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Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

 

Einführung in die Strategische Verteidigung der Erde

Die gemeinsamen Ziele der Menschheit im inneren Bereich des Sonnensystems verwirklichen

Von Benjamin Deniston

Auf der Konferenz des Schiller-Instituts am 23. März in Washington sprach Benjamin Deniston über die Bestrebungen zum Schutz der Erde vor Bedrohungen aus dem Weltraum.

Ich möchte am Anfang auf das offensichtlich sehr dramatische Ereignis verweisen, das sich am 15. Februar über Rußland ereignet hat. Das war der größte Kometeneinschlag seit über 100 Jahren. Dabei war das Objekt, das uns zwar ziemlich groß erschien, relativ klein, verglichen mit den Brocken, die überall im Sonnensystem herumfliegen. Es maß etwa 17 m im Durchmesser und hatte eine Geschwindigkeit von etwa 65.000 km/h, als es in die Erdatmosphäre eintrat. Es explodierte, als ob es auf eine Mauer traf, und schickte eine gewaltige Druckwelle nach unten.

Wie wir jetzt wissen, wurden dabei über 1000 Menschen verletzt, und es entstanden Gebäudeschäden in mehreren Städten. Fensterscheiben zerbarsten und Hauswände stürzten ein, und man muß von Glück sprechen, daß bei dem Einschlag niemand ums Leben gekommen ist. Es war gerade noch an der Grenze zu dem, was eine große Tragödie hätte werden können.

Wie bereits erwähnt wurde, gab es dafür keinerlei Vorwarnung, niemand hat den Kometen kommen sehen. Wenn der Komet vielleicht 20, 25 oder 30 m groß, d.h. nur unwesentlich größer gewesen wäre, wäre vielleicht eine ganze Stadt dem Erdboden gleichgemacht worden. Es hätte eine Tragödie mit vielen Toten gegen können.

Das war zweifellos ein Weckruf für die gesamte Welt. Zufällig hat sich der Einschlag über Rußland ereignet, es hätte aber genausogut Mexiko City treffen können, oder Berlin oder New York oder auch Washington. Damit ist schlagartig klar geworden, welch existentielle Bedeutung der Vorschlag für eine internationale Strategie zur Verteidigung der Erde hat.

Ein solcher Vorschlag war bereits im Herbst 2011 von Dmitri Rogosin, derzeit stellvertretender russischer Ministerpräsident, vorgelegt worden. Im Zusammenhang mit den Spannungen um die Vorwärtsstationierung amerikanischer Raketenabwehrsysteme schlug er vor, daß die Vereinigten Staaten und Rußland nicht nur bei Raketenabwehrsystemen, sondern auch beim Schutz der Erde vor Asteroiden, Kometen, Meteoren und anderen Gefahren aus dem Weltall zusammenarbeiten sollten.

Seither wurde dieser Vorschlag von verschiedenen hochrangigen Kreisen in Rußland wiederholt, wobei das jüngste Beispiel eine wichtige Sitzung des Föderationsrates, des Oberhauses des russischen Parlaments, war. Zahlreiche wichtige Sprecher griffen das Thema auf und betonten wiederholt, daß dies eine internationale Aufgabe sei, kein Land allein habe dazu die Fähigkeiten, und dies sei eine perfekte Grundlage für die amerikanisch-russische Zusammenarbeit. Leider schweigt die amerikanische Regierung bisher zur Frage der amerikanisch-russischen Zusammenarbeit bei der Verteidigung der Erde.

Dabei ist die Idee, die Nationen zum Schutz der Erde, zum Schutz vor Raketen und auch zum Schutz vor Asteroiden und Raketen zu vereinigen, nicht neu. Das allgemeine Konzept für eine strategische Zusammenarbeit zwischen den USA und Rußland in diesen beiden Bereichen geht auf Anfang der 90er Jahre zurück, insbesondere auf die Bemühungen von Dr. Edward Teller und zahlreiche führende Militärs, Rüstungsspezialisten und Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten und Rußland. Einige dieser Überlegungen wurden Anfang der 90er Jahre auf einer Serie von Konferenzen deutlich, die in Erice (Italien), in Lawrence Livermore (USA), ironischerweise in Tscheljabinsk (Rußland) und anderen Orten stattfanden.

Die Grundzüge der dort aufgeworfenen Fragen sind heute genauso real wie damals: Kein Land allein ist derzeit in der Lage, die Zivilisation vor den potentiell tödlichen Gefahren aus dem Weltall zu schützen. Eine wirkliche strategische Verteidigung der Erde erfordert die offene Zusammenarbeit zwischen den größten und vorwärtsorientierten Nationen. Wie wir schon lange betonen, gehören dazu in erster Linie die Vereinigten Staaten, Rußland, China und Indien als die größten und vorwärtsorientierten Nationen der Welt.

Jeder umfassende Schutz der Erde lenkt unsere Aufmerksamkeit unmittelbar auf den gesamten Umfang des inneren Sonnensystems. Man hat es dabei nicht nur mit umlaufenden Himmelskörpern zu tun, wovon ich gleich einige nennen werde, sondern unmittelbar mit einem Gebiet, welches das gesamte innere Sonnensystem von jenseits des Marsorbits bis hinein zum Venusorbit umfaßt. Diese gesamte Region muß unter den Einfluß des Menschen kommen, wenn wir tatsächlich das Leben im Sonnensystem schützen wollen.

Zwei verschiedene Ansätze

Um diese Frage, die wirklich keine neue Frage ist, anzugehen, gibt es im allgemeinen zwei Ansätze. Der erste Ansatz, der die meisten politischen Diskussionen beherrscht, ist im Grunde eine rein pragmatische Sicht des Problems, die davon ausgeht, daß die Menschheit eigentlich eine erdverbundene Gattung bleiben sollte und von dieser bodenständigen Lebensweise irgendwie blind ins Weltall vorzudringen versucht. Wir können ein paar Satelliten losschicken und vielleicht auch einige kleine bemannte Missionen in den Weltraum unternehmen, aber im Grunde leben wir hier auf der Erde und tasten uns nur in unerschlossene, entlegene Gebiete vor, die uns in unserem täglichen Leben auf der Erde immer fremd bleiben werden.

Nach dieser Sicht des inneren Sonnensystems gilt wohl das Sprichwort „Aus dem Auge, aus dem Sinn“: Die Identität des einzelnen Menschen in der Gesellschaft richtet sich vor allem danach, was er oder sie hier auf der Erde erlebt. Ich möchte jedoch betonen, daß der Kometeneinschlag in Rußland, der glücklicherweise nicht viel schlimmer ausfiel, ein deutliches Warnzeichen für die Kurzsichtigkeit dieser Sichtweise ist.

Der zweite, hoffnungsvollere Ansatz ist die Sichtweise, daß der Mensch aufbrechen und sich das gesamte Gebiet des inneren Sonnensystems erschließen muß. Das heißt nicht, daß wir schon morgen Menschen auf den Mars schicken, um dort zu wohnen; soweit sind wir noch nicht. Aber es bedeutet, daß wir unser Verständnis vom und unseren Zugang zum gesamten inneren Sonnensystem schnellstmöglich erweitern müssen. Es bedeutet, daß wir die Erde vom Standpunkt der Vorgänge im gesamten Sonnensystem sehen lernen müssen und wir den einzelnen Menschen vom Standpunkt seiner Beiträge betrachten, um auf diese größeren Prozesse einzuwirken und sie dauerhaft zu verändern. Das ist im Grunde für die Menschheit ganz natürlich, und das muß die Menschheit ganz natürlich weiterführen.


Abb. 1: Bislang bekannte Bahnen erdnaher Asteroiden

Tabelle 1: Größenordnungen der erdnahen Objekte

Umfang der Schäden

Durchmesser (m)

Geschätzte Anzahl

bisher entdeckt

Stadt

30-100

500.000

0,5%

Nation

100-300

21.000

10%

Kontinent

300-1000

5.000

50%

Global

>1000

900

95%

insgesamt

>30

525.000

1%

Wenn wir es hier auf der Erde beispielsweise mit Wildflüssen zu tun haben, lassen wir ihnen nicht einfach ihren Lauf, sondern bauen Staudämme, um sie zu zähmen, so daß sie nicht immer wieder katastrophale Überschwemmungen erzeugen und viele Menschenleben fordern. Wir bringen solche Systeme unter Kontrolle.

Die gleiche Methode müssen wir auf das Sonnensystem insgesamt anwenden: Wir müssen auf die große Flut von Asteroiden, Kometen und Meteoren blicken, die unser Sonnensystem anfüllen, und sie zu unserem eigenen Schutz und zu unserem eigenen Nutzen kontrollieren. So läßt sich das innere Sonnensystem allmählich umgestalten, damit es für die Erfordernisse des Lebens förderlicher wird.

Was wir wissen, und was wir nicht wissen

Um das zu verdeutlichen, möchte ich kurz darstellen, was wir über die Gefahren von Asteroiden wissen und was wir nicht wissen (Abbildung 1). Ganz ehrlich, wir wissen selbst über unsere unmittelbare Nachbarschaft des inneren Sonnensystems nur sehr wenig. Auf der einen Seite gibt es die gängige Sicht des Sonnensystems mit den Bahnen der vier inneren Planeten, wie sie die meisten kennen. Auf der anderen Seite kann man zu der gleichen Darstellung Tausende von Asteroidenbahnen hinzufügen, wodurch sich das Bild ziemlich dramatisch wandelt.

Das ist jedoch nichts im Vergleich zu dem, was wir noch entdecken müssen. Was Sie in den blauen Orbits hier sehen, ist nur ein sehr kleiner Anteil der gesamten Asteroidenpopulation. Nach besten Schätzungen der NASA kennen wir derzeit nur etwa 1% der Gesamtzahl der Asteroiden in der inneren Region des Sonnensystems, die potentiell eine Gefahr für die Erde darstellen könnten.

Man kann sie auch nach unterschiedlichen Größen darstellen (Tabelle 1), woran die entsprechenden Zerstörungseffekte deutlich werden, sollte eines dieser Objekte die Erde treffen. Es gibt somit kleinere Objekte bis hin zu größeren als jenem, das am 15. Februar explodierte, die aber eine ganze Stadt zerstören könnten; noch größere würden ein ganzes Land oder einen Kontinent verwüsten, und noch größere hätten katastrophale globale Folgen.

Wie man sieht, ist es weitgehend gelungen, die sehr großen Asteroiden zu finden, aber wir sind noch sehr weit davon entfernt, die gesamte Population zu erfassen. Das gilt auch nicht für die 30-100 m großen Asteroiden, die ein gesamtes Großstadtgebiet einebnen könnten, wofür wir ein gutes Beispiel mit dem „Tunguska-Ereignis“ von 1908 haben, bei dem ein wahrscheinlich 30-50 m großes Objekt, also am unteren Ende des Bereichs kleinerer Objekte, in Sibirien auf einer Fläche von 2000 km2 sämtliche Bäume umlegte, was dem Gebiet einer Großstadt entspricht. Wenn also so ein Gegenstand eine Großstadt träfe, würde von ihr nichts übrig bleiben - und dabei kennen wir nur weniger als 1% dieser Objekte in unserer unmittelbaren Nachbarschaft des inneren Sonnensystems.

Nach heutigem Ermessen würde es zu einem solchen Ereignis kommen, ohne daß wir dafür eine nennenswerte Vorwarnung hätten - im Idealfall vielleicht ein paar Tage, wenn überhaupt.

Die allermeisten Asteroiden, die entdeckt wurden, hat man mit bodengestützten Teleskopen gefunden, die speziell dazu eingerichtet sind, diese größeren, leichter zu identifizierbaren Objekte zu finden. Derzeit erreichen wir jedoch die Grenze dessen, was solche bodengestützten Teleskope finden können, d.h. es ist dringend notwendig, raumgestützte Beobachtungssysteme zu schaffen, um all diese potentiell gefährlichen Himmelskörper aufzuspüren.

Ich habe jetzt nicht die Zeit, alle laufenden und vorgeschlagenen Projekte darzustellen. Einige kommen von Amateurastronomen, von privaten Stiftungen, von Regierungseinrichtungen und aus internationalen Aktivitäten; darunter sind einige sehr gute. Im Endeffekt liegt aber kein aktives oder entsprechend unterstütztes Programm auf dem Tisch, das uns die Fähigkeit lieferte, systematisch all diese bedrohlichen Objekte aufzuspüren und uns genug Vorwarnzeit zu verschaffen, um die Erde zu schützen.

Mit Blick auf diese Tabellen sei außerdem betont, daß bei all diesen Fragen die Diskussion schnell auf reine Statistik zurückgeht: Wie wahrscheinlich ist dieser oder jener Impakt? Wie hoch ist die geschätzte Asteroidendichte? Es sollte klar sein, daß Schätzungen und statistische Annäherungen kein gesichertes Wissen sind und sich daraus keine Fähigkeit ableiten läßt, vorauszusagen, was im Sonnensystem vorgeht und was nicht.

Ich möchte in diesem Zusammenhang etwas über die Arbeit sagen, die wir unter Leitung meines Freundes Jason Ross im Basement machen und die man am besten die antistatistische Methode von Johannes Kepler und Carl Friedrich Gauß nennen könnte, um der Gefahr von Asteroiden und Kometen zu begegnen und nach prognostizierbarem Wissen über die Struktur des Sonnensystems als Ganzem zu suchen.

Bei keiner der laufenden Diskussionen und wirklich keiner der heutigen nationalen und internationalen Forschungsaktivitäten geht es um eine zweite Frage, die ich kurz ansprechen will - die Frage der langperiodischen Kometen, die potentiell eine noch größere Gefahr darstellen als die Asteroiden. Sie sind zwar seltener, doch sie kommen aus einem anderen Bereich des Sonnensystems; sie kommen aus den entferntesten Tiefen des Sonnensystems, wo man sie mit den heutigen Technologien unmöglich aufspüren kann. Außerdem fliegen sie viel schneller und sind viel größer. Nach allem, was wir heute wissen, könnte ein Komet in drei Jahren auf die Erde zusteuern, und wir hätten keine Ahnung davon. Mit unseren heutigen Technologien würde jeder Versuch, ein solches Objekt abzulenken, viel länger als drei Jahre dauern, besonders wenn es sich um einen ordentlich großen Kometen handelte. In Abbildung 2 sieht man die typische Flugbahn eines langperiodischen Kometen, dessen Exzentrizität sich weit über die Bahnen der inneren Planeten hinaus erstreckt.


Abb. 2: Typische Flugbahn eines langperiodischen Kometen



Abb. 3: Methoden zur Vermeidung der Kollision von Himmelskörpern in Abhängigkeit von der Größe des Himmelskörpers (Durchmesser in m, linke Skala) und dem zur Verfügung stehenden Zeitraum (untere Skala, in Jahren). (Entnommen aus „Dealing with the Threat to Earth from Asteroids and Comets, IAA, 2009, S. 66.)

Man muß seine Vorstellungskraft anstrengen: Die meisten Planetenbahnen sind nahezu kreisförmig, selbst viele Asteroiden haben in etwa elliptische Bahnen, doch kreisen sie noch um die Sonne. Die langperiodischen Kometen haben extrem exzentrische, extrem langgestreckte Bahnen. Wenn das die Bahn des Pluto um die Sonne ist, so gibt es Kometen, die in ihren Flugbahnen die allermeiste Zeit weit entfernt fast außerhalb des Sonnensystems zubringen. Es gibt keine Möglichkeit, solche dermaßen weit entfernten Objekte zu erkennen, und wir haben praktisch keine Vorwarnzeit für solche Kometen.

Die Herausforderung

Nach diesem kurzen Überblick über das, was wir wissen und was wir nicht wissen, stellt sich die Frage, was das für die Möglichkeit der strategischen Verteidigung der Erde bedeutet. Hierzu möchte ich auf die zweite der beiden unterschiedlichen Sichtweisen zurückkommen, die ich eingangs erwähnt habe. Diese zweite Sichtweise mit ihren Implikationen für die strategische Verteidigung der Erde bedeutet, daß sich die Menschheit das gesamte innere Sonnensystem, angefangen mit Mond und Mars, als einheitliches Gebiet erschließen muß. Dafür müssen wir schnellstmöglich unser Wissen und unser Verständnis des inneren Sonnensystems erweitern.

Zweitens müssen wir rasch unsere Fähigkeit ausbauen, in der gesamten Region des inneren Sonnensystems zu agieren. Und drittens brauchen wir dringend eine umfangreiche internationale Anstrengung, um gemeinsam die wissenschaftlichen, technischen und industriellen Kapazitäten der Vereinigten Staaten, Rußlands, Chinas, Indiens und anderer Nationen für eine wirkliche strategische Verteidigung der Erde zu nutzen und auszubauen.

Derzeit verfügen wir über kein einziges erprobtes Abwehrsystem. Wenn wir tatsächlich daran gehen wollten, einen Asteroiden von einer Kollision mit der Erde abzuhalten, indem man ihn ablenkt, verlangsamt, sprengt o.ä., haben wir nichts zur Verfügung, das getestet worden wäre. Es gibt kein umfassendes System, um eine solche Kollision zu verhindern.

Unter bestimmten spezifischen Umständen könnten theoretisch einige bestehende Technologien eingesetzt werden, und es gibt viele Entwürfe für andere besondere Fälle. Doch wenn tatsächlich ein solcher Ernstfall eintreten sollte, steht all das lediglich auf dem Papier. Außerdem gibt es über das bisher Diskutierte hinaus viele weitere Gefahren, die noch nicht einmal in Erwägung gezogen wurden. So steht die Idee, kleinere Asteroiden oder die langperiodischen Kometen abzulenken, noch gar nicht auf der Tagesordnung in den Diskussionen über die Verteidigung der Erde, die auf nationaler und internationaler Ebene geführt werden.

Es gibt einige potentiell einsetzbare Methoden, um eine Kollision zu verhindern. Im Augenblick sind mit heutigen Technologien im Grunde nur zwei Methoden verfügbar (Abbildung 3). Eine besteht darin, ein Raumfahrzeug mit dem Objekt zusammenstoßen zu lassen, um es zu verlangsamen. Dazu bräuchte man höchstwahrscheinlich viele Jahre Vorwarnzeit vor der Kollision, um das Objekt gerade soviel abzubremsen, daß es fünf oder zehn Jahre später die Erde hoffentlich verfehlt. Oder man könnte auf verschiedene Weise einen thermonuklearen Sprengsatz verwenden, um das Objekt zu verlangsamen oder in Stücke zu zerlegen.

Über diese Diskussionen ließe sich viel sagen, doch kann ich hier nicht auf Details eingehen. Aber das, was machbar oder nicht machbar wäre und die geeignete Vorgehensweise, hängt von einer Reihe von Faktoren ab - von der Größe des Objekts, seiner Zusammensetzung, seinem Typ und wieviel Vorwarnzeit man hat.

Ich sollte noch erwähnen, daß die beiden genannten Methoden aus einem Bericht des National Research Council über planetare Verteidigung von 2010 stammen. Ungeachtet aller Diskussionen über unterschiedliche Methoden, die potentiell verwendet werden könnten - und da gibt es teilweise die wildesten Vorschläge -, sind wohl nur zwei davon wirklich brauchbar: Der kinetische Zusammenstoß und der thermonukleare Sprengsatz.

Man sollte hinzufügen, daß das bereits Anfang der 1990er Jahre Stand der Dinge war, als sich Dr. Teller und andere in die Debatte einschalteten. In 20 Jahren sind wir also keinen Schritt weiter gekommen. In Los Alamos fand vor 20 Jahren eine Konferenz statt, auf der u.a. eine Bestandsaufnahme über die damals, Anfang der 90er Jahre, zur Verfügung stehenden Techniken gemacht wurde. Außerdem wurde abgeschätzt, welche Techniken in den nächsten 20 oder 30 Jahren entwickelt werden könnten. Heute, 20 Jahre später, ist keine einzige der Techniken verfügbar, die man damals erwartet hatte. Was die planetare Verteidigung angeht, befinden wir uns immer noch auf dem technischen Stand von vor 20 Jahren!

Für weitere Details verweise ich auf einen Bericht im Magazin 21st Century, worin wir die Grundelemente und viele spezifische Einzelheiten über die planetare Verteidigung zusammengestellt haben.1

Steigende Energieflußdichten notwendig

Wegen der begrenzten Zeit, die ich zur Verfügung habe, möchte ich mich hier auf die „Rahmenbedingungen“ der planetaren Verteidigung beschränken. Damit meine ich die Tatsache, daß menschlicher Fortschritt im allgemeinen und das Überleben der Menschheit stets auf der Erhöhung der sogenannten Energieflußdichte beruhte und auch weiter beruhen wird. Dabei ist zu beachten, daß die Energieflußdichte, die man pro Kopf als Leistungskraft für wissenschaftliche Fähigkeiten aufbringen kann, eng mit der Idee der planetaren Verteidigung und der Erkundung des Weltraums generell verbunden ist.

Um ein Beispiel anzuführen: Chemische Antriebssysteme begrenzen derzeit unsere Möglichkeiten, uns im Sonnensystem zu bewegen. Um eine einfache Analogie herzustellen, entspricht der chemische Raketenantrieb von heute den Ochsengespannen, mit denen die amerikanischen Siedler damals nach Westen zogen. Es hat sich zwar vieles weiterentwickelt, was die Mathematik und Technik bei den heutigen Weltraummissionen angeht, doch unsere tatsächlichen Fähigkeiten im Weltraum entsprechen nach wie vor der Zeit, als wir mit Planwagen nach Westen zogen.


Abb. 4: Dauer einer Reise zum Mars in Abhängigkeit von der Antriebsart: mit chemischem Treibstoff 250 Tage, mit Kernspaltungsantrieb 200 Tage und mit Kernfusionsantrieb nur sieben Tage.


Die zweite Sichtweise: Die vom Menschen gesteuerte Entwicklung des inneren Sonnensystems als Region, angefangen mit Mond und Mars

1. Wir müssen unser Wissen und unser Verständnis des inneren Sonnensystems schnell vermehren.

2. Wir müssen unsere Fähigkeit, im gesamten inneren Sonnensystem zu handeln, schnell ausweiten.

3. Wir brauchen internationale Bemühungen und die offene Weitergabe und Entwicklung der größten wissenschaftlichen, technologischen und industriellen Kapazitäten der Vereinigten Staaten, Rußlands, Chinas und Indiens für eine wahre Strategische Verteidigung der Erde.

Doch als wir in den Vereinigten Staaten den Westen des nordamerikanischen Kontinents erschließen wollten, bauten wir Eisenbahnen, bauten wir neue Städte, Bewässerungssysteme und entwickelten das gesamte Gebiet. Das ist ein ganz anderes Konzept, als nur eine Mission loszuschicken und wieder zurückkehren zu lassen. Ein Flug zum Mars beispielsweise mit Hilfe eines chemischen Antriebs, wie er heute üblich ist, dauert 250 Tage, wobei es nur alle zwei Jahre eine Startmöglichkeit gibt. Das heißt, wir haben nicht besonders viel Flexibilität, wenn wir uns im Sonnensystem bewegen wollen.

Die gleichen Beschränkungen, die es für eine Reise zum Mars gibt, gibt es auch beim Abfangen eines Asteroiden. Lange Fahrtdauern und enge Zeitfenster für den Start zeigen, wie beschränkt unsere Möglichkeiten sind. Wie unsere Organisation wiederholt gezeigt hat, läßt sich die Lage durch nukleare Antriebe leicht verbessern, aber erst wenn man zu Kernfusionsantrieben im Weltraum übergeht, kann man zum Beispiel die Reise zum Mars auf wenige Tage verkürzen. Das würde außerdem unsere Fähigkeiten zum Schutz der Erde vollkommen revolutionieren.

Entscheidend für unseren Zugang zum und unsere Handlungsfähigkeit im gesamten Sonnensystem ist die Entwicklung leistungsstarker Energiequellen: Kernfusion und besonders die Aussicht auf die Nutzung von Materie-Antimaterie-Reaktionen. Nur so können wir einen schnellen und effektiven Zugang zum gesamten inneren Sonnensystem sicherstellen, um die Erde zu schützen und den Weltraum zu erkunden. Auf diese Weise verkürzt sich die Zeit beträchtlich, um zu einem bedrohlichen Objekt zu gelangen und es abzufangen. Man kann mehr Masse und Ladung zu dem Objekt bringen und eine größere Energiedichte vor Ort zur Anwendung bringen, je nach dem, wie groß die erforderliche Ablenkung sein muß.

Mond und Mars als Außenposten

Um den Schutz der Erde gewährleisten zu können, müssen wir neben solchen Systemen auch den Mond und den Mars als Außenposten zum inneren Sonnensystem ausbauen, womit wir wieder auf unsere zweite Sicht der planetaren Verteidigung zurückkommen: Wie die Menschheit den gesamten inneren Planetenraum beherrschen kann (siehe nebenstehenden Kasten).

Die natürlichen Vorzüge des Mondes machen ihn zu einem idealen Standort für industrielle Entwicklung und wegen der geringen Schwerkraft zur bevorzugten Abschußrampe für den Zugang zum Sonnensystem. Auf dem Mond gibt es ergiebige Ressourcen, die vor Ort verarbeitet und zum Aufbau einer eigenen Industrie auf dem Mond genutzt werden können. So muß nicht alles Material von der Erde hochgeschafft werden, sondern man kann es auf dem Mond selbst herstellen. Bestimmte Strukturen auf dem Mond wie die unterirdischen Lavahöhlen böten Schutz für menschliche Basen. Außerdem wäre es aufgrund der unmittelbaren Erdnähe möglich, Systeme auf dem Mond von der Erde fernzusteuern, so daß diese nicht ständig von Menschen vor Ort bedient werden müssten.

Das wäre ein wichtiger Schritt, jedoch ist der Mars unsere wichtigste Außenstation, um das innere Sonnensystem für die Verteidigung der Erde zu nutzen. Im Vergleich zu anderen Himmelskörpern bietet der Mars, was Schwerkraft, Atmosphäre und Erdnähe angeht, die besten Voraussetzungen, damit der Mensch weiter ins Sonnensystem vordringen kann.

Soll die strategische Verteidigung der Erde tatsächlich erfolgreich sein, müssen wir uns von der heutigen, auf reiner Sinneswahrnehmung beruhenden Sicht der Erde lösen, mit der wir im Grunde blind in den Weltraum vordringen. Diese Sichtweise muß mit einer anderen Betrachtung ersetzt werden: Wir müssen die Erde vom Standpunkt der Menschheit als einer schöpferischen Kraft im gesamten inneren Sonnensystem verstehen, die sich diesen Bereich als neues Territorium erschließt und nutzbar macht. Wir müssen die wichtigen Nationen zu einer internationalen Anstrengung zusammenbringen und das verfolgen, was Dr. Teller „die gemeinsamen Ziele der Menschheit“ nannte.

Auf die Herausforderung, die gesamte menschliche Zivilisation vor den Gefahren aus dem Weltraum zu verteidigen, müssen wir mir großer Kühnheit reagieren, und sogar das älteste Gebot, das Gott den Menschen aufgetragen hat, aus dieser Sicht neu interpretieren. Deswegen müssen wir sagen: „Seid fruchtbar und mehret euch, füllet das Sonnensystem und machet es euch untertan, und herrschet über alles, was sich darin regt!“


Anmerkung

1. Vgl. Benjamin Deniston, „Verteidigung des Planeten: Der Faktor der Energieflußdichte“, Neue Solidarität 9/2013.