprache, aber er hat immer
betont, daß Indien eine riesige Bevölkerung hat - heute 1,2 Milliarden Menschen -
und daß es eine gebildete Bevölkerung hat. Mindestens ein Teil der Bevölkerung ist
wissenschaftlich und technisch hochentwickelt. China hat einen enormen Schwung und
China hat auch seine Industrie sehr gut entwickelt. Und Rußland ist, was die
Wissenschaften angeht, wahrscheinlich das entwickeltste Land der Welt. Wenn diese
drei ihre Köpfe zusammenstecken und sich die Hände reichen, dann ist es nicht sehr
schwierig, die Probleme Eurasiens zu lösen. Und wenn Eurasien entwickelt wird,
dann wird das auch nach Südostasien ausstrahlen und auch in den Fernen Osten, d.h.
Japan und Südkorea, die bereits entwickelt sind.
Wenn man sich das vorstellt, wie sich diese Landmasse mit 2,5 bis 3 Milliarden
Menschen vereint entwickelt, dann versteht man, daß die ganze Welt sich enorm
verändern wird. Und wie Herr LaRouche immer wieder betont, darf diese trilaterale
Beziehung keine Konfrontation mit den Vereinigten Staaten sein. Es gab allerdings
unter der Führung, die die Vereinigten Staaten seit dem Jahr 2000 haben, wenig
Bereitschaft, sich an einer weltweiten Entwicklung zu beteiligen und mit den
großen Nationen zusammenzuarbeiten. Die Wall Street und das Weiße Haus sehen in
ihnen potentielle Konkurrenten.
Deshalb haben sich die Dinge nicht im Sinne der Zusammenarbeit entwickelt, am
wenigsten unter Präsident Obama. Das begann mit der Regierung Bush, die den Irak
angriff und in Afghanistan einmarschierte, aber Obama machte weiter und griff
Libyen an und er schuf eine prekäre Lage in Syrien. All das hat eine Situation
geschaffen, in der die gesamte islamische Welt von Nordafrika bis Zentralasien
gegen ausländische Kräfte in Waffen steht. Und das hat fundamentale Probleme für
Indien, Rußland und China und die Entwicklung ihrer Wirtschaftskorridore
geschaffen. Denn wenn man sich die Seidenstraße anschaut: Sie führt natürlich von
China durch Zentralasien und nach Europa, aber sie muß auch durch den Nahen Osten
führen. Wenn der Iran weiter als Feind behandelt wird und die ganze Region in
Flammen steht, dann kann man diesen Wirtschaftskorridor nicht aufbauen.
Zweitens sind der Iran und Saudi-Arabien immer noch die größten erdöl- und
erdgasfördernden Nationen, und sowohl China als auch Indien haben einen großen
Bedarf an Öl und Gas. Durch die Schaffung von Instabilität wurde das
Entwicklungspotential dieser Länder gehemmt. Hinzu kommt, daß die Regierung Obama
eine neue Strategie eingeleitet hat, die im Grunde auf eine Konfrontation mit
China abzielt. Diese Politik wird als „Asien-Schwerpunkt“ bezeichnet. Mit den
Worten des Präsidenten: Wir werden Asien und den Pazifik „nicht aufgeben“.
Tatsächlich werden die USA ihre Aufmerksamkeit, ihre Kräfte im
asiatisch-pazifischen Raum konzentrieren.
Darüber ist vor allem China besorgt, denn es gilt inzwischen als die zweite
Weltmacht. Eine große amerikanische Militärpräsenz im asiatisch-pazifischen Raum
würde eine Lage schaffen, in der eine Konfrontation mit China zur realen
Möglichkeit würde und stattfinden könnte. Noch wichtiger ist, daß China sehr stark
abhängig ist vom Import verschiedener Rohstoffe, u.a. Öl und Gas, für den
täglichen Bedarf von 1,4 Milliarden Chinesen. Und diese Rohstoffe müssen per
Schiff angeliefert werden, zum Teil von so weit entfernten Orten wie Südamerika,
Afrika oder dem Nahen Osten, und bei einer starken Präsenz der US-Marine im
asiatisch-pazifischen Raum steht immer die Drohung im Raum, daß diese jederzeit
unter dem Vorwand des einen oder anderen Konfliktes Engpässe wie die Straße von
Malakka oder die Sundastraße in Indonesien blockieren könnte, und dann könnte
China sich nicht versorgen.
Das sind reale Drohungen. Aber jetzt fallen diese Drohungen gewissermaßen in
sich zusammen. Denn die Regierung Obama versuchte unter anderem, Indien ins
amerikanische Lager gegen China zu ziehen, indem sie an Indiens Furcht vor dem
chinesischen Nachbarn appellierte oder das jedenfalls versuchte. Indien hat das
aber sehr nachdrücklich zurückgewiesen und das ist deshalb jetzt kein Thema.
Bilaterale Fragen
Es gibt jedoch eine Menge bilateraler Streitfragen zwischen Indien und China,
Indien und Rußland, China und Rußland, die gelöst werden müssen. Ich denke, daß
viele der schwierigen Fragen bereits gelöst wurden, aber die 3700 km lange Grenze
zwischen Indien und China ist immer noch eine politische Frage. Solange dieser
Grenzstreit nicht friedlich beigelegt ist, wird die chinafeindliche bzw.
proamerikanische Lobby in Indien die Regierung immer an einer umfassenden
Zusammenarbeit hindern, wie sie zu diesem Zeitpunkt notwendig wäre.
Das Problem in den indisch-russischen Beziehungen ist, daß der
indisch-russische Handel bisher noch winzig ist, einfach weil bisher noch kein Weg
gefunden wurde, eine gegenseitige Abhängigkeit zu schaffen. Bisher ist Indien nur
ein großer Kunde für russische Rüstungsgüter, und Rußland ist mehr als bereit, so
viele Kernkraftwerke zu liefern, wie Indien abnehmen kann. Tatsächlich hat Rußland
zusammen mit indischen Industrieunternehmen einige Kapazitäten an
Schwermaschinenbau aufgebaut, die es den Indern erlauben werden, ihre eigenen
Reaktoren und verschiedene notwendige Bauteile von Kernkraftwerken zu bauen.
Wenn es möglich gewesen wäre, auf sehr hoher Ebene Gespräche zwischen Indien,
China und Rußland zu führen, und wenn es ein klares Verständnis gegeben hätte, daß
diese trilaterale Zusammenarbeit allen drei Nationen helfen wird, dann hätte das
die Region stabilisiert.
In diese Richtung haben sich die Dinge zwar noch nicht sehr weit bewegt, aber
ich denke dennoch, daß das, was passiert ist, für uns schon ein großer Fortschritt
war. So veranstaltete ich 1999 nach der Gründung der Triangulären Vereinigung eine
Pressekonferenz mit diesen drei Persönlichkeiten [Rybakow, Ma und Kaushik], und es
war für die Journalisten ein großer Schock, daß so etwas überhaupt möglich war.
Schließlich hatten Rußland und China in der Sowjet-Ära einen Grenzkrieg und Indien
und China hatten 1962 einen Grenzkrieg. Wie konnten diese Animositäten, die sich
über Jahre entwickelten, überwunden werden?
Genau das ist uns, denke ich, in diesen Jahren gelungen. Dabei spielt Herr
LaRouche natürlich eine führende Rolle, daß es jetzt in Rußland, China und Indien
ein klares Verständnis gibt, daß die trilaterale Zusammenarbeit, auch wenn sie
schwer in Gang zu setzen ist, das wichtigste ist, was jetzt geschehen muß, um die
Region zu stabilisieren. Tatsächlich werden alle Länder davon profitieren - und
die Welt wird sich auch politisch stabilisieren.
Denn man hat erkannt, daß es eine multipolare Welt gibt, was vorher nicht so
war. Bis dahin dachte man, es gebe eine unipolare Welt: Die Vereinigten Staaten
seien so mächtig, daß keine andere Macht aus ihrem Schatten hervortreten könne.
Aber im Lauf der Jahre haben der Kollaps der amerikanischen Wirtschaft, der
Kollaps der amerikanischen Politik, die Fehler und das Scheitern der
amerikanischen Außenpolitik diese Leute auf höchster Ebene erkennen lassen, daß
dies eine multipolare Welt ist, wie China oft betont, und daß sie ausgezeichnet
dazu beitragen können, den Vereinigten Staaten die Verantwortung für die
Stabilisierung dieses großen Teiles der Welt abzunehmen.
Und wenn die Vereinigten Staaten endlich eine angemessene Führung bekommen,
dann können sie sich anschließen. Das ist der einzige Weg, die Welt zu
stabilisieren.
Vielen Dank.
Anmerkung
1. Im Juli 1999 gründeten führende Gelehrte aus Indien, China und Rußland bei
einem Treffen in Neu-Delhi die Trianguläre Vereinigung, um für die Eurasische
Landbrücke zu werben. Lyndon LaRouche wurde zum beratenden Ehrenmitglied der
Vereinigung ernannt.
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