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  November 2006 Journal (Texte)

Schiller und Mozart: Revolution in der Kunst!

Das Schillerfest der Dichterpflänzchen und des Schiller-Instituts in Mainz und Wiesbaden führte in diesem Jahr den Genius der Poesie und der Musik zusammen.

Der Gastgeber kündigt als Beginn eine Überraschung an. Nach einem Augenblick Stille hört man das Rauschen einer alten Klangaufnahme: gesetzte Streicherakkorde, dann leise ein Chor, der sich nach wenigen Takten unvermittelt zum Fortissimo steigert - dann bricht die Musik plötzlich ab. Bis zu dieser Stelle habe Wolfgang Amadeus Mozart das Lacrimosa aus seinem Requiem komponieren können, bevor er 1791 starb, erklärt nun die Sprecherin. Und noch vieles andere aus dieser Epoche sei bis heute unvollendet geblieben, ganz besonders "das größte Kunstwerk, der Bau der wahren politischen Freiheit" (Schiller). Aber, fährt sie fort, es gebe doch auch viel Grund zur Freude und zum Feiern: Mozarts Geburtstag, Schillers Geburtstag und dazu den Wahlsieg der Demokraten in Amerika! Und in diesem Sinne wünscht sie den Gästen viel Vergnügen. -

Insgesamt 180 Zuhörer versammelten sich - am 11. November in Wiesbaden und am folgenden Tag in Mainz - zum jährlichen Schillerfest des Poesiekreises Dichterpflänzchen und des Schiller-Instituts. Das Fest ist seit Jahren für Freunde Schillers und der klassischen Kunst überhaupt ein Begriff, doch diesmal war es etwas ganz Besonderes, weil im Mozartjahr die Musik ganz groß Einzug hielt mit Sologesang, Chor und Streichquartett.

- Eine zweite Sprecherin tritt auf und fragt: "Was haben denn die beiden Klassiker gemeinsam, sie haben sich doch nie geschrieben oder getroffen?" Ihre Kollegin antwortet: "Dann wird es höchste Zeit" - und schon stehen Herr Mozart (mit ganz dezenter österreichischer Stimmfärbung) und Herr Schiller auf der Bühne und erzählen aus ihrer Lebenszeit. Es geht um Revolutionen: politische und künstlerische!

Es war das Jahrzehnt der Amerikanischen Revolution, die Schiller in Kabale und Liebe behandelt, und des Kampfes um die Abschaffung der Adelsvorrechte, wie er bei Mozart in Figaros Hochzeit vorkommt.

Gegen solche Vorrechte, unter denen auch Mozart bei seinem ungeliebten Brötchengeber Erzbischof Colloredo litt, bis er es nicht mehr aushielt, gab es damals in Wien einen mächtigen Verbündeten: den Reformkaiser Joseph II. Er schaffte Leibeigenschaft und Todesstrafe ab, sorgte für mehr Toleranz gegenüber Protestanten und Juden und betrieb eine fortschrittliche Kulturpolitik: Bildung und Theater für alle, aber auf hohem Niveau.

Das war Mozart gerade recht: "Wenn mir der Kaiser tausend Gulden gibt, so schreibe ich ihm eine teutsche Opera." Diese teutsche Opera predigt auch die Toleranz (gerade gegenüber Moslems), sie heißt Die Entführung aus dem Serail. Und die Intoleranz wird humorvoll auf's Korn genommen. Als Beispiel dafür hört man das Terzett aus dem 1. Akt: "Marsch, marsch, marsch, trollt euch fort!", bellt der übellaunige Palastwächter, zieht aber am Ende doch den kürzeren.

Nun erfährt der erstaunte Hörer, daß auch Schiller Operntexte geschrieben hat und die Musik über alles liebte. Man hört einen Bericht seines Jugendfreundes Andreas Streicher, der mit ihm aus Stuttgart nach Mannheim floh und später der beste Klavierbauer in ganz Mitteleuropa wurde. Begeistert ließ sich der junge Schiller Abend für Abend von Streicher am Klavier vorspielen und geriet poetisch in Wallung. Das Jugendgedicht Laura am Klavier schildert diese gewaltigen Eindrücke, und es endet mit der Frage über die Tonkunst:

    Ist's die Sprache, lüg mir nicht,
    Die man in Elysen spricht?
Ein anderer Freund, Christian Gottfried Körner, der auch Musiker war, lud Schiller dann nach Dresden ein. Dort entstand die berühmte Ode an die Freude, und Körner war der erste, der sie vertonte. Der Chor des Schiller-Instituts bringt diese Rarität zu Gehör - eine freundliche, eingängige Melodie, die damals viel Anklang fand.

Schiller war also musikalisch, aber - Mozart war auch poetisch! Meistens von der heiteren Art, so in den vielen Wortspielen in den bekannten und bis heute beliebten "Bäslebriefen"; etwa so:

"Sie schreiben noch ferners, ja, sie lassen sich heraus, sie geben sich blos, sie lassen sich verlauten, sie machen mir zu wissen, sie erklären sich, sie deuten mir an, sie benachrichtigen mir, sie machen mir kund, sie geben deutlich am tage, sie verlangen, sie begehren, sie wünschen, sie wollen, sie mögen, sie befehlen, daß ich ihnen auch mein Portrait schicken soll schroll. Eh bien, ich werde es ihnen gewis schicken schlicken ... Adieu."

Daß Herr Mozart bei guter Laune solche Späße natürlich auch in Noten faßt, beweist gleich der Chor mit dem Kanon Lieber Freistädtler, lieber Gaulimauli, lieber Stachelschwein ...

Ernster meldet sich nun Schiller wieder zu Wort und beschreibt die Musik als Inbegriff der überirdischen Harmonie. Unterstrichen wird das mit seinem Gedicht Elysium. Und der erwähnte Freund Körner versucht in einem Aufsatz für Schillers Zeitschrift Die Horen, eine Ästhetik der Gesetze dieser Harmonie aufzustellen. Auch Schiller nahm sich vor, Immanuel Kant "durch die Tat zu widerlegen und seine Behauptung, daß kein objektives Prinzip des Geschmacks möglich sei, dadurch anzugreifen, daß ich ein solches aufstellte". Als Beispiel für ein musikalisches Gedicht folgt dann Schillers Lied, das er für ein Singspiel in Mannheim schrieb.

Noch einmal lobt Schiller die Musik: "Es ist etwas Geheimnisvolles in der Wirkung der Musik, daß sie unser Inneres bewegt, so daß sie ein Verbindungsmittel zwischen zwei Welten wird. Wir fühlen uns erweitert, erhöht, andächtig, was heißt das anderes, als in das Allgemeine der Natur, zu Gott gezogen?"

Als Abschluß vor der Pause folgt eines der letzten Werke Mozarts, der Fronleichnamsgesang Ave Verum, weich und klangvoll vorgetragen von Chor und Streichquartett. Nach dem Ende eine leise Stimme im Publikum: "Schön!"

Schönheit: Geschmack und Wissenschaft In der Pause darf man sich an "Schillerplätzchen" (in Form seiner Silhouette) und Mozartkugeln ergötzen. Dann geht es weiter mit dem Streichquartett - zuerst das Menuett aus Mozarts Quartett d-moll KV 421, worin ernstes Moll mit verschmitztem Dur abwechselt.

Die Sprecherin zitiert dann Lyndon LaRouche über Mozarts Revolution in der Musik: "Die musikalische Revolution von 1781-86 vereinigte drei verschiedene Revolutionen zu einer einzigen ... Die erste ist Haydns Entdeckung des Kompositionsprinzips der Motivführung. Er demonstriert dies in den Russischen Streichquartetten op. 33 von 1781. Die zweite musikalische Revolution ist das Musikalische Opfer von Johann Sebastian Bach ... Die dritte Revolution besteht in Mozarts Leistung, diese beiden Entdeckungen von Haydn und Bach zu vereinigen."

Man erfährt, wie Mozart die Werke des damals wenig bekannten Johann Sebastian Bach kennenlernte: Der Diplomat und Hofbibliothekar Gottfried van Swieten lieh sie ihm aus und regte an, Bachsche Fugen für Streicher umzuschreiben. Als Beispiel dafür spielt das Quartett die Fuge Nr. 5 D-Dur aus dem Zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers.

Und auch was Motivführung ist, wird erklärt: Es ist eine Art "musikalischer Gedankenfaden", eine besondere Einheit der Komposition, die dadurch zustandekommt, daß ein zu Beginn vorgestelltes musikalisches Motiv über das ganze Stück hinweg entwickelt wird: "Man läßt es durch alle Stimmen und Tonarten wandern, kehrt es um, verlangsamt es, verändert den Rhythmus ..."

Mozart selbst beschreibt die Entstehung eines solchen Werkes. Wenn ihm ein passender musikalischer Gedanke einfalle, "so kommt mir bald eins nach dem anderen bei, wozu so ein Brocken zu brauchen wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Contrapunkt, nach Klang der verschiedensten Instrumente, et cetera ... und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ich es hernach mit einem Blick übersehe .., und es auch gar nicht nacheinander, wie es danach kommen muß, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen."

Das Streichquartett spielt als Beispiel alle Sätze aus dem d-moll-Quartett kurz an und endet dann mit dem gesamten letzten Satz, einem Variationensatz, der Mozarts kompositorische Revolution hörbar macht.

Joseph Haydn selbst ist übervoll des Lobes dieser Meisterschaft, er sagt Mozarts Vater Leopold: "Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, Ihr Sohn ist der größte Komponist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack, und überdies die größte Kompositionswissenschaft."

Gleich hört man diesen künstlerischen Sprung nach vorne auch im Lied: Mit dem Veilchen schuf Mozart das erste Kunstlied überhaupt, wo das Klavier nicht nur eine simple Melodie begleitet, sondern alle Teile für Gesang wie Klavier kunstvoll ausgearbeitet sind.

Bald drängt sich die Frage auf: Wie sieht denn nun die entsprechende Revolution in der Dichtung aus? Was macht das Klassische aus? Schiller antwortet:

"Die Schönheit - genau das, worüber ich mit Körner diskutiert habe: Die Briefe Kallias oder über das Schöne waren ja an ihn gerichtet, und da schreibe ich: ,Eine Versifikation ist schön, wenn jeder einzelne Vers sich selbst seine Länge und Kürze, seine Bewegung und seinen Ruhepunkt gibt, jeder Reim sich aus innerer Notwendigkeit darbietet und doch wie gerufen kommt - kurz, wenn kein Wort von dem anderen, kein Vers von dem anderen Notiz zu nehmen, bloß seiner selbst wegen dazustehen scheint und doch alles so ausfällt, als wenn es verabredet wäre.'"

Also auch hier die Einheit in der Vielheit, wie bei der Motivführung in der Musik. So hat Schiller Kant widerlegt und tatsächlich ein objektives Kriterium für Schönheit aufgestellt. Es folgt das Gedicht Die Gunst des Augenblicks, das diese Einheit und Vielheit so beschreibt:

    Langsam in dem Lauf der Horen
    Füget sich der Stein zum Stein,
    Schnell, wie es der Geist geboren,
    Will das Werk empfunden sein.
Und nun schließt sich der Kreis: Die Sprecher kehren zurück zu Mozarts Requiem. Es wurde, soweit vollendet, in einem Seelenamt für den toten Mozart aufgeführt und eineinhalb Jahrzehnte später in der erweiterten Fassung bei der Trauerfeier für Schiller. Chor und Streicher singen und spielen das vervollständigte Lacrimosa.

"Denn was ist Genie anders als jene produktive Kraft, wodurch Taten entstehen, die vor Gott und der Natur sich zeigen können und die eben deswegen Folge haben und von Dauer sind. Alle Werke Mozarts sind dieser Art; es liegt in ihnen eine zeugende Kraft, die von Geschlecht zu Geschlecht fortwirkt und so bald nicht erschöpft und verzehrt sein dürfte ..." So zitiert anschließend eine Sprecherin Goethe aus dem Jahr 1828, und die andere fordert die Zuhörer auf: "Mozart und Schiller werden so lange weiterleben und fortwirken, wie Menschen ihre Werke lieben und die hinter den Noten und den Worten verborgenen Ideen und Gesinnungen verstehen und weitertragen. Und heute ist es an uns, was Mozart und Schiller erreichen wollten, wofür sie gelebt haben, weiterzuführen."

Das Schlußwort hat Schiller mit Die Macht des Gesanges

    ...So rafft von jeder eiteln Bürde,
    Wenn des Gesanges Ruf erschallt,
    Der Mensch sich auf zur Geisterwürde
    Und tritt in heilige Gewalt;
    Den hohen Göttern ist er eigen,
    Ihm darf nichts Irdisches sich nahn,
    Und jede andre Macht muß schweigen,
    Und kein Verhängnis fällt ihn an;
    Es schwinden jedes Kummers Falten,
    So lang des Liedes Zauber walten...
- Das Publikum dankt mit langem Applaus. Reges Interesse herrscht am Büchertisch, wo die politische und kulturelle Arbeit der LaRouche-Bewegung vorgestellt wird. Und hinterher feiert man weiter und erhebt noch das eine oder andere Glas auf die revolutionären Geburtstagskinder, Wolfgang Amadeus Mozart und Friedrich Schiller.

Werner Hartmann

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