Programm zu Schillers Geburtstag 1997

"Dieses ist nun einmal das Balladenjahr..."

Sprecher:
Wir möchten Sie gerne 200 Jahre zurück versetzen, in das Jahr 1797, nach Jena und Weimar.
Acht Jahre nach dem Ausbruch der Französischen Revolution waren die Hoffnungen, die man ursprünglich in diese Erhebung gesetzt hatte, bereits dem blutigen Terror der Jakobiner und der Guillotine zum Opfer gefallen.
Der Versuch, die Amerikanische Revolution nach Europa zu holen, war gescheitert.

Schiller hatte als Antwort darauf bereits 1795 in seinen ästhetischen Briefen dargelegt, wie der Naturstaat, der allein auf rohen Kräften beruht, durch einen Vernunftstaat abgelöst werden kann, der der Würde des freien Menschen Rechnung trägt.
Dieses Ziel -- das erkannte Schiller -- kann nur durch die Erziehung des Menschen zum selbstbewußten, verantwortungsvollen Staatsbürger erreicht werden, und es sind die schönen Künste, die den Menschen dorthin führen können. Denn sie allein setzen zugleich seine sinnliche wie geistige Natur in Tätigkeit.

Das Jahr 1797 sollte als das Balladenjahr in die Literaturgeschichte eingehen. Schiller selbst hat ihm diesen Namen gegeben.

Seit Anfang des Jahres widmeten sich Schiller und Goethe dem Studium der antiken Klassiker, allen voran Homer und Sophokles. Diese Studien führten zu einen intensiven Gedankenaustausch über Inhalt und Form, besonders über das Wesen des Epischen und Dramatischen. Nicht jeder dichterische Stoff war gleichermaßen für jede beliebige poetische Form geeignet.

Alsbald setzten sie diese Erörterungen in schöpferische Taten um: u.a. in die herrlichen Balladen des Balladenjahres. Bei der Ballade gesellen sich dramatische, epische und lyrische Elemente zusammen. Deshalb bezeichnete Goethe die Ballade als "lebendiges Urei der Poesie".

Die beiden Dichter fanden sich bald in einem regelrechten Wettstreit: Zwischen Ende Mai und August dichtete Goethe fünf und Schiller gar sechs große Balladen. Goethe hatte damit den Anfang gemacht.

Wir wollen nun verfolgen, wie die Balladen entstanden und wie sie von den Zeitgenossen aufgenommen wurden. Und deswegen stelle ich Ihnen die folgenden Briefeschreiber vor:

Friedrich Schiller, Dichter und Dramatiker, wohnhaft in Jena.

Johann Wolfgang Goethe, Dichter, Naturforscher und Minister mit wechselnden Aufgabenbereichen des Herzogtums Weimar, wohnhaft in Weimar.

Wilhelm von Humboldt, Altertumsforscher, Sprachphilosoph und preußischer Staatsmann. Zur Zeit befindet er sich mit seiner Familie auf dem Weg nach Paris.
In einigen Jahren wird er als Minister für das preußische Unterrichtswesen das "Humboldtsche Bildungssystem" durchsetzen und Schulen und Universitäten revolutionieren.

Und schließlich Christian Gottfried Körner, Jurist aus Loschwitz bei Dresden und ein treuer Freund Schillers. Er hat diesem oft aus materieller Not geholfen.


Seit dem 19. Mai weilte Goethe in Jena, um sein großes episches Gedicht Hermann und Dorothea zu vollenden. Am 23. Mai schickte er Schiller folgendes kleine Billett:

Goethe:
Hierbei erhalten Sie zugleich noch ein kleines Gedicht, mit dem Wunsch, daß es Ihnen wohl und vergnüglich sein möge. Mir geht es übrigens so gut, daß die Vernunft des Petrarchs alle Ursache hätte, mir einen großen Sermon zu halten.

Sprecher:
Goethe ging es immer gut, wenn er bei Schiller war oder er Schiller bei sich in Weimar beherbergen konnte. Dann wurden lange Diskurse über alle Fragen der poetischen Welt geführt. In den darauffolgenden Wochen ging die Arbeit umso besser von der Hand ging. Diese gegenseitigen Besuche häuften sich.

Für uns heute ist das eigentlich schade, denn genau für diese 4 Wochen intensivster Zusammenarbeit gibt es keinen Briefwechsel zwischen den beiden, der uns einen Blick in ihre geistige Werkstatt gewähren würde. (Und andere Aufzeichnungsmittel gab es damals leider noch nicht.)

Schiller antwortete noch am selben Tag:

Schiller:
Dank Ihnen für Ihr liebes Billet und das Gedicht. Dies ist so musterhaft schön und rund und vollendet, daß ich recht dabei gefühlt habe, wie auch ein kleines Ganze, eine einfache Idee durch die vollkommene Darstellung einem den Genuß des höchsten geben kann. Auch bis auf die kleinsten Forderungen des Metrums ist es vollendet. Übrigens belustigte es mich, diesem kleinen Stücke die Geistesatmosphäre anzumerken, in der Sie gerade leben mochten, denn es ist ordentlich recht sentimentalisch schön!

Sprecher:
Das "kleine Gedicht" hat die Überschrift "Der Schatzgräber" und trägt, wie sehr oft bei Goethe, autobiographische Züge.

Goethe hatte sich ein Los bei der Hamburger Lotterie bestellt und machte sich Hoffnungen auf den Hauptgewinn, einen schlesischen Gutshof. Doch er gelangte schnell zu der Einsicht, daß das ein nutzloses Vorhaben war.

Die Vernunft, im Gedicht von einem schönen Knaben dargestellt, der eine volle Schale trägt, dargestellt, kehrt zurück und bringt den "Schatzgräber" von seinem törichten Aberglauben ab.

Der Schatzgräber
Johann Wolfgang Goethe


Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und zu enden meine Schmerzen,
Ging ich, einen Schatz zu graben.
"Meine Seele sollst du haben!"
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze:
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten.
Heller wards mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht: es kann der Knabe
Mit der schönen lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.

"Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst mit ängstlicher Beschörung
Nicht zurück zu diesem Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens!
Tages Arbeit, abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort."

Sprecher:
Binnen zweier Wochen schreibt Goethe nun die "Legende", "Die Braut von Korinth" und "Der Gott und die Bajadere". Alle drei haben religiöse Themen zum Inhalt. Die "Braut von Korinth" kritisiert eine bigotte verknöcherte Religiösität, die wir heute Fundamentalismus nennen. Die Legende rankt sich um das Leben Jesu Christi und in "Der Gott und die Bajadere" greift Goethe das Motiv der Maria-Magdalena aus dem Neuen Testament auf.

Legende
Johann Wolfgang Goethe

Als noch, verkannt und sehr gering,
unser Herr auf der Erde ging,
und viele Jünger sich zu ihm fanden,
die sehr selten sein Wort verstanden,
liebt er sich gar über die Maßen,
seinen Hof zu halten auf der Straßen,
weil unter des Himmels Angesicht
man immer besser und freier spricht.
Er ließ sie da die höchsten Lehren
aus seinem heiligen Munde hören;
besonders durch Gleichnis und Exempel
macht er einen jeden Markt zum Tempel.

So schlendert er in Geistes Ruh
mit ihnen einst einem Städtchen zu,
sah etwas blinken auf der Straß,
das ein zerbrochen Hufeisen was.
Er sagte zu Sankt Peter drauf:
"Heb doch einmal das Eisen auf!"
Sankt Peter war nicht aufgeräumt,
er hatte soeben im Gehen geträumt,
so was vom Regiment der Welt,
was einem jeden wohlgefällt:
Denn im Kopf hat das keine Schranken;
das waren so seine liebsten Gedanken.
Nun war der Fund ihm viel zu klein,
Hätte müssen Kron und Zepter sein;
aber wie sollt er seinen Rücken
nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt
und tut, als hätt er nicht gehört.

Der Herr in seiner Langmut drauf
hebt selber das Hufeisen auf
und tut auch weiter nichts dergleichen.
Als sie nun bald die Stadt erreichen,
geht er vor eines Schmiedes Tür,
nimmt von dem Mann drei Pfennig dafür.
Und als sie über den Markt nun gehen,
sieht er daselbst schöne Kirschen stehen,
kauft ihrer, so wenig oder so viel,
als man für einen Dreier geben will,
die er sodann nach seiner Art
ruhig im Ärmel aufbewahrt.

Nun gings zum andern Tor hinaus,
Durch Wies und Felder ohne Hause;
auch war der Wege von Bäumen bloß,
die Sonne schien, die Hitz war groß,
so daß man viel an solcher Stätt
für einen Trunk Wassers gegeben hätt.
Der Herr geht immer voraus vor allen,
läßt unversehens eine Kirsche fallen.


Sankt Peter war gleich dahinter her,
als wenn es ein goldener Apfel wär;
Das Beerlein schmeckte seinem Gaum.
Der Herr nach einem kleinen Raum
ein ander Kirschlein zur Erde schickt,
wornach Sankt Peter schnell sich bückt.
So läßt der Herr ihn seinen Rücken
gar vielmal nach den Krischen bücken.
Das dauert eine ganze Zeit.
Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:
"Tätst du zur rechten Zeit dich regen,
hättst dus bequemer haben mögen.
Wer geringe Ding wenig achtt,
Sich um geringere Mühe macht."

Der Gott und die Bajadere
Johann Wolfgang Goethe


Mahadöh, der Herr der Erde,
Kommt herab zum sechstenmal,
Daß er unsersgleichen werde,
Mit zu fühlen Freud und Qual.
Er bequemt sich, hier zu wohnen,
Läßt sich alles selbst geschehn.
Soll er strafen oder schonen,
Muß er Menschen menschlich sehn,
Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet,
Die Großen belauert, auf Kleine geachtet,
Verläßt er sie abends, um weiter zu gehn.


Als er nun hinausgegangen,
Wo die letzten Häuser sind,
Sieht er, mit gemalten Wangen,
Ein verlornes schönen Kind.
Grüß dich Jungfrau! - Dank der Ehre!
Wart, ich komme gleich hinaus -
Und wer bist du? - Bajadere,
Und dies ist der Liebe Haus.
Sie rührt sich, die Zymbeln zum Tanze zu schlagen;
Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie neigt sich und biegt sich, und reicht ihm den Strauß.


Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle,
Lebhaft ihn ins Haus hinein.
"Schöner Fremdling, lampenhelle
Soll sogleich die Hütte sein.
Bist du müd, ich will dich laben,
Lindern deiner Füße Schmerz.
Was du willst, das sollst du haben,
Ruhe, Freuden oder Scherz."
Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden.
Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden
Durch tiefes Verderben ein menschliches Herz.


Und er fordert Sklavendienste;
Immer heitrer wird sie nur,
Und des Mädchens frühe Künste
Werden nach und nach Natur.
Und so stellet auf die Blüte
Bald und bald die Frucht sich ein;
Ist Gehorsam im Gemüte,
Wird nicht fern die Liebe sein.
Aber, sie schärfer und schärfer zu prüfen,
Wählet der Kenner die Höhen und Tiefen
Lust und Entsetzen und grimmige Pein.


Und er küßt die bunten Wangen,
Und sie fühlt der Liebe Qual,
Und das Mädchen steht gefangen,
Und sie weint zum erstenmal;
Sinkt zu seinen Füßen nieder,
Nicht um Wollust noch Gewinst,
Ach! und die gelenken Glieder,
Sie versagen allen Dienst.
Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier
Bereiten den dunklen, behaglichen Schleier
Die nächtlichen Stunden, das schöne Gespinst.


Spät entschlummert unter Scherzen,
Früh erwacht nach kurzer Rast,
Findet sie an ihrem Herzen
Tot den vielgeliebten Gast.
Schreiend stürzt sie auf ihn nieder;
Aber nicht erweckt sie ihn,
Und man trägt die starren Glieder
Bald zur Flammengrube hin.
Sie höret die Priester, die Totengesänge,
Sie raset und rennet und teilet die Menge.
"Wer bist du? was drängt zu der Grube dich hin?"


Bei der Bahre stürzt sie nieder,
Ihr Geschrei durch dringt die Luft:
Meinen Gatten will ich wieder!
Und ich such ihn in der Gruft.
Soll zu Asche mir zerfallen
Dieser Glieder Götterpracht?
Nein! er war es, mein vor allen!
Ach nur eine süße Nacht!
Es singen die Priester: Wir tragen die Alten,
Nach langem ermatten und spätem erkalten,
Wir tragen die Jugend, noch eh sies gedacht.


Höre deiner Priester Lehre:
Dieser war dein Gatte nicht.
Lebst du doch als Bajadere,
Und so hast du keine Pflicht.
Nur dem Körper folgt der Schatten
In das stille Totenreich;
Nur die Gattin folgt dem Gatten:
Das ist Pflicht und Ruhm zugleich.
Ertöne, Drommete, zu heiliger Klage!
O nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage,
O nehmet den Jüngling in Flammen zu euch!


So das Chor, das ohn Erbarmen
Mehret ihres Herzens Not;
Und mit ausgestreckten Armen
Springt sie in den heißen Tod.
Doch der Götter-Jüngling hebet
Aus der Flamme sich empor,
Und in seinen Armen schwebet
Die Geliebte mit hervor.
Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder;
Unsterbliche heben verlorene Kinder
mit feurigen Armen zum Himmel empor.

Der Briefwechsel ruht nun erneut für zwei lange Wochen, doch aus Tagebuchnotizen Goethes wissen wir, daß bei seinen allabendlichen Besuchen bei Schiller, die er "meine gewöhnliche Wallfahrt" nennt, "das Balladenstudium" ganz im Mittelpunkt stand. (Diese allabendlichen Besuche währten normalerweise von 4.00 nachmittags bis tief in die Nacht). Schiller hatte unterdessen die Arbeit am "Taucher" begonnen.

Goethe:
Jena, den 10. Juni
Leben Sie recht wohl und lassen Ihren Taucher je eher, je lieber ersaufen. Es ist nicht übel, da ich meine Paare in das Feuer und aus dem Feuer bringe, daß Ihr Held sich das entgegengesetzte Element aussucht.

Der Taucher
Friedrich Schiller (1759-1805)

"Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
zu tauchen in diesen Schlund?
Einen goldnen Becher werf ich hinab,
verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
er mag ihn behalten, er ist sein eigen."

Der König spricht es und wirft von der Höh
der Klippe, die schroff und steil
hinaushängt in die unendliche See,
den Becher in der Charybte Geheul.
"Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
zu tauchen in diese Tiefe nieder?"

Und die Ritter, die Knappen um ihn her,
vernehmens und schweigen still,
sehen hinab in das wilde Meer,
und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum drittenmal wieder fraget:
"Ist keiner, der sich hinunterwaget?"

Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor,
und eine Edelknecht, sanft und keck,
tritt aus der Knappen zagendem Chor,
und den Gürtel wirft er, den Mantel weg,
und all die Männer umher und Frauen
auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.

Und wie er tritt an des Felsens Hang,
und blickt in den Schlund hinab,
die Wasser, die sie hinunterschlang,
die Charybte jetzt brüllend wiedergab,
und wie mit des fernen Donners Getose
entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt,
und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
und schwarz aus dem weißen Schaum
klafft hinunter ein gähnender Spalt,
grundlos als gings in den Höllenraum,
und reißend sieht man die brandenden Wogen
hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
der Jüngling sich Gott befiehlt,
und - ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört,
und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült;
und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer
schließt sich der Rachen, er zeigt sich nimmer.

Und stille wirds über dem Wasserschlund,
in der Tiefe nur brauset es hohl,
und bebend hört man von Mund zu Mund:
"Hochherziger Jüngling, fahre wohl!"
Und hohler und hohler hört mans heulen,
und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.

Und wärfst du die Krone selber hinein,
und sprächst: Wer mir bringet die Kron,
er soll sie tragen und König sein,
mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn.
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
das erzählt keine lebende glückliche Seele.

Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel gefaßt,
schoß gäh in die Tiefe hinab,
doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
hervor aus dem alles verschlingenden Grab -
und heller und heller wie Sturmessausen
hört mans näher und immer näher brausen.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
und Well auf Well sich ohn Ende drängt,
und wie mit des fernen Donners Getose
entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.

Und sieh! aus dem finster flutenden Schoß
da hebet sichs schwanenweiß,
und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß
und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß,
und er ists und hoch in seiner Linken
schwingt er den Becher mit freudigem Winken.

Und atmete lang und atmete tief,
und begrüßte das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem andern rief,
"Er lebt! Er ist da! Es behielt ihn nicht.
Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
hat der Brave gerettet die lebende Seele."

Und er kommt, es umringt ihn die jubelnde Schar,
zu des Königs Füßen er sinkt,
den Becher reicht er ihm knieend dar,
und der König der lieblichen Tochter winkt,
die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
und der Jüngling sich also zum König wandte:

"Lang lebe der König! Es freue sich,
wer da atmet im rosigten Licht!
Da unten aber ists fürchterlich,
und der Mensch versuche die Götter nicht,
und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen.

Es riß mich hinunter blitzesschnell,
da stürzt mir aus felsigtem Schacht,
wildflutend entgegen ein reißender Quell,
mich packt des Doppelstroms wütende Macht,
und wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen
trieb michs um, ich konnte nicht widerstehen.

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief,
in der höchsten schrecklichen Not,
aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
das erfaßt ich behend und entrann dem Tod,
und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
sonst wär er ins Bodenlose gefallen.

Denn unter mir lags noch bergetief,
in purpurner Finsternis da,
und obs hier dem Ohre gleich ewig schlief,
das Auge mit Schaudern hinuntersah,
wies von Salamandern und Molchen und Drachen
sich regt in dem furchtbaren Höllenrachen.

Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch,
zu scheußlichen Klumpen geballt,
der stachlichte Roche, der Klippenfisch,
des Hammers greuliche Ungestalt,
und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Und da hing ich und wars mir mit Grausen bewußt,
von der menschlichen Hilfe so weit,
unter Larven die einzige fühlende Brust,
allein in der gräßlichen Einsamkeit,
tief unter dem Schall der menschlichen Rede
bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und schaudernd dacht ichs, da krochs heran,
regte hundert Gelenke zugleich,
will schnappen nach mir, in des Schreckens Wahn
laß ich los der Koralle umklammerten Zweig,
gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben,
doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben."

Der König darob sich verwundert schier,
und spricht: "Der Becher ist dein,
und diesen Ring noch bestimm ich dir,
geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein,
versuchst dus noch einmal und bringst mir Kunde,
was du sahst auf des Meeres tief unterstem Grunde?"

Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
"Laßt Vater genug sein das grausame Spiel,
er hat Euch bestanden, was keiner besteht,
und könnt Ihr des Herzens Gelüsten nicht zähmen,
so mögen die Ritter den Knappen beschämen."

Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
in den Strudel ihn schleudert hinein:
"Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell,
so sollst du der trefflichste Ritter mir sein,
Und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen."

Da ergreifts ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
und es blitzt aus den Augen ihm kühn,
und er siehet erröten die schöne Gestalt,
und sieht sie erbleichen und sinken hin,
da treibts ihn, den köstlichen Preis zu erwerben,
und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
sie verkündigt der donnernde Schall,
da bückt sichs hinunter mit liebendem Blick,
es kommen, es kommen die Wasser all,
sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
den Jüngling bringt keines wieder.


Humboldt:
An Schiller. Dresden, den 9. Juli
Eine große Kunst an Ihrem Taucher liegt, dünkt mich, in der Verteilung der Handlung in ihre verschiednen Momente. Sie haben gerade nur da verweilt, wo es der Leser erwartet, und eilen da schnell, wo er selbst auf die Folge begierig ist. Eine sehr schöne Modifikation der Empfindung beginnt mit dem Erscheinen der Königstochter und überaus rührend ist der Schluß. Einzelne Stellen sind über allen Begriff groß. So vor allen die Beschreibung dieser untern Regionen, der Vers: "Lang lebe der König usw." und dann "Unter Larven die einzige fühlende Brust usw." Man fühlt mit unwiderstehlicher Gewalt die Entfernung von allen menschlichen, sprechenden, empfindenden Wesen. Prächtig ist auch die Schilderung des Strudels selbst, und sehr malerisch das Emporkommen des Jünglings. Oft haben Sie schon durch die Wahl eines passenden Beiworts einen so großen Effekt hervorgebracht. So das "rosigte Licht", "mit emsigem Fleiß", "die Tochter mit weichem Gefühl" usf. "die lebende Seele". Das Silbenmaß ist vortrefflich und sehr passend behandelt.

Da alle Schilderungen in Ihrem Taucher eine so große Wahrheit haben, so wollte ich, daß Sie die Molche und Salamander aus dem Grunde des Meers wegbrächten. Sie sind zwar Amphibien, wohnen indes nie in der Tiefe und mehr nur in Sümpfen. Mit den Drachen kann man schon liberaler umgehn, da sie mehr ein Geschöpf der Fabel und der Phantasie sind.

Körner:
An Schiller. Dresden, den 9. Juli
Bei einem einzigen Beiworte -- purpurne Finsternis -- habe ich gestutzt, und dies auch bei andern bemerkt. Ich weiß, daß die Alten einen solchen Ausdruck gebrauchen, aber hier trägt er, däucht mich, nichts zur Darstellung bei und erweckt störende Nebenideen.

Minna erklärt sich für die purpurne Finsternis. Sie hat bei Anfällen von Schwindel oft das Gefühl gehabt, daß ihr dunkle Gegenstände violett erschienen sind. Vom Schwindel weiß ich nun nichts. Auch gefällt ihr die Pracht in dem Ausdrucke, die ich zwar auch erkenne, die ich aber doch nicht dulden würde, wenn sich dies Beiwort nicht rechtfertigen läßt.

Schiller:
an Körner. Jena 21. Juli
Wegen der purpurnen Finsternis brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Ob ich gleich der Minna dafür danke, daß sie mir ihre Schwindelerfahrung zum Succurs schickte, so komme ich und mein Taucher doch auch ohne das aus, das Beiwort ist gar nicht müßig, der Taucher sieht wirklich unter der Glasglocke die Lichter grün und die Schatten purpurfarb. Eben darum lass ich ihn wieder umgekehrt, wenn er aus der Tiefe heraus ist, das Licht rosigt nennen, weil diese Erscheinung nach einem vorhergegangenen grünlichten Scheine so erfolgt.

Sprecher:
Hier wird die unterschiedliche Natur der Briefeschreiber sehr deutlich. Humboldt urteilt philosophisch-tiefgründig, Goethe gibt poetische Ratschläge, während Körner überwiegend praktisch argumentiert.

Am 16. Juni kehrte Goethe nach Weimar zurück in der Absicht, schleunigst nach Italien abzureisen. Humboldt hatte bereits Ende April Jena verlassen und eine Bildungsreise nach Italien angetreten. Der Einmarsch französischer Truppen in Norditalien zwingt jedoch beide, ihre Reisepläne zu ändern. Humboldt wendet sich mit seiner Familie Paris zu, und Goethe gelangt nur bis in die Schweiz.

Daß beide Freunde für längere Zeit Schillers Kreis verlassen sollten, war für Schiller -- der wegen seiner labilen Gesundheit ans Haus gebunden war -- bitter.

Schiller:
An Goethe. Jena, den 18. Juni 1797, Sonntag
Seit Ihrer Entfernung habe ich schon einen Vorgeschmack der großen Einsamkeit, in die mich Ihre völlige Abreise versetzen wird. Glücklicherweise ist mir das Wetter jetzt günstig und ich kann viel im Freien leben. ...Doch habe ich auch etwas weniges poetisiert: ein kleines Nachstück zum Taucher...

Die Entscheidung, ob Sie weiter gehen werden als nach der Schweiz, ist auch mir wichtig und ich erwarte sie mit Ungeduld. Je mehr Verhältnissen ich jetzt abgestorben bin, einen desto größeren Einfluß haben die wenigen auf meinen Zustand, und den entscheidensten hat Ihre lebendige Gegenwart. Die letzten
4 Wochen haben wieder vieles in mir bauen und gründen helfen. Sie gewöhnen mir immer mehr die Tendenz ab (die in allem Praktischen, besonders Poetischen eine Unart ist) vom Allgemeinen zum Individuellen zu gehen, und führen mich umgekehrt von einzelnen Fällen zu großen Gesetzen fort. Der Punkt ist immer klein und eng, von dem Sie auszugehen pflegen, aber er führt mich ins Weite, und macht mir dadurch, in meiner Natur, wohl, anstatt daß ich auf dem andern Weg, dem ich, mir selbst überlassen, so gerne folge, immer vom Weiten ins Enge komme, und das unangenehme Gefühl habe, mich am Ende ärmer zu sehen als am Anfang...

Leben Sie recht wohl. Ich sehne mich, bald wieder von Ihnen zu hören.

Goethe:
An Schiller. Weimar, den 21. Juni
Der Handschuh ist ein sehr glücklicher Gegenstand und die Ausführung gut geraten; wir wollen ja dergleichen Gegenstände, die uns auffallen, künftig gleich benutzen. Hier ist die ganz reine Tat, ohne Zweck oder vielmehr im umgekehrten Zweck, was so sonderbar wohl gefällt.

Wir haben in den letzten 4 Wochen theoretisch und praktisch wirklich wieder schöne Fortschritte getan, und wenn meine Natur die Wirkung hat, die Ihrige ins Begrenzte zu ziehen, so habe ich durch Sie den Vorteil, daß ich auch wohl manchmal über meine Grenzen hinausgezogen werde, wenigstens, daß ich nicht so lange mich auf einem so engen Fleck herumtreibe... Ich lege den Handschuh wieder bei, der zum Taucher wirklich ein artiges Nach- und Gegenstück macht, und durch sein eignes Verdienst das Verdienst jener Dichtung um so mehr erhöht.

Leben Sie recht wohl und lassen bald von sich hören.


Der Handschuh
Friedrich Schiller

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Ringsum,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behend,
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor,
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend,
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wirds still,
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern sich die greulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leun
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
"Herr Ritter, ist eure Lieb so heiß
Wie ihr mirs schwört zu jeder Stund,
Ei so hebt mir den Handschuh auf."

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbaren Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehens die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er der Handschuh zurück,
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
Aber mit zärtlichem Liebesblick -
Er verheißt ihm sein nahes Glück -
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
"Den Dank, Dame, begehr ich nicht",
Und verläßt sie zur selben Stunde.


Humboldt:
An Schiller. Dresden, den 9. Juli
Dem Handschuh, der unter den Händen jedes andern Dichters nur hübsch und artig geworden sein würde, haben Sie etwas Großes gegeben durch die prächtige Beschreibung der Tiere. Sie haben darin Ihrem Liebling, dem Löwen, ein Denkmal gestiftet. Außerdem ist das Silbenmaß unnachahmlich schön, und die Abwechslung der ganz kurzen und längeren Verse tut eine vortreffliche Wirkung.

Körner:
An Schiller. Dresden, den 11. Juli
Ich habe wieder großen Genuß an Deinen Balladen gehabt. Besonders ist der Taucher köstlich, auch lieb ich den Handschuh sehr, wo besonders im Versbau eine eigne Kunst gebraucht ist. Diese Gedichte sind wieder Bestätigungen meines Satzes, daß Du Dich nur Deiner Phantasie zu überlassen brauchst, ohne sie durch übersinnliche Ideen zu stören, um Dich von Deinem Dichterberuf zu überzeugen. Hier ist das Objekt mit aller Klarheit, Lebendigkeit und Pracht. Solche Gedichte setzen keine Bekanntschaft mit besondern Ideen voraus, sie wirken allgemein, und befriedigen deswegen den gebildetern Leser nicht weniger.

Sprecher:
Die Arbeit ging nun immer leichter von der Hand.

Die literarische Welt, die auf die beiden Dichter spätestens seit den Xenien nicht mehr gut zu sprechen war, hoffte, daß sich die beiden im Konkurrenzkampf entzweien würden.

Ihre Hoffnungen wurden jedoch enttäuscht. Schiller und Goethe standen nicht in Konkurrenz, sondern in fruchtbarer Wechselbeziehung. Sie beflügelten sich gegenseitig.

Goethe schätzte Schillers Balladen sehr hoch und er verteidigte sie gegen jegliche Kritik, auch gegenüber Schiller selbst.

So schreibt er z.B. an Körner am 20. Juli:

Goethe:
Sie haben durch Schillern erfahren, daß wir uns im Balladenwesen und Unwesen herumtreiben. Die seinigen sind ihm, wie Sie schon wissen, sehr geglückt; ich wünsche, daß die meinigen einigermaßen darneben stehen dürfen: er ist zu dieser Dichtart in jedem Sinne mehr berufen als ich.

Sprecher:
Bereits eine Woche nach dem Handschuh konnte Schiller den "Ring des Polykrates" an Goethe schicken. Dieser hatte in der Zwischenzeit den "Zauberlehrling" komponiert. In diesem Gedicht nahm er die sogenannten Anti-Xenisten aufs Korn. Die Xenien waren Zweizeiler, mit denen Schiller und Goethe mit der gesamten gebildeten Gesellschaft abgerechnet hatten. Und die gebildete Welt antwortete wutschäumend und -- kleingeistig. Ihre Erwiderungen gipfelten in Widmung wie "An die Sudelköche von Jena und Weimar" -- gemeint waren Schiller und Goethe. Goethes Antwort darauf war der Zauberlehrling.

Der Zauberlehrling
Johann Wolfgang Goethe:

Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
merkt ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Wunder auch.

Walle! walle
manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
bist schon lange Knecht gewesen;
nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
oben sei ein Kopf,
eile nun und gehe
mit dem Wassertopf!

Walle! walle
manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder;
wahrlich! ist schon an dem Flusse,
und mit Blitzesschnelle wieder
ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweitenmale!
wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
Denn wir haben
deiner Gaben
vollgemessen! -
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!
Ach das Wort, worauf am Ende
er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
bringt er schnell herein,
ach! und hundert Flüsse
stürzen auf mich ein.

Nein, nicht länger
kann ichs lassen;
will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Mine! welche Blicke!

Oh, du Ausgeburt der Hölle!
soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
steh doch wieder still!

Willst am Ende
gar nicht lassen?
Will dich fassen,
will dich halten,
und das alte Holz behende
mit dem scharfen Beile spalten.

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
gleich, o Kobold, liegst du nieder;
krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
stehn in Eile
schon als Knechte
völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Naß und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! -
Ach da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
werd ich nun nicht los.

"In die Ecke,
Besen! Besen!
seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
erst hervor der alte Meister."


Sprecher:
Zu dem Gedicht "Der Ring des Polykrates" ließ sich Schillerm von einer klassischen Vorlage inspirieren. Er fand sie im dritten Buch des Herodot, der berichtet, wie dem Tyrannen von Samos, Polykrates, alles wohlgelang, so daß er seinen Herrschaftsbereich beständig ausbauen konnte. Amasis, König von Ägypten, schrieb folgenden Brief an Polykrates: "Mir gefallen deine großen, glückhaften Erfolge nicht, da ich weiß, daß die Gottheit eifersüchtig ist. Denn ich habe noch nie von jemandem erzählen gehört, der in allem Glück gehabt und nicht zuletzt ein schlimmes Ende genommen hätte. Und er rät ihm, sein wertvollstes Besitztum wegzuwerfen, "und zwar so, daß es nie mehr in menschliche Hände kommt".

Polykrates fand in der Tat ein schmähliches Ende. Er wurde von dem Perser Oroites an dessen Hof gelockt und, so Herodot, "auf nicht wiederzugebende Weise umgebracht und ans Kreuz geschlagen".

Der Ring des Polykrates
Friedrich Schiller

Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf das beherrschte Samos hin.
"Dies alles ist mir untertänig",
Begann er zu Ägyptens König,
"Gestehe, daß ich glücklich bin."

"Du hast der Götter Gunst erfahren!
Die vormals deinesgleichen waren,
Sie zwingt jetzt deines Zepters Macht.
Doch einer lebt noch, sie zu rächen,
Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
Solang des Feindes Auge wacht."

Und eh der König noch geendet,
Da stellt sich, von Milet gesendet,
Ein Bote dem Tyrannen dar:
"Laß, Herr! des Opfers Düfte steigen
Und mit des Lorbeers muntern Zweigen
Bekränze dir dein festlich Haar.

Getroffen sank dein Feind vom Speere,
Mich sendet mit der frohen Märe
Dein treuer Feldherr Polydor - "
Und nimmt aus einem schwarzen Becken,
Noch blutig, zu der beiden Schrecken,
ein wohlbekanntes Haupt hervor.

Der König tritt zurück mit Grauen:
"Doch warn ich dich dem Glück zu trauen",
Versetzt er mit besorgtem Blick.
"Bedenk, auf ungetreuen Wellen,
Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen,
Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück."

Und eh er noch das Wort gesprochen,
Hat ihn der Jubel unterbrochen,
Der von der Reede jauchzend schallt.
Mit fremden Schätzen reich beladen,
Kehrt zu den heimische Gestaden
Der Schiffe mastenreicher Wald.

Der königliche Gast erstaunet:
"Dein Glück ist heute gut gelaunet,
Doch fürchte seinen Unbestand.
Der Kreter waffenkundge Scharen
Bedräuen dich mit Kriegsgefahren,
Schon nahe sind sie diesem Strand."

Und eh ihm noch das Wort entfallen,
Da sieht mans von den Schiffen wallen,
Und tausend Stimmen rufen "Sieg!
Von Feindesnot sind wir befreiet,
Die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
Vorbei, geendet ist der Krieg."

Das hört der Gastfreund mit Entsetzen:
"Fürwahr, ich muß dich glücklich schätzen,
Doch", spricht er, "zittr ich für dein Heil.
Mir grauet vor der Götter Neide,
Des Lebens ungemischte Freude
Ward keinem Irdischen zuteil.

Auch mir ist alles wohlgeraten,
Bei allen meinen Herrschertaten
Begleitet mich des Himmels Huld,
Doch hatt ich einen treuen Erben,
Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben,
Dem Glück bezahlt ich meine Schuld.

Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
So flehe zu den Unsichtbaren,
Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch keinen sah ich fröhlich enden,
Auf den mit immer vollen Händen
Die Götter ihre Gaben streun.

Und wenns die Götter nicht gewähren,
So acht auf eines Freundes Lehren
Und rufe selbst das Unglück her,
Und was von allen deinen Schätzen
Dein Herz am höchsten mag ergötzen,
Das nimm und wirfs in dieses Meer."

Und jener spricht, von Furcht beweget:
"Von allem, was die Insel heget,
Ist dieser Ring mein höchstes Gut.
Ihn will ich den Erinnien weihen,
Ob sie mein Glück mir dann verzeihen."
Und wirft das Kleinod in die Flut.

Und bei des nächsten Morgens Lichte,
Da tritt mit fröhlichem Gesichte
ein Fischer vor den Fürsten hin:
"Herr, diesen Fisch hab ich gefangen,
Wie keiner noch ins Metz gegangen,
Dir zum Geschenke bring ich ihn."

Und als der Koch den Fisch zerteilet,
Kommt er bestürzt herbeigeeilet
Und ruft mit hocherstauntem Blick:
"Sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
Ihn fand ich in des fisches Magen,
O, ohne Grenzen ist den Glück!"

Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
"So kann ich hier nicht ferner hausen,
Mein Freund kannst du nicht weiter sein.
Die Götter wollen dein Verderben,
Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben."
Und sprachs und schiffte schnell sich ein.

(Der Herrscher von Samos, auf den sich Schiller in
dieser Ballade bezieht, wurde 524 vor Christi Geburt,
nach Unterwerfung und Gefangennahme durch die Perser,
gekreuzigt.)

Humboldt:
An Schiller. Dresden, den 9. Juli
Ich habe jetzt Ihre Balladen recht oft gelesen, und unglaubliche Freude daran gehabt. Es hat mich unendlich interessiert zu sehen, wie Ihr Geist jeder neuen Gattung, die er behandelt, eine eigne Gestalt zu geben versteht. In dem Taucher und im Handschuh ist dies über alles sichtbar, und auch im Polykrates.
Der Ring des Polykrates ist sehr leicht und lebendig erzählt. Auch verfehlt die Nemesis, die durchaus darin waltet, ihre Wirkung nicht. Indes macht er doch in der Zusammenstellung mit den beiden andern Stücken einen weniger tiefen Eindruck.
Von Goethens Beiträgen schreibe ich ihm selbst einmal ausführlicher. Der Gott und die Bajadere trägt auch bei mir den Preis davon. Doch liebe ich auch die Braut von Korinth sehr. Sie kleidet die nordische Gespensterwelt so schön in griechische Anmut. Die Li hat besonderes Gefallen am Zauberlehrling und es ist wahr, daß der alte Besen charmant ist.

Goethe:
An Schiller. Weimar, den 27. Juni, Dienstag
Der Ring des Polykrates ist sehr gut dargestellt. Der königliche Freund, vor dessen, wie vor des Zuhörers Augen alles geschieht und der Schluß, der die Erfüllung in Suspenso läßt, alles ist sehr gut. Ich wünsche, daß mir mein Gegenstück ebenso geraten möge!

Sprecher:
Das "Gegenstück" waren die Kraniche des Ibykus, an denen Goethe begonnen hatte zu arbeiten. Drei Wochen später, während Schillers Besuch bei ihm in Weimar, trat er das Motiv an Schiller ab. Das war nicht ungewöhnlich. Später wird das gleiche mit "Wilhelm Tell" passieren. Am 21. Juli, drei Tage nach Schillers Abreise aus Weimar, schreibt Goethe:.

Goethe:
An Schiller. Weimar, den 21. Juli
Sie hätten mir zum Abschiede nichts Erfreulicheres und Heilsameres geben können, als Ihren Aufenthalt der letzten acht Tage, ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich diesmal unser Zusammensein wieder für sehr fruchtbar halte, es hat sich so manches für die Gegenwart entwickelt und für die Zukunft vorbereitet, daß ich mit mehr Zufriedenheit abreise, indem ich unterwegs recht tätig zu sein hoffe und bei meiner Rückkunft Ihrer Teilnehmung wieder entgegen sehe. Wenn wir so fortfahren, verschiedene Arbeiten gleichzeitig durchzuführen, und, indem wir die größeren sachte fortleiten, uns durch kleinere immer aufmuntern und unterhalten, so kann noch manches zu stande kommen.
Hier ist Ihr Polykrates zurück, ich wünsche, daß die Kraniche mir bald nachziehen mögen.

Schiller:
An Goethe. Jena 21. Juli, Freitag
Ich kann nie von Ihnen gehen, ohne daß etwas in mir gepflanzt worden wäre, und es freut mich, wenn ich für das viele, was Sie mir geben, Sie und Ihren innern Reichtum in Bewegung setzen kann. Ein solches auf wechselseitige Perfektibilität gebautes Verhältnis muß immer frisch und lebendig bleiben, und gerade desto mehr an Mannigfaltigkeit gewinnen, je harmonischer es wird und je mehr die Entgegensetzung sich verliert, welche bei so vielen andern allein die Einförmigkeit verhindert. Ich darf hoffen, daß wir uns nach und nach in allem verstehen werden, wovon sich Rechenschaft geben läßt, und in demjenigen, was seiner Natur nach nicht begriffen werden kann, werden wir uns durch die Empfindung nahe bleiben.

Die Nachrichten von Ihnen werden in die einfache Existenz, auf die ich jetzt eingeschränkt bin, einen fruchtbaren Wechsel bringen, und außer dem Neuen, was sie mir zuführen, auch das Alte, was unter uns verhandelt worden, wieder in mir lebendig machen. Und so leben Sie wohl und denken mein, so wie Sie uns immer gegenwärtig sein werden. Meine Frau sagt Ihnen herzlich Lebewohl.

Goethe:
An Schiller. Weimar, den 22. Juli
Wollten Sie mir Ihren Taucher, Polykrates und Handschuh wohl nochmals abschreiben lassen, meine Abschriften habe ich an Meyer geschickt, vielleicht fänden sich aber doch unterwegs einige gute Christen- und Heidenseelen, denen man so etwas vorlesen möchte.

Sprecher:
Am 30. Juli brach Goethe auf, er sollte erst nach vier Monaten wieder zurückkehren. Schiller stellte am 31. Juli Ritter Toggenburg fertig.

Ritter Toggenburg
Friedrich Schiller

"Ritter, treue Schwesternliebe
widmet Euch dies Herz,
fordert keine andre Liebe,
denn es macht mir Schmerz.
Ruhig mag ich Euch erscheinen,
ruhig gehen sehn.
Eurer Augen stilles Weinen
kann ich nicht verstehn."

Und er hörts mit stummem Harme,
reißt sich blutend los,
preßt sie heftig in die Arme,
schwingt sich auf sein Roß,
schickt zu seinen Mannen allen
in dem Lande Schweiz,
nach dem heilgen Grab sie wallen,
auf der Brust das Kreuz.

Große Taten dort geschehen
durch der Helden Arm,
ihres Helmes Büsche wehen
in der Feinde Schwarm,
und des Toggenburgers Name
schreckt den Muselmann,
doch das Herz von seinem Grame
nicht genesen kann.

Und ein Jahr hat ers getragen,
trägts nicht länger mehr,
Ruhe kann er nicht erjagen,
und verläßt das Heer,
sieht ein Schiff an Joppes Strande,
das die Segel bläht,
schiffet heim zum teuren Lande,
wo ihr Atem weht.

Und an ihres Schlosses Pforte
klopft der Pilger an,
ach! und mit dem Donnerworte
wird ihm aufgetan:
"Die Ihr suchet, trägt den Schleier,
ist der Himmels Braut,
gestern war der Tag der Feier
der sie Gott getraut."

Da verlässet er auf immer
seiner Väter Schloß,
seine Waffen sieht er nimmer,
noch sein treues Roß,
von der Toggenburg hernieder
steigt er unbekannt,
denn es deckt die edlen Glieder
härenes Gewand.

Und erbaut sich eine Hütte
jener Gegend nah,
wo das Kloster aus der Mitte
düstrer Linden sah;
harrend von des Morgens Lichte
bis zu Abends Schein,
stille Hoffnung im Gesichte,
saß er da allein.

Blickte nach dem Kloster drüben,
blickte stundenlang
nach dem Fenster seiner Lieben,
bis das Fenster klang,
bis die Liebliche sich zeigte,
bis das teure Bild
sich ins Tal herunterneigte,
ruhig, engelmild.

Und dann legt er froh sich nieder,
schlief getröstet ein,
still sich freuend, wenn es wieder
morgen würde sein.
Und so saß er viele Tage,
saß viel Jahre lang,
harrend ohne Schmerz und Klage,
bis das Fenster klang.

Bis die Liebliche sich zeigte,
bis das teuer Bild
sich ins Tal herunterneigte,
ruhig, engelmild.
Und so saß er, eine Leiche,
eines Morgens da,
nach dem Fenster noch das bleiche
stille Antlitz sah.


* * * * * PAUSE * * * * *


Sprecher:
Nachdem Sie im ersten Teil des Abends schon einen Großteil der Balladen von Schiller und Goethe aus dem Jahr 1797 gehört haben, wollen wir jetzt den beiden Dichtern bei der Arbeit zuschauen.

Schiller mußte sich mit Hochdruck dem Musenalmanach für das Jahr 1798 widmen, der zur Michaelismesse in Frankfurt Ende September vorliegen sollte. Außerdem waren beständig Gedichte und Aufsätze für seine Monatszeitschrift "Die Horen" zu sichten und zu bearbeiten, die dort neben eigenen Arbeiten veröffentlicht wurden. Der "Wallenstein" mußte weitergeschrieben und ein neues großes Werk, die "Glocke", begonnen werden.
Die Balladen, das machen zahlreiche Bemerkungen deutlich, dienten der Zerstreuung und Entspannung.
Auch Goethes Aufmerksamkeit lag nicht bei den "Erzählgedichten", wie er sie oft nannte, sondern beim Faust; einige lyrische Gedichte wie "An Mignon" wurden fertig und er beschäftigte sich außederm intensiv mit der Gesteinskunde. Gleichzeitig teilte er mit Schiller Studien zur Architektur und Bildhauerei; verschiedene Aufsätze über den Laokoon wurden ausgetauscht und ausführlich debattiert.
Außerdem gab es die täglichen Pflichten als da waren: Briefeschreiben, Besucher empfangen usw.
Goethe hatte zusätzlich viele staatsmännische Aufgaben und Pflichten wahrzunehmen. Beide Dichter bewältigten jeden Tag ein ungeheures Arbeitspensum.
Mitte August ist die erste Fassung der "Kraniche des Ibykus" fertig. Da Goethe sich auf Reisen befindet, wird diese Ballade ausschließlich im Briefwechsel besprochen.
Jetzt können wir den Dichtern in die Werkstatt sehen, können den Entstehungsprozeß dieser Ballade, die unstreitig zu den schönsten dieser gesamten poetischen Gattung gehört, verfolgen. Es ist ein Beispiel dafür, wie Goethe und Schiller zusammenarbeiteten, wie das jeweilige Werk entstand, durch die Kritik des anderen verbessert wurde und langsam seine endgültige Gestalt annahm.

Schiller:
An Goethe. Jena, 17. August
Endlich erhalten Sie den Ibykus. Möchten sie damit zufrieden sein. Ich gestehe, daß ich bei näherer Besichtigung des Stoffes mehr Schwierigkeiten fand, als ich anfangs erwartete, indes däucht mir, daß ich sie größtenteils überwunden habe. Die zwei Hauptpunkte, worauf es ankan, schienen mir erstlich eine Kontinuität in die Erzählung zu bringen, welche die rohe Fabel nicht hatte, und zweitens die Stimmung für den Effekt zu erzeugen. Die letzte Hand habe ich noch nicht daran legen können, da ich erst gestern abend fertig geworden, und es liegt mir zu viel daran, daß Sie die Ballade bald lesen, um von Ihren Erinnerungen noch Gebrauch machen zu können. Das angenehmste wäre mir zu hören, daß ich in wesentlichen Punkten Ihnen begegne.

Die Kraniche des Ibykus
Friedrich Schiller

Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
der auf Korinthus Landesenge
der Griechen Stämme froh vereint,
zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
der Lieder süßen Mund Apoll;
so wandert er, an leichtem Stabe,
aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken,
und in Poseidons Fichtenhain
tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme
von Kranichen begleiten ihn,
die fernhin nach des Südens Wärme
in graulichtem Geschwader ziehn.

"Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen,
die mir zur See Begleiter waren!
Zum guten Zeichen nehm ich euch,
mein Los, es ist dem euren gleich:
Von fern her kommen wir gezogen
und flehen um ein wirtlich Dach.
Sei uns der Gastliche gewogen,
der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"

Und munter fördert er die Schritte
und sieht sich in des Waldes Mitte -
da sperren, auf gedrangem Steg,
zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muß er sich bereiten,
doch bald ermattet sinkt die Hand,
sie hat der Leier zarte Saiten,
doch nie des Bogens Kraft gespannt.

Er ruft die Menschen an, die Götter,
sein Flehen dringt zu keinem Retter,
wie weit er auch die Stimme schickt,
nichts Lebendes wird hier erblickt.
"So muß ich hier verlassen sterben,
auf fremdem Boden, unbeweint,
durch böser Buben Hand verderben,
wo auch kein Rächer mir erscheint!"


Und schwer getroffen sinkt er nieder,
da rauscht der Kraniche Gefieder,
er hört, schon kann er nicht mehr sehn,
die nahen Stimmen furchtbar krähn.
"Von euch, ihr Kraniche dort oben,
wenn keine andre Stimme spricht,
sei meines Mordes Klag erhoben!"
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden,
und bald, obgleich entstellt von Wunden,
erkennt der Gastfreund in Korinth
die Züge, die ihm teuer sind.
"und muß ich so dich wiederfinden,
und hoffte mit der Fichte Kranz
des Sängers Schläfe zu umwinden,
bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

Und jammernd hörens alle Gäste,
versammelt bei Poseidons Feste,
ganz Griechenland ergreift der Schmerz,
verloren hat ihn jedes Herz;
und stürmend drängt sich zum Prytanen
das Volk, es fordert seine Wut,
zu rächen des Erschlagnen Manen,
zu sühnen mit des Mörders Blut.

Doch wo die Spur, die aus der Menge,
der Völker flutendem Gedränge,
gelocket von der Spiele Pracht,
den schwarzen Täter kenntlich macht?
Sinds Räuber, die ihn feig erschlagen?
Tats neidisch ein verborgner Feind?
Nur Helios vermags zu sagen,
der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte
jetzt eben durch der Griechen Mitte,
und während ihn die Rache sucht,
genießt er seines Frevels Frucht;
auf ihres eignen Tempels Schwelle
trozt er vielleicht den Göttern, mengt
sich dreist in jene Menschenwelle,
die dort sich zum Theater drängt.

Denn Bank an Bank gedränget sitzen,
es brechen fast der Bühne Stützen,
herbeigeströmt von fern und nah,
der Griechen Völker wartend da;
dumpfbrausend wie des Meeres Wogen,
von Menschen wimmelnd, wächst der Bau
in weiter stets geschweiftem Bogen
hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
die gastlich hier zusammenkamen?
Von Cekrops Stadt, von Aulis Strand,
von Phocis, vom Spartanerland,
von Asiens entlegner Küste,
von allen Inseln kamen sie
und horchen von dem Schaugerüste
des Chores grauser Melodie,

der, streng und ernst, nach alter Sitte,
mit langsam abgemessnem Schritte
hervortritt aus dem Hintergrund,
umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine irdschen Weiber,
die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
hoch über Menschliches hinaus.

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,
sie schwingen in entfleischten Händen,
der Fackel düsterrote Glut,
in ihren Wangen fließt kein Blut;
und wo die Haare lieblich flattern,
um Menschenstirnen freundlich wehn,
da sieht man Schlangen hier und Nattern
die giftgeschwollen Bäuche blähn.

Und schauerlich gedreht im Kreise
beginnen sie des Hymnus Weise,
der durch das Herz zerreißend dringt,
die Bande um den Frevler schlingt.
Besinnungsraubend, herzbetörend
schallt der Erinnyen Gesang,
er schallt, des Hörers Mark verzehrend,
und duldet nicht der Leier Klang:

"Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
des Mordes schwere Tat vollbracht!
Wir heften uns an seine Sohlen,
das furchtbare Geschlecht der Nacht.

Und glaubt er fliehend zu entspringen,
geflügelt sind wir da, die Schlingen
ihm werfend um den flüchtgen Fuß,
daß er zu Boden fallen muß.
So jagen wir ihn ohn Ermatten,
versöhnen kann uns keine Reu,
ihn fort und fort bis zu den Schatten,
und geben ihn auch dort nicht frei."

So singend tanzen sie den Reigen,
und Stille wie des Todes Schweigen
liegt überm ganzen Hause schwer,
als ob die Gottheit nahe wär.
Und feierlich, nach alter Sitte,
umwandelnd des Theaters Rund,
mit langsam abgemeßnem Schritte
verschwinden sie im Hintergrund.

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
noch zweifelnd jede Brust und bebet
und huldiget der furchtbarn Macht,
die richtend im Verborgnen wacht,
die unerforschlich, unergründet
des Schicksals dunkeln Knäuel flicht,
dem tiefen Herzen sich verkündet,
doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

Da hört man auf den höchsten Stufen
auf einmal eine Stimme rufen:
"Sieh da! Sieh da, Timotheus,
die Kraniche des Ibykus!" -
Und finster plötzlich wird der Himmel,
und über dem Theater hin
sieht man, in schwärzlichem Gewimmel,
ein Kranichheer vorüberziehn.

"Des Ibykus!" - Der teure Name
rührt jede Brust mit neuem Grame,
und wie im Meere Well auf Well,
so läufts von Mund zu Munde schnell:
"Des Ibykus, den wir beweinen,
den eine Mörderhand erschlug!
Was ists mit dem? Was kann er meinen?
Was ists mit diesem Kranichzug?"

Und lauter immer wird die Frage,
und ahnend fliegts mit Blitzesschlage
durch alle Herzen: "Gebet acht,
das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
der Mörder bietet selbst sich dar!
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen,
und ihn, an dens gerichtet war!"

Doch dem war kaum das Wort entfahren,
möcht ers im Busen gern bewahren;
umsonst! Der schreckenbleiche Mund
macht schnell die Schuldbewußten kund.
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
die Szene wird zum Tribunal,
und es gestehn die Bösewichter,
getroffen von der Rache Strahl.


Sprecher:
Was Sie eben hörten, ist die Endfassung der "Kraniche des Ibykus" und nicht die erste Fassung, die Schiller an Goethe schickte. Sie ist leider verschollen.

Man kann sich aber ein Bild davon machen, wie sie ausgesehen hat, wenn man die Diskussion zwischen Schiller und Goethe darüber verfolgt. Und diesmal ist sie -- Gottseidank -- in den Briefen erhalten geblieben.

Treten Sie also jetzt ein in die Werkstatt der beiden großen Dichter!"

Goethe:
Frankfurt, 22. bis 24. August, Dienstag bis Donnerstag
Die Kraniche des Ibykus finde ich sehr gut geraten, der Übergang zum Theater ist sehr schön, und das Chor der Eumeniden am rechten Platze. Da diese Wendung einmal erfunden ist, so kann nun die ganze Fabel nicht ohne dieselbe bestehen, und ich würde, wenn ich an meine Bearbeitung noch denken möchte, diesen Chor gleichfalls aufnehmen müssen.
Nun auch einige Bemerkungen:
der Kraniche sollten, als Zugvögel, ein ganzer Schwarm sein, die sowohl über den Ibykus als über das Theater wegfliegen, sie kommen als Naturphänomen und stellen sich so neben die Sonne und andere regelmäßige Erscheinungen. Auch wird das Wunderbare dadurch weggenommen, indem es nicht eben dieselben zu sein brauchen, es ist vielleicht nur eine Abteilung des großen, wandernden Heeres und das Zufällige macht eigentlich, wie mich dünkt, das Ahndungsvolle und Sonderbare in der Geschichte.
Dann würde ich nach dem 14. Verse, wo die Erinnyen sich zurückgezogen haben, noch einen Vers einrücken, um die Gemütsstimmung des Volkes, in welche der Inhalt des Chors sie versetzt, darzustellen und von den ernsten Betrachtungen der Guten, zu der gleichzeitigen Zerstreuung der Ruchlosen übergehen, und dann den Mörder zwar dumm, roh und laut, aber doch nur dem Kreise der Nachbarn vernehmlich, seine gaffende Bemerkung ausrufen lassen, daraus entständen zwischen ihm und den nächsten Zuschauern Händel, dadurch würde das Volk aufmerksam usw. Auf diesem Weg, so wie durch den Zug der Kraniche, würde alles ganz ins Natürliche gespielt und nach meiner Empfindung die Wirkung erhöht, da jetzt der 15. Vers zu laut und bedeutend anfängt und man fast etwas anders erwartet. Wenn Sie hie und da an den Reim noch einige Sorgfalt wenden, so wird das übrige leicht getan sein. Und ich wünsche Ihnen auch zu dieser wohlgeratnen Arbeit Glück.
Frankfurt, den 23. August
Zu dem, was ich gestern über die Ballade gesagt, muß ich noch heute etwas zu mehrerer Deutlichkeit hinzufügen: Ich wünschte, da Ihnen die Mitte so sehr gelungen, daß Sie auch noch an die Exposition einige Verse wendeten, da das Gedicht ohnehin nicht lang ist. Meo voto würden die Kraniche schon von dem wandernden Ibykus erblickt, sich, als Reisenden, verglich er mit den reisenden Vögeln, sich, als Gast, mit den Gästen, zöge daraus eine gute Vorbedeutung. Und rief alsdann unter den Händen der Mörder die schon bekannten Kraniche, seine Reisegefährten, als Zeugen an. Ja, wenn man es vorteilhaft fände, so könnte er diese Züge schon bei der Schiffahrt gesehen haben.
Sie sehen, was ich gestern schon sagte, daß es mir darum zu tun ist, aus diesen Kranichen ein langes und breites Phänomen zu machen, welches sich wieder mit dem langen verstrickenden Faden der Eumeniden, nach meiner Vorstellung, gut verbinden würde. Was den Schluß betrifft, habe ich gestern schon meine Meinung gesagt. Übrigens hatte ich in meiner Anlage nichts weiter, was Sie in Ihrem Gedicht brauchen können.

Schiller:
Jena, 30. August
Vor einigen Augenblicken trifft Ihr letzter Brief ein zu unsrer unerwarteten großen Freude. Herzlichen Dank für das, was Sie mir über den Ibykus sagen, und was ich von Ihren Winken befolgen kann, geschieht gewiß. Es ist mir bei dieser Gelegenheit wieder recht fühlbar, was eine lebendige Erkenntnis und Erfahrung doch beim Erfinden so viel tut. Mir sind die Kraniche nur aus wenigen Gleichnissen, zu denen sie Gelegenheit gaben, bekannt und dieser Mangel einer lebendigen Anschauung machte mich hier den schönen Gebrauch übersehen, der sich von diesem Naturphänomen machen läßt. Ich werde suchen, diesen Kranichen, die doch einmal die Schicksalshelden sind, eine größere Breite und Wichtigkeit zu geben. Wie ich den Übergang zu dem Ausrufe des Mörders anders machen soll, ist mir sogleich nicht klar, obgleich ich fühle, daß hier etwas zu tun ist. Doch bei der ersten guten Stimmung wird sichs vielleicht finden.


Jena, 7. und 8. September, Donnerstag und Freitag
Mit dem Ibykus habe ich nach Ihrem Rat wesentliche Veränderungen vorgenommen, die Exposition ist nicht mehr so dürftig, der Held der Ballade interessiert mehr, die Kraniche füllen die Einbildungskraft auch mehr und bemächtigen sich der Aufmerksamkeit genug, um bei ihrer letzten Erscheinung, durch das Vorhergehende, nicht in Vergessenheit gebracht zu sein.
Was aber Ihre Erinnerung in Rücksicht auf die Entwicklung betrifft, so war es mir unmöglich, hierin ganz Ihren Wunsch zu erfüllen -- Lasse ich den Ausruf des Mörders nur von den nächsten Zuschauern gehört werden und unter diesen eine Bewegung entstehen, die sich dem ganzen, nebst ihrer Veranlassung, erst mitteilt, so bürde ich mir ein Detail auf, das mich hier, bei so ungeduldig forteilender Erwartung, gar zu sehr embarrassiert, die Masse schwächt, die Aufmerksamkeit verteilt usw. Meine Ausführung soll aber nicht ins Wunderbare gehen, auch schon bei dem ersten Konzept fiel mir das nicht ein, nur hatte ich es zu unbestimmt gelassen. Der bloße natürliche Zufall muß die Katastrophe erklären. Dieser Zufall führt den Kranichzug über dem Theater hin, der Mörder ist unter den Zuschauern, das Stück hat ihn zwar nicht eigentlich gerührt und zerknirscht, das ist meine Meinung nicht, aber es hat ihn an seine Tat und also auch an das, was dabei vorgekommen, erinnert, sein Gemüt ist davon frappiert, die Erscheinung der Kraniche muß also in diesem Augenblick ihn überraschen, er ist ein roher dummer Kerl, über den der momentane Eindruck alle Gewalt hat. Der laute Ausruf ist unter diesen Umständen natürlich.
Da ich ihn oben sitzend annehme, wo das gemeine Volk seinen Platz hat, so kann er erstlich die Kraniche früher sehen, eh sie über der Mitte des Theaters schweben, dadurch gewinn ich, daß der Ausruf der wirklichen Erscheinung der Kraniche vorhergehen kann, worauf hier viel ankommt, und daß also die wirkliche Erscheinung derselben bedeutender wird. Ich gewinne zweitens, daß er, wenn er oben ruft, besser gehört werden kann. Denn nun ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß ihn das ganze Haus schreien hört, wenn gleich nicht alle seine Worte verstehen.
Dem Eindruck selbst, den seine Exklamation macht, habe ich noch eine Strophe gewidmet, aber die wirkliche Entdeckung der Tat, als Folge jenes Schreies, wollte ich mit Fleiß nicht umständlicher darstellen, denn sobald nur der Weg zur Auffindung des Mörders geöffnet ist (und das leistet der Ausruf, nebst dem darauf folgenden verlegenen Schrecken), so ist die Ballade aus, das andere ist nichts mehr für den Poeten.
Ich habe die Ballade, in ihrer nun veränderten Gestalt, an Böttiger gesendet, um von ihm zu erfahren, ob sich nichts darin mit altgriechischen Gebräuchen im Widerspruch befindet.

Sprecher:
Karl August Böttiger war Gymnasialdirektor in Weimar und ein angesehener Altphilologe. Er antwortete postwendend:

Sie fordern mich auf, Ihnen zu sagen, ob diese nach Korinth verpflanzte Szene auch überall den Geschmack ihres Erdreichs und ihres Zeitalters habe, und ich kann Ihnen darauf nichts antworten, als daß ich selten beim Lesen der Alten selbst einen so reinen Eindruck der antiken Umgebung gehabt habe, als in diesem Gedichte.
Vom Fichtenhaine des Poseidon bis zu dem kreisenden Chor und den Theaterstufen ist alles so echt, so wahr, als wenn Sie das Ganze vor einem Zauberspiegel gesehn hätten.

Auch Humboldt, der sich in der griechischen Antike ausgesprochen heimisch fühlte, war von den Kranichen begeistert. Körner hingegen findet sie zu trocken, und er gerät darüber in eine heftige Auseinandersetzung mit Humboldt.

Humboldt:
An Schiller. Paris, 7. Dezember, Donnerstag
Es liegt eine Größe und Erhabenheit (in den Kranichen), die Ihnen wiederum ganz eigen ist. Vorzüglich von der Erwähnung des Theaters an ist die Schilderung göttlich. Das Gemählde des Amphitheaters und der Versammlung ist so lebendig, groß und klar, schon die Namen der Völker versetzen in jene glückliche Zeit, daß ich kaum etwas Prächtigeres für die Phantasie kenne. Und nun der Chor der Eumeniden, wie er in seiner furchtbaren Größe auftritt, des Theaters Rund umwandelt, und endlich, selbst dann noch schauerlich, verschwindet. Hier ist die Sprache zugleich Ihnen so individuell und der Sache so angemessen, daß ich mir nicht läugnen kann, bei diesem Chor eigentlich noch mehr und noch etwas Höheres gefühlt zu haben, als bei dem Griechischen des Aischylus, so nah Sie auch diesem geblieben sind. Schon diese Sprache, diese Versart, selbst der Reim macht, daß sich das, was sonst nur modernen Werken eigen ist, mit dem Antiken gattet. Die Erhabenheit für Phantasie und Herz, die dem Griechischen Ausdruck so eigen ist, gewinnt jetzt noch, dünkt mich, einen Zuwachs mehr für den Geist.
Der Ibykus hat einen außerordentlichen Gehalt; er ergreift tief; er erschüttert; er reißt hin und man muß immer wieder zu ihm zurückkehren. Überraschend schön sind noch die Übergänge, und die schwierige Erzählung der Entwicklung ist Ihnen sehr gut gelungen.

Körner:
An Schiller.
Über die Kraniche des Ibykus bin ich mit Humboldt in einen Krieg verwickelt worden. Meinen Vorwurf der Trockenheit kann ich nicht zurücknehmen; aber er hat nie der Behandlung, sondern dem Stoff gegolten. Dagegen beschuldige ich Humboldt geradezu: daß er beim Stoffe nicht unbefangen ist, daß ihn eine solche Darstellung griechischer Feste in den dritten Himmel versetzt... Eben weil die griechische Volksversammlung und der tragische Chor so lebendig vor unsern Augen steht, haben wir den armen Ibykus ganz vergessen, wenn seine Kraniche gezogen kommen. Es ist kein bekannter Name, dessen bloßer Schall ein interessantes Bild erweckte. Wir haben wenig von ihm erfahren; denn gleich wie er auftrat, wurde er getötet. Wir wünschen seine Mörder entdeckt und gestraft; aber dies Interesse erregt keine sehr gespannte Erwartung. Und diese Spannung muß ganz durch eine Schilderung verschwinden, die so sehr unsre Aufmerksamkeit fesselt, daß wir alles andre darüber aus dem Gesicht verlieren. Ein erzählendes Gedicht -- dies ists, was ich behaupte -- fordert eine menschliche Hauptfigur, und für diese die stärkste Beleuchtung. Dies vermisse ich hier und im Ring des Polykrates. In beiden Gedichten wird dadurch die Wirkung des Ganzen geschwächt. Das Schicksal kann nie der Held eines Gedichts werden, aber wohl ein Mensch, der mit dem Schicksale kämpft.

Sprecher:
Goethe, Humboldt und Körner standen nicht nur mit Schiller in engem Kontakt, sondern auch untereinander. Die Wogen werden sich wieder glätten, Humboldt und Körner blieben auch über Schillers Tod hinaus eng verbunden.
Schiller verfolgte diese Auseinandersetzungen amüsiert. Dabei nahm er Körners Einwand durchaus ernst.

Schiller:
An Körner.
Deine Kritik des Almanachs hat Goethen viel Vergnügen gemacht, er hat sich lange damit beschäftigt. In dem aber, was Du über den Ibykus und Polykrates sagst und was ich auch für gar nicht ungegründet halte, ist er nicht Deiner Meinung und hat sich beider Gedichte nachdrücklich gegen Dich und gegen mich selbst angenommen. Er hält Deinen Begriff, aus dem Du sie beurteilst und tadelst, für zu eng, und will diese Gedichte als eine neue, die Poesie erweiternde Gattung angesehen wissen. Die Darstellung von Ideen, so wie sie hier behandelt wird, hält er für kein Dehors der Poesie und will dergleichen Gedichte mit denjenigen, welche abstrakte Gedanken symbolisieren, nicht verwechselt wissen etc. Dem sei, wie ihm wolle, wenn auch die Gattung zulässig ist, so ist sie wenigstens nicht der höchsten poetischen Wirkung fähig, und es scheint, daß sie deswegen etwas außerhalb der Poesie zu Hülfe nehmen müsse, um jenes Fehlende zu ergänzen.

Sprecher:
In der Zwischenzeit war der Musenalmanach fertig geworden. Er enthielt unter anderem sämtliche neuen Balladen von Schiller und Goethe und machte "einige Sensation", wie es hieß. Während der Almanach bereits im Druck war, gelang Schiller noch eine große Ballade, "Der Gang nach dem Eisenhammer".

Sie ist gewissermaßen das Resumee des Balladenjahres. Schön und erhaben das Thema, doch leicht, ironisch und ausgesprochen humorvoll in der Bearbeitung.

Die Lust am Reim nimmt geradezu Überhand. Kunigonden reimt sich auf Blonden, Brüste auf Christe, Sinn auf in. Das gibt der Ballade sogar parodistische Untertöne.

Schiller:
An Goethe. Jena, 22. September
Mein letzter Brief hat Ihnen schon gemeldet, daß ich die Glocke liegen lassen mußte. Ich gestehe, daß mir diese, da es einmal so sein mußte, nicht so ganz unlieb ist. Denn indem ich diesen Gegenstand noch ein Jahr mit mir herumtrage und warm halte, muß das Gedicht, welches wirklich keine kleine Aufgabe ist, erst seine wahre Reife erhalten. Auch ist dieses nun einmal das Balladenjahr, und das nächste hat schon ziemlich den Anschein, das Liederjahr zu werden, zu welcher Klasse auch die Glocke gehört.

Der Zufall führte mir noch ein recht artiges Thema zu einer Ballade zu, die auch größtenteils fertig ist und den Almanach, wie ich glaube, nicht unwürdig beschließt. Sie besteht aus 24 achtzeiligen Strophen und ist überschrieben: Der Gang nach dem Eisenhammer, woraus Sie sehen, daß ich auch das Feuerelement mir vindiciert habe, nachdem ich Wasser und Luft bereist habe. Der nächste Posttag liefert es Ihnen nebst dem ganzen Almanach, gedruckt.

Goethe:
An Schiller. Tübingen, am 30. Oktober, Montag
Den Almanach haben wir erst hier erhalten und uns besonders über den Eisenhammer gefreut. Sie haben kaum irgend etwas mit so glücklichem Humor gemacht, und die retardierende Messe ist von dem besten Effekt.

Der Gang nach dem Eisenhammer
Friedrich Schiller

Ein frommer Knecht war Fridolin,
und in der Furcht des Herr
ergeben der Gebieterin,
der Gräfin von Savern.
Sie war so sanft, sie war so gut;
doch auch der Launen Übermut
hätt er geeifert zu erfüllen
mit Freudigkeit, um Gottes willen.

Früh von des Tages erstem Schein,
bis spät die Vesper schlug,
lebt er nur ihrem Dienst allein,
tat nimmer sich genug.
Und sprach die Dame: "Mach dirs leicht!"
Da wurd ihm gleich das Auge feucht,
und meinte, seiner Pflicht zu fehlen,
durft er sich nicht im Dienste quälen.

Drum vor dem ganzen Dienertroß
die Gräfin ihn erhob;
aus ihrem schönen Munde floß
sein unerschöpftes Lob.
Sie hielt ihn nicht als ihren Knecht,
es gab sein Herz ihm Kindesrecht;
ihr klares Auge mit Vergnügen
hing an den wohlgestalten Zügen.

Darob entbrennt in Roberts Brust,
des Jägers, giftger Groll,
dem längst von böser Schadenlust
die schwarze Seele schwoll;
und trat zum Grafen, rasch zur Tat
und offen des Verführers Rat,
als einst vom Jagen heim sie kamen,
streut ihm ins Herz des Argwohns Samen:

"Wie seid ihr glücklich, edler Graf,"
hub er voll Arglist an,
"Euch raubet nicht den goldnen Schlaf
des Zweifels giftger Zahn;
denn ihr besitzt ein edles Weib,
es gürtet Scham den keuschen Leib.
Die fromme Treue zu berücken
wird nimmer dem Versucher glücken."

Da rollt der Graf die finstern Braun:
"Was redst du mir, Gesell?
Werd ich auf Weibestugend baun,
beweglich wie die Well?
Leicht locket sie des Schmeichlers Mund;
mein Glaube steht auf festerm Grund:
Vom Weib des Grafen von Saverne
bleibt, hoff ich, der Versucher ferne."

Der andre spricht: "So denkt ihr recht.
Nur euren Spott verdient
der Tor, der, ein geborner Knecht,
ein solches sich erkühnt,
und zu der Frau, die ihr gebeut,
erhebt der Wünsche Lüsternheit" -
"Was?" fällt ihm jener ein und bebet,
"redst du von einem, der da lebet?" -

"Ja doch, was aller Mund erfüllt,
das bärg sich meinem Herrn!
Doch, weil ihrs mir mit Fleiß verhüllt,
so unterdrück ichs gern" -
"Du bist des Todes, Bube, sprich!"
Ruft jener streng und fürchterlich.
"Wer hebt das Aug zu Kunigonden?" -
"Nun ja, ich spreche von dem Blonden.

Er ist nicht häßlich von Gestalt,"
fährt er mit Arglist fort,
indems dem Grafen heiß und kalt
durchrieselt bei dem Wort.
"Ists möglich, Herr? Ihr saht es nie,
wie er nur Augen hat für sie?
Bei Tafel Eurer selbst nicht achtet,
an ihren Stuhl gefesselt schmachtet?"

"Seht da die Verse, die erschrieb
und seine Glut gesteht" -
"Gesteht!" - "Und sie um Gegenlieb,
der freche Bube! fleht.
Die gnädge Gräfin, sanft und weich,
aus Mitleid wohl verbarg sies Euch;
mich reuet jetzt, daß mirs entfahren,
denn, Herr, was habt ihr zu befahren?"

Da ritt in seines Zornes Wut
der Graf ins nahe Holz,
wo ihm in hoher Öfen Glut
die Eisenstufe schmolz.
Hier nährten früh und spat den Brand
die Knechte mit geschäftger Hand;
der Funke sprüht, die Bälge blasen,
als gält es, Felsen zu verglasen.

Des Wassers und des Feuers Kraft
verbündet sieht man hier;
das Mühlrad, von der Flut gerafft,
umwälzt sich für und für;
die Werke klappern Nacht und Tag,
im Takte pocht der Hämmer Schlag,
und bildsam von den mächtgen Streichen
muß selbst das Eisen sich erweichen.

Und zweien Knechten winket er,
Bedeutet sie und sagt:
"Den ersten, den ich sende her,
und der euch also fragt:
Habt ihr befolgt des Herren Wort?"
den werft mir in die Hölle dort,
daß er zu Asche gleich vergehe,
und ihn mein Aug nicht weiter sehe!"

Des freut sich das entmenschte Paar
mit roher Henkerslust,
denn fühllos, wie das Eisen, war
das Herz in ihrer Brust.
Und frischer mit der Bälge Hauch
erhitzen sie des Ofens Bauch,
und schicken sich mit Mordverlangen,
das Todesopfer zu empfangen.

Drauf Robert zum Gesellen spricht
mit falschen Heuchelschein:
"Frisch auf, Gesell, und säume nicht,
der Herr begehret dein."
Der Herr, der spricht zu Fridolin:
"Mußt gleich zum Eisenhammer hin,
und frage mir die Knechte dorten,
ob sie getan nach meinen Worten?"

Und jener sppricht: "Es soll geschehn!"
und macht sich flugs bereit.
Doch sinnend bleibt er plötzlich stehn:
"Ob sie mir nichts gebeut?"
Und vor die Gräfin stellt er sich:
"Hinaus zum Hammer schickt man mich;
so sag, was kann ich dir verrichten?
denn dir gehören meine Pflichen."

Darauf die Dame von Savern
versetzt mit samftem Ton:
"Die heilge Messe hört ich gern,
doch liegt mir krank der Sohn!
So gehe denn, mein Kind, und sprich
in Andacht ein Gebet für mich,
und denkst du reuig deiner Sünden,
so laß auch mich die Gnade finden."

Und froh der vielwillkommnen Pflicht,
macht er im Flug sich auf,
hat noch des Dorfes Ende nicht
erreicht im schnellen Lauf,
da tönt ihm von dem Glockenstrang
hellschlagend des Geläutes Klang,
das alle Sünder, hochbegnadet,
zum Sakramente festlich ladet.

"Dem lieben Gotte weich nicht aus,
findst du ihn auf dem Wege!"
Er sprichts und tritt ins Gotteshaus;
kein Laut ist hier noch Reg;
denn um die Ernte wars, und heiß
im Felde glüht der Schnitter Fleiß.
Kein Chorgehilfe war erschienen,
die Messe kundig zu bedienen.

Entschlossen ist er alsobald
und macht den Sakristan;
"Das", spricht er, "ist kein Aufenthalt,
was fördert himmelan."
Die Stola und das Cingulum
hängt er dem Priester dienend um,
bereitet hurtig die Gefäße,
geheiliget zum Dienst der Messe.

Und als er dies mit Fleiß getan,
tritt er als Ministrant
dem Priester zum Altar voran,
das Meßbuch in der Hand,
und knieet rechts und knieet links,
und ist gewärtig jeden Winks,
und als des Sanktus Worte kamen,
da schellt er dreimal bei dem Namen.

Drauf als der Priester fromm sich neigt,
und zum Altar gewandt,
den Gott, den gegenwärtgen, zeigt
in hocherhabner Hand,
da kündet es der Sakristan
mit hellem Glöckchen klingend an,
und alles kniet und schlägt die Brüste,
sich fromm bekreuzend vor dem Christe.

So übt er jedes pünktlich aus
mit schnell gewandtem Sinn;
was Brauch ist in dem Gotteshaus,
er hat es alles inn,
und wird nicht müde bis zum Schluß,
bis beim Vobiscum Dominus
der Priester zur Gemein sich wendet,
die heilge Handlung segnend endet.

Da stellt er jedes wiederum
in Ordnung säuberlich;
erst reinigt er das Heiligtum,
und dann entfernt er sich
und eilt, in des Gewissens Ruh,
den Eisenhütten heiter zu,
spricht unterwegs, die Zahl zu füllen,
zwölf Paternoster noch im stillen.

Und als er rauchen sieht den Schlot
und sieht die Knechte stehn,
da ruft er: "Was der Graf gebot,
ich Knechte, ists geschehn?"
Und grinsend zerren sie den Mund
und deuten in des Ofens Schlund:
"Der ist besorgt und aufgehoben,
der Graf wird seine Diener loben."

Die Antwort bringt er seinem Herrn
in schnellem Lauf zurück.
Als der ihn kommen sieht von fern,
kaum traut er seinem Blick:
"Unglücklicher! Wo kommst du her?"
"Vom Eisenhammer." - "Nimmermehr!
So hast du dich im Lauf verspätet?" -
"Herr, nur so lang, bis ich gebetet."

"Denn, als von eurem Angesicht
ich heute ging, verzeiht!
da fragt ich erst, nach meiner Pflicht,
bei der, die mir gebeut.
Die Messe, Herr, befahl sie mir
zu hören; gern gehorcht ich ihr,
und sprach der Rosenkränze viere
für euer Heil und für das ihre."

In tiefes Staunen sinket hier
der Graf, entsetzet sich:
"Und welche Antwort wurde die
am Eisenhammer? sprich!" -
"Herr, dunkel war der Rede Sinn,
zum Ofen wies man lachend hin:
Der ist besorgt und aufgehoben,
der Graf wird seine Diener loben." -

"Und Robert?" fällt der Graf ihm ein,
es überläuft ihn kalt,
"Sollt er dir nicht begegnet sein?
Ich sandt ihn doch zum Wald." -
"Herr, nicht im Wald, nicht auf der Flur
fand ich von Robert eine Spur" -
"Nun," ruft der Graf und steht vernichtet,
"Gott selbst im Himmel hat gerichtet!"

Und gütig, wie er nie gepflegt,
nimmt er des Dieners Hand,
bringt ihn der Gattin, tief bewegt,
die nichts davon verstand:
"Dies Kind, kein Engel ist so rein,
laßts eurer Huld empfohlen sein!
Wie schlimm wir auch beraten waren,
mit dem ist Gott und seine Scharen."


Sprecher:

Das ist die letzte Ballade, die im Balladenjahr entstand. Obwohl seither 200 Jahre vergangen sind, sprechen uns diese Gedichte immer noch ganz unmittelbar an, rühren wahr und tief.

Und wenn, in hoffentlich nicht mehr allzu ferner Zukunft, es wieder klassische Dichter vom Format eines Schiller und Goethe geben wird, dann werden sie auf diese Balladen zurückgreifen, genau wie Schiller und Goethe auf die griechische Klassik zurückgegriffen haben.