Eine Vision für Europa in Eurasien
Von Jacques Cheminade
Der frühere französische Präsidentschaftskandidat Jacques
Cheminade eröffnete am 14. April den zweiten Tag der Konferenz des
Schiller-Instituts mit der folgenden Rede.
Liebe Freunde, verehrte Gäste,
betrachten wir das, was ich jetzt sagen werde, als einen Versuch, über das
nachzudenken, was gestern geschehen ist und was sich heute weiter entfalten
wird.
Zunächst einmal: Alles kann sich über Nacht ändern. Unsere Zeit ist eine,
in der sich alles über Nacht ändern kann. Entweder beschließen wir, daß diese
Veränderung zum besseren führen soll, legen unsere Identität in die Zukunft
und kämpfen dafür, daß wir sie herbeiführen - oder wir sind als menschliche
Kultur erledigt. Es gibt keinen dritten Weg, denn das derzeitige Weltsystem
ist eine lebende Leiche.
Die Folgen der Unterwerfung unter das britisch-imperiale, monetaristische
Gesetz werden, wie Lyn gestern schon sagte, von den höchsten Ebenen des
britischen Systems laut angekündigt: die Reduzierung der menschlichen
Bevölkerung von derzeit sieben Milliarden Menschen auf etwas mehr als eine
Milliarde oder sogar noch weniger. Das bedeutet eine Politik des Massenmords,
entweder durch organisierte Ausrottung oder durch einen thermonuklearen Krieg.
Die Voraussetzungen, um die erforderlichen Lebensmittel für die jetzige
Bevölkerung zu erzeugen, ganz zu schweigen von den mehr als neun Milliarden
Menschen, die angeblich für 2050 erwartet werden, werden nicht erfüllt. Die
Voraussetzungen für die Energieerzeugung werden nicht erfüllt. Die
Voraussetzungen für wissenschaftliche Entdeckungen und technologische
Verbesserungen werden nicht erfüllt.
Eine mörderische Politik
Das Resultat ist tragisch und nicht von der Hand zu weisen. Kein
informierter Mensch kann behaupten, er wisse nicht, wohin diese Politik führt.
Es ist wie im Nürnberger Tribunal - „wußte, oder hätte wissen müssen“ - und es
gibt keine Entschuldigung. Aber die europäischen Staatsoberhäupter verhalten
sich so, als ob sie diese Zeitbombe bedienen müßten: Sie reagieren mit
Sophismen und Kompromissen auf die mörderischen Bedingungen, die in
Griechenland, Zypern, Portugal, Spanien, in Italien und schon bald auch in
Frankreich und Deutschland selbst geschaffen werden. Ihre Politik verbreitet
Mord, denn ihr Geist ist beherrscht von einer Kultur des Todes.
Betrachten Sie die Ausbreitung von Tuberkulose und Malaria in Griechenland,
sehen Sie die griechischen Kinder, die, wie gestern berichtet wurde, den Müll
durchsuchen, und die Erwachsenen, die in diesem Winter Bäume in privaten
Gärten, in öffentlichen Parks und an den Straßen gefällt haben, um Holz zu
haben, damit sie im Winter nicht erfrieren. Sehen Sie die Massen von Menschen
in Spanien, die aus ihren Wohungen geworfen werden, Menschen, die sterben,
weil es keine Medizin gibt - in Griechenland, Zypern, Portugal und Spanien.
Betrachten Sie auch die steigende Zahl von Selbstmorden, nicht nur dort,
sondern auch in Italien und Frankreich. Es gibt jetzt Arbeiter in Frankreich,
die sich selbst anzünden - nicht nur Arbeitslose, sondern auch solche, die an
den unerträglichen Arbeitsbedingungen zerbrechen. Es ist nicht bloß in
irgendwelchen fernen Ländern, es kommt zu uns, zu uns allen, hier und jetzt.
Sogar nach Deutschland, das nur noch in den verzweifelten Illusionen der
Erniedrigten und Beleidigten des Südens ein sicherer Hafen ist.
Wenn wir diese Zustände betrachten, sie als Bezugspunkt nehmen, dann ist
die Zukunft Europas bei der eurasischen Zusammenarbeit nichts anderes als die
Übertragung einer Geschlechtskrankheit. Das ist der unmittelbare Grund dafür,
warum ein Paradigmenwandel nicht nur notwendig, sondern zwingend notwendig
ist. Die Zukunft Europas liegt in einer eurasischen Kooperation,
vorausgesetzt, wir ändern unsere Art, zu denken und zu handeln. Das bloß als
eine einfache wirtschaftliche Entscheidung innerhalb des gegenwärtigen Systems
zu betrachten, wäre nicht nur unehrlich, sondern auch idiotisch.
Die Wahrheit ist, daß es keinen europäischen Aufschwung geben kann ohne die
Entwicklung des Mittelmeerraums und Afrikas, und diese Entwicklung kann nicht
stattfinden ohne die Entwicklung ganz Eurasiens und dessen Entwicklung nicht
ohne den Aufbau der Weltlandbrücke. Das ist keine Frage einer logischen
Verkettung, es ist eine Frage der politischen Notwendigkeit. Unser Feind
operiert im Weltmaßstab, und deshalb müssen auch wir im Weltmaßstab operieren,
von oben her. Es kann heute keine Lösung für irgendwelche Einzelfragen geben,
wenn wir nicht die Ursache aller dieser Fragen anpacken. Mit anderen Worten:
Für eine europäische Zukunft in einer eurasischen Kooperation müssen wir
helfen, die Veränderung an der Spitze herbeizuführen - und das heißt, in den
Vereinigten Staaten.
Gegenwärtig sind die Vereinigten Staaten und Europa besetzte Länder, und
der Kampf, uns von den Fesseln dieser Besetzung zu befreien, sollte und muß
als ein transatlantischer gesehen werden. Es gibt absolut keine Möglichkeit,
wie Europa oder irgendein europäisches Land das aus sich selbst heraus tun
kann. Das geht nicht.
Das bedeutet nicht, daß die europäischen Länder darauf warten sollten, bis
sie durch einen Umbruch in den Vereinigten Staaten befreit werden, sondern es
bedeutet, daß wir uns selbst, als individuelle Menschen, als Verbindung
zwischen Europa und den Vereinigten Staaten betrachten müssen, um zu helfen,
daß der Umbruch in den Vereinigten Staaten so schnell wie möglich erfolgt. Das
ist der Ausgangspunkt für die Zukunft Europas in Eurasien, und er liegt
notwendigerweise in den Vereinigten Staaten.
Der wahre Feind ist das Britische Empire
Die zweite Wahrheit, die wir identifizieren müssen, ist die wahre Natur des
Feindes, des Britischen Empires. Es ist nicht „britisch“ im Sinne einer
Nationalität, es ist britisch im Sinne des Empires, das Empire des „Reichs der
Tiere“, wie es Lyndon LaRouche nennt. Es behandelt Menschen wie Tiere und
fördert zu diesem Zweck die schlimmste aller Drogen im Menschen: die Droge des
Geldes und des Glückspiels. Es hält sie gefangen im Empire des Geldes und des
Zwangs zum Spielen, fasziniert zu sein von einem morbiden Spiel, um auf Kosten
aller anderen obenauf zu sein - das genaue Gegenteil von „Nutzen, Ehre und
Vorteil des anderen“, dem Prinzip des Westfälischen Friedens als Grundlage für
die Schaffung von Nationalstaaten. Dieses Empire ist darauf aus, sowohl die
individuelle Souveränität der Menschen als auch die Souveränität der
Nationalstaaten zu beseitigen.
Wir befinden uns jetzt in der Endphase. Nach den Morden an den Brüdern
Kennedy und Martin Luther King erzeugte es in einem Maße, das in der
Weltgeschichte ohne Beispiel ist, sowohl fiktives Kapital als auch fiktive
Pseudo-Güter. Mit Pseudo-Gütern meine ich Dinge, die so produziert werden, daß
sie schnell kaputtgehen, um die Menschen zu zwingen, sie erneut zu kaufen, um
sie zu ersetzen, und zwar mit Hilfe von Krediten, die ihnen von den Banken
gegeben werden, ohne daß dabei irgendwelche tatsächlichen technologischen
Fortschritte für die Wirtschaft gemacht werden. Wir haben einen Punkt
erreicht, an dem die Pyramide der Schulden und Kredite nur durch
Hyperinflation - den „Bail-out“ - und die Plünderung des Besitzes der Bürger -
den „Bail-in“, bei dem die Guthaben in den Banken in Beschlag genommen werden
- aufrecht erhalten werden kann.
Das ist kein Kapitalismus mehr, denn der Respekt für das Privateigentum
wird den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Es ist kein Kapitalismus mehr, nicht
einmal mehr Finanzkapitalismus, denn das System kauft die Menschen weiterhin
durch Kredite und Schrottwaren. Es ist ein Finanzfaschismus geworden, der auf
der Plünderung aller beruht - aller außer jenen, die durch einen
elektrifizierten finanziellen und polizeilichen Ringzaun geschützt werden. Und
das ist es, was die britische Oligarchie jetzt direkt vor unseren Augen
durchführt. Der Kampf gegen diesen Feind, der nichts anderes ist als eine
modernisierte Version des alten Römischen Reiches, bildet die Grundlage der
gemeinsamen Zukunft Europas und Eurasiens.
Die entscheidende Rolle der Vereinigten Staaten
Die entscheidende Rolle der Vereinigten Staaten liegt nicht - wie manche
Leute in Europa fälschlicherweise meinen - in ihrer physischen Macht, sondern
in der Macht ihrer Verfassung, wie LaRouche hier gestern betont hat: ihrer
Hamiltonischen Verfassung, die sich ausdrücklich gegen das Britische Empire,
gegen das System der oligarchischen Räuber richtet. Sie beruht auf der
Tatsache, daß die Existenz der menschlichen Gattung außerhalb der Grenzen des
Lebens, wie sie das Tierreich definiert, liegt. Deshalb beruht die
amerikanische Verfassung auf den Bedingungen, die für das zukünftige
gemeinsame Wohl aller geschaffen werden müssen, und nicht auf einer
Extrapolation oder Deduktion der gegenwärtig gegebenen Bedingungen. Sie ist
eine „Wette auf die Zukunft“, aber keine Wette auf die zukünftigen Preise auf
irgendeinem Finanzmarkt.
Zum Aufbau dieser Zukunft ist eine Nationalbank erforderlich, die den
öffentlichen Kredit sichert, der zurückgezahlt wird durch die Entwicklung, die
die damit verbundenen Investitionen erzeugen. Das ist, einfach gesagt, das
Prinzip der Hamiltonischen Wirtschaft, wie sie in der amerikanischen
Verfassung vorgesehen ist, der Vergabe von Krediten für die menschliche
Fähigkeit, im physischen Universum schöpferisch tätig zu sein - und nicht für
Wetten auf den „Märkten“. Wiederum ist hier der Ausgangspunkt das, was
LaRouche als „den wichtigsten Unterschied zwischen dem menschlichen Leben und
dem aller anderen Formen des Lebens“ bezeichnet, „die Fähigkeit der
menschlichen Gattung nämlich, eine Steigerung der Qualität der
Energieflußdichte absichtlich herbeizuführen, was im Fall der menschlichen
Gattung der systemisch funktionale Unterschied qualitativer Aufwärtssprünge zu
bewußt gewählten höheren Größenordnungen der Energieflußdichte ist.“
Das ist ein sehr wichtiger Aspekt des „Fortschritts“, der keine unendliche
Ausdehnung des bereits Bestehenden ist; er ist im Grunde nichts quantitatives,
sondern er ist die Schaffung der Voraussetzungen für diese qualitativen
Sprünge in die Zukunft. Nicht Pseudo-Güter auf einem relativ gleichbleibenden
technologischen Niveau, die mit Spielgeld gehandelt werden, sondern Serien
neuer Produkte, die auf der Anwendung neuer physikalischer Prinzipien
beruhen.
Und genau das ist es, was die Oligarchie des Empire um jeden Preis
verhindern will, weil es die Frage der notwendigen schöpferischen Freiheit des
Menschen aufwirft. Ohne die Freiheit des Menschen gibt es keine Schöpfung. Die
Oligarchie will ein unveränderliches Universum verwalten, unveränderlich in
Raum und Zeit, und wenn die Bedingungen der Unveränderlichkeit ihrer Macht,
ihrer Kontrolle nicht erfüllt sind, dann wird ihre Politik immer
zerstörerischer, so wie gestern das Römische Reich und heute das Britische
Empire. Geld, das unter normalen Bedingungen nur ein Idiot ist, wird dann zum
Verbrecher.
Um etwas Nützliches für die Zukunft Eurasiens zu tun, müssen unsere Länder
und Menschen in Eurasien daher die Bedeutung der Veränderung in den
Vereinigten Staaten verstehen, d.h. die kombinierte Wirkung des
Glass-Steagall-Prinzips und eines staatlichen Kreditsystems, die expliziten
und impliziten Grundlagen für die amerikanische Verfassung, wie sie in den
Vereinigten Staaten unter Franklin Delano Roosevelt und auch in Europa beim
Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg angewandt wurden. Seit dem Tod von
Roosevelt und der Ermordung von John Kennedy wurde dieses Verfassungsprinzip
in den Vereinigten Staaten verraten und ersetzt durch das britische,
monetaristische System. In Europa ist es noch schlimmer: Unsere Staats- und
Regierungschefs wurden Lakaien des britischen Systems und Feinde ihrer eigenen
Staaten. Die erneute Bekräftigung der Verfassung in den Vereinigten Staaten,
wo es den Bezug zu diesem Prinzip gibt, ist daher die Aufgabe für Europa und
Eurasien.
Es bedeutet zunächst einmal Glass-Steagall, von Amerika, von den
Vereinigten Staaten ausgehend über die ganze Welt als ein globales
Glass-Steagall zu verbreiten. Das ist nicht bloß die Trennung der
Geschäftsbanken und Investmentbanken, es ist ein anti-monetaristisches Prinzip
- ein Prinzip! -, um die hyperinflationäre Plünderung zu stoppen: Die Banken,
die auf die Märkte gewettet haben, werden sich selbst überlassen, ohne
Bail-outs oder Bail-ins, und werden deshalb offiziell für bankrott erklärt.
Sie sind bereits lebende Leichen, Glass-Steagall wird ihr Totenschein sein und
für uns alle die Befreiung von ihrer mörderischen Verschmutzung der Umwelt –
der eigentlichen Umweltverschmutzung.
Vielleicht erwarten das alle europäischen Staats- und Regierungschefs oder
einige, aber sie haben nicht den Mut, sich dem Britischen Empire
entgegenzustellen, wie man an der vorgetäuschten Bankenreform in Frankreich
sieht. Sie haben sich historisch so tief in dieses System hineingestürzt, das
System des britischen Empire, daß selbst jene, die nicht seine direkte
Komplizen sind, sich wie Hasen verhalten, die vom Scheinwerferlicht eines
daherkommenden LKW gefangen sind: sie sind gelähmt durch ihre Furcht.
Deshalb ist es die erste Schlacht im Kampf für die Zukunft Europas in
Eurasien, uns dort für das Glass-Steagall-Prinzip einzusetzen, wo wir gewinnen
können, nämlich in den Vereinigten Staaten, und es dann in Europa als
Wiedergeburt des Aufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg zu übernehmen, als
Grundlage für eine gemeinsame europäisch-eurasische Erholung vom Atlantik bis
zum Chinesischen Meer.
Das bedeutet, den Kampf der Freunde Lyndon LaRouches sowohl in Europa als
auch in Eurasien bekannt zu machen und zu verbreiten; das ist unsere Aufgabe,
diese Aktivitäten hier bekannt zu machen. Und deshalb sind sie hier - deshalb
ist heute Diane Sare hier unter uns. [Applaus.] Weil wir sie brauchen! Wir
brauchen sie als einen inspirierenden Impuls, einen wesentlichen Hebel, um uns
den Mut zu geben, uns selbst von dem zu befreien, was wir aus uns haben machen
lassen.
Die positive Ergänzung zu Glass-Steagall ist ein System des öffentlichen
Kredits: Sobald der Augiasstall gesäubert ist, brauchen wir eine Maschine, um
unsere Zukunft aufzubauen. Das wiederum ist die Idee des Hamiltonischen
öffentlichen Kredits auf der Grundlage des Prinzips der Nationalbank, nämlich,
der Oligarchie nicht zu erlauben, daß sie das staatliche Privileg,
Zahlungsmittel auszugeben, an sich reißt. Die Rückerstattung des Kredits wird
bewirkt durch die Leistungen, die mit Hilfe dieses Kredits erreicht worden
sind. Unsere Publikationen haben gezeigt, was damit getan werden könnte, sogar
schon auf dem gegenwärtigen technischen Stand: die Eurasische Landbrücke, ein
Wirtschaftswunder für die Mittelmeerregion und Afrika, einen weltweiten New
Deal, wie wir in unserer Kiedricher Resolution vom 16. September 2007 gesagt
haben.
Selbstmörderischer Pessimismus
Es ist hier nicht meine Absicht, auf die verschiedenen Aspekte dieser
Projekte näher einzugehen, sondern zu zeigen, was uns entgeht, wenn wir sie
nicht in Gang setzen. Was uns derzeit wirklich fehlt, ist eine Zukunft für die
Menschheit. Tatsächlich verhindert das Euro-System die Schaffung einer
Kreditordnung. Es wurde geschaffen, um den Aufbau dieser Ordnung zu
verhindern, und es bewirkt Austerität für die Menschen und das bedeutet eine
Politik des Massenmords und sichere Häfen für die durch Ringzäune geschützten
Herrschaften und Mächte.
Das ist der wichtigste Grund, warum das Euro-System aufgegeben werden muß -
nicht bloß als eine einfache monetäre Frage, sondern als ein monströses
System, das geschaffen wurde, um die physische Wirtschaft zu zerstören, ein
seinem Wesen nach bösartiges System und kein ehrlicher Fehler, wie Herr Lucke
fälschlicherweise und dummerweise glauben mag. Unsere Projekte bedeuten, mit
einem Wort, daß wir statt dessen die Tore der globalen Konzentrationslager
öffnen, die von der Oligarchie des Britischen Empire und seinen Verbündeten
geschaffen wurden. Sehen Sie Griechenland, Portugal, Spanien an, und sehen Sie
unsere Projekte an: Es ist der Unterschied zwischen Leben und Tod, nicht bloß
der Unterschied zwischen zwei zur Verfügung stehenden Programmen.
An diesem Punkt in unserem gegenwärtigen Europa angekommen, treffe ich
viele Menschen, die sagen: „Ja, ja, Sie haben ja recht, Sie haben recht, aber
es ist nicht möglich, dorthin zu kommen, es ist utopisch, es ist zu schön, um
wahr zu sein, zu schön, um es tun zu können.“ Dieser selbstmörderische
europäische Pessimismus ist unser schlimmster Feind, eine induzierte Waffe der
britischen Oligarchie, in einem Moment der Entscheidung zwischen
Selbstzerstörung und einer besseren Zukunft, der perfectibilitas
humanitas [Vervollkommungsfähigkeit der Menschheit]. Was hier und jetzt
auf dem Spiel steht, ist das Verständnis und die Fähigkeit des menschlichen
Geistes die Zukunft zu meistern und zu verbessern und rational an eine
Verbesserung zu glauben, die möglich ist - und nicht nur möglich, sondern
notwendig.
Vorbild Nikolaus von Kues
An diesem Punkt - um ein Gefühl davon zu vermitteln, was Europa Eurasien
als Geschenk für unser gemeinsames Schicksal geben kann - bin ich überzeugt,
daß es mehr als legitim ist, das Beispiel eines Mannes anzuführen, der in
einem ähnlichen Moment des Wandels wie in unserer Zeit gekämpft hat, zwischen
dem Mittelalter und der Moderne, der Mann der Renaissance nach der Großen Pest
des 14. Jahrhunderts und während des Hundertjährigen Krieges im 14. und 15.
Jahrhundert: Kardinal Nikolaus von Kues. Er ist einer der größten Denker in
der Geschichte der Menschheit, doch glauben Sie bloß nicht, er habe sich in
einem Kloster niedergelassen, um zu „denken“. Er nahm teil am öffentlichen
Leben seiner Zeit, und, das sagen wir nicht oft genug, oft unter Einsatz
seines Lebens. Er mußte die religiösen Organisationen in einer Region Europas
reformieren, die von der Schweiz bis Hamburg reichte und von Löwen in Belgien
bis Magdeburg, ein ansehnlicher Teil Eurasiens. Er war zweimal in der Festung
Andraz inhaftiert und mußte alles aufgeben, was ihm gehörte.
1438, als er die Theologen aus Konstantinopel zum Konzil von Florenz
begleitete, erfand er das Konzept, das seiner gesamten Theologie und
Philosophie zugrunde liegt, die coincidentia oppositorum, das
Zusammenfallen der Gegensätze. Dieses Konzept ist wesentlich für die
Weltgeschichte und insbesondere für unseren entscheidenden Moment hier und
heute, ebenso wie in Florenz 1439. Denn es definiert von oben her, wie Ideen
oder Kräfte, die sich auf einer gewissen Ebene zu widersprechen scheinen, nach
einem „Sprung“ über alle bestehenden Verbindungen oder Trennungen hinaus auf
einer höheren Ebene zusammenkommen können. Diese Sprünge entsprechen genau den
qualitativen Aufwärtssprüngen, die ein System öffentlichen Kredits
herbeiführen soll, und auch der Grundlage für einen Dialog der Religionen, den
Cusa später in seinem Werk De Pace Fidei ausgeführt hat, als den
gemeinsamen Vorgeschmack, die gemeinsame pregustatio der Wahrheit im
Streben nach der Einigkeit Europas und Eurasiens heute.
Was daran so revolutionär ist, ist, daß das Konzept der coincindetia
oppositorum das genaue Gegenteil des Prinzips der Widerspruchsfreiheit des
damals vorherrschenden aristotelischen Kultes ist! Das Prinzip der
Widerspruchsfreiheit wirkt in einer Welt der feststehenden, formalen Logik,
der gesteuerten Rituale, die den Geist daran hindern, die Ebene der
intellektuellen Einbildungskraft zu erreichen, um im „Glanz der Wahrheit“ neue
Prinzipien zu entdecken. Da haben wir es: Die Welt der Oligarchie ist die
aristotelische Welt einer begrenzten, unveränderlichen Natur, im Gegensatz zur
Entdeckung neuer Naturprinzipien und in Opposition gegen jeden Wandel. „Es
geht nicht, es ist zu schön, um wahr zu sein, es ist nicht möglich - es ist
sogar unmöglich!“ Das ist auch heute wieder genau die Welt der europäischen
und transatlantischen Oligarchie, und Cusa gibt uns die Schlüssel, um aus ihr
auszubrechen.
In seiner Zeit fand er, nach Diskussionen mit seinem Freund Toscanelli, die
Lösung darin, dem Zugriff der europäischen Oligarchie durch das Erreichen
eines neu zu findenden Landes zu entgehen. Diese Mission, die zunächst
Kolumbus und später der Mayflower übertragen wurde, führte zur Geburt
des amerikanischen Prinzips der Massachusetts Bay Colony, des Amerikas der
Mathers, Hamiltons, Lincolns und Roosevelts, das auf dem Aufstieg der
Menschheit durch die Transformation des Menschen und der Natur zum allgemeinen
Wohl beruhte, dem Prinzip des Gemeinwohls und dem Dienst an den zukünftigen
Generationen.
Das ist, über die Bevölkerung und das Territorium hinaus, Amerika als
Prinzip, als System der menschlichen schöpferischen Kraft. Das ist es. Es
existiert in der gegenwärtigen Organisation der amerikanischen Präsidentschaft
nicht, aber es existiert dort als Prinzip, und es ist unsere Aufgabe, dieses
Prinzip zu verwirklichen und seine Wiedergeburt herbeizuführen.
Unsere Aufgabe heute ist, diesen Prozeß des Werdens, der mit der Entdeckung
und der Gründung der Vereinigten Staaten verbunden war, durch die Entwicklung
Eurasiens und darüber hinaus fortzusetzen, mit einer Weltraumpolitik,
angefangen mit der Verteidigung des Planeten. Das ist der Zustand, in dem der
menschliche Geist seine Integrität erhalten kann.
„Tagträumer, Tagträumer!“, so hören wir in Europa manche sagen. Und einige
schreien von ihrer Stellung im tiefen, gefrorenen Tal des Aristotelismus aus:
„Es ist unmöglich, es ist unmöglich!“
Ihre Blindheit verwechselt ein Gedankenexperiment mit Tagträumen. Sie haben
keinen Sinn für das, was es ist. Tagträume? Nun, die Antwort ist, daß der
gleiche Cusa, der diese philosophischen und theologischen Konzepte
entwickelte, es war, der in seinem Dialog Idiota, De Staticis Experimentis
(Der Laie über Versuche mit der Waage), die Prinzipien der gesamten
modernen Mechanik und Medizin entwickelte, durch sein Konzept des Wissens
durch Wiegen, wobei das Gewicht eine Reflektion einer höheren Realität ist:
Das Messen des menschlichen Gewichts, seiner Atmung, seines Atems, seines
Urins, entsprechend seinem Alter, um den physischen Gesamtzustand
festzustellen, der sich hierin zeigt, und gleichzeitig, in der gleichen Weise,
mit dem gleichen Vertrauen, Musik, astronomische und meteorologische
Instrumente zu entwickeln - Hygrometer, Barometer und auch Pegel. Der wichtige
Punkt ist, daß es ein Philosoph war, der ein Prinzip des vollkommenen
Gleichgewichts aufstellte, das in der Lage ist, die Unvollkommenheit der
menschlichen Sinne auszugleichen; es war dieser Philosoph, der die Grundlage
für die mechanische Wissenschaft legte, und nicht ein Aristoteliker, der von
mechanischen Beziehungen zwischen Objekten besessen war!
Ich möchte es jetzt noch in einer anderen Weise ausdrücken, die mit der
gestrigen Diskussion über Energie zusammenhängt: Energie und Kraft sind als
zwei entgegengesetzte Spezien zu verstehen. Das aristotelische, oligarchische
Konzept ist das der Energie. Es ist linear, es berücksichtigt die produzierten
Einheiten, nimmt dann deren Menge und addiert die Einheiten, unabhängig von
dem Prozeß ihrer Erzeugung. Das ist Fleisch für akademische Esel, eine
mathematische Sackgasse.
Das antiaristotelische, Kusanische und Leibnizianische Konzept ist das der
Kraft. Es mißt die Steigerung der Flußdichte durch den Produktionsprozeß, was
dem Niveau der Produktivkräfte der Arbeit pro Kopf und pro Quadratkilometer
entspricht. Das ist nicht Fleisch, sondern Substanz für kreative Geister. Es
bedeutet die Zukunft, die durch den Fortschritt erreicht wird. „Schreitet
voran, schreitet voran“, sagte LaRouche gestern. Es bedeutet Kernfusion, und
es bedeutet Kernfusion als Weg zum Mars.
Ich muß hinzufügen, daß es Helga Zepp-LaRouche war, als Expertin für die
kreative Entschlossenheit Cusas, die das Prinzip der Eurasischen Landbrücke
erdachte, und nicht eine Versammlung gelehrter Esel, die durch ihre formelle
Expertise geknebelt und zufrieden sind mit dem Futter, was ihnen die Akademien
geben. Sie war es.
Cusa selbst nimmt auf eine sehr interessante Weise Stellung, um seinen
Optimismus über den menschlichen Geist zum Ausdruck zu bringen, in seiner Jagd
nach der Weisheit, seinem vorletzten Werk: „Da ich jetzt in dem Buch des
Diogenes Laertius Über das Leben des Philosophen über die verschiedenen
Jagden der Philosophen nach der Weisheit gelesen habe, war ich gezwungen,
meinen Geist dieser so angenehmen Spekulation zu widmen, da dem Menschen
nichts köstlicheres widerfahren kann.“ Und er schließt: „Daher glaube ich, daß
ich das rohe und noch nicht vollständig gereinigte Konzept meiner Jagden,
De venatione sapientae, so weit entwickelt habe, wie es mir möglich
ist, und lege nun dies alles ihm vor, der so viel besser in der Lage ist, über
diese erhabenen Gegenstände nachzudenken.“
Nun - wer ist ihm? Wir! Wir sind es! Wir sind herausgefordert, nach
der Weisheit zu jagen, herausgefordert, voranzuschreiten und das Unmögliche
möglich zu machen, was das erfreulichste ist, was man leisten kann, weil es
das am meisten menschliche ist.
Glass-Steagall, eine Kreditpolitik, die Eurasische und die Weltlandbrücke,
eine Politik zur Verteidigung der Erde - das sollte die europäische
Philosophie sein, die sich im Prozeß einer aktiven, leidenschaftlichen Jagd
entwickelt; es sollte unsere gemeinsame europäische, eurasische Philosophie
sein, um die Menschheit aus ihrer Grube herauszuheben.
Wie ich schon sagte, alles kann sich über Nacht ändern und es hängt von uns
ab, daß dies zum Guten wird, und nicht zu dem, was die Briten für uns
vorbereitet haben, eine Hölle auf Erden.
Vielen Dank.
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