LaRouche und Prof. Hankel in Berlin:
"Für ein neues Weltfinanzsystem"
(EIR)
Zweimal im Jahr treffen sich Diplomaten, Intellektuelle, Politiker,
Bankiers und Wirtschaftsfachleute in Berlin mit dem amerikanischen
Oppositionspolitiker und Wirtschaftswissenschaftler Lyndon LaRouche,
um über die strategischen Optionen in einer Welt rapiden Umbruchs und
außergewöhnlicher Gefahren zu debattieren. Am 27. Juni veranstaltete
die Nachrichtenagentur EIR das fünfte Seminar dieser Art. Das Thema
lautete "Für ein neues Bretton Woods System" - und die Hauptredner
waren Lyndon LaRouche sowie Prof. Wilhelm Hankel. Anwesend waren
diesmal neben ehemaligen Diplomaten und Regierungsvertretern aus
Deutschland einige Banker und Wirtschaftswissenschaftler; aus dem
Ausland kamen Gäste und Redner aus Rußland, Polen, Tschechien, der
Slowakei, Dänemark und Frankreich.
Inzwischen ist es in offiziellen Kreisen ein offenes Geheimnis,
daß sich das Weltfinanzsystem am Abgrund befindet und der Zeitpunkt
einer ernsthaften Zusammenbruchskrise näherrückt. LaRouche gehört zu
denjenigen, die vor dieser Krise am lautesten und eindringlichsten
gewarnt haben; und so begann er sein Eingangsreferat auf dem Berliner
Seminar wie üblich mit einem "Paukenschlag": "Wir befinden uns in
einer Weltkrise ohnegleichen. Es gibt keinen anderen Vergleich der
heutigen Lage innerhalb der europäischen Geschichte als mit dem
finsteren Zeitalter des 14. Jahrhunderts... um die heutige Krise und
die Lösung, die uns aus dieser Krise herausführen kann, zu verstehen,
müssen wir zunächst verstehen, warum ein finsteres Zeitalter über
Europa im 14.Jahrundert hereingebrochen ist... Es gibt Lösungen, aber
wir müssen die 'Spielregeln' verstehen, nach denen diese Lösungen
ausgearbeitet werden können." In diesen historischen Zusammenhang
stellte LaRouche die Diskussion über das dringend notwendige neue
Währungs- und Finanzsystem, ein neues Bretton-Woods-System (also
einem System fester Wechselkurse zur Unterbindung der Spekulation).
Was bedeutet überhaupt das alte Bretton-Woods-System, das 1944
noch unter Franklin D. Roosevelt gegründet worden war? Hinter dieser
Frage verbirgt sich in subtiler Weise der Kern eines richtigen
Verständnisses der heutigen Lage als Fortsetzung der langen
geschichtlichen Wellen. LaRouche machte deutlich, daß zwischen der
ursprünglichen Intention Franklin D. Roosevelts bei der Gründung des
Bretton Woods Systems 1944 und der Umsetzung unter Präsident Truman
ein fundamentaler Unterschied bestanden habe. Das ist quasi die erste
Lektion, die man lernen sollte, wenn man heute ernsthafte Politik
machen will: Roosevelt tat alles, um ein Übergreifen des europäischen
Faschismus auf Amerika zu verhindern. Sein Nachfolger Truman
"gehorchte" im Gegensatz dazu den Finanzkreisen, die für den
Faschismus verantwortlich waren. Truman befahl in einem Akt äußerster
Barbarei den Abwurf der beiden einzigen existierenden Atombomben auf
Japan, das bereits in Kapitulationsverhandlungen war, während
Roosevelt eine Nachkriegsordnung ohne Kolonien und Imperien
anstrebte, in dem vor allem ärmere Länder ihr Recht auf Entwicklung
einlösen sollten. Truman stand für die Fortsetzung der imperialen
Kolonialpolitik des 19. Jahrhunderts.
LaRouche hat damit in wenigen Grundzügen auf einen Aspekt der
Kontinuität europäischer Geschichte hingewiesen: der Faschismus der
20er und 30er Jahre trug das gleiche Charakteristikum wie das
finstere Zeitalter des 14.Jahrunderts - und nach 1945 konnten trotz
des Sieges über Nazi-Deutschland die führenden Bankenkreise, die
Hitler und Mussolini unterstützt hatten, nicht nur weiter existieren,
sondern auch Pläne für die Zukunft schmieden. Sie "warteten" seit
diesem Zeitpunkt auf ihre nächste "Chance", der Welt neofeudale,
proto-faschistische Regime aufzuzwingen. Dieses Verständnis
historischer Prozesse ist diametral dem leider vorherrschenden
mechanistischen Geschichtsbild entgegengesetzt. Umso wichtiger ist
die Reflektion darüber.
Hierzu gleich eine Anmerkung: In Deutschland gibt es immer noch
eine tiefe Abneigung, sich mit der "schmutzigen Seite" der Geschichte
zu beschäftigen. Zum einen ist es die Abwehrreaktion gegen die
"Übersättigung" mit dem Thema Drittes Reich, Faschismus etc. Zum
anderen fühlen sich die meisten Menschen umso ohnmächtiger, je mehr
Einzelheiten sie darüber erfahren, wer wann warum und mit wem damals
am Aufbau faschistischer Strukturen beteiligt war - und wer es heute
erneut ist. Diese Einstellung reflektiert jedoch ein ganz
grundsätzliches Problem: die meisten Menschen (inklusive derjenigen
in Machtpositionen) sehen sich selbst nicht als historisches Subjekt,
und insofern verschwimmt Geschichte als etwas weit Entferntes,
Vergangenes, das eigentlich keine Bedeutung für das Leben hier und
heute hat.
Genau aus diesem Grund ist die Konfrontation mit den "langen
Wellen" geschichtlicher Kontinuität entscheidend. Das Studium dieser
langen Wellen kann helfen, sich als historisches Subjekt zu
verstehen. Wir sehen dann auch, daß wir eben tatsächlich noch gar
nicht aus dem Tal der Welle herausgekommen sind - wir können die
Schatten der Vergangenheit nicht einfach abschütteln. Die Reaktion
der führenden Finanzkrise auf die Krise 1929-1932 war der Aufbau
faschistischer Regierungen. Die gleichen Finanzkreise haben das
gleiche Reaktionsmuster heute - und die kommende Krise hat größere
Sprengkraft als die von 1929. Deswegen LaRouches "Paukenschlag" zur
Eröffnung des Seminars in Berlin - nicht um Resignation zu
verbreiten, sondern die Menschen zu befähigen, aus dem tiefen Tal der
geschichtlichen Welle aufzusteigen und oben zu schwimmen!
LaRouche machte deutlich, wer die Bankenkreise sind, die er als
"Synarchisten" bezeichnet (Synarchismus kommt als Bewegung aus
Frankreich und verfolgte das Ziel, zur Errichtung der ungebrochenen
Macht von Banken und Kartellen die Gewerkschaften und Parlamente zu
eliminieren). Er wies dabei vor allem auf die Bankhäuser Lazard
Frères und Banque Worms hin, die jetzt "ihre Zeit" gekommen sehen.
LaRouche führte aus, daß es die Intention der synarchistischen
Finanzkreise seit der Truman-Adminstration war, die Institution des
souveränen Nationalstaates zu zerstören - und dies werde heute unter
dem Namen der "Globalisierung" in die Tat umgesetzt. Europa sei im
Augenblick noch nicht bereit, diesen Dingen ins Auge zu sehen und
sich selbst zu verteidigen. "Europa ist mehr als die USA durch eine
Oligarchie kontrolliert - aber der Ursprung dieser Oligarchie liegt
nicht in den USA, sondern in Europa". Deswegen komme es auf eine
grundlegende politische Veränderung in den USA an. Abschließend
betonte LaRouche die Notwendigkeit einer Wirtschaftspolitik, die auf
dem Verständnis des Menschen als kreativ-schöpferischem Individuum
aufbaut. Die Wirtschaftspolitik muß dem Menschen dienen, sie darf
nicht dem Irrglauben erliegen, man könne Geld "verdienen", indem man
der Gesellschaft etwas entnimmt. Um etwas real zu verdienen, muß man
investieren, und zwar in die Kreativität der Menschen.
Prof. Wilhelm Hankel, der ehemalige Chefvolkswirt der
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und vielen hierzulande durch
seine Warnungen vor der Einführung des Euro bekannt, ging ausführlich
auf die konkreten Anzeichen der Krise des globalen Systems ein. Er
bezeichnete die heutige globalisierte Wirtschaft als einen
"Flickenteppich unterschiedlicher Regulierungszonen", eine
"chaotisch-anarchische Welt, in der die Kapitaleigner eine permanente
Flicht in die Gesetzlosigkeit antreten" - denn sie betrachten die
Märkte als attraktiv, die am wenigsten reguliert sind. Hankel machte
zwei fundamentale Ungleichgewichte der heutigen Weltwirtschaft aus:
zum einen das gigantische Defizit der USA und zum anderen das
Ungleichgewicht innerhalb der Euro-Zone zwischen Defizit- und
Überschuß-Ländern. Die USA bekämen zinslosen Dauerkredit von Japan,
China und Deutschland, die aus jeweils unterschiedlichen Motiven und
Ausgangspositionen jedoch alle vom starken Export leben und deswegen
bisher bereit gewesen sind, das US-Defizit zu finanzieren. Im Falle
Deutschlands komme noch hinzu, daß seit der Einführung des Euro unser
Handelsbilanzüberschuß durch das Defizit der anderen kompensiert bzw.
aufgezehrt werde. Hankel warnte: "Solche Ungleichgewichte lassen sich
auf Dauer nicht aufrechterhalten. Obwohl man keinen genauen Zeitpunkt
angeben kann, ist der Kollaps des Systems vorprogrammiert."
Der Tag werde kommen, an dem die Welt nicht länger bereit sei,
die USA zu finanzieren, und dann käme es über den Kollaps in den USA
zu einer Krise in der ganzen Welt. Hankel verurteilte scharf die sog.
"Globalisierung": "Die Globalisierung ist eben nicht eine
Wohlstandsmaschine, sondern eher schon eine Verarmungsmaschine..."
und er antwortete mit dem großen deutschen Ökonomen Friedrich List,
der die enge Verbindung Zwischen Raum und Menschen hervorgehoben habe
sowie die enge räumliche Verflechtung zwischen Landwirtschaft und
Industrie als Voraussetzung für Wohlstand und Produktivität. "Wir
müssen wieder in der Lage sein, souverän zu entscheiden", so Hankel,
"dann können wir auch wieder den Weg eines staatlichen Bankensystems
gehen." Entscheidend sei, daß für die Weltwirtschaft völkerrechtliche
Grundsätze aufgestellt würden, wie es ja auch innerhalb der Nationen
keinen rechtsfreien Raum gäbe.
In der anschließenden Diskussion ging es genau um diese Fragen:
wie verhindern wir in Zukunft, daß Währungen Objekt der Spekulation
werden? Wie soll das neue Bretton Woods System aussehen, welche
Schwankungsbreiten für die Währungen sollen existieren? Gibt es eine
Reservewährung oder nur eine Verrechnungseinheit ? Dies sind
offenkundig genau die Fragen, die jetzt angesichts des drohenden
Systemkollapses diskutiert werden müssen, und zwar auf der Ebene
Regierungen. Die Seminare der LaRouche-Bewegung sind in diesem Sinne
eine Art Ersatz-Regierungskonferenz - solange wie sich die
Regierungen selbst weigern, kompetente Vorbereitungen auf die Krise
zu treffen. Auf den entscheidenden konzeptionellen Punkt wies
LaRouche hin: letztlich ginge es darum, nicht ein monetäres
Handels-System aufzubauen, sondern ein "Investitions-System". Das
zukünftige Finanzsystem werde seinen Testfall in Afrika erleben, wenn
es um die Finanzierung langfristiger Investitionen über 50 und mehr
Jahre gehe! Einen weiteren Beitrag in diese Richtung leistete
Thorsten Schulte, ein Bankier aus Frankfurt. Er hatte eine ganze
Serie von Folien mitgebracht, um die Warnungen LaRouches und Hankels
mit anschaulichen Grafiken zu unterlegen. Die Kernaussage Schultes
lautete: ein Systemkollaps wird für die unmittelbare Zukunft immer
wahrscheinlicher. Dies werde allein daran deutlich, daß die
Immobilienpreise in den USA seit Ende 2005 drastisch im Fallen sind
und sich damit ein Platzen der Immobilienblase ankündige.
Der zweite Teil des Seminars vertiefte zunächst die Untersuchung
der synarchistischen Finanzkreise - und zwar vor allem in Bezug auf
die amerikanische Seite. Dr. Cliff Kiracofe vom Virginia Military
College und EIR-Redakteur Jeff Steinberg aus Washington sprachen über
den US-Faschismus damals und heute. Die Reden werden demnächst in
ganzer Länge zur Verfügung stehen, deswegen seien hier nur zwei Punkte
herausgegriffen: 1. In den 30er Jahren gab es den Versuch, nach dem
Muster der europäischen Faschisten in den USA eine faschistische
Massenbewegung aufzubauen und Franklin D. Roosevelt durch einen
Staatsstreich von der Macht zu entfernen. Dahinter standen die
American Liberty League, organisiert durch GM, US Steel, dem Bankhaus
Kuhn Loeb und ihre französischen Verbindungen. 2. Diese Verbindungen
zu französischen Finanzinteressen sind wesentlich - denn bei den
Studien über die 30er und 40er Jahren stößt man immer wieder auf zwei
Bankhäuser, die das Zentrum eines Spinnennetzes faschistischer
Bewegungen und Staaten darstellten: das französisch-amerikanische
Investmenthaus Lazard Frères und die Banque Worms in Frankreich.
Und damit sind wir bei der aktuellen Gegenwart. Jeff Steinberg
beantwortete die für Europäer so wichtige Frage, warum die
Demokratische Partei der USA offensichtlich den Kampf gegen die
Neokonservativen um Cheney, Rumsfeld etc. aufgegeben hat. Die Antwort
heißt Lazard Frères! Deren ehemaliger Vorsitzender in den USA ist
Felix Rohatyn. Er ist einer der einflußreichsten Figuren in der
Demokratischen Partei, nicht zuletzt durch seine Geldzuweisungen.
Hier sind wieder die langen Wellen der Geschichte: Lazard Frères hat
Hitler mit aufgebaut, und Felix Rohatyn war persönlich in den Putsch
Pinochets in Chile 1973 verwickelt. Solange solche Leute maßgeblichen
Einfluß auf den US Kongreß und die Demokratische Partei ausüben, wird
es keine neue Finanzarchitektur oder ein neues Bretton Woods System
geben - denn ohne die USA geht es nicht. Diese Finanzinteressen sind
vielmehr gerade dabei, die Axt an die industrielle Substanz der USA
zu legen. Wie bereits an anderer Stelle dokumentiert, war es Felix
Rohatyn, der den Bankrott des US-Autosektors seit Jahren systematisch
betreibt. Die Folge: in den letzten 4 Jahren sind 280 000 Arbeiter
entlassen worden, und in den nächsten zwei Jahren werden weitere 300
000 folgen. Und schon in den 70er Jahren hatte Felix Rohatyn als
Vorsitzender einer Kommission zur Schuldenrestrukturierung New Yorks
diese seinerzeit größte amerikanische Stadt entindustrialisiert. In
nur wenigen Jahren wurden von den einst 1,3 Mio. Industriearbeitern
in New York rund die Hälfte gefeuert! Erst wird das Land ruiniert und
dann unter Kuratel der Banken gestellt: die moderne Variante des
Faschismus.
Diese Hintergründe wurden dargelegt, um das in Europa immer noch
sehr enge Geschichtsbild zu weiten. Wenn die Menschen hinter der
Globalisierung, der Vernichtung von Arbeitsplätzen, der Zerschlagung
sozialer Systeme ein Gesicht erkennen können, dann sollte es
eigentlich nichts mehr geben außer der berühmten Zivilicourage, was
uns hindert, den politischen Kampf um die Zukunft unserer Nationen
und der unveräußerlichen Rechte aller Menschen aufzunehmen. Diese
Aufgabe umriß die Vorsitzende der Büso, Helga Zepp-LaRouche in ihrer
kurzen Rede. Frau Zepp-LaRouche verwies auf die destruktive Rolle des
Bankhauses Lazard bei der Entindustrialisierung Deutschlands und
Berlins. Zum Beispiel müsse man sich die unsägliche Rolle einer
Birgit Breuel als Treuhand-Chefin ansehen, die diesen Posten nach der
Ermordung Detlev Carsten Rohwedders übernahm. Unter Breuels Ägide
wurde die ostdeutsche Industrielandschaft "entsorgt". Frau Breuel
entstammte dem Bankhaus Münchmeyer, dessen Aktivitäten und
Beziehungen vielfältig mit Lazard Frères überlappt sind. Frau
Zepp-LaRouche stellte die Frage, warum keine der im Bundestag
vertretenen Parteien dem industriellen Kahlschlag entgegengetreten
sind. "Es sieht alles nach einer ungeheuren Korruption aus - genauso
wie bei der Demokratischen Partei der USA," so Zepp-LaRouche. Es
ginge allerdings diesen Kräften nicht nur einfach um die Vermehrung
ihres Profits, sondern um eine ideologische Kampagne zur Zerstörung
des Sozialstaates und der Souveränität der Staaten überhaupt.
Deswegen beteilige sich die Büso mit ihrem Spitzenkandidaten Daniel
Buchmann auch an den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin im September
dieses Jahres. Jacques Cheminade, Präsidentschaftskandidat für 2007
und LaRouches Mann in Frankreich, stellte die Frage, ob Frankreich
nach 14 Jahren Mitterand und 12 Jahren Chirac bereits sterbe oder in
die lang anhaltende Agonie eines Todeskampf verfalle. Er nahm die
jüngste Firmenfusion zwischen Arcelor und Mittal zum Anlaß, vor den
anglo-holländischen Finanzkreisen hinter Mittal zu warnen, die ihren
Coup mit Unterstützung des französischen Staates durchgeführt hätten.
Cheminade berichtete von seinen Empfindungen, wonach sich in Paris
heute der Geruch des Berlins von 1932 verbreite.
Interessant waren vor diesem Hintergrund die verschiedenen
Beiträge aus Osteuropa (Rußland, Polen, Slowakei und Tschechien), die
im allgemeinen optimistischer klangen. Mit den Prof. Menschikow und
Kobjakow sowie Konstantin Tscheremnych aus St. Petersburg (alle drei
ehemalige oder tatsächliche Regierungsberater sowie Wissenschaftler
und Intellektuelle) waren drei hochkarätige russische Teilnehmer zum
Seminar nach Berlin gekommen, die alle gemeinsam eines unterstrichen:
Rußland wacht langsam auf! Am deutlichsten sei dieses in der Rede
Putins am 10. Mai geworden, in der er eine "Supermodernisierung"
Rußlands angekündigt habe. Dabei gehe es sowohl um die Erneuerung der
Technologie-Basis der russischen Wirtschaft (vor allem in den
Bereichen Kernenergie und Raumfahrt) als auch um die Realisierung der
Eurasischen Landbrücke. Prof. Kwiczak aus Polen forderte einen
starken Staat als Alternative zum zerstörerischen System der
Globalisierung - während paradoxerweise Prof. Carnogursky, der
ehemalige stellvertretende Ministerpräsident der Tschechoslowakei,
Polen eine strategisch entscheidende Rolle innerhalb Europas zuwies,
sich nämlich endlich aus den emotionalen Zwängen der Vergangenheit zu
befreien. Das würde bedeuten, nicht weiter den nachbarlichen
Beziehungen zu entfliehen und Verbündete weit weg zu suchen, nur weil
man mit den unmittelbaren Nachbarn Deutschland und Rußland so
schlechte Erfahrungen gemacht habe. Polen müsse als Beitrag zum
erfolgreichen Bau der Eurasischen Landbrücke endlich gute produktive
Beziehungen zu seinen Nachbarn im Westen wie im Osten aufbauen.
LaRouche persönlich faßte diesen Teil der Diskussion zusammen.
Eurasien sei sein "Spezialgebiet", er sei zuversichtlich, daß die
Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland sowie Deutschland und
China die Grundlage für die drängenden Fragen der nächsten 25-50
Jahre werden könnten, nämlich die akuten Probleme der
Wasserversorgung und der relativen Rohstoffverknappung in der Welt zu
lösen. Dafür seien langfristige Investitionen in Städtebau,
Infrastruktur und Industrie in Sibirien, Zentralasien und ganz
Eurasien notwendig.
Hier geht es also um die "langen Wellen" der zukünftigen
Geschichte. Auf dem Höhepunkt des zweiten Teils des Berliner Seminars
legte LaRouche noch einmal schnörkellos dar, warum ein richtiges
Verständnis der wissenschaftlichen Prinzipien der Geschichte
notwendig für die Lösung der heutigen Krise ist, und man eben auch
nicht vor den "schmutzigen Seiten" die Augen verschließen darf. Er
verglich dabei den Verlauf der europäischen Geschichte mit dem Umlauf
der Planetenbahnen - was die zugrundeliegenden Prinzipien betrifft.
Und so erkennen wir neben den aktiven Prinzipien, die auf
Unterdrückung des kreativen Potentials der Menschen abzielten (in
Form des Römischen Reichs, der venezianischen Oligarchie, den
Kreuzzügen etc.) auch die positiven langen Wellen der Geschichte:
"Der Mensch ist grundsätzlich gut", betonte LaRouche, "aber von Zeit
zu Zeit verbreitet sich Korruption. Dies beginnt damit, wenn Menschen
lügen, um von ihren Freunden anerkannt zu werden..." Aber das Prinzip
des Guten hat sich als Kontinuität der menschlichen Geschichte
beeindruckend gezeigt. Die Übernahme ägyptischer Wissenschaft durch
die Griechen, das erneute Aufkeimen des Christentums nach Konstantin
durch die augustinische Bewegung, die sich an solch "exotischen Orten
wie Irland, Spanien oder Sachsen verbreitete", wie es LaRouche
polemisch ausdrückte. Wer also weiß genau, an welchen exotischen Orte
heute die Idee von Souveränität und Gemeinwohl noch aufblüht?
Machtkampf in Washington:
"Vizepräsident Cheney hat Irak-Informationen manipuliert"
Die Manipulation von Geheimdienstinformationen, um den Irakkrieg
durchzusetzen, könne man in drei Worten zusammenfassen: "der
Vize-Präsident". Das sagte Oberst a.D. Wilkerson, der ehem. Stabschef
des früheren US-Außenministers Powell am 26. Juni bei einer Anhörung
des Politischen Komitees der Demokraten im Senat (SDPC). Der
SDPC-Vorsitzende Senator Dorgan erklärte, beide Parteien seien
eingeladen worden, die Aussagen der Zeugen anzuhören, zu denen vier
hochrangige Geheimdienstbeamte gehörten, die unter der Regierung
Bush/Cheney dienten. Die Anhörung wirkte wie eine institutionelle
Anklage gegen Cheney und die Regierung Bush. Die anderen hochrangigen
Zeugen waren der ehem. Nationale Geheimdienstbeamte für den Nahen
Osten und Südasien Pillar, der ehem. Unterstaatssekretär für
Geheimdienste und Forschung im Außenministerium Ford und der ehem.
stellv. Direktor des Büros Nah-Ost/Südasien White. Bei einer zweiten
Anhörung kamen weitere Kenner der Lage im Irak zu Wort: der ehem.
Chefberater der Irak-Überwachungsgruppe Barton, der über die Suche
nach den nichtsexistenten Massenvernichtungswaffen (MVW) im Irak
berichtete; der Militärkorrespondent der Londoner Sunday Times Smith,
der das "Downing Street Memo" vorstellte, demzufolge Bush und Blair
schon im April 2002 über den Krieg im Irak als beschlossene Sache
diskutierten; sowie der Vizepräsident des Zentrums für Amerikanischen
Fortschritt Cirincione. Wilkersons Aussage war eine sehr nützliche
und gründliche Ausführung seiner früheren Äußerungen, die er in
Interviews über ein von Cheneys Büro manipuliertes UN-Dossier gemacht
hatte. Aber diesmal sprach er in den Räumen des US-Senats, und seine
Aussage findet man auf der Internetseite des SDPC.
Oberst a.D. Wilkerson sagte bei dieser Anhörung u.a.: "Ende
2002, als wir uns unaufhaltsam auf einen zweiten Krieg gegen den Irak
zubewegten, ... wurde uns im Außenministerium klar, daß wir in diesem
Krieg evtl. alleine oder praktisch alleine stehen würden... In dieser
Zeit begann ich mich sehr für das Lagebild zu interessieren, das wir
vom CIA-Chef Tenet erhielten, und für die Dokumente, die seine Gruppe
produzierte... sowie für die Nutzung dieser Informationen durch die
Mitarbeiter der Regierung. Mir wurden deren Konsequenzen umso klarer,
als Vizepräsident Cheney - noch während Außenminister Powell
versuchte, diplomatische Fortschritte zu machen - Powell durch Reden
(wie z.B. die vor dem 103. Nationalkonvent der Kriegsveteranen)
unterminierte und dadurch die Chance einer diplomatischen Lösung
praktisch ausschloß. Dabei verwendete der Vizepräsident Teile von
Dokumenten der Geheimdienste in einer Weise, die von diesen
Dokumenten selbst nicht gestützt wurde - zumindest nicht stark.
Andere Regierungsmitglieder beteiligten sich an diesen Verdrehungen.
Das scheußlichste Beispiel war die Rede des Präsidenten zur Lage der
Nation am 28. Januar 2003, mit der inzwischen berüchtigten Erklärung
über Uran und Niger. Der Außenminister, ich, und viele andere in der
Regierung wußten, daß der angebliche Versuch des Irak, Uran aus dem
Niger zu beschaffen, entgegen der Berichterstattung, sehr
unwahrscheinlich war. Als außerdem Äußerungen wie "Wir wollen nicht,
daß das durch einen Atompilz bewiesen wird", z.B. von... Dr. Rice
fielen, wurden wir im Außenministerium besorgt, weil unsere eigenen
Geheimdienstleute bezweifelten, daß der Irak überhaupt ein aktives
Nuklearprogramm hatte.
Ich lud daraufhin einige Wissenschaftler in mein Büro im
Außenministerium ein: ehem. Mitarbeiter der UNSCOM-Inspektionsteams
und andere, die detaillierte Kenntnisse über das irakische
Waffenprogramm hatten. Sie sagten mir, daß Saddam Hussein erpicht
darauf war, daß die internationale Aufmerksamkeit auf sein Regime
nachließ, daß die Sanktionen aufgehoben und wichtige Länder wieder
normale Bezienhungen zum Irak aufnehmen würden. Damals beabsichtigte
Saddam, die Beschaffung/Entwicklung von MVW inkl. der nuklearen
Kapazitäten, wieder aufzunehmen, aber zum damaligen Zeitpunkt hatte
er praktisch keine MVW, abgesehen von evtl. ausgelagerten
Forschungsprogrammen im Sudan und Syrien... Die Wissenschaftler
brachten sehr überzeugende Argumente vor. Ich begann, schwere Zweifel
darüber zu haben, was wir finden würden, wenn wir in den Irak
einmarschierten und dort nach MVW suchten.
Am 29. Januar 2003 übergab mir der Außenminister... eine
48seitige Schrift über das MVW-Programm des Irak. Er hatte diese
Schrift am selben Tag vom Büro des Vizepräsidenten erhalten... [und]
wies mich an, eine Arbeitsgruppe zu gründen... Er wollte, daß ich ihn
darauf vorbereitete, die Anklage gegen den Irak nur sieben Tage
später vor dem UN-Sicherheitsrat (UNSC) vorzutragen. Er informierte
mich, daß ich am nächsten Tag noch zwei weitere, ähnliche Papiere
erhalten würde - eines über die Beteiligung des Irak an
terroristischen Aktivitäten, und eines über die
Menschenrechtsverletzungen des Irak... Die Arbeitsgruppe ging sofort
an die Arbeit. Als erstes nahmen wir uns die 48seitige MVW-Schrift
vor und versuchten, das, was wir lasen, zu verifizieren, indem wir
die Quellen überprüften, die uns John Hannah angab, während wir die
Papiere studierten. Nach einigen Stunden wachsender Frustration wurde
uns klar, daß das 48seitige Dokument aus dem Büro des Vizepräsidenten
wertlos war. Es hatte keine Quellenangaben wie ein normales Dokument
der Geheimdienste, und daher mußte jeder Satz mit den Quellen
verglichen werden, die Hannah uns angab... Es war in der kurzen Zeit,
die wir für diese Überprüfung hatten, einfach unmöglich, jede Quelle
genau zu überprüfen. Ich wandte mich mit einiger Frustration an
CIA-Chef Tenet und sagte ihm, daß das, was wir versuchten, einfach
nicht funktionieren konnte. Ohne jedes Zögern stimmte Tenet zu und
sagte, wir sollten stattdessen die Nationale Geheimdiensteinschätzung
(NIE) über die irakischen MVW vom Oktober 2002 als Grundlage
verwenden. Daraufhin nahmen wir die Arbeit wieder auf, nachdem wir
mehr als einen halben kostbaren Tag verloren hatten. Diesmal
verwendeten wir die NIE...
Während der nächsten Tage... schrieben wir die UNSC-Rede auf und
Minister Powell übte sie ein. Diese Übungen fanden zunächst im
Konferenzraum Tenets in [dem CIA-Hauptquartier] Langlay statt. Dabei
waren immer der Minister [Powell], Tenet, sein Stellvertreter, hohe
Geheimdienstanalysten, ich und Mitglieder meiner Arbeitsgruppe sowie
auch öfter der stellv. Nationale Sicherheitsberater Steve Hadley, die
Nationale Sicherheitsberaterin Dr. Rice, der Stabschef des Büros des
Vizepräsidenten (OVP) Lewis Libby und andere aus dem Weißen Haus
sowie der stellv. Außenminister Richard Armitage anwesend... Bei den
Übungs- und Diskussionssitzungen in Langley ging es meistens zwischen
dem Außenminister, der versuchte, unbestätigte und/oder nutzloses
Material zu streichen, und den Mitgliedern des Weißen Hauses hin und
her, die versuchten, das Material doch zu verwenden oder weiteres
hinzuzufügen... Wiederholt versuchten Mitarbeiter des OVP und des
NSC, das angebliche Prager Treffen zwischen dem Al-Kaida-Agenten und
9/11-Entführer Atta und irakischen Geheimdienstlern in den Vortrag
'reinzuschmuggeln. Minister Powell strich dies wiederholt heraus, da
Tenet sich weigerte, das Treffen zu bestätigen. Schließlich wurde
Minister Powell bei einer der letzten Übungen mitten in seinem
Vortrag von Hadley... unterbrochen und gefragt, was mit dem Satz
geschehen sei, der das Treffen in Prag beschrieb. Minister Powell
fixierte Hadley mit festem Blick und sagte pikiert: 'Wir haben das
gestrichen, Steve - und es bleibt draußen.'
Doch der dramatischste Moment für mich bei dieser intensiven
Vorbereitung... kam während der Probe in New York. Der Minister hatte
gerade im Schnelldurchgang die über eine Stunde lange Rede gehalten,
wandte sich dann an Tenet und fragte ihn, ob er zu allem stehe, was
der Minister gerade gesagt hatte. Tenet nickte und fügte hinzu, wenn
irgendetwas darin nicht zutreffen sollte, so werde er es vor dem
Überwachungsausschuß des Kongresses vertreten müssen, und das sei
eine schreckliche Aufgabe. Der Minister sagte, Herr Tenet müsse
tatsächlich zu seinem Wort stehen, denn er werde bei dem Treffen des
UN-Sicherheitsrats 'in camera' sein. Ich selbst hatte, nachdem ich
den gesamten, formellen Vortrag bei der UNSC-Sitzung gesehen hatte,
das Gefühl, daß die Rede nicht sehr überzeugend war. Nur der Mann,
der die Rede hielt - Colin Powell - verlieh ihr Glaubwürdigkeit.
Vieles von dem, was vorgetragen wurde, konnte auf unterschiedlichste
Weise interpretiert werden. Kurz, es war eine Sammlung von Indizien,
und nicht einmal eine sehr überzeugende." Am Ende seines Vortrags
berichtete Wilkerson über zwei "beunruhigende Entdeckungen", die er
nach seinem Ausscheiden aus dem Außenministerium machte. Erstens "daß
die DIA bzgl. des Ergebnisses des Verhörs von Ibn al-Sheikh al-Libi
anderer Meinung war", aber weder er noch Minister Powell darüber
informiert worden waren. Zweitens, daß die Geschichte über die
"angeblichen mobilen biologischen Waffenlabors des Irak" von einer
Quelle stammte, die als unzuverlässig galt.