Juli 2006 Wirtschaft

Fatale Systemfehler der globalisierten Wirtschaft

Von Prof. Dr. Wilhelm Hankel

Ich bedanke mich zunächst bei denjenigen, die dieses Seminar hier in Berlin organisiert haben und bei Ihnen im Saal, die Sie trotz Fußballweltmeisterschaft und Hitze hierher gekommen sind. Ich kenne Herrn LaRouche seit langem. Auch wenn wir uns in den Begründungen für die Schlußfolgerungen, die wir teilen, gelegentlich unterscheiden, stimmen wir in den wesentlichen Punkten überein. Das wurde nicht zuletzt vor knapp einem Monat bei Herrn LaRouches Vortrag in Frankfurt deutlich, der bei den Zuhörern sehr viel Nachdenklichkeit erzeugt hat.

Nun zu meinem ersten Punkt: Wir sprechen viel zu leichtfertig von "Weltwirtschaft", denn eigentlich gibt es heute keine Weltwirtschaft. Die heutige Weltwirtschaft ist ein Phantom - verglichen mit dem, was vor 1500 Jahren mit dem alten Rom untergegangen ist. Das Römische Reich hatte wirklich für fast die ganze damals bekannte Welt eine Rechtsordnung, eine Geldordnung und eine gemeinsame Ordnung der Maße etabliert. Die heutige Weltwirtschaft ist - trotz des enormen Ausmaßes des Außenhandels - ein Flickenteppich unterschiedlicher Regulierungszonen. In manchen wird mehr, in manchen weniger reguliert. Und dieses Regulierungsgefälle rund um den Globus hat einen Trend ausgelöst, den man als Flucht in die Gesetzlosigkeit bezeichnen muß, denn der Standort, der am gesetzlosesten ist, ist für die internationalen Kapitalanleger - die Global Players - der attraktivste. Und zu welch gefährlichen und zugleich abstrusen Konsequenzen das führt, will ich Ihnen an zwei Beispielen klarmachen.

Da sitzen nun seit Jahren die Repräsentanten dieser finanziellen Global Players in Basel, um ein international verbindliches Regelwerk für das Bankgewerbe - "Basel I" und "Basel II" - zu formulieren. Aber sozusagen nebenan - in Liechtenstein - können Sie all diese Regeln des "prudent banking" wieder vergessen und ohne diese Grundsätze fröhlich woanders verbotene Bankgeschäfte betreiben.

Die OECD hat kürzlich fünf "Oasen der Gesetzlosigkeit" aufgelistet. Aber das ist eine gröbliche Untertreibung, denn es gibt sehr viel mehr Gesetzesbrecher-Staaten als diese fünf. Und wir haben sie hier in Europa. Liechtenstein habe ich erwähnt. Dann gibt es ein anderes merkwürdiges Gebilde, Luxemburg. Dieses Großherzogtum lebte früher einmal hauptsächlich vom Verkauf von Briefmarken. Die Philatelisten der Welt waren begierig darauf, luxemburgische Briefmarken zu erwerben. Dank der Europäischen Union kann Luxemburg heute Banklizenzen verkaufen. Folglich gibt es dort jede Menge Briefkastenfirmen. Dank des Verkaufs von Gesetzesumgehungstatbeständen beziehen 400 000 Luxemburger, ein Promille der Bevölkerung der Europäischen Union, das höchste Prokopfeinkommen in der EU.

Das sind nur zwei Beispiele, ich könnte noch weit mehr aufzählen. Dahinter steht etwas Atemberaubendes: Das Gefälle von gesetzlich geordneten Staatswesen zu gesetzlich ungeordneten charakterisiert die heutige chaotische, anarchische Weltwirtschaft, in der die gesetzlich ungeordnetsten Standorte für globale Banken und Kapitalanleger die attraktivsten sind - auf Kosten der gesetzlich geordneten Staatswesen. Das ist ein Zustand, der sicherlich nicht als sehr stabil zu bezeichnen ist.

Labiles Gleichgewicht der Ungleichgewichte

Nun mein zweiter Punkt: In dieser sogenannten Weltwirtschaft haben wir es mit einem Gleichgewicht von zwei fundamentalen Ungleichgewichten zu tun. Dieses Gleichgewicht der fundamentalen Ungleichgewichte gibt es nun seit über 30 Jahren. Die Frage ist natürlich, für wie lange noch?

Das erste fundamentale Ungleichgewicht ist, daß die Geldversorgung dieser sogenannten Weltwirtschaft aus dem Defizit der größten Volkswirtschaft, nämlich der US-amerikanischen, resultiert. Jeder Dollar, der in der Weltwirtschaft als Reserve-, Anlage- oder als Transaktionsgeld genutzt wird, kommt aus dem Leistungsbilanzdefizit der USA. Die wachsende Weltwirtschaft hat einen wachsenden Geldbedarf, der seit über 30 Jahren durch das entsprechend mitwachsende Defizit der USA gedeckt wird, und auch nur so gedeckt werden kann!

Ich erinnere mich noch gut, als Anfang der 70er Jahre die Umkehrung der amerikanischen Leistungsbilanz begann. Damals empörten sich die Notenbanker in Europa, auch die Deutsche Bundesbank, über dieses unverantwortliche Defizit, das damals ganze 8-12 Milliarden im Jahr betrug. Inzwischen hat es sich annähernd verhundertfacht: Zwei Nullen hinter der 8 sind dazugekommen! Und dieses gigantische Defizit fließt in Form von Dollars in die sogenannte Weltwirtschaft hinein. Aber wie lange?

Aus diesem fundamentalen Ungleichgewicht ergibt sich ein zweites: Die Vereinigten Staaten als der Groß- und Alleinanbieter der Weltwährung bekommen für ihren finanziellen "Service" gewissermaßen einen zinslosen Dauerkredit, der es ihnen ermöglicht, japanische, chinesische, deutsche und sonstige Waren zu importieren. So wird es den USA seit mehr als einer Generation ermöglicht, über ihre Verhältnisse zu leben: weit mehr zu importieren als zu exportieren und mehr zu konsumieren, als das eigene Bruttoinlandsprodukt hergibt. Der Überhang der Inlandsabsorption von Gütern - sei es für Konsum, sei es für Investition - über das selbst erwirtschaftete Inlandsprodukt hinaus, das ist das amerikanische Defizit. Der zinslose Dauerkredit des Auslands hat den Amerikanern einen beispiellosen Lebensstandard ermöglicht - jedenfalls im Vergleich zu anderen Industrieländern und der Dritten Welt.

Man kann es so ausdrücken: Das Land USA ist zum "Bankier" geworden, der mit seinen Schulden seinen Lebensstandard finanziert und wie jeder Bankier von seinen Schulden lebt - und das meist recht gut.

Das Defizit der US-Volkswirtschaft finanziert jedoch nicht nur den Wohlstand und den Wachstumsvorsprung der USA. Es finanziert auch, und damit bin ich beim nächsten fundamentalen Ungleichgewicht angelangt, die Exportkonjunkturen der anderen Welthandelsländer. In dieser sogenannten Weltwirtschaft gibt es vier Exportweltmeister: Japan, China, Deutschland und die führenden Mineralölanbieter, allen voran OPEC und Rußland. Wenn wir deren Exportüberschüsse addieren, kommen wir auf eine Summe, die ziemlich genau dem Defizit der USA entspricht.

Und wieder muß gefragt werden: Was bezwecken eigentlich diese vier Gläubigergruppen mit ihren Überschüssen? Liegt es im Interesse Japans, Chinas, Deutschlands, der OPEC und Rußlands, Leistungsbilanzüberschüsse zu erzielen, bloß um den Konsumrausch der USA zu befriedigen, einen Überkonsum, der weder aus eigener Leistung kommt noch aus eigener Ersparnis finanziert wird? Und da wird es spannend, denn die Motive der Exportweltmeister und auf der anderen Seite der USA sind keineswegs auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Japan hat früh - vermutlich eine Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg - begriffen, daß seine Chancen, vor der eigenen Haustür Geschäfte zu machen, gering sind. Keine Nation war nach dem Zweiten Weltkrieg in der eigenen Region wegen der Kriegsgreuel so verhaßt wie Japan. Deswegen zielte die japanische Strategie schon frühzeitig nicht nur auf Export in den fernen Weltmarkt, sondern auch auf die Produktionsverlagerung ins ferne Ausland. Japan hat real wahrscheinlich den größten Kapitalexport in der neueren Geldgeschichte zustande gebracht. Japanische Autos werden in Amerika, in England, in Kontinentaleuropa und überall in der Welt produziert - und das gilt nicht nur für Autos. Man hat sich einen zweiten Markt neben dem Binnenmarkt aufgebaut - sozusagen das Gegenmodell zum Gemeinsamen Markt der Europäer vor der Haustür.

Damit reiten die Japaner natürlich einen Tiger. Sie müssen, um die Exportdynamik ihrer Wirtschaft aufrechtzuerhalten, jede nachhaltige Aufwertung ihrer Währung, des Yen, verhindern. Das versuchen sie zwar, doch jede Auflösung von Dollarvermögen, jeder Verkauf von Dollar, wertet zwangsläufig den Yen auf. Also müssen die armen reichen Japaner, koste es, was es wolle, Dollar akkumulieren. Nur so läßt sich eine noch gefährlichere Yen-Aufwertung begrenzen. Deswegen sind und bleiben sie der nach China zweitgrößte Reservehalter in der Dollarwährung.

Was die Japaner darüber vernachlässigen, ist der Binnenmarkt. Jeder Exportüberschuß ist im Grunde eine Vernachlässigung des Binnenmarktes. Diese simple Einsicht ist in Japan offenbar noch nicht vorhanden. Die japanischen Firmen verdienen ganz gut an ihren Exporten. Aber in Höhe der damit hereingeholten Außenstände, Dollarreserven und Papiergeldforderungen verzichtet man auf Inlandskonsum und auf Inlandsinvestitionen. Und das ist für ein 100-Millionenvolk auf Dauer eine Zumutung, die man wahrscheinlich nur deshalb solange dem Volk vermitteln konnte, weil die japanische Demokratie nicht so ausgeprägt ist wie die amerikanische oder die europäische. In Japan herrscht seit dem Zweiten Weltkrieg ein Einparteienregime mit politisch eiserner Disziplin. Noch, aber wie lange?

Der Fall China liegt anders. Für China ist die Exportstrategie der Motor zur Modernisierung und Industrialisierung des Landes. Man muß sich den Standards ausländischer Märkte anpassen und annähern. Insofern ist der chinesische Weg, den Fortschritt des Landes über Exportüberschüsse voranzutreiben und keine Währungsaufwertung zuzulassen, verständlich. Aber auch hier baut sich eine gigantische Währungsreserve auf, die jetzt die Billionengrenze erreicht.

Die Dollarpräferenz in den beiden Großvolkswirtschaften des pazifischen Raums hat den Dollar stabilisiert. Vor allem hat sie den Ausfall der alten Stabilisatoren, nämlich der islamischen Staaten und Ölanbieter im Nahen Osten, weitgehend wettgemacht.

Doch wie lange kann es sich China leisten, große Teile seines Volksvermögens - und Währungsreserven zählen dazu - als totes Kapital zu behandeln und zu verschwenden? Die drängenden Strukturprobleme seiner Volkswirtschaft lassen das nicht zu. Die marode Infrastruktur muß verbessert, der Aufbau von Sozialsystemen vorangetrieben werden, die gewaltigen Prokopfeinkommensunterschiede in den Regionen müssen eingeebnet werden. Dies verlangt früher oder später den Wechsel in der Strategie vom exportgeführten Wirtschaftswachstum zum inlandsgeführten Binnenwirtschaftswachstum. Die autoritäre chinesische Führung konnte bisher der Exportstrategie den Vorrang geben vor dem Ausbau der Binnenwirtschaft. Doch auch hier stellt sich die Frage: Wie lange noch? Ein Endloswachstum der chinesischen Dollarreserven ist jedenfalls nicht in Sicht.

Deutschlands Dilemma

Und was gilt vom dritten Großmeister im Exportgeschäft, Deutschland? Was ist hier das Motiv für die beispiellosen Exportüberschüsse?

Blicken wir zunächst zurück in die deutsche Geschichte. Das Deutsche Reich vor dem Zweiten Weltkrieg besaß ein internes Strukturgleichgewicht. Der größte Teil der Produktionsleistung wurde im Westen erwirtschaftet, während der deutsche Osten strukturell eine Konsum- und Agrargesellschaft war. Spaltung und Verlust der Ostgebiete nach dem Zweiten Weltkrieg haben es mit sich gebracht, daß die westdeutschen Industrien an Rhein und Ruhr, Neckar und Main den größten Teil ihres Binnenmarktes verloren. Sie mußten diese verlorenen Märkte durch Exporte nach Europa und Übersee ersetzen. So ist der westdeutsche Exportüberschuß vor der Wiedervereinigung entstanden.

Doch seit der Wiedervereinigung, durch die der deutsche Binnenmarkt wieder sehr viel größer wurde, sind 15 Jahre vergangen. Und die Probleme in den ostdeutschen Bundesländern sind eher noch größer und dramatischer geworden. Zwar sind die Gebiete der früheren DDR wieder in die alte Rolle eines Abnehmermarktes für in den westlichen Regionen produzierte Industriegüter hineingewachsen, aber sie produzieren nichts mehr selber! Die alten westlichen Bundesländer sind Exportüberschußregionen geblieben. Aber eine Sanierung Ostdeutschlands durch eigene Produktionsstrukturen steht noch immer aus.

Und noch etwas müssen wir beachten: Als wir noch keinen Euro hatten, in der glorreichen Zeit der D-Mark, konnten die Deutschen die Früchte des Exportüberschusses sinnlich genießen. Die wachsenden Devisenreserven der Deutschen Bundesbank und die zusehends bessere Kapitalausstattung der Exportfirmen bescherten dem Land das Wirtschaftswunder, die Vollbeschäftigung und eine echte finanzielle Reserve in Krisenzeiten. Der Devisenschatz der Bundesbank, der größte in Europa, bescherte den Deutschen billiges Reisen und billiges Benzin. Mit jeder DM-Aufwertung wurde beides noch billiger!

Dieser finanzielle Gegenwert war auch die Grundlage der Schillerschen Politik der Krisenbekämpfung in den Jahren 1967 bis 1971. Denn wer Währungsreserven hat, kann es sich leisten, die Zinsen zu senken und inländische Investitionsprogramme zu finanzieren.

Der deutsche Exportüberschuß war in der Vor-Euro-Zeit die finanzielle Grundlage für eine expansive und inlandsorientierte Wirtschaftspolitik. Das erklärt auch, warum Deutschland vor der Einführung des Euro weitaus weniger Arbeitslose hatte als heute.

Aber was wird aus dem Gegenwert der deutschen Exportüberschüsse heute, im Zeichen des Euro? Ich habe mit dem Stab von Herrn LaRouche einige Recherchen angestellt, was gar nicht so einfach war, weil das Europäische Statistische Amt (Eurostat) mit der Veröffentlichung interner Außenwirtschaftsdaten und -salden äußerst zurückhaltend ist. Aber soviel ist herausgekommen: Der deutsche Überschuß wird zu nahezu 100% kompensiert durch die Defizite unserer Partner in der Eurozone, unter denen es außer Deutschland nur noch zwei kleinere Überschußländer gibt - die Niederlande und Irland.

Damit wird auch klar, was das Euro-System für Deutschland bedeutet. Es bedeutet nicht nur Verzicht auf eine eigene Währung und eine eigene Wirtschaftspolitik, was allein schlimm genug wäre. Das Euro-System bedeutet, daß der Gegenwert der deutschen Exportüberschüsse durch die Defizite unserer europäischen Partnerländer, also Länder wie Spanien, Portugal, Frankreich, Italien, Griechenland, aufgezehrt wird. Deutschland finanziert die inflatorisch überhitzten Binnenkonjunkturen der anderen EU- und Euroländer: ihren Überkonsum trotz fehlender Einkommen und ihre Überinvestitionen trotz fehlender Ersparnis. Es ist der "Bankier" der Eurozone, der diesen Transfer von Realkapital aus Deutschland in die weniger entwickelten Regionen Europas finanziert. Deutschland ist nicht nur größter Nettoeinzahler in den EU-Haushalt. Es finanziert über den statistisch verschleierten Devisentransfer die Defizitländer der europäischen Währungspartner.

Sie verstehen jetzt, warum man das nicht so gern in der Statistik ausweist. Eigentlich wäre der Euro auf Grund der defizitären Bilanz der gesamten Eurozone längst im Keller. Aber die Einheitswährung wird durch die deutschen Überschüsse stabilisiert und zumindest temporär aufgewertet.

Und die Europäische Zentralbank? Sie finanziert und verschleiert dieses interne Ungleichgewicht: die wachsende Inflation der defizitären Europartner und die Deflation in Deutschland und den Niederlanden. Und wieder stellt sich die Frage: Wie lange noch halten die eurogeschädigten Länder still und opfern ihre Prosperität auf dem Altar eines Europas der Eurogewinner?

Die kommende Krise

Wie stabil ist dieses Gleichgewicht der Ungleichgewichte im globalen, weltwirtschaftlichen wie im regionalen, europäischen Rahmen?

Nun, im Falle der monetären Versorgung der Weltwirtschaft durch die defizitären USA kann man zwar nicht den Zeitpunkt angeben, wann ein solches System - richtiger wäre zu sagen: Nicht-System - kollabiert. Aber wir können die Gründe angeben, warum es kollabieren muß. Den Schulden der USA entspricht ja ziemlich größengleich ein bislang in Dollar gehaltenes Vermögen von Nichtamerikanern. Wir sahen: Es hat seinen Schwerpunkt vom Nahen in den Fernen Osten verlagert. Die Ölproduzenten im Nahen Osten haben aus berechtigter Sorge, daß ihren Dollarguthaben die Blockierung drohen könnte, diese deutlich zurückgefahren. Diese Reduzierung des Dollaranteils hätte längst zu einem stärkeren Rückgang des Dollarwechselkurses geführt, wenn sie nicht durch die verstärkte Dollarhaltung im Fernen Osten kompensiert worden wäre.

Und dies gilt nicht nur für die Führungsökonomien Asiens. Ich hatte im letzten halben Jahr Gelegenheit, sowohl in Indonesien wie in Vietnam zu arbeiten, und habe mir auch die Zahlen der umliegenden Volkswirtschaften und Zentralbanken anschauen können. Praktisch ist heute die fernöstliche Region - gruppiert um ihre beiden Wachstumslokomotiven Japan und China - der ausschlaggebende Dollarstabilisator: eine Art fernöstliches Bretton Woods, aber ohne jede völkerrechtliche Grundlage und Absicherung. Dollar halten nicht nur die Zentralbanken. Ich war schon erstaunt darüber, daß beispielsweise in Vietnam 90% der privaten Ersparnisse, der Ersparnisse kleiner Leute, in Dollar gehalten werden.

Aber es gibt für diesen Prozeß der Dollarisierung außerhalb der USA eine objektive Grenze. Sie kann ziemlich genau bestimmt werden. Dem Aufbau der Dollarvermögen im Fernen Osten und anderen Teilen der Welt entspricht ja eine gleich große Verpfändung amerikanischen Volksvermögens. Jeder Dollar im Ausland ist eine Hypothek auf den US-amerikanischen Kapitalstock. Bekanntermaßen endet jede Hypothek da, wo die Beleihungsgrenze 100% erreicht. Ich wüßte gern - und das wäre eine Untersuchung wert; vielleicht läßt sie sich mit Hilfe des LaRouche-Stabes vornehmen - , wie hoch diese Belastung des US-amerikanischen Kapitalstocks schon heute ist. Spätestens dann, wenn eine kritische Grenze erreicht ist, wenn der ausländische Vermögenshalter und -besitzer zu der Einsicht gelangt, der Schuldner ist pleite, spätestens dann wird die Dollarvermögenshaltung dramatisch zurückgehen. Dann verlieren die USA ihren Kredit und die US-amerikanische Leistungsbilanz das Potential, um weitere Defizite zu finanzieren.

Wenn es dazu kommt, und es wird früher oder später dazu kommen, stellt sich in den USA ein gänzlich verändertes Szenario dar. Man muß entweder versuchen, die schwindende Kreditwürdigkeit der USA und des Dollar durch steigende Zinsen aufzufangen. Diese Rechnung kann sogar eine Zeitlang aufgehen, denn jeder Vermögenshalter, um nicht zu sagen Spekulant, läßt sich durch höhere Zinsen auf sein Kapital bestechen. Er wird fehlende Sicherheit durch höhere Renditen kompensieren. Nur, steigende Zinsen bedeuten das Ende des bisherigen Wachstumstempos und des Lebens auf Pump. Konsum- wie Investitionsquote werden fallen. Wenn der "Bankier" USA das alles nicht mehr mit fremden Ersparnissen und Dollaranlagen finanzieren kann, dann haben wir die Krise in den USA.

Aber sie bleibt nicht auf das Land des Weltbankiers beschränkt. Auch wenn es keine wirkliche Weltwirtschaft gibt, so doch ihre wechselseitige Verflechtung und Ansteckungsgefahr. Fällt der US-amerikanische Markt für europäische und asiatische Exporte aus, dann importieren diese Regionen und Länder die US-amerikanische Krankheit wie weiland die Pest oder Cholera. Es gilt das Gesetz der Rückkopplung: Der Verkäufer (Exporteur) steckt sich an der Krankheit des Kunden (Importeur) an.

Und es gibt noch einen zweiten Weg, über den die Krise bei den Lieferanten ankommt: die Börse. Bricht sie in den USA wegen steigender Zinsen zusammen, bleibt dies nicht ohne Auswirkung auf die anderen Weltbörsen. Sie folgen der Leitbörse wie schon einmal vor 77 Jahren nach dem Schwarzen Freitag der New Yorker Börse im Oktober 1929. Die US-Krise ist, wenn sie ausbricht, nicht eingrenzbar; sie wird exportiert. Hauptleidtragende sind unsere drei Exportweltmeister: Japan, China, Deutschland und mit ihnen die von ihnen abhängigen Weltregionen: der pazifische Raum und die EU.

Für China wäre diese Krise wegen seines großen Binnenmarktes noch am leichtesten zu verkraften, denn die Exportquote Chinas ist gemessen am Inlandsprodukt minimal. Das gilt nicht für Japan und Deutschland. Die Verschärfung der Krise in Deutschland würde dann unsere glücklichen Partner in der Eurozone vor dasselbe Problem stellen wie die USA. Sie könnten nicht mehr über ihre Verhältnisse konsumieren und investieren; denn auch für sie fällt der freundliche Bankier und Nettoeinzahler aus. Der Zusammenbruch der deutschen Exportüberschußposition zieht den Zusammenbruch des Euro-Systems nach sich.

Und damit kämen wir letztlich doch zu einem anderen Szenario als vor 77 Jahren. Der Schwarze Freitag führte nach 1929 bekanntermaßen bei allen damaligen Welthandelspartnern zurück in einen monetären und fiskalischen Nationalismus. Die Verödung der Weltwirtschaft und die daraus resultierenden Verluste an Realeinkommen und Lebensqualität waren der eigentliche Preis für die Krise. Diesmal würde derselbe Krisenverlauf die europäische Integration und den Gemeinsamen Markt bis ins Mark treffen, denn die europäische Integration lebt von ihrem regionalen "Superbankier" Deutschland. Sein Ausfall wäre das Ende von EU, Eurozone und Europäischer Zentralbank. Doch angesichts der gleichzeitigen Weltkrise als Folge des Zusammenbruchs des US-Dollar ist kein Ausgleich, kein Krisenventil in Sicht: Weder die sogenannte Weltwirtschaft steht zur Verfügung, noch sind die Binnenmärkte der alten westlichen Industrieländer, einschließlich Japans, in der Lage, den Ausfall an Nachfrage aus Europa wie dem globalen All zu ersetzen. Die Weltkrise, die sich abzeichnet, dürfte die der 30er Jahre des 20. Jh. übertreffen, der Absturz vom heutigen Wohlstandsniveau würde höher ausfallen als vor 77 Jahren.

Währungssouveränität und feste Wechselkurse

Anders als viele in meiner Zunft sage ich: Die nicht mehr zu ignorierende Bedrohung des westlichen Lebensstandards und Lebensgefühls durch eine weltweite Krise muß nicht als unabwendbare Katastrophe gesehen und hingenommen werden. Ohne Angst vor der Krise gibt es weder Wenden in der Politik noch ernsthafte Reformen. Ich denke, Herr LaRouche sieht das ähnlich. Die Globalisierung hat - außer für einige Global Players - der Masse der Weltbevölkerung mehr Schaden als Nutzen gebracht. Wenn man die Globalisierung nüchtern und frei von lobbyistischem Vorteilsdenken analysiert, kommt man zu der Schlußfolgerung, daß sie die Ungleichgewichte zwischen den Volkswirtschaften, den Makrobeziehungen, verschlimmert und nicht verbessert hat. Die Verteilung von Ressourcen, Einkommen und Vermögen der Menschheit hat sich in den langen Jahren der weltwirtschaftlichen Un-Ordnung in die falsche Richtung bewegt.

Das Zeitalter des "Gleichgewichts der Ungleichgewichte" hat den Graben zwischen Reichen und Armen vertieft wie noch zu keinem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte. Die Ungleichheit zwischen den Nationen, ihren Prokopfeinkommen und Lebensverhältnissen waren noch nie so groß wie in den letzten Jahren. Das ist der "Erfolg" der Globalisierung. Die Weltwirtschaft von heute ist eben nicht das, was über sie in den Freihandelslehrbüchern des 19. Jh. geschrieben wurde. Die dort beschriebene Wohlstandsmaschine hat sich im Zeichen der Globalisierung für die Mehrheit der Menschheit in eine Verarmungsmaschine verwandelt.

Unser Diskussionsleiter hat auf Friedrich List verwiesen, zu recht, denn dieser bis heute verkannte deutsche Weltökonom hat seinen Zeit- und Fachgenossen um gut 150 Jahre voraus, den extrem unfairen und unökonomischen Wesenszug jeder ungezügelten "kosmopolitischen" Wirtschaft deutlich gemacht. Sie beruhe auf Machtvorteilen und unterdrücke die ökonomische Entwicklung. Das Wesensmerkmal der Ökonomie sei ihre enge Verbindung zum Menschen, zum Raum und zum staatlichen Überbau. Diese Erkenntnis ist der Kern ökonomischer Wissenschaft. List schreibt im Vorwort zu seinem immer noch lesenswerten Buch Das Nationale System der Politischen Ökonomie, Adam Smith habe den Menschen eingeredet, die Ökonomie sei wie die Naturwissenschaft regiert von zeit- und raumlosen Gesetzen, die man entdecken und befolgen müsse.

Doch die Ökonomie kennt keine ewigen Gesetze. Sie ist eine an Ort, Zeit und Moral gebundene Wissenschaft. Es ist die vornehmste Aufgabe des Ökonomen, für seine Gesellschaft - und nicht eine imaginäre Weltgesellschaft - das Optimum an Bedarfsdeckung und Bedürfnisbefriedigung möglich zu machen. Der Ökonom, der von sich sagt, er sei "reiner" und unpolitischer Wissenschaftler, hat seinen Beruf verfehlt. Ökonomen sind theoretisch geschulte Politiker. Sie müssen sich zur Verantwortung für das Wohl der Gesellschaft bekennen, denn der Ökonom ist der Arzt der Gesellschaft. Für sie und ihre Menschen muß er die richtigen Diagnosen und Therapien erstellen. Er kann sich nicht in einen elfenbeinernen Turm zurückziehen und sagen, ich berechne das alles abstrakt und ohne Ansehung des Landes, der Zeit, der Kultur und der von meinen Maßnahmen betroffenen Menschen.

Auch Max Weber wird gründlich mißverstanden, wenn er vom Plädoyer der Ökonomen Objektivität und Wertneutralität verlangt. Er meint nicht den unpolitischen Ökonomen, der sich der politischen Stellungnahme entzieht, sondern den, der sie offen und wissenschaftlich begründet, der nicht vorgibt, etwas für die Menschheit zu tun, wenn es nur um die eigene Firma, das eigene Portemonnaie oder die eigene Klientel geht.

List schwebte bereits vor 150 Jahren eine Politik staatlich geordneter Räume vor, die im Innern ein Optimum für die Bevölkerung anstrebt und die sich im Außenverhältnis mit den Weltwirtschaftspartnern im freien Vertrag als Subjekt eines allseits respektierten Völkerrechts mit ihnen über gemeinsame Ziele und Spielregeln verständigt.

Diese Vision ist noch immer das Gegenmodell zu einer Welt, in der mächtige, aber undemokratische Institutionen, selber unkontrolliert, über die Köpfe der Staaten, deren Verfassungen und Bürger hinweg Rechte und Spielregeln diktieren. Die Brüsseler EU-Kommission ist kein Staat, maßt sich aber die Rechte von 25 demokratisch verfaßten und legitimierten Mitgliedstaaten an. Haben diese Staaten ihre Demokratie eingeführt und erkämpft, um sie auf diese, vom Volkswillen abgetrennte Weise wieder zu verlieren? Darüber wird viel zu wenig gesprochen!

Mich haben vor einiger Zeit russische Gelehrte gefragt, wie es kommt, daß, wenn sie mit deutschen Repräsentanten über deutsch-russische Verträge verhandeln, immer wieder auf Brüssel verwiesen werden? Die Antwort ist simpel: Unsere Politiker haben die staatliche Souveränität an Brüssel delegiert und überhaupt nicht verstanden, daß sie damit nicht nur demokratische Rechte aus der Hand geben, sondern die Regierungsfähigkeit unseres Landes. Sie wiederherzustellen, bevor es zu spät ist, ist der Königsweg, um mit der Krise, die sonst droht, fertig zu werden. Herr LaRouche hat diesen Weg deutlich genug beschrieben.

Deutschland kann und muß sich wieder selbst regieren. Es hat die Mittel und Möglichkeiten dazu und verfügt auch über das notwendige Geld, um die jetzt anstehenden Reformen zu finanzieren. Jeder Bundesbankbericht der letzten Jahre weist es aus: Das Land besitzt einen Riesenüberhang verfügbarer Ersparnisse, der weit über das hinausgeht, was derzeit real und privat investiert wird. Der gebetsmühlenhaft wiederholte Appell, das Land müsse sparen, sparen und nochmals sparen, geht an den verfügbaren Fakten und Zahlen vorbei. Lesen Sie nur den Bundesbankbericht über die Finanzierung der Gesamtvolkswirtschaft, der jeden Juni erscheint. Aus diesen "Juni-Übersichten" der letzten zwölf Jahre geht klar hervor, daß der Überhang der Ersparnisse über die Investitionen von Jahr zu Jahr immer größer geworden ist. Der Überhang belief sich in den letzten fünf Jahren auf die Kleinigkeit von einer Dreiviertelbillion Euro.

Dieses Geld ist nicht für Arbeitsplätze eingesetzt worden, es ist buchstäblich an den internationalen Börsen und Bankplätzen verspekuliert worden. Staatsfinanzierung öffentlicher Investitionen oder deren Finanzierung über eine zentrale Bank wie die KfW oder ein in diesem Sinne beeinflußtes Banksystem - das alles ist keine utopische Forderung. Es wäre jederzeit reale Politik, wenn die Verantwortlichen ihr Handwerk verstünden und nicht irrealen und brandgefährlichen Utopien aufsäßen. Dieser Weg ist gangbar, wenn man nur verstünde, daß Deutschland kein armes Land ist, wohl aber einen Staat hat, der sich durch seine Politik arm macht und dadurch buchstäblich verantwortungslos!

Binnenwirtschaftlich ist nicht nur vieles zu tun. Es kann auch vieles getan werden. Das Defizit liegt nicht im Haushalt, sondern in den Unterlassungen der Politik.

Und es muß zweitens weltwirtschaftlich gehandelt werden. Der recht- und gesetzlose Zustand der sogenannten Weltwirtschaft muß beseitigt werden. Es gilt, einen internationalen Rechtsrahmen zu schaffen, der die internationalen Märkte unter dasselbe Gesetz stellt wie die nationalen Märkte. Das kann man auf zwei Wegen erreichen. Man könnte entweder eine völkerrechtliche Vereinbarung treffen, daß die beteiligten Nationen ihre nationalen Gesetze aufeinander abstimmen und unterschiedslos auf In- und Ausländer anwenden - also gleiche Wettbewerbsregeln, gleiche Bank- und Konkursregeln für alle Marktteilnehmer; und das gilt auch für die Festlegung der Wechselkurse.

Oder aber man könnte zurückfinden zu jenem Weg, den Keynes bereits 1944 mit seinem Bretton-Woods-Modell skizziert hatte. Für die Finanzierung der Weltwirtschaft brauche man keine Landeswährung, welcher Art auch immer, weder Dollar, Yen noch Euro, sondern eine abstrakte Recheneinheit. Es gehört zu den großen Versäumnissen unseres Faches, der Öffentlichkeit nicht klar genug gemacht zu haben, worin der Unterschied zwischen einer umlaufenden Währung und einer abstrakten Verrechnungseinheit besteht. Keynes hatte in Bretton Woods eine Weltrecheneinheit, für das Weltwährungssystem vorgeschlagen, den bancor. Kluge Reformatoren haben diese Idee Anfang der 70er Jahre für die Abrechnungen des Internationalen Währungsfonds unter dem Namen "Sonderziehungsrechte" aufgegriffen. Sie verdrängen kein umlaufendes Geld wie der Euro, sondern stellen die Grundlage für die Berechnung der Wechselkurse und die Abrechnung zwischen den Zentralbanken dar. Diese Recheneinheit würde es ermöglichen, feste, quasi metrische Paritäten zwischen den Währungen zu vereinbaren und sie auf dieser Basis zu garantieren und zu kontrollieren. Es wäre das Ende aller krisenträchtigen Währungsspekulation!

Es gibt keine Alternative zu einem verläßlichen, berechenbaren und kontrollierten Weltwährungssystem. Dahin müssen wir zurück, wenn das hochexplosive und die Weltwirtschaft in den Krisenabgrund stürzende Spekulieren in Währungen aufhören soll. Dafür bedarf es keiner Weltwährung. Wir brauchen nur eine völkerrechtlich akzeptierte und von allen Staaten der Weltwirtschaft respektierte Recheneinheit auf der Ebene der Zentralbanken und des Internationalen Währungsfonds. Oder um es europäisch auszudrücken: keinen Euro, sondern seinen in kein Portemonnaie gelangten Vorläufer, den ECU. Er störte kein europäisches Land, denn er beließ jedem die angestammte Währung und monetäre Freiheit, die für das Wohlergehen seiner Bürger richtige Geldpolitik machen zu können. Trotzdem verbürgte er, daß die europäischen Währungen auf einer festen Grundlage untereinander austausch- und verrechenbar blieben. Sie konnten sogar gegenüber dem ECU abgewertet werden.

Also, aus dem Korb der Vorschläge für ein neues Weltwährungssystem kristallisiert sich heraus: Es geht um die Wiederherstellung nationaler Währungssouveränität, aber eingebettet in ein System fester Wechselkurse auf Grundlage einer abstrakten Verrechungseinheit. Damit würden die Währungsschwankungen aufhören und aus der sogenannten Weltwirtschaft, einer Hexenküche der Regel- und Rechtlosigkeit, würde wieder ein rechtlich kontrollierbares System. Die Welt könnte wieder mit stabilen und goldenen Zeiten rechnen.

Eines kann ich Ihnen jedoch nicht garantieren, daß ein solches System auf dem Reißbrett oder aus dem Vortrag eines Ökonomen oder Politikers entsteht. Leider braucht man noch immer die Krise, um die Menschheit von dem zu überzeugen, was dringend und ohne Ausflucht geändert werden muß. So wird es wohl auch mit dem Neuen Bretton Woods gehen, das Herr LaRouche und meine Wenigkeit mit vereinten Kräften anstreben - zum Wohle der gesamten Menschheit.