Zwei verlorene Jahrzehnte für Europa und die USA?
Auf der Konferenz des Schiller-Instituts am 13.-14.4. gab
Daisuke Kotegawa, der viele Jahre lang im japanischen Finanzministerium tätig
war, bevor er Vertreter Japans beim IWF wurde, einen Einblick in die
Bankenrettungspolitik in den USA und Europa.
Als Direktor im Finanzministerium war ich 1997 und 1998 verantwortlich für
die Abwicklung großer Finanzinstitute in Japan, darunter Yamaichi Securities,
LTCB und NCB. Damals gelang es uns, das Ausmaß der Firmenschließungen zu
begrenzen und zu verhindern, daß Japan zum Epizentrum der Weltwirtschaftskrise
wurde. Als die Finanzinstitute im Laufe eines Wochenendes geschlossen wurden,
wickelten wir damals alle grenzüberschreitenden Geschäfte, u.a. sehr große
Derivatgeschäfte, ab. Eine solche Abwicklung wurde von den Behörden der
Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs bei der Liquidierung von
Lehman Brothers nicht durchgeführt, und das löste die weltweite
Wirtschaftskrise aus.
Trotz unseres Erfolges gab es heftige Kritik, u.a. von nationalen und
internationalen Meinungsführern, die heute mit der Krise zu kämpfen haben, wie
etwa Larry Summers. Infolgedessen wurden Ermittlungen gegen führende Beamte
durchgeführt, und ich verlor mehrere Kollegen, die ins Gefängnis mußten oder
Selbstmord verübten, ähnlich wie Vorstände größerer gescheiterter
Geldinstitute.
Es ist recht seltsam, zu sehen, daß diejenigen Japaner, die so hart dafür
arbeiteten, die weltweite Wirtschaftskrise zu verhindern, so hart bestraft
wurden, während von den Verantwortlichen [für die jetzige Krise] keiner
bestraft wurde.
Dabei ist es für mich als Überlebenden der Krise leicht vorauszusehen, was
als nächstes in der laufenden Krise geschehen wird - ein Déjà Vu von vor zehn
Jahren.
Der Lehman-Schock
Warum leiden die Menschen in Europa unter der Wirtschaftskrise? Die Antwort
ist einfach. Die Blase, die seit Anfang der 2000er Jahre aufgebaut worden war,
explodierte mit dem Lehman-Schock. Was ist nun eine wirtschaftliche Blase?
Eine Wirtschaftsblase entsteht, wenn die Menschen träumen, die Prosperität
werde für immer anhalten. Im Fall von Japan träumten die Menschen, die
Immobilien- und Aktienpreise würden immer weiter steigen.
Was geschah in der westlichen Welt? Die jetzige Krise wurde ausgelöst durch
die Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes 1999. Diese Änderung der Politik
erlaubte es den Investmentbanken, die von den Geschäftsbanken angesammelten
Einlagen als Geldquelle für ihre Geschäfte anzuzapfen, die manchmal auch als
Glücksspiele bezeichnet werden könnten.
Sie bereitete auch die Bühne dafür, daß die Verluste aus den Geschäften der
Investmentbanken durch die Injektion öffentlicher Gelder gedeckt werden
konnten, um das Finanzsystem zu retten. Der Umfang der Geschäfte der
Investmentbanken, einschließlich der Derivatgeschäfte, wuchs in den Himmel.
Falsche, virtuelle und imaginäre Profite aus diesen Geschäften brachten den
Investmentbankern enorme Gehälter und Boni. Die Investmentbanken an der Wall
Street, wie Goldman Sachs, Merrill Lynch, Morgan Stanley und JP Morgan, und in
der Londoner City, wie Barclays, Royal Bank of Scotland und Lloyds, machten
beispiellose Profite. Institutionen außerhalb der angelsächsischen Länder, die
z. T. amerikanisiert wurden, wie die Deutsche Bank und UBS, folgten dem
Beispiel.
Einen weiteren imaginären Geldsegen erlebte man in Europa, in der Zeit
dessen, was man die „Blase der EU-Mitgliedschaften“ nennen könnte. Neue
EU-Mitglieder und manchmal auch Beitrittskandidaten erfreuten sich
außergewöhnlicher Kapitalzuflüsse, was dort zu einem steilen Anstieg von
Löhnen und Immobilienpreisen führte. Manchmal wurden die
Mitgliedschaftskriterien auf Vorschlag von Investmentbanken mit Hilfe von
Derivaten manipuliert. Doch mit der Lehman-Brothers-Pleite sind diese Blasen
2008 geplatzt.
Was hat man daraus gelernt?
In den USA und Europa hat man scheinbar nichts aus der Krise Ende der
1990er Jahre gelernt in Bezug darauf, wie man hätte versuchen sollen, das
Vertrauen der Finanzmärkte wiederherzustellen, und in Bezug auf den
Unterschied zwischen einer regulären Abschwächung der Wirtschaft und der
Krise, die durch einen Finanzkrach ausgelöst wurde. Dafür gibt es zahlreiche
Beispiele, angefangen mit der Krise in Mexiko 1994, gefolgt von der Asienkrise
und der Finanzkrise in Japan, zu der es in der Zeit kam, als ich im
Finanzministerium arbeitete.
Wie ich immer wieder betont habe, gibt es zwei wesentliche Schritte, die
Länder unternehmen müssen, um mit einem durch einen Finanzkrach ausgelösten
Zusammenbruch der Wirtschaft umzugehen: Erstens müssen sie das Vertrauen in
ihr Finanzsystem wiederherstellen, und zweitens, müssen sie ihre reale
Wirtschaft durch ein Konjunkturprogramm wieder in Gang bringen.
Um das Vertrauen in das Finanzsystem wiederherzustellen, müssen die Staaten
dreierlei Sicherheitsnetze schaffen: Sie müssen
1) einen Mechanismus schaffen, um Finanzinstitute zu stützen,
2) ein System schaffen, durch das notleidende Kredite erfaßt werden,
und
3) ein System schaffen, durch das die Regierung die Kreditvergabe zwischen
den Banken garantiert.
Diese Sicherheitsnetze wurden in der transatlantischen Region im Oktober
2008, nach dem Lehman-Schock, geschaffen. Aber die Reihenfolge, in der man
diese Maßnahmen ergriffen hat, um mit diesen Systemen zu arbeiten, war
vollkommen falsch.
Lassen Sie mich ihnen ein Ideal präsentieren, was man hätte tun sollen:
1) Eine gründliche Untersuchung der Bilanzen durch staatliche Behörden auf
der Grundlage der tatsächlichen Marktpreise, um die Summe der notleidenden
Kredite ehrlich zu berechnen.
2) Solche Berechnungen hätten eine beispiellose Menge an notleidenden
Krediten ergeben, weil es nach dem Lehman-Schock gar keine börsennotierten
Kurse für verbriefte Papiere mehr gab.
3) Die meisten großen Banken der westlichen Welt, insbesondere
Investmentbanken, wären dadurch weitgehend zahlungsunfähig geworden.
4) Die Gesamtmenge der staatlichen Gelder, die zur Stützung dieser Banken
benötigt werden, muß ehrlich berechnet und offengelegt werden. Dieser Prozeß
ist notwendig, um den Markt über das Ausmaß der Probleme zu informieren und,
wenn die Stützung durchgeführt wurde, das Vertrauen wiederherzustellen, indem
man zeigt, daß die gesamte Menge der notleidenden Kredite durch die Injektion
der öffentlichen Gelder abgedeckt ist und daß die überlebenden Banken
gesäubert wurden.
5) Die meisten Investmentbanken müßten liquidiert werden, weil die Menge
der öffentlichen Gelder, die zu ihrer Rettung benötigt würde, größer ist als
die Menge, die aufgebracht werden kann.
6) Die Manager und Aufsichtsräte der gescheiterten Institute, die
öffentliche Gelder benötigen, müssen vor Gericht gestellt werden, weil sie
verantwortlich dafür sind, daß Steuergelder benötigt wurden, um das
Finanzsystem zu retten.
Aber im Fall der Vereinigten Staaten und der europäischen Länder wurden
solche vollkommen neutralen und zuverlässigen Finanzprüfungen niemals
durchgeführt. Statt dessen führte man eine Scheinprüfung - die sog.
Stresstests - ein, um die Aufmerksamkeit davon abzulenken. Banken, die man
schon längst hätte für insolvent erklären sollen, haben ihre Bilanzen
geschönt. Ohne eine solche Transparenz ist es aber nicht möglich, alle
Teilnehmer der Märkte davon zu überzeugen, daß die Bilanzen all dieser
Finanzinstitute wirklich bereinigt sind.
Eigene Ratschläge nicht befolgt
Dies ist eine Anekdote: Als wir in Japan unter der Finanzkrise litten,
erhielten wir viele Ratschläge und Belehrungen von prominenten Ökonomen aus
den USA. Auch von Larry Summers. Diese Ratschläge kann man wie folgt
zusammenfassen:
1) Die Banken sollten zu einer „harten Landung“ gezwungen werden, d.h., sie
sollten liquidiert werden.
2) Bei der Berechnung der notleidenden Kredite sollte man sich an die
Marktpreise halten.
3) Leerverkäufe sollten nicht gestoppt werden.
4) Banken sollten nicht gestützt werden.
Wie Sie sich sicher erinnern werden, wurden diese Ratschläge nach dem
Lehman-Schock von denen, die sie uns gegeben hatten, nicht befolgt.
Wenn man den Großteil der Investmentbanken geschlossen hätte, dann wären
die europäischen Staatsanleihen nicht mit Leerverkäufen und
Kreditausfall-Swaps von Investmentbanken attackiert worden, die damit
verzweifelt nach kurzfristigen Profiten jagten, um ihre Pleite abzuwenden.
Solche Angriffe führten dazu, daß sich die Haushaltslage verschärfte, obwohl
die Regierung eigentlich die Konjunktur ankurbeln müßte, weil es für
Haushalte und Unternehmen nötig war, ihre Ausgaben wegen Überschuldung
drastisch einzuschränken.
Wie schon gesagt, es wurde durch die Angriffe der Investmentbanken auf
Regierungsanleihen sehr schwierig gemacht, ein Konjunkturpaket zu aktivieren.
Die europäischen Behörden haben die Verantwortlichen der Banken, die diese
Krise verursachten und am meisten davon profitierten, auch nicht angeklagt und
verurteilt. Statt dessen riet man zur völlig falschen Politik, nämlich
Austerität, und legte die Bürde dem Steuerzahler auf. Das ist eine lächerliche
Situation, und wenn eine so dumme Politik weitergeht, wird Europa, fürchte
ich, unter zwei verlorenen Jahrzehnten leiden.
Zypern: eine dumme und verrückte Politik
Ich möchte bei dieser Gelegenheit gerne noch etwas zu der dummen und
verrückten Politik sagen, die von den EU-Behörden gegenüber Zypern verfolgt
wurde. Es ist von größter Bedeutung, ein gewisses Maß an Einlagen für alle
Anleger des Landes zu garantieren. Deshalb gibt es jetzt in den meisten
Ländern eine gewisse Grenze bis zu der alle Einlagen in jeder Finanzkrise
geschützt sind. Aber was in Zypern geschah, war das genaue Gegenteil dieser
Politik: Sie versuchten, ein System durchzusetzen, in dem auch die Sparer
einen Teil ihrer Einlagen verloren hätten. Das wird das Vertrauen in das
Finanzsystem vollkommen zerstören und dadurch die Finanzkrise
verschärfen.
Ich kann nicht verstehen, warum die Leute in Brüssel eine so dumme Politik
verfolgen, die zur Aufrechterhaltung des Vertrauens in das Finanzsystem - auf
den ersten Blick für jedermann ersichtlich - eine vollkommen falsche Politik
ist.
Lassen Sie mich ausführen, warum. Wie Sie wissen, kann eine Bank so lange
arbeiten, solange sie mindestens 10% ihrer Vermögenswerte als Eigenkapital
hält. Das Wesentliche im Bankgeschäft ist die Schaffung von Vertrauen. Nehmen
Sie als Beispiel eine Bank, die insgesamt Vermögenswerte von 100 Mio. hat. Sie
hält diese 100 Mio. nicht zur Verfügung, um sie auszahlen zu können, denn
solange das Vertrauen in das System aufrechterhalten bleibt, werden nicht alle
Anleger gleichzeitig ihr Geld zurückverlangen. Die Differenz zwischen den 100
Mio. und den notwendigen 10 Mio. können genutzt werden als Quelle für Kredite,
zusätzlich zum Eigenkapital der Bank.
Die von der EU verfolgte Politik zerstört dieses Vertrauen völlig. Sie
verstößt gegen die Grundidee, wie eine Bank existieren und arbeiten kann. Ich
hoffe, daß diese von Brüssel angeratene Politik so bald wie möglich rückgängig
gemacht wird, denn sie wird eine schreckliche Ansteckungswirkung auf die
anderen betroffenen Länder haben.
Es ist jetzt lebenswichtig, das Glass-Steagall-Gesetz wieder einzuführen
und Investmentbanken zu schließen.Es handelt sich hier um einen Krieg gegen
schmutzige Banker, die mit Zocken viel Geld gewonnen haben und die
Steuerzahler ihre Verluste zahlen lassen, während sie sich selbst durch die
Nutzung von Steueroasen den Steuern entzogen, und gegen Finanzbehörden, die
ihre Verbündete sind. Es ist ein Krieg für gewissenhafte Menschen, die fleißig
arbeiten, etwas Geld auf Konten in Geschäftsbanken sparen und ehrlich ihre
Steuern zahlen.
Das ist meine Ansicht. Vielen Dank.
|