Projekt Renaissance


Die Renaissance

- oder die Wiederentdeckung Platons und der alten Griechen

Von Torbjörn Jerlerup
- 2. Teil -

Was tut der Mensch, wenn er gerne eine neue kulturelle Blütezeit herbeiführen möchte? Er sieht in der Geschichte der Menschheit nach, wie andere es vor ihm gemacht haben.


Der Heilige Augustinus und Platon
Das akademische Leben

Warum Platon?

Das Griechische wird wiederbelebt

Die Übersetzer

Leonardo Bruni

Die "Buchjäger"

Der Heilige Augustinus und Platon

Petrarca erkannte Platons Bedeutung, als er Augustinus las. Dieser schreibt im achten Kapitel seines Gottesstaates:

    "Wenn also Platon sagte, weise sei, wer diesen Gott nachahme, erkenne und liebe, und glückselig, wer an ihm teilhabe, wozu dann noch die übrigen [Philosophen] durchmustern? Keine anderen sind uns so nahe gekommen wie er und seine Schule... Also nicht nur der gesamte Inhalt der beiden Theologien, der fabulierenden und staatlichen, mögen den platonischen Philosophen das Feld räumen, die den wahren Gott, den Urheber aller Dinge, den Offenbarer der Wahrheit, den Spender der Glückseligkeit, lehrten...."

    Augustinus erklärt, die Platoniker hätten besser als jeder andere die Wirkungsweise des menschlichen Geistes verstanden, und erkannt, daß das Ziel der Moralphilosophie und Vernunft das Gute war. "Was sodann den zweiten Teil ihrer Lehre anlangt, den sie Logik oder Vernunftlehre nennen, so sind sie hier vollends denen überlegen, die das Kennzeichen der Wahrheit bei den leiblichen Sinnen suchten und urteilten, ihre unzuverlässigen und trügerischen Weisungen seien der Maßstab alles Wissens... Jene dagegen, die wir mit Recht den übrigen vorziehen, unterschieden das, was der Geist erblickt, von dem, was die Sinne erfassen, ließen den Sinnen, was sie leisten können, wiesen ihnen aber auch nichts zu, was sie nicht leisten können. Das Licht aber des Geistes zu jeglicher Erkenntnis, sagten sie, ist derselbe Gott, der alles geschaffen hat... Jetzt mag es genug sein zu erwähnen, daß nach Platon das höchste Gut nichts anderes ist als tugendhaftes Leben. Das aber sei nur dem möglich, der Gott kenne und ihn nachahme. Denn nur dann sei er selig. Darum erklärt Platon ohne Zögern, philosophieren heiße Gott lieben, dessen Wesen unkörperlich sei... Platon aber sagt, das wahre und höchste Gut sei Gott, und will darum, daß der Philosoph Liebhaber Gottes sei. Dann werde er, da Philosophie nach glückseligem Leben trachte, im Genusse Gottes, den er liebt, auch glückselig sein."

Augustinus sieht im Platonismus auch den Weg, mit anderen Religionen in einen Dialog zu treten. Er schreibt: "...Platon selbst und die ihn richtig verstanden, oder auch die von der italischen, wie Pythagoras und die Pythagoreer und etwa noch andere, die derselben Ansicht waren, oder mögen sich auch unter den Angehörigen anderer Völker, den atlantischen Libyern, Ägyptern, Indern, Persern, Chaldäern, Skythen, Galliern, Spaniern Weise oder Philosophen finden, die das erkannt und gelehrt haben: ihnen allen geben wir vor den übrigen den Vorzug und gestehen, daß sie uns näher gekommen sind."

Wer von den Griechen lernen und Platons Gedanken wiederbeleben wollte, mußte Griechisch lesen können. Doch Petrarca fand keinen einzigen in der katholischen Kirche, der auch nur ein paar Sätze Griechisch lesen konnte. Und natürlich brauchte man auch die griechischen Texte, aber er konnte so gut wie kein griechisches Manuskript aufstöbern.

Doch er gab nicht auf, und er hatte Erfolg.

Er bekam Hilfe von Gleichgesinnten in der orthodoxen Ostkirche. Bei einem seiner Besuche in Avignon, dem "Babylon des Westens", lernte er den Mönch Barlaam, einen Platoniker, kennen. Barlaam hatte sowohl Platon als auch Augustinus gelesen, und auch er war überzeugt, daß der Platonismus zur Brücke zwischen Ost und West werden könne. Petrarca traf ihn das erste Mal 1339 und dann noch einmal 1342 in Neapel. Petrarca versuchte, bei Barlaam Griechisch zu lernen. Als Lehrbuch benutzte dieser Werke seines geliebten Platon. Er gab Petrarca ein Buch mit 16 Dialogen Platons, anhand derer er sich in der Sprache üben sollte. Petrarca schaffte es zwar nicht, die Dialoge zu lesen, aber schon dieses wertvolle Werk zu besitzen begeisterte ihn so sehr, daß er später andere bewog, es zu lernen.

Während seines Aufenthalts in Rom 1350 traf Petrarca den Florentiner Schriftsteller und Diplomaten Giovanni Boccaccio. Die beiden wurden auf der Stelle Freunde, und schon bald besuchte Petrarca Boccaccio in Florenz. Von Petrarcas Begeisterung angesteckt, entschloß sich Boccaccio, dessen "Griechisch-Projekt" zu unterstützen.

Etwa zur selben Zeit wirkte Petrarca auch als Diplomat; u.a. wollte er mit einigen Verbündeten den Papst bewegen, von Avignon nach Rom zurückzukehren. Dazu reiste er regelmäßitg nach Avignon, und bei einem dieser Besuche traf er 1353 den byzantinischen Diplomaten Nikolaos Sigeros. Er bat Sigeros, im Osten nach griechischen Handschriften und Werken Ciceros Ausschau zu halten. Werke Ciceros fand Sigeros nicht, dafür aber etwas, was für Petrarca viel wertvoller war: eine Abschrift von Homers Illias und Odyssee.

Es ist das Buch, von dem anfangs die Rede war, dessen Übersetzung Petrarca in Auftrag gegeben hatte. Nachdem er das Buch erhalten hatte, schrieb Petrarca an Sigeros:

    "Ihr Geschenk, der echte, unverfälschte Originaltext des göttlichen Dichters, der Quell aller Erfindung, ist Ihrer und meiner wert - Sie haben Ihr Versprechen erfüllt und meine Wünsche befriedigt. Dennoch ist Ihre Großmut noch nicht vollkommen: Zusammen mit Homer hätten Sie mir auch sich selbst schenken sollen - einen Führer, der mich zum Licht hinführt und meinen staunenden Augen die Wunder der Ilias und der Odyssee enthüllt. Aber ach! Homer ist stumm, oder ich bin taub; es steht nicht in meiner Macht, mich meines schönen Besitzes zu erfreuen. Ich habe ihm einen Platz neben Platon gegeben, dem Dichterkönig neben dem Philosophenkönig... Ich bin vom Anblick Homers entzückt; und sooft ich den stummen Band in meine Arme nehme, rufe ich mit einem tiefen Seufzer aus: Großartiger Dichter! Mit wieviel Vergnügen würde ich deinem Lied lauschen, wäre mein Gehör nicht gestört und verloren durch den Tod eines Freundes und die hochbetrübliche Abwesenheit eines anderen. Dennoch verzweifle ich nicht; und Catos Vorbild gibt mir etwas Trost und Hoffnung, denn noch im höchsten Alter erwarb er sich das Wissen des griechischen Alphabets."

Petrarca berichtete seinem Freund Boccaccio von dem Buch, und dieser beschloß, ihm zu helfen - er wollte sogar selbst Griechisch lernen! Einige Jahre später freundete er sich mit Leontius Pilatus (gest. 1366) an. Mit seiner Hilfe konnte er das Vorhaben der Homer-Übersetzung anfangen, und schon bald erhielt Petrarca, wie eingangs beschrieben, Boccaccios Brief mit dem ersten Kapitel der Odyssee.

Beim Übersetzen las Pilatus Ilias und Odyssee dem völlig überwältigten Boccaccio vor. In einem Brief an Petrarca schreibt er, wie stolz er sei, als erster in der "lateinsprechenden Welt", in Westeuropa, nach Jahrhunderten wieder "Homer sprechen zu hören". "Ich bedauere die lateinsprechende Welt, die das Studium des Griechischen so vernachlässigte, daß keiner mehr auch nur das griechische Alphabet lesen kann", schreibt er.

Mitte der 60er Jahre legte Boccacio Petrarca die vollständige lateinische Homer-Übersetzung vor. Pilatus hatte Illias und Odyssee in einfache lateinische Prosa übersetzt. Diese Übersetzung war furchtbar, weil er überhaupt nicht geübt war, Latein zu schreiben. Trotzdem waren Petrarca und Boccaccio glücklich, wenigstens konnten sie jetzt Homers Werk lesen!

Boccaccio suchte nach weiteren griechischen Handschriften. Er hatte auch gehört, es gebe in Süditalien noch einige Italiener, die Griechisch sprachen. Deswegen machte er sich auf den Weg zum berühmten Kloster Monte Cassino, um dort nachzuforschen. Der Schriftsteller Benvenuto da Imola schildert, in welch schrecklichem Zustand er dort die Bibliothek vorfand:

    "Er fand den Raum, der diesen Schatz enthielt, ohne Tür und Schlüssel vor, und als er eintrat, sah er, daß in den Fenstern Gras wuchs und alle Bücher und Regale mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren. Als er die Handschriften durchblätterte, fehlten bei vielen seltenen und antiken Werken ganze Blätter, oder der Rand war einfach abgeschnitten. Als er den Raum verließ, brach er in Tränen aus, und als er einen Mönch, den er im Kloster angetroffen hatte, fragte, warum alles derart vernachlässigt sei, erfuhr er, daß einige Mönche, um sich ein paar Soldi zu verdienen, Seiten bündelweise herausgerissen hatten, um daraus Psalter zu machen, die sie an Knaben verkauften, und Pergamentstreifen abschnitten, aus denen sie Amulette fertigten, die sie an Frauen verkauften."

Boccaccio rettete ein paar Handschriften und kehrte damit nach Florenz zurück.

Einige Jahre später errang Petrarca seinen größten politischen Erfolg. Sein Freund und Verbündeter Guillaume de Grimoard wurde 1362 als Urban V. zum Papst gewählt. Nach jahrelangen Verhandlungen mit Frankreich und dem Kaiser in Wien, bei denen Petrarca eine entscheidende Rolle spielte, verlegte der Papst 1367 seinen Sitz zurück nach Rom. Der erste Schritt zur Wiedervereinigung der gegnerischen Parteien innerhalb der Westkirche war getan. 50 Jahre später war das Schisma vorüber und der Prozeß der Wiedervereinigung von Ost- und Westkirche begann.

Das akademische Leben

Das akademische Leben im 14. Jahrhundert war erbärmlich. Dies ging so weit, daß jemand wie Wilhelm von Ockham (1280-1349), ein Lehrer an der Pariser Universität, und seine nominalistische Schule zu Ruhm gelangen konnten. Ockham leugnet die Schöpferkraft des menschlichen Geistes, Ideen und Erkenntnis seien nur Einbildung als abstrakte logische "Zeichen". Der göttliche Wille entscheide alles, der Mensch sei nur ein Sklave ohne freien Willen und von Natur aus böse. Gott ist ein Diktator, sein Wort ist Gesetz, und wenn er will, kann er aus schwarz weiß und aus Recht Unrecht machen.

Petrarca erkannte, daß Aristoteles der Ursprung dieses Elends war, und sagte voraus, daß Platon in seinen Schriften - sobald man sie lesen könne - beweisen werde, daß diese Lehre falsch sei, daß die Beziehung zwischen Gott und Mensch mehr ist als die zwischen einem Tyrann und seinem Sklaven.

"Die Menge lobt Aristoteles, große Menschen loben Platon", schreibt Petrarca 1368 in dem Buch Über seine und vieler anderer Unwissenheit.

Petrarca und seine Nachfolger wehrten sich gegen Aristoteles' Begriff von Gott und Menschen. Ein gemeinsamer Punkt aller Kritiker des Aristoteles in dieser Zeit war, daß er in Gott keinen Schöpfer sah, sondern eine Art Zauberer, einen "unbewegten Beweger". Dies war wichtig wegen des Menschenbildes. Wenn der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, was bedeutet es, wenn Gott ein solcher "unbewegter Beweger" ist? Ist Gott ein Schöpfer, dann ist der Mensch geschaffen, ihm bei der Schöpfung zu helfen, sein Wirken macht die Welt besser und schöner. Ist Gott aber ein "unbewegter Beweger", dann ist alles von Anfang an vollkommen geschaffen und der Mensch zerstört es nur.

Daher rührt die aristotelische Sichtweise, der Mensch könne die Schöpfung lediglich mit seinen Sinnen wahrnehmen, in Kategorien ordnen und logisch untersuchen!

Warum Platon?

Platon sah in Gott den Schöpfer, daher rührt das Interesse an seiner Weltsicht.

In einer Internetdiskussion am 28. Januar 2003 wurde Lyndon LaRouche gefragt, was die menschliche Seele sei. In seiner Antwort bezog er sich auf Platon:

    "Wir können erkennen, daß Gott als Schöpfer wirklich existiert. Wir können nach dem Prinzip, das Platon in seinen sokratischen Dialogen entwickelt hat, unser Wissen verifizieren...

    Wir können gesicherte Erkenntnisse über Dinge gewinnen, die manche Menschen 'spirituell', 'religiös' usw. nennen, ohne uns dabei auf irgendeine Lehre, Bücher oder irgendetwas anderes zu berufen. Wir können es ebenso sicher erkennen wie irgendein anderes Prinzip - so wie ich es an anderer Stelle anhand des Gravitationsprinzips dargestellt habe. Man stößt auf etwas, das im Widerspruch zu unserer Sinneswahrnehmung steht. Dann löst man diesen Widerspruch und beweist mit einem Experiment, daß man die richtige Lösung gefunden hat. Das sind dann die 'universellen Prinzipien'.

    Worum geht es bei der Frage nach der Seele, die Platon und Mendelssohn auf so bewundernswerte Weise behandelt haben? Man sollte diese Dinge lesen und sich damit beschäftigen. Denn man muß nicht nur lernen, sondern erkennen. Wir lernen zuviel und wissen zuwenig.

    Indem er Prinzipien entdeckt und mit diesem Wissen in die Biosphäre eingreift, kann der Mensch das Universum verändern, wie es ohne ihn nicht möglich wäre.

    So steigert der Mensch seine Herrschaft über das Universum und trägt mit seinem Wissen auch entsprechende Verantwortung für es. Wir wissen also, daß Entdeckung - Platons Hypothesenprinzip - ein universelles physisches Prinzip ist, weil es das Universum physisch verändert."

Petrarca hat damals Platon nicht in derselben Weise erkannt wie LaRouche, aber er wußte, daß das Wichtige an ihm seine Methode war.

Als ein Freund aus der akademischen Welt behauptete, Platon sei nur ein Dichter, und Aristoteles, den man allgemein "den Philosophen" nannte, sei wichtiger, entgegnete ihm Petrarca:

    "Und was soll ich über Platon sagen, der nach übereinstimmender Meinung der größten Richter gar kein Dichter ist, sondern der Philosophenfürst? Wende dich an Cicero, an Augustinus, an andere, die mit Autorität sprechen, so viele du willst, und du wirst feststellen, daß sie, wo immer sie in ihren Büchern Aristoteles über die übrigen Philosophen erheben, immer mit Fleiß betonen, die einzige Ausnahme sei Platon. Was Platon zum Dichter machen soll, kann ich mir nicht vorstellen, es sei denn eine Bemerkung des Panaetius, die Tullius zitiert, wo er der Homer der Philosophie genannt wird. Das heißt nichts anderes als oberster Philosoph - alle überragend wie Homer die Dichter. Wenn wir es nicht so erklären, was sollen wir dann über Tullius selbst sagen, wenn er in seinen Briefen an Atticus Platon seinen Gott nennt? Beide versuchen auf jede erdenkliche Weise ihr Verständnis von der gottähnlichen Natur von Platons Genie auszudrücken - daher die Bezeichnung als Homer und, noch ausdrücklicher, als Gott."

In den weiteren Ausführungen dieses Briefes weist Petrarca seinen Freund darauf hin, daß seine Auffassung vom Lernen falsch sei. Sinnesempfindungen und bloßes Auswendiglernen von Fakten hätten mit wahrem Wissen nichts zu tun.

In allen seinen Schriften zeigt Petrarca, daß die wichtigste Begabung eines Lehrers und eines Menschen nicht Sinneswahrnehmung und Gedächtnis ist, sondern die poetische Fähigkeit, zu entdecken und zu begeistern. Menschen sollten als lebendiges Abbild des Schöpfergottes Schöpfer im Kleinen sein. Nur so könne die Menschheit ihre Bestimmung erfüllen.

Seinen Hauptangriff auf die aristotelische Vergötterung von "Sinneswahrnehmung und Gedächtnis" führt Petrarca 1367, als er auf Verleumdungen venezianischer Scholastiker antwortet. Sie behaupteten, Petrarca sei unwissend und hasse das Lernen, weil er sich nicht an die aristotelischen Regeln der akademischen Welt halte.

Als Antwort darauf schrieb Petrarca Über seine und vieler anderer Unwissenheit (De sui ipsius et multorum ignorantia). Darin greift er die Professoren, die aristotelische Logik und Philosophie lehrten, in scharfen Worten an; sie seien "Prostituierte, die Freude daran haben, über sinnlose Fragen der Formulierung nachzugrübeln". Stattdessen sollten sie lieber das Studium Platons wiederbeleben, den die alten Gelehrten wie Cicero, Vergil, Plinius, Plotin, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus u.a. den "ersten unter den Philosophen" nannten.

Das Griechische wird wiederbelebt

Petrarca starb 1374, Boccaccio 1375. Doch ihr Werk lebte weiter. Ihre Mitstreiter, besonders die in Florenz, setzten es fort. Im Mittelpunkt standen das Sammeln alter Handschriften und die Wiederbelebung der griechischen Sprache. Nach Petrarcas Tod übernahm der florentinische Staatsmann Coluccio di Pierio di Salutati (1331-1406) dabei die Führung. Er war seit Ende der 60er Jahre mit Petrarca befreundet, beide standen bis zu Petrarcas Tod im Briefwechsel. Nach 1374 kaufte Salutati Teile von Petrarcas Bibliothek, der damals größten Privatbibliothek Europas.

1375 wurde Salutati zum Kanzler der Republik Florenz berufen, was er bis zu seinem Tode blieb. Das Amt ermöglichte es ihm, einige von Petrarcas Gedanken in die Tat umzusetzen. Als erstes reformierte er die Florentiner Schulen und förderte und erzog persönlich vielversprechende junge Männer. Dabei sah er auf die Fähigkeiten und nicht auf die gesellschaftliche Stellung; er half oft jungen Leuten, die nicht zur reichen Elite gehörten.

Zweitens holte er den byzantinischen Gelehrten Manuel Chrysoloras (1350-1415), der Latein ebenso wie Griechisch beherrschte, als Lehrer nach Florenz. Noch mit 65 Jahren drückte Salutati zusammen mit den jungen Zöglingen die Schulbank und lernte Griechisch, damit er die Handschriften, die Petrarca ihm vermacht hatte, lesen konnte.

Chrysoloras, ein Schüler des griechischen Gelehrten und Platonikers Georgios Gemistos Plethon (1355/60-1450/52), nahm 1396 seine Lehrtätigkeit in Florenz auf. Nach vier Jahren fruchtbaren Schaffens verließ er die Stadt im Jahr 1400, um an der Universität in Pavia zu unterrichten. Später lehrte er noch in Venedig, Rom, Florenz und Padua. Für seine Arbeit verfaßte er Erotemeta, die erste griechische Grammatik in lateinischer Sprache, die 1484 gedruckt wurde. Später schrieb der Mönch Giovanni Crastone aus Piacenza ein Wörterbuch, das 1497 in Druck ging. Bis zur Erfindung des Buchdrucks wurden die beiden Bücher von den Schülern abgeschrieben. Chrysoloras fertigte mehrere Übersetzungen an, darunter die erste Übersetzung von Platons Staat ins Lateinische.

Er reiste mehrmals zwischen Italien und Konstaninopel hin und her. Wie aus den Quellen hervorgeht, bestand seine Hauptaufgabe neben dem Griechischunterricht darin, auf die Vereinigung von West- und Ostkirche hinzuarbeiten. Wir werden noch darauf zurückkommen.

Ein weiterer Mitarbeiter war Johannes von Ravenna (1356-1417), der noch in jungen Jahren bis 1374 ein Freund und Schüler Petrarcas war. Ravenna wurde 1397 als Rhetorikprofessor an die Universität Florenz berufen und lehrte auch an anderen Universitäten wie Padua. Ravenna hat zwar keine Schriften hinterlassen, aber man weiß, daß er seine Studenten sehr eifrig zum Studium des Lateinischen und Griechischen ermutigte.

Die Übersetzer

Chrysoloras' Studenten übersetzten dann Platons Werk ins Lateinische. Leonardo Bruni und einige andere seiner Schüler wie Uberto Decemtrio und Cencio de Rustici übersetzten zehn Dialoge ins Lateinische, Bruni selbst Phädon, Criton, die Verteidigungsrede, den Phädrus, Gorgias und die Briefe.

In der folgenden Generation wurde der Staat zweimal übersetzt, von Uberto Decembrios Sohn Pier Candido und von dem Sizilianer Antonio Cassarino. Der Mailänder Francesco Filelfo übersetzte den Eutryphon und mehrere Briefe, während in Rom der päpstliche Sekretär Rinuccio Aretino Criton, Euthryphon und Axiochus ins Lateinische übertrug. Georg von Trebizond (1395-1486), päpstlicher Sekretär aus Kreta, übersetzte Die Gesetze, Epinomis und Parmenides. Pietro Balbi, ein Verbündeter des Nikolaus von Kues (1401-64) und Johannes Bessarion (1403-72), übersetzte Proclus' Platonische Theologie, Lorenzo Lippi da Colle aus Florenz den Ion.

Die Übersetzungsarbeit der Humanisten wurde gekrönt durch das Werk des Marsilio Ficino, der 1484 die erste vollständige lateinische Ausgabe von Platons Werken veröffentlichte.

Für Homers Werk gab Papst Nikolaus V. um 1455 die erste poetische Übersetzung in Auftrag. Sie wurde von Francesco Filelfo ausgeführt, der die Tochter seines Lehrers Chrysoloras heiratete.

Leonardo Bruni

Dies alles begann mit der von Salutati, Chrysoloras und Ravenna geschaffenen Jugendbewegung. Sie beauftragten die jungen Männer damit, nach griechischen, lateinischen und arabischen Handschriften zu suchen, sie zu übersetzen und abzuschreiben, sowie die griechische Sprache zu verbreiten. Sie waren in ganz Italien bekannt als die "Buchjäger". Und man kannte sie als die Bewegung, die für die Einheit der Kirche kämpfte, d.h. die verschiedenen Fraktionen der katholischen Kirche zusammenbringen und mit anderen Kirchen wie der orthodoxen vereinen wollte.

Der wahrscheinlich bedeutendste Schüler Chrysoloras war Leonardo Bruni (1349-1444). Er wurde wie Petrarca in Arezzo geboren. Bruni studierte zunächst Jura, widmete sich dann aber unter dem Einfluß von Salutati und Chrysoloras dem Studium der Klassiker.

In seiner Autobiographie beschreibt Bruni sehr lebendig Salutatis und Chrysoloras' Argumente. "Denk nur, welche Freude es wäre, sich täglich mit Platon, Homer und all den anderen griechischen Philosophen zu unterhalten", sagten sie ihm. "Seit 1700 Jahren hat niemand in Italien Griechisch verstanden, und trotzdem würde jeder bestätigen, daß alles, was wir wissen, von den Griechen kommt." Nach einigen schlaflosen Nächten entschied sich Bruni dann, das Jurastudium aufzugeben und stattdessen Griechisch zu studieren.

Ab 1405 diente er als apostolischer Sekretär unter verschiedenen Päpsten, und zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörte die Korrespondenz mit der orthodoxen Kirche. Bruni schrieb die erste Geschichte der Stadt Florenz und wurde 1427 Kanzler von Florenz. Er übersetzte mehrere Werke des Aristoteles, Plutarch, Demosthenes und Äschines und verfaßte Biographien über Dante und Petrarca in italienischer Sprache.

Bruni war seiner Zeit weit voraus. Er forderte, daß auch Frauen Bildung erwerben und in der Bewegung zur Wiederbelebung der Klassik mitwirken sollten - für die damalige Zeit ein revolutionärer Gedanke. In einem Brief an eine junge Frau, Baptista di Montefeltro, führt er Beispiele aus der Geschichte an, die zeigen, daß es schon in der griechischen und römischen Antike bedeutende Forscherinnen, Politikerinnen und Künstlerinnen gab. Er schreibt:

    "In welchen Zeiten leben wir, daß ein gebildeter Mann fast ein Wunder und Bildung bei einer Frau gänzlich unbekannt ist. Die wahre Gelehrtheit ist unter uns fast ausgestorben. Ich sage, wahre Gelehrtheit: nicht bloß die Bekanntschaft mit diesem banalen, fadenscheinigen Gerede, womit sich jene, die sich der Theologie widmen, zufriedengeben; sondern gesundes Lernen im eigentlichen und legitimen Sinne, also Erkenntnis der Wirklichkeit - Tatsachen und Prinzipien - , vereint zu einer vollkommenen Vertrautheit mit der Literatur und der Kunst des Ausdrucks.

    Von allen diesen Studien setzte ich das der Geschichte an die erste Stelle; wer wahre Bildung anstrebt, darf dieses Fach auf keinen Fall vernachlässigen. Denn es ist unsere Pflicht, die Ursprünge unserer Geschichte und ihre Entwicklung sowie die Errungenschaften der Völker und Könige zu verstehen. Denn das sorgfältige Studium der Vergangenheit vergrößert unsere Voraussicht in Fragen der Gegenwart und liefert Bürgern und Monarchen Lehren für die Ordnung der Staatsangelegenheiten in Form von Ansporn oder Warnung. Aus der Geschichte ziehen wir auch unseren Vorrat an Vorbildern für moralische Grundsätze.

    Daher meine Ansicht, daß das Vertrautsein mit den großen Dichtern der Antike für jeden Anspruch auf wahre Bildung wesentlich ist. Denn in ihren Schriften finden wir tiefgründige Überlegungen über die Natur und über den Grund und Ursprung der Dinge, die für uns ihres Alters und ihrer Autoren wegen Gewicht haben müssen. Daneben werden viele bedeutende Wahrheiten über Dinge des täglichen Lebens aufgestellt oder veranschaulicht."

Die "Buchjäger"

Bruni und Francesco Poggio Bracciolini (1380-1459), gleichfalls ein Schüler von Chrysoloras und Salutati, leiteten mehrere Jahre lang einen wissenschaftlichen Ausschuß unter der Schirmherrschaft des Papstes. Der Ausschuß war zuständig für die Nachforschungen nach alten Handschriften und versuchte die Einheit der Kirchen voranzubringen. Besonders beim Baseler Konzil ab 1431 tat sich die Gruppe hervor.

Poggio lernte Griechisch und Hebräisch und leitete den größten Teil der Büchersuche. 1429 brachte er zwölf unveröffentlichte Komödien von Plautus mit nach Rom, die er selbst gefunden hatte. Wie Bruni war auch er Kanzler von Florenz (von 1415-22).

Einer ihrer Freunde war Giovanni Aurispa (1369-1459). Er wurde als junger Mann nach Konstantinopel geschickt, um bei Chrysoloras und bei Plethons Kollegen Griechisch zu lernen. 1423 kehrte er mit 238 Büchern zurück, darunter Werke von Äschylos, Sophokles, Plutarch, Platon und Xenophon. Er war ein so fleißiger Sammler, daß man ihn beim griechischen Kaiser anklagte, er habe die Stadt von allen wertvollen Büchern leergeräumt. Aurispa brachte die erste Abschrift von Sophokles in den Westen, und zum ersten Mal nach mehr als tausend Jahren wurde in Italien Sophokles gelesen. Aurispa lehrte als Professor für Griechisch an verschiedenen Universitäten. Dann wurde er Sekretär des Papstes und übte dieses Amt bis zum Ende seines aktiven Lebens aus.

Im letzten Jahrzehnt des 14. Jh. holte Salutati als Unterstützer Guarino Da Verona (1370-1460) und Niccolo Niccoli (1363-1437), die beide bei Johannes von Ravenna studierten, nach Florenz. Guarino ging später nach Konstantinopel, wo er an der Schule Manuel Chrysoloras fünf Jahre lang Griechisch studierte. 1408 kam er mit mehr als 50 Manuskripten zurück. Den Rest seines Lebens unterrichtete er in verschiedenen italienischen Städten Griechisch und Geschichte. Er nahm 1438-39 als Dolmetscher am historischen Konzil von Florenz teil.

Guarini Da Verona verfaßte eine lateinische Elementargrammatik und übersetzte den ganzen Strabon aus dem Griechischen, etwa 15 von Plutarchs Heldenleben sowie einige Werke von Lukian und Isokrates. "Ohne Kenntnis des Griechischen ist ein Lateinstudium im wirklichen Sinne unmöglich", schrieb er gegen die Aristoteliker, die behaupteten, es genüge, wenn man Latein lesen könne. Er war der wahrscheinlich bedeutendste Griechischlehrer der zweiten Generation.

Guarinis Freund Niccolo Niccoli übernahm später Salutatis Rolle als Förderer der jungen Studenten. Niccoli arbeitete eng mit Cosimo de Medici d.Ä. (1389-1464) zusammen, dem bekannten Geldgeber der humanistischen Revolution in Florenz. Beide waren von Schülern des Chrysoloras - einer hieß Roberto Di Rossi - unterrichtet worden und hatten Griechisch gelernt, de Medici konnte auch Hebräisch und Arabisch. Beide unterstützten Studenten mit Geld, ließen Bibliotheken einrichten und finanzierten wissenschaftliche Reisen zur Suche nach alten Handschriften.

Niccoli war ein großer Polemiker. Es sind verschiedene Berichte darüber überliefert, wie er junge Leute dazu bewegte, die Antike zu studieren. So sprach er einmal auf der Straße einen reichen jungen Mann an und fragte ihn, was er für den Sinn des Lebens halte. Dieser antwortete: "Meinen Spaß zu haben." Niccoli antwortete, es sei eine Schande, daß er überhaupt nichts von der Geschichte wisse und weder Latein noch Griechisch könne. "Wenn du es nicht lernst, wirst du für nichts zu gebrauchen sein, und sobald die Blüte deiner Jugend vorüber ist, wirst du ein elender Mann ohne Tugenden sein." Der junge Mann, Peiro de Pazzi, gab sein Lotterleben auf und lernte Griechisch und Latein.

Bruni, ein guter Freund Niccolis, beschreibt in einem Buch im Jahr 1402 dessen Argumente gegen einige sturköpfige Aristoteliker:

    "Nehmt die Philosophie - die Mutter aller anderen freien Künste, aus deren Quellen all unsere menschliche Kultur stammt. Einst brachte Cicero die Philosophie von Griechenland nach Italien und wässerte sie mit diesem goldenen Strom der Beredsamkeit. Aber da ein großer Teil jener Bücher verschwunden ist und die übrigen so fehlerhaft sind, daß sie nicht weit vom Tode entfernt sind, wie sollen wir da eurer Meinung nach in dieser Zeit Philosophie lernen?

    Aber es gibt doch viele Meister dieses Wissens, die versprechen, es zu lehren. Oh, glänzende Philosophen unserer Zeit, die lehren, was sie nicht wissen! Ich kann mich nicht genug über sie wundern - wie sie Philosophie lernten, ohne die Sprache zu beherrschen, denn wenn sie sprechen, bringen sie mehr Fehler heraus als Worte. Und so würde ich sie lieber schnarchen hören als sprechen. Aber wenn sie jemand fragt, auf wessen Autorität und Grundsätze sie ihre glänzende Weisheit gründen, antworten sie: des Philosophen, womit sie meinen, des Aristoteles. Und wenn es das eine oder andere bekräftigt werden muß, holen sie die Redensarten aus diesen Büchern hervor, von denen sie behaupten, sie seien von Aristoteles - schroffe, peinliche, dissonante Worte, die jedes Ohr ermüden würden. Der Philosoph sagt das, erklären sie uns. Es ist respektlos, ihm zu widersprechen, und für sie hat ipse dixit die Macht der Wahrheit, als wäre er der einzige Philosoph gewesen oder als seien seine Redensarten genauso fest wie diejenigen, die der Pythische Apollo von seinem Heiligtum ausgab.

    Nicht daß ich das sage, um Aristoteles zu tadeln; ich führe keinen Krieg mit diesem hochweisen Mann, nur mit der Narrheit dieser Aristoteliker. Wären sie nur einfach unwissend, so wären sie zwar nicht zu loben, aber in diesen elenden Zeiten hinnehmbar. Doch jetzt, wo zu ihrer Unwissenheit so viel Arroganz hinzugekommen ist, daß sie sich weise nennen und dünken, wer könnte sie mit Gleichmut ertragen."

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