Juni 2003 Friedrich Schiller

Schillers Gedichte

Eine Auswahl


An die Freude An die Freunde
Bittschrift Das Ideal und das Leben
Das Lied von der Glocke Das Mädchen aus der Fremde
Das Mädchen von Orleans Das verschleierte Bild zu Sais
Der Gang nach dem Eisenhammer Der Genius
Der Graf von Habsburg Der Handschuh
Der Ring des Polykrates Der Taucher
Des Mädchens Klage Die Bürgschaft
Die Ideale Die Kraniche des Ibykus
Die Künstler Die Macht des Gesanges
Die Teilung der Erde Die Worte des Glaubens
Die Worte des Wahns Hoffnung
Kassandra Licht und Wärme
Nänie Pegasus im Joche
Poesie des Lebens Resignation
Ritter Toggenburg Sehnsucht
Breite und Tiefe  




Der Taucher

"Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
zu tauchen in diesen Schlund?
Einen goldnen Becher werf ich hinab,
verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wieder zeigen,
er mag ihn behalten, er ist sein eigen."

Der König spricht es und wirft von der Höh
der Klippe, die schroff und steil
hinaushängt in die unendliche See,
den Becher in der Charybte Geheul.
"Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
zu tauchen in diese Tiefe nieder?"

Und die Ritter, die Knappen um ihn her,
vernehmen's und schweigen still,
sehen hinab in das wilde Meer,
und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum drittenmal wieder fraget:
"Ist keiner, der sich hinunterwaget?"

Doch alles noch stumm bleibt wie zuvor,
und eine Edelknecht, sanft und keck,
tritt aus der Knappen zagendem Chor,
und den Gürtel wirft er, den Mantel weg,
und all die Männer umher und Frauen
auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.

Und wie er tritt an des Felsens Hang,
und blickt in den Schlund hinab,
die Wasser, die sie hinunterschlang,
die Charybte jetzt brüllend wiedergab,
und wie mit des fernen Donners Getose
entstürzen sie schäumend dem finstern Schoße.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
und Flut auf Flut sich ohn Ende drängt,
und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
als wollte das Meer noch ein Meer gebären.

Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
und schwarz aus dem weißen Schaum
klafft hinunter ein gähnender Spalt,
grundlos als ging's in den Höllenraum,
und reißend sieht man die brandenden Wogen
hinab in den strudelnden Trichter gezogen.

Jetzt schnell, eh die Brandung wiederkehrt,
der Jüngling sich Gott befiehlt,
und - ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört,
und schon hat ihn der Wirbel hinweggespült;
und geheimnisvoll über dem kühnen Schwimmer
schließt sich der Rachen, er zeigt sich nimmer.

Und stille wird's über dem Wasserschlund,
in der Tiefe nur brauset es hohl,
und bebend hört man von Mund zu Mund:
"Hochherziger Jüngling, fahre wohl!"
Und hohler und hohler hört man's heulen,
und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.

Und wärfst du die Krone selber hinein,
und sprächst: Wer mir bringet die Kron,
er soll sie tragen und König sein,
mich gelüstete nicht nach dem teuren Lohn.
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
das erzählt keine lebende glückliche Seele.

Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel gefaßt,
schoß gäh in die Tiefe hinab,
doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
hervor aus dem alles verschlingenden Grab -
und heller und heller wie Sturmessausen
hört man's näher und immer näher brausen.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
und Well auf Well sich ohn Ende drängt,
und wie mit des fernen Donners Getose
entstürzt es brüllend dem finstern Schoße.

Und sieh! aus dem finster flutenden Schoß
da hebet sich's schwanenweiß,
und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloß
und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiß,
und er ist's und hoch in seiner Linken
schwingt er den Becher mit freudigem Winken.

Und atmete lang und atmete tief,
und begrüßte das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem andern rief,
"Er lebt! Er ist da! Es behielt ihn nicht.
Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
hat der Brave gerettet die lebende Seele."

Und er kommt, es umringt ihn die jubelnde Schar,
zu des Königs Füßen er sinkt,
den Becher reicht er ihm knieend dar,
und der König der lieblichen Tochter winkt,
die füllt ihn mit funkelndem Wein bis zum Rande,
und der Jüngling sich also zum König wandte:

"Lang lebe der König! Es freue sich,
wer da atmet im rosigten Licht!
Da unten aber ist's fürchterlich,
und der Mensch versuche die Götter nicht,
und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen.

Es riß mich hinunter blitzesschnell,
da stürzt' mir aus felsigtem Schacht,
wildflutend entgegen ein reißender Quell,
mich packt des Doppelstroms wütende Macht,
und wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen
trieb mich's um, ich konnte nicht widerstehen.

Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief,
in der höchsten schrecklichen Not,
aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
das erfaßt ich behend und entrann dem Tod,
und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
sonst wär er ins Bodenlose gefallen.

Denn unter mir lag's noch bergetief,
in purpurner Finsternis da,
und ob's hier dem Ohre gleich ewig schlief,
das Auge mit Schaudern hinuntersah,
wie's von Salamandern und Molchen und Drachen
sich regt' in dem furchtbaren Höllenrachen.

Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch,
zu scheußlichen Klumpen geballt,
der stachlichte Roche, der Klippenfisch,
des Hammers greuliche Ungestalt,
und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.

Und da hing ich und war's mir mit Grausen bewußt,
von der menschlichen Hilfe so weit,
unter Larven die einzige fühlende Brust,
allein in der gräßlichen Einsamkeit,
tief unter dem Schall der menschlichen Rede
bei den Ungeheuern der traurigen Öde.

Und schaudernd dacht ich's, da kroch's heran,
regte hundert Gelenke zugleich,
will schnappen nach mir, in des Schreckens Wahn
laß ich los der Koralle umklammerten Zweig,
gleich faßt mich der Strudel mit rasendem Toben,
doch es war mir zum Heil, er riß mich nach oben."

Der König darob sich verwundert schier,
und spricht: "Der Becher ist dein,
und diesen Ring noch bestimm ich dir,
geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein,
versuchst du's noch einmal und bringst mir Kunde,
was du sahst auf des Meeres tief unterstem Grunde?"

Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
"Laßt Vater genug sein das grausame Spiel,
er hat Euch bestanden, was keiner besteht,
und könnt Ihr des Herzens Gelüsten nicht zähmen,
so mögen die Ritter den Knappen beschämen."

Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
in den Strudel ihn schleudert hinein:
"Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell,
so sollst du der trefflichste Ritter mir sein,
Und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen."

Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
und es blitzt aus den Augen ihm kühn,
und er siehet erröten die schöne Gestalt,
und sieht sie erbleichen und sinken hin,
da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben,
und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.

Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
sie verkündigt der donnernde Schall,
da bückt sich's hinunter mit liebendem Blick,
es kommen, es kommen die Wasser all,
sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
den Jüngling bringt keines wieder.

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Der Ring des Polykrates

Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf das beherrschte Samos hin.
"Dies alles ist mir untertänig",
Begann er zu Ägyptens König,
"Gestehe, daß ich glücklich bin."

"Du hast der Götter Gunst erfahren!
Die vormals deinesgleichen waren,
Sie zwingt jetzt deines Zepters Macht.
Doch einer lebt noch, sie zu rächen,
Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
Solang des Feindes Auge wacht."

Und eh der König noch geendet,
Da stellt sich, von Milet gesendet,
Ein Bote dem Tyrannen dar:
"Laß, Herr! des Opfers Düfte steigen
Und mit des Lorbeers muntern Zweigen
Bekränze dir dein festlich Haar.

Getroffen sank dein Feind vom Speere,
Mich sendet mit der frohen Märe
Dein treuer Feldherr Polydor - "
Und nimmt aus einem schwarzen Becken,
Noch blutig, zu der beiden Schrecken,
ein wohlbekanntes Haupt hervor.

Der König tritt zurück mit Grauen:
"Doch warn ich dich dem Glück zu trauen",
Versetzt er mit besorgtem Blick.
"Bedenk, auf ungetreuen Wellen,
Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen,
Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück."

Und eh er noch das Wort gesprochen,
Hat ihn der Jubel unterbrochen,
Der von der Reede jauchzend schallt.
Mit fremden Schätzen reich beladen,
Kehrt zu den heimischen Gestaden
Der Schiffe mastenreicher Wald.

Der königliche Gast erstaunet:
"Dein Glück ist heute gut gelaunet,
Doch fürchte seinen Unbestand.
Der Kreter waffenkundge Scharen
Bedräuen dich mit Kriegsgefahren,
Schon nahe sind sie diesem Strand."

Und eh ihm noch das Wort entfallen,
Da sieht mans von den Schiffen wallen,
Und tausend Stimmen rufen "Sieg!
Von Feindesnot sind wir befreiet,
Die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
Vorbei, geendet ist der Krieg."

Das hört der Gastfreund mit Entsetzen:
"Fürwahr, ich muß dich glücklich schätzen,
Doch", spricht er, "zittr ich für dein Heil.
Mir grauet vor der Götter Neide,
Des Lebens ungemischte Freude
Ward keinem Irdischen zuteil.

Auch mir ist alles wohlgeraten,
Bei allen meinen Herrschertaten
Begleitet mich des Himmels Huld,
Doch hatt ich einen treuen Erben,
Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben,
Dem Glück bezahlt' ich meine Schuld.

Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
So flehe zu den Unsichtbaren,
Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch keinen sah ich fröhlich enden,
Auf den mit immer vollen Händen
Die Götter ihre Gaben streun.

Und wenns die Götter nicht gewähren,
So acht auf eines Freundes Lehren
Und rufe selbst das Unglück her,
Und was von allen deinen Schätzen
Dein Herz am höchsten mag ergötzen,
Das nimm und wirfs in dieses Meer."

Und jener spricht, von Furcht beweget:
"Von allem, was die Insel heget,
Ist dieser Ring mein höchstes Gut.
Ihn will ich den Erinnien weihen,
Ob sie mein Glück mir dann verzeihen."
Und wirft das Kleinod in die Flut.

Und bei des nächsten Morgens Lichte,
Da tritt mit fröhlichem Gesichte
ein Fischer vor den Fürsten hin:
"Herr, diesen Fisch hab ich gefangen,
Wie keiner noch ins Netz gegangen,
Dir zum Geschenke bring ich ihn."

Und als der Koch den Fisch zerteilet,
Kommt er bestürzt herbeigeeilet
Und ruft mit hocherstauntem Blick:
"Sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
Ihn fand ich in des Fisches Magen,
O, ohne Grenzen ist den Glück!"

Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
"So kann ich hier nicht ferner hausen,
Mein Freund kannst du nicht weiter sein.
Die Götter wollen dein Verderben,
Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben."
Und sprachs und schiffte schnell sich ein.

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Der Antritt des neuen Jahrhunderts

Edler Freund! Wo öffnet sich dem Frieden,
Wo der Freiheit sich ein Zufluchtsort?
Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,
Und das neue öffnet sich mit Mord.

Und das Band der Länder ist gehoben,
Und die alten Formen stürzen ein;
Nicht das Weltmeer hemmt des Krieges Toben,
Nicht der Nilgott und der alte Rhein.

Zwo gewalt'ge Nationen ringen
Um der Welt alleinigen Besitz,
Aller Länder Freiheit zu verschlingen
Schwingen sie den Dreizack und den Blitz.

Gold muß ihnen jede Landschaft wägen,
Und wie Brennus in der rohen Zeit
Legt der Franke seinen ehrnen Degen
In die Waage der Gerechtigkeit.

Seine Handelsflotte streckt der Brite
Gierig wie Polypenarme aus,
Und das Reich der freien Amphitrite
Will er schließen in sein eignes Haus.

Zu des Südpols nie erblickten Sternen
Dringt sein rastlos ungehemmter Lauf,
Alle Inseln spürt er, alle fernen
Küsten - nur das Paradies nicht auf.

Ach umsonst auf allen Länderkarten
Spähst du nach dem seligen Gebiet,
Wo der Freiheit ewig grüner Garten,
Wo der Menschheit schöne Jugend blüht.

Endlos liegt die Welt vor deinen Blicken,
Und die Schiffahrt selbst ermißt sie kaum,
Doch auf ihrem unermeßnen Rücken
Ist für zehen Glückliche nicht Raum.

In des Herzens heilig stille Räume
Mußt du fliehen aus des Lebens Drang,
Freiheit ist nur in dem Reich der Träume,
Und das Schöne blüht nur im Gesang.

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Des Mädchens Klage

Der Eichwald brauset,
Die Wolken ziehn,
Das Mägdlein sitzet
An Ufers Grün,
Es bricht sich die Welle mit Macht, mit Macht,
Und sie seufzet hinaus in die finstre Nacht,
Das Auge vom Weinen getrübet.

"Das Herz ist gestorben,
Die Welt ist leer,
Und weiter gibt sie
Dem Wunsche nichts mehr.
Du Heilige, rufe dein Kind zurück,
Ich habe genossen das irdische Glück,
Ich habe gelebt und geliebet!"

Es rinnet der Tränen
Vergeblicher Lauf,
Die Klage, sie wecket
Die Toten nicht auf,
Doch nenne, was tröstet und heilet die Brust
Nach der süßen Liebe verschwundener Lust,
Ich, die himmlische, wills nicht versagen.

"Laß rinnen der Tränen
Vergeblichen Lauf,
Es wecke die Klage
Den Toten nicht auf,
Das süßeste Glück für die trauernde Brust,
Nach der schönen Liebe verschwundener Lust,
Sind der Liebe Schmerzen und Klagen."

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Das verschleierte Bild zu Sais


Ein Jüngling, den des Wissens Durst
nach Sais in Ägypten trieb, der Priester
geheime Weisheit zu erlernen, hatte
schon manchen Grad mit schnellem Geist durcheilt;
stets riß ihn seine Forschbegierde weiter,
und kaum besänftigte der Hierophant
den ungeduldig Strebenden: "Was hab' ich,
wenn ich nicht alles habe," sprach der Jüngling;
"Gibt's etwa hier ein Weniger und Mehr?
Ist deine Weisheit wie der Sinne Glück,
nur eine Summe, die man größer, kleiner
besitzen kann und immer doch besitzt?
Ist sie nicht eine einz'ge, ungeteilte?
Nimm einen Ton aus einer Harmonie,
Nimm eine Farbe aus dem Regenbogen,
und alles was dir bleibt, ist nichts, solang
das schöne All der Töne fehlt und Farben."

Indem sie einst so sprachen, standen sie
in einer einsamen Rotonde still,
wo ein verscheiert Bild von Riesengröße
dem Jüngling in die Augen fiel. Verwundert
blickt er den Führer an und spricht: "Was ist's,
das hinter diesem Schleier sich verbirgt?" -
"Die Wahrheit," ist die Antwort - "Wie?" ruft jener,
"Nach Wahrheit streb' ich ja allein, und diese
gerade ist es, die man mir verhüllt?"

"Das mache mit der Gottheit aus," versetzt
der Hierophant. "Kein sterblicher, sagt sie,
rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.
Und wer mit ungeweihter, schuld'ger Hand
den heiligen, verbotnen früher hebt,
der, spricht die Gottheit" - "Nun?" - "Der sieht die Wahrheit."

"Ein seltsamer Orakelspruch! Du selbst,
du hättest also niemals ihn gehoben?" -
"Ich? Wahrlich nicht! Und war auch nie dazu
versucht." - "Das fass' ich nicht. Wenn von der Wahrheit
nur diese dünne Scheidewand mich trennte" -
"Und ein Gesetz," fällt ihm sein Führer ein.
"Gewichtiger, mein Sohn, als du es meinst,
ist dieser dünne Flor - für deine Hand
zwar leicht, doch zentnerschwer für dein Gewissen."

Der Jüngling ging gedankenvoll nach Hause;
ihm raubt des Wissens brennende Begier
den Schlaf, er wälzt sich glühend auf dem Lager
und rafft sich auf um Mitternacht. Zum Tempel
führt unfreiwillig ihn der scheue Tritt.
Leicht ward es ihm, die Mauer zu ersteigen,
und mitten in das Innre der Rotonde
trägt ein beherzter Sprung den Wagenden.

Hier steht er nun, und grauenvoll umfängt
den Einsamen die lebenlose Stille,
die nur der Tritte hohler Widerhall
in den geheimen Grüften unterbricht.
Von oben durch der Kuppel Öffnung wirft
der Mond den bleichen, silbergrauen Schein,
und furchtbar, wie ein gegenwärt'ger Gott,
erglänzt durch des Gewölbes Finsternisse
in ihrem langen Schleier die Gestalt.

Er tritt hinan mit ungewissem Schritt;
schon will die freche Hand das Heilige berühren,
da zuckt es heiß und kühl durch sein Gebein
und stößt ihn weg mit unsichtbarem Arme.
Unglücklicher, was willst du tun? So ruft
in seinem Innern eine treue Stimme.
Versuchen den Allheiligen willst du?
Kein Sterblicher, sprach des Orakels Mund,
rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.
Doch setzte nicht derselbe Mund hinzu:
Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit schauen?
"Sei hinter ihm, was will! Ich heb' ihn auf."
Er ruft's mit lauter Stimm': "Ich will sie schauen." Schauen!
Gellt ihm ein langes Echo spottend nach.

Er spricht's und hat den Schleier aufgedeckt.
"Nun," fragt ihr, "und was zeigte sich ihm hier?"
Ich weiß es nicht. Besinnungslos und bleich,
so fanden ihn am andern Tag die Priester
am Fußgestell der Isis ausgestreckt.
Was er allda gesehen und erfahren,
hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig
war seines Lebens Heiterkeit dahin,
ihn riß ein tiefer Gram zum frühen Grabe.
"Weh dem," dies war sein warnungsvolles Wort,
wenn ungestüme Frager in ihn drangen,
"Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld!
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein."

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Kassandra

Freude war in Trojas Hallen,
Eh die hohe Feste fiel,
Jubelhymnen hört man schallen
In der Seiten goldnes Spiel.
Alle Hände ruhen müde
Von dem tränenvollen Streit,
Weil der herrliche Pelide
Priams schöne Tochter freit.

Und geschmückt mit Lorbeerreisern,
Festlich wallet Schar auf Schar
Nach der Götter heil'gen Häusern,
Zu des Thymbriers Altar.
Dumpferbrausend durch die Gassen
Wälzt sich die bacchant'sche Lust,
Und in ihrem Schmerz verlassen
War nur e i n e traur'ge Brust.

Freudlos in der Freude Fülle,
Ungesellig und allein,
Wandelte Kassandra stille
In Apollos Lorbeerhain.
In des Waldes tiefste Gründe
Flüchtete die Seherin,
Und sie warf die Priesterbinde
Zu der Erde zürnend hin:

"Alles ist der Freude offen,
Alle Herzen sind beglückt,
Und die alten Eltern hoffen,
Und die Schwester steht geschmückt,
Ich allein muß einsam trauern,
Denn mich flieht der süße Wahn,
Und geflügelt diesen Mauern
Seh ich das Verhängnis nahn.

Eine Fackel seh ich glühen,
Aber nicht in Hymens Hand,
Nach den Wolken seh ich's ziehen,
Aber nicht wie Opferbrand.
Feste seh ich froh bereiten,
Doch im ahnungsvollen Geist
Hör ich schon des Gottes Schreiten,
Der sie jammervoll zerreißt.

Und sie schelten meine Klage,
Und sie höhnen meinen Schmerz,
Einsam in die Wüste tragen
Muß ich mein gequältes Herz,
Von den Glücklichen gemieden,
Und den Fröhlichen ein Spott!
Schweres hast du mir beschieden
Pythischer, du arger Gott!

Dein Orakel zu verkünden,
Warum warfest du mich hin
In die Stadt der ewig Blinden,
Mit dem aufgeschlossnen Sinn?
Warum gabst du mir zu sehen,
Was ich doch nicht ändern kann?
Das Verhängte muß geschehen,
Das Gefürchtete muß nahn.

Frommt's den Schleier aufzuheben
Wo das nahe Schrecknis droht?
Nur der Irrtum ist das Leben,
Und das Wissen ist der Tod.
Nimm, o nimm die traur'ge Klarheit,
Mir vom Aug den blut'gen Schein!
Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
Sterbliches Gefäß zu sein.

Meine Blindheit gib mir wieder
Und den fröhlich dunklen Sinn.
Nimmer sang ich freud'ge Lieder,
Seit ich d e i n e Stimme bin.
Zukunft hast du mir gegeben,
Doch du nahmst den Augenblick,
Nahmst der Stunde fröhlich Leben,
Nimm dein falsch Geschenk zurück.

Nimmer mit dem Schmuck der Bräute
Kränzt ich mir das duft'ge Haar,
Seit ich deinem Dienst mich weihte
An dem traurigen Altar.
Meine Jugend war nur Weinen,
Und ich kannte nur den Schmerz,
Jede herbe Not der Meinen
Schlug an mein empfindend Herz.

Fröhlich seh ich die Gespielen,
Alles um mich lebt und liebt
In der Jugend Lustgefühlen,
Mir nur ist das Herz getrübt.
Mir erscheint der Lenz vergebens,
Der die Erde festlich schmückt,
Wer erfreute sich des Lebens,
Der in seine Tiefen blickt!

Selig preis ich Polyxenen
In des Herzens trunknem Wahn,
Denn den Besten der Hellenen
Hofft sie bräutlich zu umfahn.
Stolz ist ihre Brust gehoben,
Ihre Wonne faßt sie kaum,
Nicht euch Himmlische dort oben
Neidet sie in ihrem Traum.

Und auch ich hab ihn gesehen,
Den das Herz verlangend wählt,
Seine schönen Blicke flehen,
Von der Liebe Glut beseelt.
Gerne möcht ich mit dem Gatten
In die heim'sche Wohnung ziehn,
doch es tritt ein styg'scher Schatten
Nächtlich zwischen mich und ihn.

Ihre bleichen Larven alle
Sendet mir Proserpina,
Wo ich wandre, wo ich walle,
Stehen mir die Geister da.
In der Jugend frohe Spiele
Drängen sie sich grausend ein,
Ein entsetzliches Gewühle,
Nimmer kann ich fröhlich sein.

Und den Mordstahl seh ich blinken,
Und das Mörderauge glühn,
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
Kann ich vor dem Schrecknis fliehn,
Nicht die Blicke darf ich wenden,
Wissend, schauend, unverwandt
Muß ich mein Geschick vollenden
Fallend in dem fremden Land" -

Und noch hallen ihre Worte,
Horch! Da dringt verworrner Ton
Fernher aus des Tempels Pforte,
Tot lag Thetis' großer Sohn!
Eris schüttelt ihre Schlangen,
Alle Götter fliehn davon,
Und des Donners Wolken hangen
Schwer herab von Ilion.

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Die Kraniche des Ibykus


Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
der auf Korinthus' Landesenge
der Griechen Stämme froh vereint,
zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
der Lieder süßen Mund Apoll;
so wandert' er, an leichtem Stabe,
aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken,
und in Poseidons Fichtenhain
tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme
von Kranichen begleiten ihn,
die fernhin nach des Südens Wärme
in graulichtem Geschwader ziehn.

"Seid mir gegrüßt, befreundte Scharen,
die mir zur See Begleiter waren!
Zum guten Zeichen nehm ich euch,
mein Los, es ist dem euren gleich:
Von fern her kommen wir gezogen
und flehen um ein wirtlich Dach.
Sei uns der Gastliche gewogen,
der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"

Und munter fördert er die Schritte
und sieht sich in des Waldes Mitte -
da sperren, auf gedrangem Steg,
zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muß er sich bereiten,
doch bald ermattet sinkt die Hand,
sie hat der Leier zarte Saiten,
doch nie des Bogens Kraft gespannt.

Er ruft die Menschen an, die Götter,
sein Flehen dringt zu keinem Retter,
wie weit er auch die Stimme schickt,
nichts Lebendes wird hier erblickt.
"So muß ich hier verlassen sterben,
auf fremdem Boden, unbeweint,
durch böser Buben Hand verderben,
wo auch kein Rächer mir erscheint!"

Und schwer getroffen sinkt er nieder,
da rauscht der Kraniche Gefieder,
er hört, schon kann er nicht mehr sehn,
die nahen Stimmen furchtbar krähn.
"Von euch, ihr Kraniche dort oben,
wenn keine andre Stimme spricht,
sei meines Mordes Klag erhoben!"
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden,
und bald, obgleich entstellt von Wunden,
erkennt der Gastfreund in Korinth
die Züge, die ihm teuer sind.
"Und muß ich so dich wiederfinden,
und hoffte mit der Fichte Kranz
des Sängers Schläfe zu umwinden,
bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

Und jammernd hören's alle Gäste,
versammelt bei Poseidons Feste,
ganz Griechenland ergreift der Schmerz,
verloren hat ihn jedes Herz;
und stürmend drängt sich zum Prytanen
das Volk, es fordert seine Wut,
zu rächen des Erschlagnen Manen,
zu sühnen mit des Mörders Blut.

Doch wo die Spur, die aus der Menge,
der Völker flutendem Gedränge,
gelocket von der Spiele Pracht,
den schwarzen Täter kenntlich macht?
Sind's Räuber, die ihn feig erschlagen?
Tat's neidisch ein verborgner Feind?
Nur Helios vermag's zu sagen,
der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte
jetzt eben durch der Griechen Mitte,
und während ihn die Rache sucht,
genießt er seines Frevels Frucht;
auf ihres eignen Tempels Schwelle
trotzt er vielleicht den Göttern, mengt
sich dreist in jene Menschenwelle,
die dort sich zum Theater drängt.

Denn Bank an Bank gedränget sitzen,
es brechen fast der Bühne Stützen,
herbeigeströmt von fern und nah,
der Griechen Völker wartend da;
dumpfbrausend wie des Meeres Wogen,
von Menschen wimmelnd, wächst der Bau
in weiter stets geschweiftem Bogen
hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
die gastlich hier zusammenkamen?
Von Cekrops' Stadt, von Aulis' Strand,
von Phocis, vom Spartanerland,
von Asiens entlegner Küste,
von allen Inseln kamen sie
und horchen von dem Schaugerüste
des Chores grauser Melodie,

der, streng und ernst, nach alter Sitte,
mit langsam abgemessnem Schritte
hervortritt aus dem Hintergrund,
umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine ird'schen Weiber,
die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
hoch über Menschliches hinaus.

Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,
sie schwingen in entfleischten Händen,
der Fackel düsterrote Glut,
in ihren Wangen fließt kein Blut;
und wo die Haare lieblich flattern,
um Menschenstirnen freundlich wehn,
da sieht man Schlangen hier und Nattern
die giftgeschwollen Bäuche blähn.

Und schauerlich gedreht im Kreise
beginnen sie des Hymnus Weise,
der durch das Herz zerreißend dringt,
die Bande um den Frevler schlingt.
Besinnungsraubend, herzbetörend
schallt der Erinnyen Gesang,
er schallt, des Hörers Mark verzehrend,
und duldet nicht der Leier Klang:


"Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
des Mordes schwere Tat vollbracht!
Wir heften uns an seine Sohlen,
das furchtbare Geschlecht der Nacht.

Und glaubt er fliehend zu entspringen,
geflügelt sind wir da, die Schlingen
ihm werfend um den flücht'gen Fuß,
daß er zu Boden fallen muß.
So jagen wir ihn ohn Ermatten,
versöhnen kann uns keine Reu,
ihn fort und fort bis zu den Schatten,
und geben ihn auch dort nicht frei."

So singend tanzen sie den Reigen,
und Stille wie des Todes Schweigen
liegt überm ganzen Hause schwer,
als ob die Gottheit nahe wär.
Und feierlich, nach alter Sitte,
umwandelnd des Theaters Rund,
mit langsam abgemeßnem Schritte
verschwinden sie im Hintergrund.

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
noch zweifelnd jede Brust und bebet
und huldiget der furchtbarn Macht,
die richtend im Verborgnen wacht,
die unerforschlich, unergründet
des Schicksals dunkeln Knäuel flicht,
dem tiefen Herzen sich verkündet,
doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

Da hört man auf den höchsten Stufen
auf einmal eine Stimme rufen:
"Sieh da! Sieh da, Timotheus,
die Kraniche des Ibykus!" -
Und finster plötzlich wird der Himmel,
und über dem Theater hin
sieht man, in schwärzlichem Gewimmel,
ein Kranichheer vorüberziehn.

"Des Ibykus!" - Der teure Name
rührt jede Brust mit neuem Grame,
und wie im Meere Well auf Well,
so läuft's von Mund zu Munde schnell:
"Des Ibykus, den wir beweinen,
den eine Mörderhand erschlug!
Was ist's mit dem? Was kann er meinen?
Was ist's mit diesem Kranichzug?"

Und lauter immer wird die Frage,
und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage
durch alle Herzen: "Gebet acht,
das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
der Mörder bietet selbst sich dar!
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen,
und ihn, an den's gerichtet war!"

Doch dem war kaum das Wort entfahren,
möcht er's im Busen gern bewahren;
umsonst! Der schreckenbleiche Mund
macht schnell die Schuldbewußten kund.
Man reißt und schleppt sie vor den Richter,
die Szene wird zum Tribunal,
und es gestehn die Bösewichter,
getroffen von der Rache Strahl.

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Der Handschuh


Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Ringsum,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behend,
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor,
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend,
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird's still,
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern sich die greulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leu'n
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
"Herr Ritter, ist eure Lieb so heiß
Wie ihr mir's schwört zu jeder Stund,
Ei so hebt mir den Handschuh auf."

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbaren Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehen's die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er der Handschuh zurück,
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
Aber mit zärtlichem Liebesblick -
Er verheißt ihm sein nahes Glück -
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
"Den Dank, Dame, begehr ich nicht",
Und verläßt sie zur selben Stunde.

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Der Graf von Habsburg


Zu Aachen in seiner Kaiserpracht,
im altertümlichen Saale,
saß König Rudolfs heilige Macht
beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins,
es schenkte der Böhme des perlenden Weins,
und alle die Wähler, die sieben,
wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,
umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,
die Würde des Amtes zu üben.

Und rings erfüllte den hohen Balkon
das Volk in freud'gem Gedränge,
laut mischte sich in der Posaunen Ton
das jauchzende Rufen der Menge.
Denn geendigt nach langem verderblichem Streit
war die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
und ein Richter war wieder auf Erden.
Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer,
nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr,
des Mächtigen Beute zu werden.

Und der Kaiser ergreift den goldnen Pokal
und spricht mit zufriedenen Blicken:
"Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl,
mein königlich Herz zu entzücken;
doch den Sänger vermiß ich, den Bringer der Lust,
der mit süßem Klang mir bewege die Brust
und mit göttlich erhabenen Lehren.
So hab ich's gehalten von Jugend an,
und was ich als Ritter gepflegt und getan,
nicht will ich's als Kaiser entbehren."

Und sieh! in der Fürsten umgebenden Kreis
trat der Sänger im langen Talare,
ihm glänzte die Locke silberweiß,
gebleicht von der Fülle der Jahre:
"Süßer Wohllaut schläft in der Saiten Gold,
der Sänger singt von der Minne Sold,
er preiset das Höchste, das Beste,
was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt;
doch sage, was ist des Kaisers wert
an seinem herrlichsten Feste?"

"Nicht gebieten werd ich dem Sänger", spricht
der Herrscher mit lächelndem Munde,
"er steht in des größeren Herren Pflicht,
er gehorcht der gebietenden Stunde.
Wie in den Lüften der Sturmwind saust,
man weiß nicht, von wannen er kommt und braust,
wie der Quell aus verborgenen Tiefen,
so des Sängers Lied aus dem Innern schallt
und wecket der dunklen Gefühle Gewalt,
die im Herzen wunderbar schliefen."

Und der Sänger rasch in die Saiten fällt
und beginnt sie mächtig zu schlagen:
"Aufs Weidwerk hinaus ritt ein edler Held,
den flüchtigen Gemsbock zu jagen.
Ihm folgte der Knapp mit dem Jägergeschoß,
und als er auf seinem stattlichen Roß
in eine Au kommt geritten,
ein Glöcklein hört er erklingen fern:
Ein Priester war's mit dem Leib des Herrn,
voran kam ein Messner geschritten.

"Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
das Haupt in Demut entblößet,
zu verehren mit gläubigem Christensinn,
was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld,
von des Gießbachs reißenden Fluten geschwellt,
das hemmte der Wanderer Tritte;
und beiseite legt jener das Sakrament,
von den Füßen zieht er die Schuhe behend,
damit er das Bächlein durchschritte.

"Was schaffst du? redet der Graf ihn an,
der ihn verwundert betrachtet.
Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann,
der nach der Himmelskost schmachtet.
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
da hat ihn der strömende Gießbach hinweg
im Strudel der Wellen gerissen.
Drum daß dem Lechzenden werde sein Heil,
so will ich das Wässerlein jetzt in Eil
durchwaten mit nackenden Füßen.

"Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd
und reicht ihm die prächtigen Zäume,
daß er labe den Kranken, der sein begehrt,
und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Tier
vergnüget noch weiter des Jagens Begier,
der andre die Reise vollführet.
Und am nächsten Morgen, mit dankendem Blick,
da bringt er dem Grafen sein Roß zurück,
bescheiden am Zügel geführet.

"Nicht wolle das Gott, rief mit Demutsinn
der Graf, daß zum Streiten und Jagen
das Roß ich beschritte fürderhin,
das meinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinst,
so bleib es gewidmet dem göttlichen Dienst;
denn ich hab es dem ja gegeben,
von dem ich Ehre und irdisches Gut
zu Lehen trage und Leib und Blut
und Seele und Atem und Leben.

"So möge Euch Gott, der allmächtige Hort,
der das Flehen der Schwachen erhöret,
zu Ehren Euch bringen hier und dort,
so wie Ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
durch ritterlich Walten im Schweizerland,
euch blühn sechs liebliche Töchter.
so mögen sie, rief er begeistert aus,
sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus
und glänzen die spätsten Geschlechter!"

Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da,
als dächt er vergangener Zeiten --
jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah,
da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell
und verbirgt der Tränen stürzenden Quell
in des Mantels purpurnen Falten.
Und alles blickte den Kaiser an
und erkannte den Grafen, der das getan,
und verehrte das göttliche Walten.

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Der Kampf

Nein, länger werd ich diesen Kampf nicht kämpfen,
Den Riesenkampf der Pflicht.
Kannst du des Herzens Flammentrieb nicht dämpfen,
So fordre, Tugend, dieses Opfer nicht.

Geschworen hab ich's, ja ich hab's geschworen,
Mich selbst zu bändigen.
Hier ist dein Kranz, es sei auf ewig mir verloren,
Nimm ihn zurück und laß mich sündigen.

Zerrissen sei, was wir bedungen haben,
Sie liebt mich - deine Krone sei verscherzt,
Glückselig, wer in Wonnetrunkenheit begraben,
So leicht wie ich den tiefen Fall verschmerzt.

Sie sieht den Wurm an meiner Jugend Blume nagen
Und meinen Lenz entflohn,
Bewundert still mein heldenmütiges Entsagen
Und großmutvoll beschließt sie meinen Lohn.


Mißtraue, schöne Seele, dieser Engelsgüte,
Dein Mitleid waffnet zum Verbrechen mich.
Gibt's in des Lebens unermeßlichem Gebiete
Gibt's einen andern schönern Lohn als dich?

Als das Verbrechen, das ich ewig fliehen wollte?
Tyrannisches Geschick!
Der einz'ge Lohn, der meine Tugend krönen sollte,
Ist meiner Tugend letzter Augenblick!

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Resignation



Auch ich war in Arkadien geboren,
Auch mir hat die Natur
An meiner Wiege Freude zugeschworen,
Auch ich war in Arkadien geboren,
Doch Tränen gab der kurze Lenz mir nur.

Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder,
Mir hat er abgeblüht.
Der stille Gott - o weinet meine Brüder -
Der stille Gott taucht meine Fackel nieder,
Und die Erscheinung flieht.

Da steh ich schon auf deiner finstern Brücke
Furchtbare Ewigkeit.
Empfange meinen Vollmachtbrief zum Glücke!
Ich bring ihn unerbrochen dir zurücke,
Ich weiß nichts von Glückseligkeit.

Vor deinem Thron erheb ich meine Klage,
Verhüllte Richterin.
Auf jenem Stern ging eine frohe Sage,
Du throntest hier mit des Gerichtes Waage
Und nennest dich Vergelterin.

Hier, spricht man, warten Schrecken auf den Bösen,
Und Freuden auf den Redlichen.
Des Herzens Krümmen werdest du entblößen,
Der Vorsicht Rätsel werdest du mir lösen,
Und Rechnung halten mit dem Leidenden.

Hier öffne sich die Heimat dem Verbannten,
Hier endige des Dulders Dornenbahn.
Ein Götterkind, das sie mir Wahrheit nannten,
Die meisten flohen, wenige nur kannten,
Hielt meines Lebens raschen Zügel an.

"Ich zahle dir in einem andern Leben,
Gib deine Jugend mir,
Nichts kann ich dir als diese Weisung geben."
Ich nahm die Weisung auf das andre Leben,
Und meiner Jugend Freuden gab ich ihr.

"Gib mir das Weib, so teuer deinem Herzen,
Gib deine Laura mir.
Jenseits der Gräber wuchern deine Schmerzen." -
Ich riß sie blutend aus dem wunden Herzen,
Und weinte laut, und gab sie ihr.

"Die Schuldverschreibung lautet an die Toten",
Hohnlächelte die Welt,
"Die Lügnerin, gedungen von Despoten,
Hat für die Wahrheit Schatten dir geboten,
Du bist nicht mehr, wenn dieser Schein verfällt."

Frech witzelte das Schlangenheer der Spötter:
"Vor einem Wahn, den nur Verjährung weiht,
Erzitterst du? Was sollen deine Götter,
Des kranken Weltplans schlau erdachte Retter,
Die Menschenwitz des Menschen Notdurft leiht?

Was heißt die Zukunft, die uns Gräber decken?
Die Ewigkeit mit der du eitel prangst?
Ehrwürdig nur, weil Hüllen sie verstecken,
Der Riesenschatten unsrer eignen Schrecken
Im hohlen Spiegel der Gewissensangst;

Ein Lügenbild lebendiger Gestalten,
Die Mumie der Zeit
Vom Balsamgeist der Hoffnung in den kalten
Behausungen des Grabes hingehalten,
Das nennt dein Fieberwahn Unsterblichkeit?

Für Hoffnungen - Verwesung straft sie Lügen -
Gabst du gewisse Güter hin?
Sechstausend Jahre hat der Tod geschwiegen,
Kam je ein Leichnam aus der Gruft gestiegen,
Der Meldung tat von der Vergelterin?" -

Ich sah die Zeit nach deinen Ufern fliegen,
Die blühende Natur
Blieb hinter ihr, ein welker Leichnam liegen,
Kein Toter kam aus seiner Gruft gestiegen,
Und fest vertraut ich auf den Götterschwur.

All meine Freuden hab ich dir geschlachtet,
Jetzt werf ich mich vor deinen Richterthron.
Der Menge Spott hab ich beherzt verachtet,
Nur deine Güter hab ich groß geachtet,
Vergelterin, ich fordre meinen Lohn.

"Mit gleicher Liebe lieb ich meine Kinder"
Rief unsichtbar ein Genius.
"Zwei Blumen", rief er - "hört es Menschenkinder -
Zwei Blumen blühen für den weisen Finder,
Sie heißen Hoffnung und Genuß.

Wer dieser Blume eine brach, begehre
Die andre Schwester nicht.
Genieße, wer nicht glauben kann. Die Lehre
Ist ewig wie die Welt. Wer glauben kann, entbehre.
Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.

Du hast gehofft, dein Lohn ist abgetragen,
Dein Glaube war dein zugewognes Glück.
Du konntest deine Weisen fragen,
Was man von der Minute ausgeschlagen
Gibt keine Ewigkeit zurück."

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An die Freude


Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, den Heiligtum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng geteilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Seid umschlungen Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder - überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen.


Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein,
Wer ein holdes Weib errungen,
Mische seinen Jubel ein!
Ja - wer auch nur eine Seele
Sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer's nie gekonnt, der stehle
Weinend sich aus diesem Bund!

Was den großen Ring bewohnet
Huldige der Sympathe!
Zu den Sternen leitet sie,
Wo der Unbekannte thronet.


Freude trinken alle Wesen
An den Brüsten der Natur,
Alle Guten, alle Bösen
Folgen ihrer Rosenspur.
Küsse gab sie uns und Reben,
Einen Freund, geprüft im Tod,
Wollust ward dem Wurm gegeben,
Und der Cherub steht vor Gott.

Ihr stürzt nieder, Millionen?
Ahnest du den Schöpfer Welt?
Such ihn überm Sternenzelt,
Über Sternen muß er wohnen.


Freude heißt die starke Feder
In der ewigen Natur.
Freude, Freude treibt die Räder
In der großen Weltenuhr.
Blumen lockt sie aus den Keimen,
Sonnen aus dem Firmament,
Sphären rollt sie aus den Räumen,
Die des Sehers Rohr nicht kennt.

Froh, wie seine Sonnen fliegen
Durch des Himmels prächt'gen Plan,
Wandelt Brüder eure Bahn,
Freudig wie ein Held zum Siegen.


Aus der Wahrheit Feuerspiegel
Lächelt sie den Forscher an.
Zu der Tugend steilem Hügel
Leitet sie des Dulders Bahn.
Auf des Glaubens Sonnenberge
Sieht man ihre Fahnen wehn,
Durch den Riß gesprengter Särge
Sie im Chor der Engel stehn.

Duldet mutig Millionen!
Duldet für die beßre Welt!
Droben überm Sternenzelt
Wird ein großer Gott belohnen.


Göttern kann man nicht vergelten,
Schön ist ihnen gleich zu sein.
Gram und Armut solln sich melden,
Mit den Frohen sich erfreun.
Groll und Rache sein vergessen,
Unserm Todfeind sei verziehn,
Keine Träne soll ihn pressen,
Keine Reue nage ihn.

Unser Schuldbuch sei vernichtet,
Ausgesöhnt die ganze Welt!
Brüder - überm Sternenzelt
Richtet Gott wie ihr gerichtet.


Freude sprudelt in Pokalen,
In der Traube goldnem Blut
Trinken Sanftmut Kannibalen,
Die Verzweiflung Heldenmut.
Brüder fliegt von euren Sitzen,
Wenn der volle Römer kreist,
Laßt den Schaum zum Himmel spritzen:
Dieses Glas dem guten Geist!

Den der Sterne Wirbel loben,
Den des Seraphs Hymne preist,
Dieses Glas dem guten Geist,
Überm Sternenzelt dort droben!


Festen Mut in schweren Leiden,
Hilfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwornen Eiden,
Wahrheit gegen Freund und Feind,
Männerstolz vor Königsthronen,
Brüder, gält es Gut und Blut!
Dem Verdienste seine Kronen,
Untergang der Lügenbrut!

Schließt den heil'gen Zirkel dichter,
Schwört bei diesem goldnen Wein,
Dem Gelübde treu zu sein,
Schwört es bei dem Sternenrichter!

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Die Künstler

Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmenzweige
Stehst du an des Jahrhunderts Neige,
In edler stolzer Männlichkeit,
Mit aufgeschloßnem Sinn, mit Geistesfülle,
Voll milden Ernsts, in tatenreicher Stille,
Der reifste Sohn der Zeit,
Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze
Durch Sanftmut groß, und reich durch Schätze,
Die lange Zeit dein Busen dir verschwieg,
Herr der Natur, die deine Fessel liebet,
Die deine Kraft in tausend Kämpfen übet,
Und prangend unter dir aus der Verwildrung stieg!

Berauscht von dem errungnen Sieg,
Verlerne nicht die Hand zu preisen,
Die an des Lebens ödem Strand
Den weinenden verlaßnen Waisen
Des wilden Zufalls Beute fand,
Die frühe schon der künft'gen Geisterwürde,
Dein junges Herz im stillen zugekehrt,
Und die befleckende Begierde
Von deinem zarten Busen abgewehrt,
Die Gütige, die deine Jungend
In hohen Pflichten spielend unterwies
Und das Geheimnis der erhabnen Tugend
In leichten Rätseln dich erraten ließ,
Die, reifer nur ihn wiederzuempfangen,
In fremde Arme ihren Liebling gab,
O falle nicht mit ausgeartetem Verlangen
Zu ihren niedern Dienerinnen ab!
Im Fleiß kann dich die Biene meistern,
In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein,
Dein Wissen teilest du mit vorgezognen Geistern,
Die Kunst, o Mensch, hast du allein.

Nur durch das Morgentor des Schönen
Drangst du in der Erkenntnis Land.
An höhern Glanz dich zu gewöhnen,
Übt sich am Reize der Verstand.
Was bei dem Saitenklang der Musen
Mit süßem Beben dich durchdrang,
Erzog die Kraft in deinem Busen,
Die sich dereinst zum Weltgeist schwang.

Was erst, nachdem Jahrtausende verflossen,
Die alternde Vernunft erfand,
Lag im Symbol des Schönen und des Großen
Voraus geoffenbart dem kindischen Verstand.
Ihr holdes Bild hieß uns die Tugend lieben,
Ein zarter Sinn hat vor dem Laster sich gesträubt,
Eh noch ein Solon das Gesetz geschrieben,
Das matte Blüten langsam treibt.
Eh vor des Denkers Geist der kühne
Begriff des ew'gen Raumes stand,
Wer sah hinauf zur Sternenbühne,
Der ihn nicht ahnend schon empfand?

Die, eine Glorie von Orionen
Ums Angesicht, in hehrer Majestät,
Nur angeschaut von reineren Dämonen
Verzehrend über Sterne geht,
Geflohn auf ihrem Sonnenthrone,
Die furchtbar herrlich Urania,
Mit abgelegter Feuerkrone,
Steht sie - als Schönheit vor uns da.
Der Anmut Gürtel umgewunden,
Wird sie zum Kind, daß Kinder sie verstehn,
Was wir als Schönheit hier empfunden,
Wird einst als Wahrheit uns entgegengehn.

Als der Erschaffende von seinem Angesichte
Den Menschen in die Sterblichkeit verwies,
Und eine späte Wiederkehr zum Lichte
Auf schwerem Sinnenpfad ihn finden hieß,
Als alle Himmlischen ihr Antlitz von ihm wandten,
Schloß sie, die Menschliche, allein
Mit dem verlassenen Verbannten
Großmütig in die Sterblichkeit sich ein.
Hier schwebt sie, mit gesenktem Fluge,
Um ihren Liebling, nah am Sinnenland,
Und malt mit lieblichem Betruge
Elysium auf seine Kerkerwand.

Als in den weichen Armen dieser Amme
Die zarte Menschheit noch geruht,
Da schürte heil'ge Mordsucht keine Flamme,
Da rauchte kein unschuldig Blut.
Das Herz, das sie an sanften Banden lenket,
Verschmäht der Pflichten knechtisches Geleit;
Ihr Lichtpfad, schöner nur geschlungen, senket
Sich in die Sonnenbahn der Sittlichkeit.
Die ihrem keuschen Dienste leben
Versucht kein niedrer Trieb, bleicht kein Geschick;
Wie unter heilige Gewalt gegeben
Empfangen sie das reine Geisterleben,
Der Freiheit süßes Recht, zurück.

Glückselige, die sie - aus Millionen
Die reinsten - ihrem Dienst geweiht,
In deren Brust sie würdigte zu thronen,
Durch deren Mund die Mächtige gebeut,
Die sie auf ewig flammenden Altären
Erkor das heil'ge Feuer ihr zu nähren,
Vor deren Aug allein sie hüllenlos erscheint,
Die sie in sanftem Bund um sich vereint!
Freut euch der ehrenvollen Stufe,
Worauf die hohe Ordnung euch gestellt!
In die erhabne Geisterwelt
Wart ihr der Menschheit erste Stufe!

Eh ihr das Gleichmaß in die Welt gebracht,
Dem alle Wesen freudig dienen -
Ein unermeßner Bau, im schwarzen Flor der Nacht
Nächst um ihn her, mit mattem Strahl beschienen,
Ein streitendes Gestaltenheer,
Die seinen Sinn in Sklavenbanden hielten,
Und ungesellig, rauh wie er,
Mit tausend Kräften auf ihn ziehlten,
- So stand die Schöpfung vor dem Wilden.
Durch der Begierde blinde Fessel nur
An die Erscheinungen gebunden,
Entfloh ihm, ungenossen, unempfunden,
Die schöne Seele der Natur.

Und wie sie fliehend jetzt vorüberfuhr,
Ergriffet ihr die nachbarlichen Schatten
Mit zartem Sinn, mit stiller Hand,
Und lerntet in harmon'schem Band
Gesellig sie zusammengatten.
Leichtschwebend fühlte sich der Blick
Vom schlanken Wuchs der Zeder aufgezogen,
Gefällig strahlte der Kristall der Wogen
die hüpfende Gestalt zurück.
Wie konntet ihr des schönen Winks verfehlen,
Womit euch die Natur hilfreich entgegenkam?
Die Kunst, den Schatten ihr nachahmend abzustehlen,
Wies euch das Bild, das auf der Woge schwamm.
Von ihrem Wesen abgeschieden,
Ihr eignes liebliches Phantom,
Warf sie sich in den Silberstrom,
Sich ihrem Räuber anzubieten.
Die schöne Bildkraft ward in eurem Busen wach.
Zu edel schon, nicht müßig zu empfangen,
Schuft ihr im Sand - im Ton den holden Schatten nach,
Im Umriß ward sein Dasein aufgefangen.
Lebendig regte sich des Wirkens süße Lust -
Die erste Schöpfung trat aus eurer Brust.

Von der Betrachtung angehalten,
Von eurem Späheraug umstrickt,
Verrieten die vertraulichen Gestalten
Den Talisman, wodurch sie euch entzückt.
Die wunderwirkenden Gesetze,
Des Reizes ausgeforschte Schätze
Verknüpfte der erfindende Verstand
In leichtem Bund in Werken eurer Hand.
Der Obeliske stieg, die Pyramide,
Die Herme stand, die Säule sprang empor,
Des Waldes Melodie floß aus dem Haberrohr,
Und Siegestaten lebten in dem Liede.

Die Auswahl einer Blumenflur
Mit weiser Wahl in einen Strauß gebunden,
So trat die erste Kunst aus der Natur;
Jetzt werden Sträuße schon in einen Kranz gewunden,
Und eine zweite höhre Kunst erstand
Aus Schöpfungen der Menschenhand.
Das Kind der Schönheit, sich allein genug,
Vollendet schon aus eurer Hand gegangen,
Verliert die Krone, die es trug,
Sobald es Wirklichkeit empfangen.
Die Säule muß, dem Gleichmaß untertan,
An ihrer Schwestern nachbarlich sich schließen,
Der Held im Heldenheer zerfließen.
Des Mäoniden Harfe stimmt voran.

Bald drängten sich die staunenden Barbaren
Zu diesen neuen Schöpfungen heran.
Seht, riefen die erfreuten Scharen,
Seht an, das hat der Mensch getan!
In lustigen geselligeren Paaren
Riß sie des Sängers Leier nach,
Der von Titanen sang und Riesenschlachten,
Und Löwentötern, die, solang der Sänger sprach,
Aus seinen Hörern Helden machten.
Zum erstenmal genießt der Geist;
Erquickt von ruhigeren Freuden,
Die aus der Ferne nur ihn weiden,
Die seine Gier nicht in sein Wesen reißt,
Die im Genusse nicht verscheiden.

Jetzt wand sich von dem Sinnenschlafe
Die freie schöne Seele los,
Durch euch entfesselt, sprang der Sklave
Der Sorge in der Freude Schoß.
Jetzt fiel der Tierheit dumpfe Schranke,
Und Menschheit trat auf die entwölkte Stirn,
Und der erhabne Fremdling, der Gedanke,
Sprang aus dem staunenden Gehirn.
Jetzt stand der Mensch, und wies den Sternen
Das königliche Angesicht,
Schon dankte nach erhabnen Fernen
Sein sprechend Aug dem Sonnenlicht.
Das Lächeln blühte auf der Wange,
Der Stimme seelenvolles Spiel
Entfaltete sich zum Gesange,
Im feuchten Auge schwamm Gefühl,
Und Schmerz mit Huld in anmutsvollem Bunde
Entquollen dem beseelten Munde.

Begraben in des Wurmes Triebe,
Umschlungen von des Sinnes Lust,
Erkanntet ihr in seiner Brust
Den edlen Keim der Geisterliebe.
Daß von des Sinnes niederm Triebe
Der Liebe beßrer Keim sich schied,
Dankt er dem ersten Hirtenlied.
Geadelt zu Gedankenwürde
Floß die verschämtere Begierde
Melodisch aus des Sängers Mund.
Sanft glühten die betauten Wangen,
Das überlebende Verlangen
Verkündigte der Seele Bund.

Der Weisen Weisestes, der Milden Milde,
Der Starken Kraft, der Edlen Grazie,
Vermähltet ihr in einem Bilde
Und stelltet es in eine Glorie.
Der Mensch erbebte vor dem Unbekannten,
Er liebte seinen Widerschein;
Und herrliche Heroen brannten
Dem großen Wesen gleich zu sein,
Den ersten Klang vom Urbild alles Schönen
Ihr ließet ihn in der Natur ertönen.

Der Leidenschaften wilden Drang,
Des Glückes regellose Spiele,
Der Pflichten und Instinkte Zwang
Stellt ihr mit prüfendem Gefühle,
Mit strengem Richtscheit nach dem Ziele.
Was die Natur auf ihrem großen Gange
In weiten Fernen auseinanderzieht,
Wird auf dem Schauplatz, im Gesange
Der Ordnung leicht gefaßtes Glied.
Vom Eumenidenchor geschrecket,
Zieht sich der Mord, auch nie entdecktet,
Das Los des Todes aus dem Lied.
Lang, eh die Weisen ihren Ausspruch wagen,
Löst eine Ilias des Schicksals Rätselfragen
Der jungentlichen Vorwelt auf;
Still wandelte von Thespis' Wangen
Die Vorsicht in den Weltenlauf.

Doch in den großen Weltenlauf
Ward euer Ebenmaß zu früh getragen.
Als des Geschickes dunkle Hand,
Was sie vor eurem Auge schnürte,
Vor eurem Aug nicht auseinanderband,
Das Leben in die Tiefe schwand,
Eh es den schönen Kreis vollführte -
Da führtet ihr aus kühner Eigenmacht
Den Bogen weiter durch der Zukunft Nacht;
Da stürtzet ihr euch ohne Beben
In des Avernus schwarzen Ozean,
Und trafet das entflohne Leben
Jenseits der Urne wieder an:
Da zeigte sich mit umgestürztem Lichte,
An Kastor angelehnt, ein blühend Polluxbild;
Der Schatten in des Mondes Angesichte,
Eh sich der schöne Silberkreis erfüllt.

Doch höher stets, zu immer höhern Höhen
Schwang sich der schaffende Genie.
Schon sieht man Schöpfungen aus Schöpfungen entstehen,
Aus Harmonien Harmonie.
Was hier allein das trunkne Aug entzückte,
Dient unterwürfig dort der höhern Schöne;
Der Reiz, der diese Nymphe schmückt,
Schmilzt sanft in einer göttlichen Athene:
Die Kraft, die in des Ringers Muskeln schwillt,
Muß in des Gottes Schönheit lieblich schweigen;
Das Staunen seiner Zeit, das stolze Jovisbild
Im Tempel zu Olympia sich neigen.

Die Welt, verwandelt durch den Fleiß,
Das Menschenherz, bewegt von neuen Trieben,
Die sich in heißen Kämpfen üben,
Erweitern euren Schöpfungskreis.
Der fortgeschrittne Mensch trägt auf erhobnen Schwingen
Dankbar die Kunst mit sich empor,
Und neue Schönheitswelten springen
Aus der bereicherten Natur hervor.
Des Wissens Schranken gehen auf,
Der Geist, in euren leichten Siegen
Geübt mit schnell gezeitigtem Vergnügen
Ein künstlich All von Reizen zu durcheilen,
Stellt der Natur entlegenere Säulen,
Ereilet sie auf ihrem dunkeln Lauf.
Jetzt wägt er sie mit menschlichen Gewichten,
Mißt sie mit Maßen, die sie ihm geliehn;
Verständlicher in seiner Schönheit Pflichten
Muß sie an seinem Aug vorüberziehn.
In selbstgefäll'ger jugendlicher Freude
Leiht er den Sphären seine Harmonie,
Und preiset er das Weltgebäude,
So prangt es durch die Symmetrie.

In allem, was ihn jetzt umlebet,
Spricht ihn das holde Gleichmaß an.
Der Schönheit goldner Gürtel webet
Sich mild in seine Lebensbahn;
Die selige Vollendung schwebet
In euren Werken siegend ihm voran.
Wohin die laute Freude eilet,
Wohin der stille Kummer flieht,
Wo die Betrachtung denkend weilet,
Wo er des Elends Tränen sieht,
Wo tausend Schrecken auf ihn zielen,
Folgt ihm ein Harmonienbach,
Sieht er die Huldgöttinnen spielen
Und ringt in still verfeinerten Gefühlen
Der lieblichen Begleitung nach.
Sanft, wie des Reizes Linien sich winden,
Wie die Erscheinungen um ihn
In weichem Umriß ineinander schwinden,
Flieht seines Lebens leichter Hauch dahin.
Sein Geist zerrinnt im Harmonienmeere,
Das seine Sinne wollustreich umfließt,
Und der hinschmelzende Gedanke schließt
Sich still an die allgegenwärtige Cytere.
Gelassen hingestützt auf Grazien und Musen,
Empfängt er das Geschoß, das ihn bedräut,
Mit freundlich dargebotnem Busen
Vom sanften Bogen der Notwendigkeit.

Vertraute Lieblinge der sel'gen Harmonie,
Erfeuende Begleiter durch das Leben,
Das Edelste, das Teuerste, was sie,
Die Leben gab, zum Leben uns gegeben!
Daß der entjochte Mensch jetzt seine Pflichten denkt,
Die Fessel liebet, die ihn lenkt,
Kein Zufall mehr mit ehrnem Zepter ihm gebeut,
Dies dankt er euch - eure Ewigkeit,
Und ein erhabner Lohn in eurem Herzen.
Daß um den Kelch, worin uns Freiheit rinnt,
Der Freude Götter lustig scherzen,
Der holde Traum sich lieblich spinnt,
Dafür seid liebevoll umfangen!

Dem prangenden, dem heitern Geist,
Der die Notwendigkeit mit Grazie umzogen,
Der seinen Äther, seinen Sternenbogen
Mit Anmut uns bedienen heißt,
Der, wo er schreckt, noch durch Erhabenheit entzücket,
Und zum Verheeren selbst sich schmücket,
Dem großen Künstler ahmt ihr nach.
Wie auf dem spiegelhellen Bach
Die bunten Ufer tanzend schweben,
Das Abendrot, das Blütenfeld,
So schimmert auf dem dürft'gen Leben
Der Dichtung muntre Schattenwelt.
Ihr führet uns im Brautgewande
Die fürchterliche Unbekannte,
Die unerweichte Parze vor.
Wie eure Urnen die Gebeine,
Deckt ihr mit holdem Zauberscheine
Der Sorgen schauervollen Chor.
Jahrtausende hab ich durcheilet,
Der Vorwelt unabsehlich Reich:
Wie lacht die Menschheit, wo ihr weilet,
Wie traurig liegt sie hinter euch!

Die einst mit flüchtigem Gefieder
Voll Kraft aus eurem Schöpferhänden stieg,
In eurem Arm fand sie sich wieder,
Als durch der Zeiten stillen Sieg
Des Lebens Blüte von der Wange,
Die Stärke von den Gliedern wich,
Und traurig, mit entnervtem Gange,
Der Greis an seinem Stabe schlich.
Da reichtet ihr aus frischer Quelle
Dem Lechzenden die Lebenswelle,
Zweimal verjüngte sich die Zeit,
Zweimal von Samen, die ihr ausgestreut.

Vertrieben von Barbarenheeren,
Entrisset ihr den letzten Opferbrand
Der Orients entheiligten Altären,
Und brachtet ihn dem Abendland.
Da stieg der schöne Flüchtling aus dem Osten,
Der junge Tag, im Westen neu empor,
Und auf Hesperiens Gefilden sproßten
Verjüngte Blüten Joniens hervor.
Die schönere Natur warf in die Seelen
Sanft spiegelnd einen schönen Widerschein,
Und prangend zog in die geschmückten Seelen
Des Lichtes große Göttin ein.
Da sah man Millionen Ketten fallen
Und über Sklaven sprach jetzt Menschenrecht,
Wie Brüder friedlich miteinander wallen,
So mild erwuchs das jüngere Geschlecht.
Mit innrer hoher Freudenfülle
Genießt ihr das gegebne Glück,
Und tretet in der Demut Hülle
Mit schweigendem Verdienst zurück.

Wenn auf des Denkens freigegebnen Bahnen
Der Forscher jetzt mit kühnem Glücke schweift,
Und, trunken von siegrufenden Päanen,
Mit rascher Hand schon nach der Krone greift;
Wenn er mit niederm Söldnerlohne
Den edlen Führer zu entlassen glaubt;
Und neben dem geträumten Throne
Der Kunst den ersten Sklavenplatz erlaubt: -
Verzeit ihm - der Vollendung Krone
Schwebt glänzend über eurem Haupt.
Mit euch, des Frühlings erster Pflanze,
Begann die seelenbildende Natur,
Mit euch, dem freud'gen Erntekranze,
Schießt die vollendende Natur.

Die von dem Ton, dem Stein bescheiden aufgestiegen,
Die schöpferische Kunst umschließt mit stillen Siegen
Des Geistes unermeßnes Reich.
Was in des Wissens Land Entdecker nur ersiegen,
Entdecken sie, ersiegen sie für euch.
Der Schätze, die der Denker aufgehäufet,
Wird er in euren Armen erst sich freun,
Wenn seine Wissenschaft, der Schönheit zugereifet,
Zum Kunstwerk wird geadelt sein -
Wenn er auf einen Hügel mit euch steiget,
Uns seinem Auge sich, in mildem Abendschein,
Das malerische Tal - auf einmal zeiget,
Je reicher ihr den schnellen Blick vergnüget,
Je höhre schönre Ordnungen der Geist
In einem Zauberbund durchflieget,
In einem schwelgenden Genuß umkreist;
Je weiter sich Gedanken und Gefühle
Dem üppigeren Harmonienspiele,
Dem reichern Strom der Schönehit aufgetan -
Je schönre Glieder aus dem Weltenplan,
Die jetzt verstümmelt seine Schöpfung schänden,
Sieht er die hohen Formen dann vollenden,
Je schönre Rätsel treten aus der Nacht,
Je reicher wird die Welt, die er umschließet,
Je breiter strömt das Meer, mit dem er fließet,
Je schwächer wird des Schicksals blinde Macht,
Je höher streben seine Triebe,
Je kleiner wird er selbst, je größer seine Liebe.
So führt ihn, in verborgnem Lauf,
Durch immer höhre Höhn und immer schönre Schöne
Der Dichtung Blumenleiter still hinauf -
Zuletzt, am reifen Ziel der Zeiten,
Noch eine glückliche Begeisterung,
Des jüngsten Menschenalters Dichterschwung,
Und - in der Wahrheit Arme wird er gleiten.

Sie selbst, die sanfte Cypria,
Umleuchtet von der Feuerkrone
Steht dann vor ihrem münd'gen Sohne
Entschleiert - als Urania;
So schneller nur von ihm erhaschet,
Je schöner er von ihr geflohn!
So süß, so selig überraschet
Stand einst Ulysses edler Sohn,
Da seiner Jugend himmlischer Gefährte
Zu Jovis Tochter sich verklärte.

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!
Der Dichtung heilige Magie
Dient einem weisen Weltenplane,
Still lenke sie zum Ozeane
Der großen Harmonie!

Von ihrer Zeit verstoßen flüchte
Die ernste Wahrheit zum Gedichte,
Und finde Schutz in der Kamönen Chor.
In ihres Glanzes höchster Fülle,
Furchtbarer in des Reizes Hülle,
Erstehe sie in dem Gesange
Und räche sich mit Siegesklagen
An des Verfolgers Ohr.

Der freisten Mutter freie Söhne
Schwingt euch mit festem Angesicht
Zum Strahlensitz der höchsten Schöne,
Um andre Kronen buhlet nicht.
Die Schwestern, die euch hier verschwunden,
Holt ihr im Schoß der Mutter ein;
Was schöne Seelen schön empfunden,
Muß trefflich und vollkommen sein.
Erhebet euch mit kühnem Flügel
Hoch über euren Zeitenlauf;
Fern dämmre schon in eurem Spiegel
Das kommende Jahrhundert auf.
Auf tausendfach verschlungnen Wegen
Der reichen Mannigfaltigkeit
Kommt dann umarmend euch entgegen
Am Thron der hohen Einigkeit.
Wie sich in sieben milden Strahlen
Der weiße Schimmer lieblich bricht,
Wie sieben Regenbogenstrahlen
Zerrinnen in das weiße Licht,
So spielt in tausendfacher Klarheit
Bezaubernd um den trunknen Blick,
So fließt in einen Bund der Wahrheit,
In einen Strom des Lichts zurück!

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Poesie des Lebens

An * * *


"Wer möchte sich an Schattenbildern weiden,
Die mit erborgtem Schein das Wesen überkleiden,
Mit trügrischem Besitz die Hoffnung hintergehn?
Entblößt will ich die Wahrheit sehn.
Soll gleich mit meinem Wahn mein ganzer Himmel schwinden,
Soll gleich den freien Geist, den der erhabne Flug
Ins grenzenlose Reich der Möglichkeiten trug,
Die Gegenwart mit strengen Fesseln binden,
Er lernt sich selber überwinden,
Ihn wird das heilige Gebot
Der Pflicht, das furchtbare der Not
Nur desto unterwürf'ger finden,
Wer schon der Wahrheit milde Herrschaft scheut,
Wie trägt er die Notwendigkeit?" -

So rufst du aus und blickst, mein strenger Freund,
Aus der Erfahrung sichrem Porte,
Verwerfend hin auf alles, was nur scheint.
Erschreckt von deinem ernsten Worte
Entflieht der Liebesgötter Schar,
Der Musen Spiel verstummt, er ruhn der Horen Tänze,
Still trauernd nehmen ihre Kränze
Die Schwestergöttinnen vom schön gelockten Haar,
Apoll zerbricht die goldne Leier,
Und Hermes seinen Wanderstab,
Des Traumes rosenfarbner Schleier
Fällt von des Lebens bleichem Antlitz ab,
Die Welt scheint was sie ist, ein Grab.

Von seinen Augen nimmt die zauberische Binde
Cytherens Sohn, die Liebe sieht,
Sie sieht in ihrem Götterkinde
Den Sterblichen, erschrickt und flieht,
Der Schönheit Jugendbild veraltet,
Auf deinen Lippen selbst erkaltet
Der Liebe Kuß und in der Freude Schwung
Ergreift dich die Versteinerung.

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Die Macht des Gesanges


Ein Regenstrom aus Felstenrissen,
Er kommt mit Donners Ungestüm,
Bergtrümmer folgen seinen Güssen,
Und Eichen stürzen unter ihm,
Erstaunt mit wollustvollem Grausen
Hört ihn der Wanderer und lauscht,
Er hört die Flut vom Felsen brausen,
Doch weiß er nicht, woher sie rauscht,
so strömen des Gesanges Wellen
Hervor aus nie entdeckten Quellen.

Verbündet mit den furchtbarn Wesen,
Die still des Lebens Faden drehn,
Wer kann des Sängers Zauber lösen,
Wer seinen Tönen widerstehn?
Wie mit dem Stab des Götterboten
Beherrscht er das bewegte Herz,
Er taucht es in das Reich der Toten,
Er hebt es staunend himmelwärts
Und wiegt es zwischen Ernst und Spiel
Auf schwanker Leiter der Gefühle.

Wie wenn auf einmal in die Kreise
Der Freude, mit Gigantenschritt,
Geheimnisvoll nach Geisterweise
Ein ungeheures Schicksal tritt.
Da beugt sich jede Erdengröße
Dem Fremdling aus der andern Welt,
Des Jubels nichtiges Getöse
Verstummt, und jede Larve fällt.
Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege
Verschwindet jedes Werk der Lüge.

So rafft von jeder eitlen Bürde,
Wenn des Gesanges Ruf erschallt,
Der Mensch sich auf zur Geisterwürde,
Und tritt in heilige Gewalt;
Den hohen Göttern ist er eigen,
Ihm darf nichts Irdisches sich nahn,
Und jede andre Macht muß schweigen,
Und kein Verhängnis fällt ihn an,
Es schwinden jedes Kummers Falten,
Solang des Liedes Zauber walten.

Und wie nach hoffnungslosem Sehnen,
Nach langer Trennung bittrem Schmerz,
Ein Kind mit heißen Reuetränen
Sich stürzt an seiner Mutter Herz,
So führt zu seiner Jugend Hütten,
Zu seiner Unschuld reinem Glück,
Vom fernen Ausland fremder Sitten
Den Flüchtling der Gesang zurück,
In der Natur getreuen Armen
Von kalten Regeln zu erwarmen.

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Die Ideale


So willst du treulos von mir scheiden
Mit deinen holden Phantasien,
Mit deinen Schmerzen, deinen Freuden,
Mit allen unerbittlich fliehn?
Kann nichts dich, Fliehende! verweilen,
Oh! meines Lebens goldne Zeit?
Vergebens, deine Wellen eilen
Hinab ins Meer der Ewigkeit.

Erloschen sind die heitern Sonnen,
Die meiner Jugend Pfad erhellt,
Die Ideale sind zerronnen,
Die einst das trunkne Herz geschwellt,
Er ist dahin, der süße Glaube
An Wesen, die mein Traum gebar,
Der rauhen Wirklichkeit zum Raube,
Was einst so schön, so göttlich war.

Wie einst mit flehendem Verlangen
Pygmalion den Stein umschloß,
Bis in des Marmors kalten Wangen
Empfindung glühend sich ergoß,
So schlang ich mich mit Liebesarmen
Um die Natur, mit Jugendlust,
Bis sie zu atmen, zu erwarmen
Begann an meiner Dichterbrust.

Und teilend meine Flammentriebe
Die Stumme eine Sprache fand,
Mir wiedergab den Kuß der Liebe,
Und meines Herzens Klang verstand;
Da lebte mir der Baum, die Rose,
Mir sang der Quellen Silberfall,
Es fühlte selbst das Seelenlose
Von meines Lebens Widerhall.

Es dehnte mit allmächt'gem Streben
Die enge Brust ein kreisend All,
Herauszutreten in das Leben,
In Tat und Wort, in Bild und Schall.
Wie groß war diese Welt gestaltet,
Solang die Knospe sie noch barg,
Wie wenig, ach! hat sich entfaltet,
Dies Wenige, wie klein und karg.

Wie sprang, von kühnem Mut beflügelt,
Beglückt in seines Traumes Wahn,
Von keiner Sorge noch gezügelt,
Der Jüngling in des Lebens Bahn.
Bis an des Äthers bleichste Sterne
Erhob ihn der Entwürfe Flug,
Nichts war so hoch, und nichts so ferne,
Wohin ihr Flügel ihn nicht trug.

Wie leicht ward er dahingetragen,
Was war dem Glücklichen zu schwer!
Wie tanzte vor des Lebens Wagen
Die luftige Begleitung her!
Die Liebe mit dem süßen Lohne,
Das Glück mit seinem goldnen Kranz,
Der Ruhm mit seiner Sternenkrone,
Die Wahrheit in der Sonne Glanz!

Doch ach! schon auf des Weges Mitte
Verloren die Begleiter sich,
Sie wandten treulos ihre Schritte,
Und einer nach dem andern wich.
Leichtfüßig war das Glück entflogen,
Des Wissens Durst blieb ungestillt,
Des Zweifels finstre Wetter zogen
Sich um der Wahrheit Sonnenbild.

Ich sah des Ruhmes heil'ge Krone
Auf der gemeinen Stirn entweiht,
Ach! allzu schnell nach kurzem Lenze
Entfloh die schöne Liebeszeit.
Und immer stiller ward's und immer
Verlaßner auf dem rauhen Steg,
Kaum warf noch einen bleichen Schimmer
Die Hoffnung auf den finstern Weg.

Von all dem rauschenden Geleite,
Wer harrte liebend bei mir aus?
Wer steht mir heute noch zur Seite,
Und folgt mir bis zum finstern Haus?
Du, die du alle Wunden heilest,
Der Freundschaft leise zarte Hand,
Des Lebens Bürden liebend teilest,
Du, die ich frühe sucht und fand.

Und du, die gern sich mit ihr gattet,
Wie sie, der Seele Sturm beschwört,
Beschäftigung, die nie ermattet,
Die langsam schafft, doch nie zerstört,
Die zu dem Bau der Ewigkeiten
Zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht,
Doch von der großen Schuld der Zeiten
Minuten, Tage, Jahre streicht.

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Das Ideal und das Leben


Ewigklar und spiegelrein und eben
Fließt das zephyrleichte Leben
Im Olymp den Seligen dahin.
Monde wechseln und Geschlechter fliehen,
Ihrer Götterjugend Rosen blühen
Wandellos im ewigen Ruin.
Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden
Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl.
Auf der Stirn des hohen Uraniden
Leuchtet ihr vermählter Strahl.

Wollt ihr schon auf Erden Göttern gleichen,
Frei sein in des Todes Reichen,
Brechet nicht von seines Gartens Frucht.
An dem Scheine mag der Blick sich weiden,
Des Genusses wandelbare Freuden
Rächet schleunig der Begierde Flucht.
Selbst der Styx, der neunfach sie umwindet,
Wehrt die Rückkehr Ceres' Tochter nicht,
Nach dem Apfel greift sie und es bindet
Ewig sie des Orkus Pflicht.

Nur der Körper eignet jenen Mächten,
Die das dunkle Schicksal flechten,
Aber frei von jeder Zeitgewalt,
Die Gespielin seliger Naturen
Wandelt oben in des Lichtes Fluren,
Göttlich unter Göttern, die Gestalt.
Wollt ich hoch auf ihren Flügeln schweben,
Werft die Angst des Irdischen von euch,
Fliehet aus dem engen dumpfen Leben
In des Ideales Reich!

Jugendlich, von allen Erdenmalen
Frei, in der Vollendung Strahlen
Schwebet hier der Menschheit Götterbild,
Wie des Lebens schweigende Phantome
Glänzend wandeln an dem styg'schen Strome,
Wie sie stand im himmlischen Gefild,
Ehe noch zum traur'gen Sarkophage
Die Unsterbliche herunterstieg.
Wenn im Leben noch des Kampfes Waage
Schwankt, erscheinet hier der Sieg.

Nicht vom Kampf die Glieder zu entstricken,
Den Erschöpften zu erquicken,
Wehet hier des Sieges duft'ger Kranz.
Mächtig, selbst wenn eure Sehnen ruhten,
Reißt das Leben euch in seine Fluten,
Euch die Zeit in ihren Wirbeltanz.
Aber sinkt des Mutes kühner Flügel
Bei der Schranken peinlichem Gefühl,
Dann erblicket von der Schönheit Hügel
Freudig das erflogne Ziel.

Wenn es gilt, zu herrschen und zu schirmen,
Kämpfer gegen Kämpfer stürmen
Auf des Glückes, auf des Ruhmes Bahn,
Da mag Kühnheit sich an Kraft zerschlagen,
Und mit krachendem Getös die Wagen
Sich vermengen auf bestäubtem Plan.
Mut allein kann hier den Dank erringen,
Der am Ziel des Hippodromes winkt,
Nur der Starke wird das Schicksal zwingen,
Wenn der Schwächling untersinkt.

Aber der, von Klippen eingeschlossen,
Wild und schäumend sich ergossen,
Sanft und eben rinnt des Lebens Fluß
Durch der Schönheit stille Schattenlande,
Und auf seiner Welle Silberrande
Malt Aurora sich und Hesperus.
Aufgelöst in zarter Wechselliebe,
In der Anmut freiem Bund vereint,
Ruhen hier die ausgesöhnten Triebe,
Und verschwunden ist der Feind.

Wenn das Tote bildend zu beseelen,
Mit dem Stoff sich zu vermählen
Tatenvoll der Genius entbrennt,
Da, da spanne sich des Fleißes Nerve,
Und beharrlich ringend unterwerfe
Der Gedanke sich das Element.
Nur dem Ernst, den keine Mühe bleichet,
Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born,
Nur des Meisels schwerem Schlag erweichet
Sich des Marmors sprödes Korn.

Aber dringt bis in der Schönheit Sphäre,
Und im Staube bleibt die Schwere
Mit dem Stoff, den sie beherrscht, zurück.
Nicht der Masse qualvoll abgerungen,
Schlank und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen,
Steht das Bild vor dem entzückten Blick.
Alle Zweifel, alle Kämpfe schweigen
In des Sieges hoher Sicherheit,
Ausgestoßen hat es jeden Zeugen
Menschlicher Bedürftigkeit.

Wenn ihr in der Menschheit traur'ger Blöße
Steht vor des Gesetzes Größe,
Wenn dem Heiligen die Schuld sich naht,
Da erblasse vor der Wahrheit Strahle
Eure Tugend, vor dem Ideale
Fliehe mutlos die beschämte Tat.
Kein Erschaffner hat das Ziel erflogen,
Über diesen grauenvollen Schlund
Trägt kein Nachen, keiner Brücke Bogen,
Und kein Anker findet Grund.

Aber flüchtet aus der Sinne Schranken
In die Freiheit der Gedanken,
Und die Furchterscheinung ist entflohn,
Und der ew'ge Abgrund wird sich füllen;
Nehmt die Gottheit auf in euren Willen,
Und sie steigt von ihrem Weltenthron.
Des Gesetzes strenge Fessel bindet
Nur den Sklavensinn, der es verschmäht,
Mit des Menschen Widerstand verschwindet
Auch des Gottes Majestät.

Wenn der Menschheit Leiden euch umfangen,
Wenn Laokoon der Schlangen
Sich erwehrt mit namenlosem Schmerz,
Da empöre sich der Mensch! Es schlage
An des Himmel Wölbung seine Klage,
Und zerreiße euer fühlend Herz!
Der Natur furchtbare Stimme siege,
Und der Freude Wange werde bleich,
Und der heil'gen Sypathie erliege
Das Unsterbliche in euch!

Aber in den heitern Regionen,
Wo die reinen Formen wohnen,
Rauscht des Jammers trüber Sturm nicht mehr.
Hier darf Schmerz die Seele nicht durchschneiden,
Keine Träne fließt hier mehr dem Leiden,
Nur des Geistes tapfrer Gegenwehr.
Lieblich wie der Iris Farbenfeuer
Auf der Donnerwolke duft'gem Tau,
Schimmert durch der Wehmut düstern Schleier
Hier der Ruhe heitres Blau.

Tief erniedrigt zu des Feigen Knechte
Ging in ewigem Gefechte
Einst Alcid des Lebens schwere Bahn,
Rang mit Hydern und umarmt' den Leuen,
Stürzte sich, die Freunde zu befreien,
Lebend in des Totenschiffers Kahn.
Alle Plagen, alle Erdenlasten
Wälzt der unversöhnten Göttin List
Auf die will'gen Schultern des Verhaßten,
Bis sein Lauf geendigt ist -

Bis der Gott, des Irdischen entkleidet,
Flammend sich vom Menschen scheidet,
Und des Äthers leichte Lüfte trinkt.
Froh des neuen ungewohnten Schwebens
Fließt er aufwärts und des Erdenlebens
Schweres Traumbild sinkt und sinkt und sinkt.
Des Olypmus Harmonien empfangen
Den Verklärten in Chronions Saal,
Und die Göttin mit den Rosenwangen
Reicht ihm lächelnd den Pokal.

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Der Genius


"Glaub ich", sprichst du, "dem Wort, das der Weisheit Meister mich lehrt,
Das der Lehrlinge Schar sicher und fertig beschwört;
Kann die Wissenschaft nur zum wahren Frieden mich führen,
Nur des Systemes Gebälk stützen das Glück und das Recht?
Muß ich dem Trieb mißtraun, der leise mich warnt, dem Gesetze,
Das du selber, Natur, mir in den Busen geprägt,
Bis auf die ewige Schrift die SCHUL ihr Siegel geprägt,
Und der Formel Gefäß bindet den flüchtigen Geist?
Sage du mir's, du bist in diese Tiefen gestiegen,
Aus dem modrigten Grab kamst du erhalten zurück,
Dir ist bekannt, was die Gruft der dunklen Wörter bewahret,
Ob der Lebenden Trost dort bei den Mumien wohnt?
Muß ich ihn wandeln den nächtlichen Weg? Mir graut, ich bekann es,
Wandeln will ich ihn doch, führt er zu Wahrheit und Recht." -
Freund, du kennst doch die goldene Zeit, es haben die Dichter
manche Sage von ihr rührend und kindlich erzählt.
Jene Zeit, da das Heilige noch im Leben gewandelt,
Da jungfäulich und keusch noch das Gefühl sich bewahrt,
Da noch das große Gesetz, das oben im Sonnenlauf waltet,
Und verborgen im Ei reget den hüpfenden Punkt,
Noch der Notwendigkeit stilles Gesetz, das stetige, gleiche,
Auch der menschlichen Brust freiere Wellen bewegt,
Da nicht irrend der Sinn und treu, wie der Zeiger am Uhrwerk,
Auf das Wahrhaftige nur, nur auf das Ewige wies? -
Da war kein Profaner, keine Eingeweihter zu sehen,
Was man lebendig empfand, ward nicht bei Toten gesucht.
Gleich verständlich für jegliches Herz war die ewige Regel,
Gleich verborgen der Quell, dem sie belebend entfloß.
Aber die glückliche Zeit ist dahin! Vermessene Willkür
Hat der getreuen Natur göttlichen Frieden gestört.
Das entweihte Gefühl ist nicht mehr Stimme der Götter,
Und das Orakel verstummt in der entadelten Brust.
Nur in dem stilleren Selbst vernimmt es der horchende Geist noch,
Und den heiligen Sinn hütet das mystische Wort.
Hier beschwört es der Forscher, der reines Herzens hinabsteiget,
Und die verlorne Natur gibt ihm die Weisheit zurück.
Hast du, Glücklicher, nie den schützenden Engel verloren,
Nie des Instinkts leibende Warnung verwirkt,
Malt in dem keuschen Auge noch treu und rein sich die Wahrheit,
Tönt ihr rufen dir noch hell in der kindlichen Brust,
Schweigt noch in dem zufriednen Gemüt des Zweifels Empörung,
Wird sie, weißt du's gewiß, schweigen auf ewig wie heut,
Wird der Empfindungen Streit nie eines Richters bedürfen,
Nie den hellen Verstand trüben das tückische Herz -
O dann gehe du hin in deiner köstlichen Unschuld,
Dich kann die Wissenschaft nichts lehren. Sie lerne von dir!
Jenes Gesetz, das mit ehrnem Stab den Sträubenden lenket,
Dir nicht gilt's. Was du tust, was dir gefällt, ist Gesetz,
Und an alle Geschlechter ergeht ein göttliches Machtwort,
Was du mit heiliger Hand bildest, mit heiligem Mund
Redest, wird den erstaunten Sinn allmächtig bewegen,
Du nur merkst nicht den Gott, der dir im Busen gebeut,
Nicht des Siegels Gewalt, das alle Geister dir beuget,
Einfach gehst du und still durch die eroberte Welt.

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Das Mädchen aus der Fremde


In einem Tal bei armen Hirten
Erschien mit jedem neuen Jahr,
Sobald die ersten Lerchen schwirrten,
Ein Mädchen, schön und wunderbar.

Sie war nicht in dem Tal geboren,
Man wußte nicht, woher sie kam,
Und schnell war ihre Spur verloren,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Beseligend war ihre Nähe,
Und alle Herzen wurden weit,
Doch eine Würde, eine Höhe
Entfernte die Vertraulichkeit.

Sie brachte Blumen mit und Früchte
Gereift auf einer andern Flur,
In einem andern Sonnenlichte,
In einer glücklichern Natur.

Und teilte jedem eine Gabe,
Dem Früchte, jenem Blumen aus,
Der Jüngling und der Greis am Stabe,
Ein jeder ging beschenkt nach Haus.

Willkommen waren alle Gäste,
Doch nahte sich ein liebend Paar,
Dem reichte sie der Gaben beste,
Der Blumen allerschönste dar.

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Die Worte des Glaubens


Drei Worte nenn ich euch, inhaltschwer,
Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her,
Das Herz nur gibt davon Kunde,
Dem Menschen ist aller Wert geraubt,
Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd er in Ketten geboren,
Laßt euch nicht irren des Pöpels Geschrei,
Nicht den Mißbrauch rasender Toren,
Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht.

Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben,
Und sollt er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben,
Und was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.

Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke,
Hoch über der Zeit und dem Raume webt,
Lebendig der höchste Gedanke,
Und ob alles in ewigem Wechsel kreist,
Es beharrt im Wechsel ein ruhiger Geist.

Die drei Worte bewahret euch, inhaltschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde,
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Innres gibt davon Kunde,
Dem Menschen ist nimmer sein Wert geraubt,
Solang er noch an die drei Worte glaubt.

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Licht und Wärme


Der beßre Mensch tritt in die Welt
Mit fröhlichem Vertrauen,
Er glaubt, was ihm die Seele schwellt,
Auch außer sich zu schauen,
Und weiht, von edlem Eifer warm,
Der Wahrheit seinen treuen Arm.

Doch alles ist so klein so eng,
Hat er es erst erfahren,
Da sucht er in dem Weltgedräng
Sich selbst nur zu bewahren,
Das Herz in kalter stolzer Ruh
Schließt endlich sich der Liebe zu.

Sie geben, ach! nicht immer Glut
Der Wahrheit helle Strahlen,
Wohl denen, die des Wissens Gut
Nicht mit dem Herzen zahlen.
Drum paart zu eurem schönsten Glück
mit Schwärmers Ernst des Weltmanns Blick.

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Hoffnung

Es reden und träumen die Menschen viel
Von bessern künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen goldenen Ziel
Sieht man die rennen und jagen,
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung!

Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling locket ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben,
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er - die Hoffnung auf.

Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Toren.
Im Herzen kündet es laut sich an,
Zu was Besserm sind wir geboren!
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.

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Nänie


Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich,
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.

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Das Lied von der Glocke


Vivos voco, Mortuos plango, Fulga frango.


Festgemauert in der Erden,
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden,
Frisch Gesellen! seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.

Zum Werke, das wir ernst bereiten,
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann fließt die Arbeit munter fort.
So laßt uns jetzt mit Fleiß betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt,
Den schlechten Mann muß man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist's ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Daß er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise.

Was in des Dammes tiefer Grube
Die Hand mit Feuers Hilfe baut,
Hoch auf des Turmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird's in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr,
Und wird mit dem Betrübten klagen,
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was untern tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängnis bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
Die es erbaulich weiterklingt.

Weiße Blasen seh ich springen,
Wohl! die Massen sind im Fluß.
Laßt's mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß von reinlichem Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.

Denn mit der Freude Feierklange
Begrüßt sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschoße
Die schwarzen und die heitern Lose,
Der Mutterliebe zarte Sorgen
Bewachen seinen goldnen Morgen -
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind,
Vom Mädchen reißt sich stolz der Knabe,
Er stürmt ins Leben wild hinaus,
Durchmißt die Welt am Wanderstabe,
Fremd kehrt er heim ins Vaterhaus,
Und herrlich in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn,
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da faßt ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Tränen,
Er flieht der Brüder wilden Reihn.
Errötend folgt er ihren Spuren,
Und ist von ihrem Gruß beglückt,
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
Oh! zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit,
Oh! daß sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!

Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch ich ein,
Sehn wir's überglast erscheinen
Wird's zum Gusse zeitig sein.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.

Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
Spielt der jungfräuliche Kranz,
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
Endigt auch den Lebensmai,
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reißt der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht!
Die Liebe muß leiben,
Die Blume verblüht,
Die Frucht muß treiben.
Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen,
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn.
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den scheeigten Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.

Und der Vater mit frohem Blick
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Überzählet sein blühend Glück,
Siehet der Pfosten ragende Bäume
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Rühmt sich mit stolzem Mund:
Fest wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew'ger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.

Wohl! Nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch, bevor wir's lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus.
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt's mit feuerbraunen Wogen.

Wohltätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft;
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie losgelassen
Wachsend ohne Widerstand
Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen,
Aus der Wolke ohne Wahl,
Zuckt der Strahl!
Hört ihr wimmern hoch vom Turm?
Das ist Sturm!
Rot wie Blut
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Glut!
Welch Getümmel
Straße auf!
Dampft wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Straßen lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile,
Kochend wie aus Ofens Rachen
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Tiere wimmern,
Unter Trümmern,
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet,
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
Spritzen Quellen, Wasserwogen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie, in des Speichers Räume,
In der Sparren dürre Bäume,
Und als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reißen, in gewalt'ger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
Rießengroß!
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götterstärke,
Müßig sieht er seine Werke
Und bewundernd untergehen.

Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette,
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.

Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurück -
Greift fröhlich dann zum Wanderstabe,
Was Feuerswut ihm auch geraubt,
Ein süßer Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Häupter seiner Lieben
Und sieh! ihm fehlt kein teures Haupt.

In die Erd ist's aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird's auch schön zu Tage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.

Dem dunkeln Schoß der heil'gen Erde
Vertrauen wir der Hände Tat,
Vertraut der Sämann seine Saat
Und hofft, daß sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Rat.
Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schoß.
Und hoffen, daß er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Los.

Von dem Dome,
Schwer und bang,
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege.

Ach! die Gattin ist's, die teure,
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schar,
die sie blühend ihm gebar,
Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust -
Ach! des Hauses zarte Bande
Sind gelöst auf immerdar,
Denn sie wohnt im Schattenlande,
Die des Hauses Mutter war,
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr,
An verwaister Stätte schalten
Wird die Fremde, liebeleer.

Bis die Glocke sich verkühlet
Laßt die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet
Mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Lich,
Ledig aller Pflicht,
Hört der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muß sich immer plagen.

Munter fördert seine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
nach der lieben Heimathütte.
Bölkend ziehen heim die Schafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Scharen
Kommen brüllend,
Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kornbeladen,
Bunt von Farben
Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Straßen werden stiller,
Um des Lichts gesell'ge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
und das Stadttor schließt sich knarrend.
Schwarz bedecket
Sich die Erde,
Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen gräßlich wecket,
Denn das Auge des Gesetzes wacht.

Heil'ge Ordnung, segensreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesell'gen Wilden,
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten,
Und das teuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!

Tausend fleiß'ge Hände regen,
Helfen sich in munterm Bund
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heil'gem Schutz.
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß.

Holder Friede,
Süße Eintracht,
Weilet, weilet
Freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Tal durchtoben,
Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Röte
Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt!

Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat's erfüllt,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt.
Wenn die Glock soll auferstehen,
Muß die Form in Stücke gehen.

Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
Blindwütend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus;
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, daß sie heulden schallt,
Und nur geweiht zu Friedensklängen
Die Losung anstimmt zur Gewalt.

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen,
Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr,
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher,
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Panters Zähnen,
Zerreißen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.

Gefährlich ist's den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn,
Jedoch der schrecklichste der Schrecken
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Städt und Länder ein.

Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielt's wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.

Herein! herein!
Gesellen alle, schließt den Reihen,
Daß wir die Glock taufend weihen,
Concordia soll ihr Name sein,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sie die liebende Gemeine.

Und dies sein fortan ihr Beruf,
Wozu der Meister sie erschuf!
Hoch überm niedern Erdenleben
Soll sie im blauen Himmelszelt
Die Nachbarin des Donners schweben
Und grenzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme sein von oben,
Wie der Gestirne helle Schar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und führen das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sei ihr metallner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr im Fluge sie die Zeit,
Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwunge
des Lebens wechselvolles Spiel.
Und wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr erschallt,
So lehre sie, daß nichts bestehet,
Daß alles Irdische verhallt.

Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft.
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt,
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.

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Die Worte des Wahns


Drei Worte hört man bedeutungsschwer
Im Munde der Guten und Besten.
Sie schallen vergeblich, ihr Klang ist leer,
Sie können nicht helfen und trösten.
Verscherzt ist dem Menschen des Lebens Frucht,
Solang er die Schatten zu haschen sucht.

Solang er glaubt an die goldene Zeit,
Wo das Rechte, das Gute wird siegen -
Das Rechte, das Gute führt ewig Streit,
Nie wird der Feind ihm erliegen,
Und erstickst du ihn nicht in den Lüften frei,
Stets wächst ihm die Kraft auf der Erde neu.

Solang er glaubt, daß das buhlende Glück
Sich dem Edeln vereinigen werde.
Dem Schlechten folgt es mit Liebesblick,
Nicht dem Guten gehört die Erde.
Er ist ein Fremdling, er wandert aus,
Und suchet ein unvergänglich Haus.

Solang er glaubt, daß dem ird'schen Verstand
Die Wahrheit je wird erscheinen,
Ihr Schleier hebt keine sterbliche Hand,
Wir können nur raten und meinen.
Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort,
Doch der freie wandelt im Sturme fort.

Drum edle Seele, entreiß dich dem Wahn
Und den himmlischen Glauben bewahre!
Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn,
Es ist doch das Schöne, das Wahre!
Es ist nicht draußen, da sucht es der Tor,
Es ist in dir, du bringst es ewig hervor.

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Sehnsucht


Ach, aus dieses Tales Gründen,
Die der kalte Nebel drückt,
Könnt ich doch den Ausgang finden,
Ach wie fühlt ich mich beglückt!
Dort erblick ich schöne Hügel,
Ewig jung und ewig grün!
Hätt ich Schwingen, hätt ich Flügel,
Nach den Hügeln zög ich hin.

Harmonien hör ich klingen,
Töne süßer Himmelsruh,
Und die leichten Winde bringen
Mir der Düfte Balsam zu,
Goldne Früchte seh ich glühen
Winkend zwischen dunklem Laub,
Und die Blumen, die dort blühen,
Werden keines Winters Raub.

Ach wie schön muß sich's ergehen
Dort im ew'gen Sonnenschein,
Und die Luft auf jenen Höhen
O wie labend muß sie sein!
Doch mir wehrt des Stromes Toben,
Der ergrimmt dazwischen braust,
Seine Wellen sind erhoben,
Daß die Seele mir ergraust.

Einen Nachen seh ich schwanken,
Aber ach! der Fährmann fehlt.
Frisch hinein und ohne Wanken,
Seine Segel sind beseelt.
Du mußt glauben, du mußt wagen,
Denn die Götter leihn kein Pfand,
Nur ein Wunder kann dich tragen
In das schöne Wunderland.

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Das Mädchen von Orleans


Das edle Bild der Menschheit zu verhöhnen,
Im tiefsten Staube wälzte dich der Spott,
Krieg führt der Witz auf ewig mit dem Schönen,
Er glaubt nicht an den Engel und den Gott,
Dem Herzen will er seine Schätze rauben,
Den Wahn bekriegt er und verletzt den Glauben.

Doch, wie du selbst, aus kindlichem Geschlechte,
Selbst eine fromme Schäferin wie du,
Reicht dir die Dichtkunst ihre Götterrechte,
Schwingt sich mit dir den ew'gen Sternen zu,
Mit einer Glorie hat sie dich umgeben,
Dich schuf das Herz, du wirst unsterblich leben.

Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen,
Und das Erhabne in den Staub zu ziehn,
Doch fürchte nicht! Es gibt noch schöne Herzen,
Die für das Hohe, Herrliche entglühn,
Den lauten Markt mag Momus unterhalten,
Ein edler Sinn liebt edlere Gestalten.

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An die Freunde

Lieben Freunde! Es gab schönre Zeiten,
Als die unsren - das ist nicht zu streiten!
Und ein edler Volk hat einst gelebt.
Könnte die Geschichte davon schweigen,
Tausend Steine würden redend zeugen,
Die man aus dem Schoß der Erde gräbt.
Doch es ist dahin, es ist verschwunden
Dieses hochbegünstigte Geschlecht.
Wir, wir leben! Unser sind die Stunden,
Und der Lebende hat recht.

Freunde! Es gibt glücklichere Zonen,
Als das Land, worin wir leidlich wohnen,
Wie der weitgereiste Wandrer spricht.
Aber hat Natur uns viel entzogen
War die Kunst uns freundlich doch gewogen,
Unser Herz erwarmt an ihrem Licht.
Will der Lorbeer hier sich nicht gewöhnen,
Wird die Myrte unsres Winters Raub,
Grünet doch, die Schläfe zu bekrönen,
Uns der Rebe muntres Laub.

Wohl von größerm Leben mag es rauschen,
Wo vier Welten ihre Schätze tauschen,
An der Themse, auf dem Markt der Welt.
Tausend Schiffe landen an, und gehen,
Da ist jedes Köstliche zu sehen,
Und es herrscht der Erde Gott, das Geld.
Aber nicht im trüben Schlamm der Bäche,
Der von wilden Regengüssen schwillt,
Auf des stillen Baches ebner Fläche
Spiegelt sich das Sonnenbild.

Prächtiger als wir in unserm Norden
Wohnt der Bettler an der Engelspforten,
Denn er sieht das ewge einz'ge Rom!
Ihn umgibt der Schönheit Glanzgewimmel,
Und ein zweiter Himmel in den Himmel
Steigt Sankt Peters wunderbarer Dom.
Aber Rom in allem seinem Glanze
Ist ein Grab nur der Vergangenheit,
Leben duftet nur die frische Pflanze,
die die grüne Stunde streut.

Größres mag sich anderswo begeben,
Als bei uns, in unserm kleinen Leben,
Neues - hat die Sonne nie gesehn.
Sehn wir doch das Große aller Zeiten
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten,
Sinnvoll, still an uns vorübergehn.
Alles wiederholt sich nur im Leben,
Ewig jung ist nur die Phantasie,
Was sich nie und nirgends hat begeben,
Das allein veraltet nie!

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Bittschrift

Dumm ist mein Kopf und schwer wie Blei,
Die Tabaksdose ledig
Mein Magen leer - der Himmel sei
Dem Trauerspiele gnädig.

Ich kratze mit dem Federkiel
Auf den gewalkten Lumpen;
Wer kann Empfindung und Gefühl
Aus hohlem Herzen Pumpen?

FEUR soll ich gießen aufs Papier
Mit ANGEFRORNEM Finger? - -
O Phöbus, hassest du Geschmier,
So wärm auch deine Sänger.

Die Wäsche klatscht vor meiner Tür,
Es scharrt die Küchenzofe -
Und mich - mich ruft das Flügeltier
Nach König Philipps Hofe.

Ich steige mutig auf das Roß;
In wenigen Sekunden
Seh ich Madrid - am Königsschloß
Hab ich es angebunden.

Ich eile durch die Galerie
Und - siehe da! - belausche
Die junge Fürstin Eboli
In süßem Liebesrausche.

Jetzt sinkt sie an des Prinzen Brust,
Mit wonnevollem Schauer,
In IHREN Augen Götterlust,
Doch in den SEINEN, Trauer.

Schon ruft das schöne Weib Triumph
Schon hör ich - Tod und Hölle!
WAS hör ich? - einen nassen Strumpf
Geworfen in die Welle.

Und weg ist Traum und Feerei,
Prinzessin, Gott befohlen!
Der Teufel soll die Dichterei
Beim Hemdenwaschen holen.


gegeben in unserm jammervollen Lager ohnweit dem Keller,
F. Schiller, Haus- und Wirtschafts-Dichter.

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Der Gang nach dem Eisenhammer

Ein frommer Knecht war Fridolin,
und in der Furcht des Herr
ergeben der Gebieterin,
der Gräfin von Savern.
Sie war so sanft, sie war so gut;
doch auch der Launen Übermut
hätt' er geeifert zu erfüllen
mit Freudigkeit, um Gottes willen.

Früh von des Tages erstem Schein,
bis spät die Vesper schlug,
lebt' er nur ihrem Dienst allein,
tat nimmer sich genug.
Und sprach die Dame: "Mach dir's leicht!"
Da wurd' ihm gleich das Auge feucht,
und meinte, seiner Pflicht zu fehlen,
durft' er sich nicht im Dienste quälen.

Drum vor dem ganzen Dienertroß
die Gräfin ihn erhob;
aus ihrem schönen Munde floß
sein unerschöpftes Lob.
Sie hielt ihn nicht als ihren Knecht,
es gab sein Herz ihm Kindesrecht;
ihr klares Auge mit Vergnügen
hing an den wohlgestalten Zügen.

Darob entbrennt in Roberts Brust,
des Jägers, gift'ger Groll,
dem längst von böser Schadenlust
die schwarze Seele schwoll;
und trat zum Grafen, rasch zur Tat
und offen des Verführers Rat,
als einst vom Jagen heim sie kamen,
streut' ihm ins Herz des Argwohns Samen:

"Wie seid ihr glücklich, edler Graf,"
hub er voll Arglist an,
"Euch raubet nicht den goldnen Schlaf
des Zweifels gift'ger Zahn;
denn ihr besitzt ein edles Weib,
es gürtet Scham den keuschen Leib.
Die fromme Treue zu berücken
wird nimmer dem Versucher glücken."

Da rollt der Graf die finstern Brau'n:
"Was red'st du mir, Gesell?
Werd' ich auf Weibestugend baun,
beweglich wie die Well'?
Leicht locket sie des Schmeichlers Mund;
mein Glaube steht auf festerm Grund:
Vom Weib des Grafen von Saverne
bleibt, hoff' ich, der Versucher ferne."

Der andre spricht: "So denkt ihr recht.
Nur euren Spott verdient
der Tor, der, ein geborner Knecht,
ein solches sich erkühnt,
und zu der Frau, die ihm gebeut,
erhebt der Wünsche Lüsternheit" -
"Was?" fällt ihm jener ein und bebet,
"red'st du von einem, der da lebet?" -

"Ja doch, was aller Mund erfüllt,
das bärg' sich meinem Herrn!
Doch, weil ihr's mir mit Fleiß verhüllt,
so unterdrück' ich's gern" -
"Du bist des Todes, Bube, sprich!"
Ruft jener streng und fürchterlich.
"Wer hebt das Aug' zu Kunigonden?" -
"Nun ja, ich spreche von dem Blonden.

Er ist nicht häßlich von Gestalt,"
fährt er mit Arglist fort,
indem's dem Grafen heiß und kalt
durchrieselt bei dem Wort.
"Ist's möglich, Herr? Ihr saht es nie,
wie er nur Augen hat für sie?
Bei Tafel Eurer selbst nicht achtet,
an ihrem Stuhl gefesselt schmachtet?"

"Seht da die Verse, die erschrieb
und seine Glut gesteht" -
"Gesteht!" - "Und sie um Gegenlieb',
der freche Bube! fleht.
Die gnäd'ge Gräfin, sanft und weich,
aus Mitleid wohl verbarg sie's Euch;
mich reuet jetzt, daß mir's entfahren,
denn, Herr, was habt ihr zu befahren?"

Da ritt in seines Zornes Wut
der Graf ins nahe Holz,
wo ihm in hoher Öfen Glut
die Eisenstufe schmolz.
Hier nährten früh und spat den Brand
die Knechte mit geschäft'ger Hand;
der Funke sprüht, die Bälge blasen,
als gält' es, Felsen zu verglasen.

Des Wassers und des Feuers Kraft
verbündet sieht man hier;
das Mühlrad, von der Flut gerafft,
umwälzt sich für und für;
die Werke klappern Nacht und Tag,
im Takte pocht der Hämmer Schlag,
und bildsam von den mächt'gen Streichen
muß selbst das Eisen sich erweichen.

Und zweien Knechten winket er,
Bedeutet sie und sagt:
"Den ersten, den ich sende her,
und der euch also fragt:
'Habt ihr befolgt des Herren Wort?'"
den werft mir in die Hölle dort,
daß er zu Asche gleich vergehe,
und ihn mein Aug' nicht weiter sehe!"

Des freut sich das entmenschte Paar
mit roher Henkerslust,
denn fühllos, wie das Eisen, war
das Herz in ihrer Brust.
Und frischer mit der Bälge Hauch
erhitzen sie des Ofens Bauch,
und schicken sich mit Mordverlangen,
das Todesopfer zu empfangen.

Drauf Robert zum Gesellen spricht
mit falschem Heuchelschein:
"Frisch auf, Gesell, und säume nicht,
der Herr begehret dein."
Der Herr, der spricht zu Fridolin:
"Mußt gleich zum Eisenhammer hin,
und frage mir die Knechte dorten,
ob sie getan nach meinen Worten?"

Und jener spricht: "Es soll geschehn!"
und macht sich flugs bereit.
Doch sinnend bleibt er plötzlich stehn:
"Ob sie mir nichts gebeut?"
Und vor die Gräfin stellt er sich:
"Hinaus zum Hammer schickt man mich;
so sag, was kann ich dir verrichten?
denn dir gehören meine Pflichten."

Darauf die Dame von Savern
versetzt mit sanftem Ton:
"Die heilge Messe hört' ich gern,
doch liegt mir krank der Sohn!
So gehe denn, mein Kind, und sprich
in Andacht ein Gebet für mich,
und denkst du reuig deiner Sünden,
so laß auch mich die Gnade finden."

Und froh der vielwillkommnen Pflicht,
macht er im Flug sich auf,
hat noch des Dorfes Ende nicht
erreicht im schnellen Lauf,
da tönt ihm von dem Glockenstrang
hellschlagend des Geläutes Klang,
das alle Sünder, hochbegnadet,
zum Sakramente festlich ladet.

"Dem lieben Gotte weich nicht aus,
find'st du ihn auf dem Weg!"
Er spricht's und tritt ins Gotteshaus;
kein Laut ist hier noch Reg';
denn um die Ernte war's, und heiß
im Felde glüht' der Schnitter Fleiß.
Kein Chorgehilfe war erschienen,
die Messe kundig zu bedienen.

Entschlossen ist er alsobald
und macht den Sakristan;
"Das", spricht er, "ist kein Aufenthalt,
was fördert himmelan."
Die Stola und das Cingulum
hängt er dem Priester dienend um,
bereitet hurtig die Gefäße,
geheiliget zum Dienst der Messe.

Und als er dies mit Fleiß getan,
tritt er als Ministrant
dem Priester zum Altar voran,
das Meßbuch in der Hand,
und knieet rechts und knieet links,
und ist gewärtig jeden Winks,
und als des Sanktus Worte kamen,
da schellt er dreimal bei dem Namen.

Drauf als der Priester fromm sich neigt,
und zum Altar gewandt,
den Gott, den gegenwärt'gen, zeigt
in hocherhabner Hand,
da kündet es der Sakristan
mit hellem Glöckchen klingend an,
und alles kniet und schlägt die Brüste,
sich fromm bekreuzend vor dem Christe.

So übt er jedes pünktlich aus
mit schnell gewandtem Sinn;
was Brauch ist in dem Gotteshaus,
er hat es alles inn',
und wird nicht müde bis zum Schluß,
bis beim Vobiscum Dominus
der Priester zur Gemein' sich wendet,
die heil'ge Handlung segnend endet.

Da stellt er jedes wiederum
in Ordnung säuberlich;
erst reinigt er das Heiligtum,
und dann entfernt er sich
und eilt, in des Gewissens Ruh,
den Eisenhütten heiter zu,
spricht unterwegs, die Zahl zu füllen,
zwölf Paternoster noch im stillen.

Und als er rauchen sieht den Schlot
und sieht die Knechte stehn,
da ruft er: "Was der Graf gebot,
ihr Knechte, ist's geschehn?"
Und grinsend zerren sie den Mund
und deuten in des Ofens Schlund:
"Der ist besorgt und aufgehoben,
der Graf wird seine Diener loben."

Die Antwort bringt er seinem Herrn
in schnellem Lauf zurück.
Als der ihn kommen sieht von fern,
kaum traut er seinem Blick:
"Unglücklicher! Wo kommst du her?"
"Vom Eisenhammer." - "Nimmermehr!
So hast du dich im Lauf verspätet?" -
"Herr, nur so lang, bis ich gebetet."

"Denn, als von eurem Angesicht
ich heute ging, verzeiht!
da fragt' ich erst, nach meiner Pflicht,
bei der, die mir gebeut.
Die Messe, Herr, befahl sie mir
zu hören; gern gehorcht' ich ihr,
und sprach der Rosenkränze viere
für euer Heil und für das ihre."

In tiefes Staunen sinket hier
der Graf, entsetzet sich:
"Und welche Antwort wurde dir
am Eisenhammer? sprich!" -
"Herr, dunkel war der Rede Sinn,
zum Ofen wies man lachend hin:
Der ist besorgt und aufgehoben,
der Graf wird seine Diener loben." -

"Und Robert?" fällt der Graf ihm ein,
es überläuft ihn kalt,
"Sollt' er dir nicht begegnet sein?
Ich sandt' ihn doch zum Wald." -
"Herr, nicht im Wald, nicht auf der Flur
fand ich von Robert eine Spur" -
"Nun," ruft der Graf und steht vernichtet,
"Gott selbst im Himmel hat gerichtet!"

Und gütig, wie er nie gepflegt,
nimmt er des Dieners Hand,
bringt ihn der Gattin, tief bewegt,
die nichts davon verstand:
"Dies Kind, kein Engel ist so rein,
laßt's eurer Huld empfohlen sein!
Wie schlimm wir auch beraten waren,
mit dem ist Gott und seine Scharen."

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Pegasus im Joche



Auf einen Pferdemarkt - vielleicht zu Haymarket,
wo andre Dinge noch in Ware sich verwandeln,
bracht einst ein hungiger Poet
der Musen Roß, es zu verhandeln.

Hell wieherte der Hippogryph,
und bäumte sich in prächtiger Parade,
erstaunt blieb jeder stehn und rief:
"Das edle, königliche Tier! Nur schade,
daß seinen schlanken Wuchs ein häßlich Flügelpaar
entstellt! Den schönsten Postzug würd es zieren.
Die Rasse, sagen sie, sei rar,
doch wer wird durch die Luft kutschieren?
Und keiner will sein Geld verlieren."
Ein Pachter endlich faßte Mut.
"Die Flügel zwar", spricht er, "die schaffen keinen Nutzen,
doch die kann man ja binden oder stutzen,
dann ist das Pferd zum Ziehen immer gut.
Ein zwanzig Pfund, die will ich wohl dran wagen";
der Täuscher, hoch vergnügt die Ware loszuschlagen,
schlägt hurtig ein. "Ein Mann, ein Wort",
und Hans trabt frisch mit seiner Beute fort.

Das edle Tier wird eingespannt.
Doch fühlt es kaum die ungewohnte Bürde,
so rennt es fort mit wilder Flugbegierde,
und wirft, von edlem Grimm entbrannt,
den Karren um an eines Abgrund Rand.
Schon gut, denkt Hans. Allein darf ich dem tollen Tiere
kein Fuhrwerk mehr vertraun. Erfahrung macht schon klug.
Doch morgen fahr ich Passagiere,
da stell ich es als Vorspann in den Zug.
Die muntre Krabbe soll zwei Pferde mir ersparen,
der Koller gibt sich mit den Jahren.

Der Anfang ging ganz gut. Das leichtbeschwingte Pferd
belebt der Klepper Schritt, und pfeilschnell fliegt der Wagen.
Doch was geschieht? Den Blick den Wolken zugekehrt,
und ungewohnt, den Grund mit festem Huf zu schlagen,
verläßt es bald der Räder sichre Spur,
und treu der stärkeren Natur
durchrennt es Sumpf und Moor, geackert Feld und Hecken,
der gleiche Taumel faßt das ganze Postgespann,
kein Rufen hilft, kein Zügel hält es an,
bis endlich, zu der Wandrer Schrecken,
der Wagen wohl gerüttelt und zerschellt,
auf eines Berges steilem Gipfel hält.

"Das geht nicht zu mit rechten Dingen",
spricht Hans mit sehr bedenklichem Gesicht.
"So wird es nimmermehr gelingen;
laß sehn, ob wir den Tollwurm nicht
durch magre Kost und Arbeit zwingen."
Die Probe wird gemacht. Bald ist das schöne Tier,
eh noch drei Tage hingeschwunden,
zum Schatten abgezehrt. "Ich hab's, ich hab's gefunden",
ruft Hans. "Jetzt frisch, und spannt es mir
gleich vor den Pflug mit meinem stärksten Stier."

Gesagt, getan. In lächerlichem Zuge
erblickt man Ochs und Flügelpferd am Pfluge.
Unwillig steigt der Greif, und strengt die letzte Macht
der Sehnen an, den alten Flug zu nehmen.
Umsonst, der Nachbar schreitet mit Bedacht,
und Phöbus' stolzes Roß muß sich dem Stier bequemen,
bis nun, vom langen Widerstand verzehrt,
die Kraft aus allen Gliedern schwindet,
von Gram gebeugt das edle Götterpferd
zu Boden stürzt und sich im Staube windet.

"Verwünschtes Tier!" bricht endlich Hansens Grimm
laut scheltend aus, indem die Hiebe flogen.
"So bist du denn zum Ackern selbst zu schlimm,
mich hat ein Schelm mit dir betrogen."

Indem er noch in seines Zornes Wut
die Peitsche schwingt, kommt flink und und wohlgemut
ein lustiger Gesell die Straße hergezogen.
Die Zitter klingt in seiner leichten Hand,
und durch den blonden Schmuck der Haare
schlingt zierlich sich ein golden Band.
"Wohin, Freund, mit dem wunderlichen Paare?"
ruft er den Baur von weitem an.
"Der Vogel und der Ochs an einem Seile,
ich bitte dich, welch ein Gespann:
Willst du für eine kleine Weile
dein Pferd zur Probe mir vertraun,
gib acht, du sollst dein Wunder schaun!"

Der Hippogryph wird ausgespannt,
und lächelnd schwingt sich ihm der Jüngling auf den Rücken.
Kaum fühlt das Tier des Meisters sichre Hand,
so knirscht es in des Zügels Band,
und steigt, und Blitze sprühn aus den beseelten Blicken.
Nicht mehr das vor'ge Wesen, königlich,
ein Geist, ein Gott, erhebt es sich,
entrollt mit einemmal in Sturmes Wehen
der Schwingen Pracht, schießt brausend himmelan,
und eh der Blick ihm folgen kann,
entschwebt es zu den blauen Höhen.

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Die Bürgschaft

Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande;
ihn schlugen die Häscher in Bande.
"Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!"
Entgegnet ihm finster der Wüterich.
"Die Stadt vom Tyrannen befreien!"
"Das sollst du am Kreuze bereuen."

"Ich bin", spricht jener, "zu sterben bereit
und bitte nicht um mein Leben;
doch willst du Gnade mir geben,
ich flehe dich um drei Tage Zeit,
bis ich die Schwester dem Gatten gefreit;
ich lasse den Freund dir als Bürgen -
ihn magst du, entrinn ich, erwürgen."

Da lächelt der König mit arger List
und spricht nach kurzem Bedenken:
"Drei Tage will ich dir schenken.
Doch wisse: wenn sie verstrichen die Frist,
eh du zurück mir gegeben bist,
so muß er statt deiner erblassen,
doch dir ist die Strafe erlassen."

Und er kommt zum Freund: "Der König gebeut,
daß ich am Kreuz mit dem Leben
bezahle das frevelnde Streben;
doch will er mir gönnen drei Tage Zeit,
bis ich die Schwester dem Gatten gefreit.
So bleib du dem König zum Pfande,
bis ich komme, zu lösen die Bande."

Und schweigend umarmt ihn der treue Freund
und liefert sich aus dem Tyrannen,
der andere ziehet von dannen.
Und ehe das dritte Morgenrot scheint,
hat er schnell mit dem Gatten die Schwester vereint,
eilt heim mit sorgender Seele,
damit er die Frist nicht verfehle.

Da gießt unendlicher Regen herab,
von den Bergen stürzen die Quellen,
und die Bäche, die Ströme schwellen.
Und er kommt ans Ufer mit wanderndem Stab -
da reißet die Brücke der Strudel hinab,
und donnernd sprengen die Wogen
des Gewölbes krachenden Bogen.

Und trostlos irrt er an Ufers Rand;
wie weit er auch spähet und blicket
und die Stimme, die rufende schicket -
da stößet kein Nachen vom sichern Strand,
der ihn setze an das gewünschte Land,
kein Schiffer lenket die Fähre,
und der wilde Strom wird zum Meere.

Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht,
die Hände zum Zeus erhoben:
"O hemme des Stromes Toben!
Es eilen die Stunden, im Mittag steht
die Sonne, und wenn sie niedergeht
und ich kann die Stadt nicht erreichen,
so muß der Freund mir erbleichen."

Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut,
und Welle auf Welle zerrinnet,
ud Stunde an Stunde entrinnet.
Da treibt ihn die Angst, da faßt er sich Mut
und wirft sich hinein in die brausende Flut
und teilt mit gewaltigen Armen
den Strom, und ein Gott hat Erbarmen.

Und gewinnt das Ufer und eilet fort
und danket dem rettenden Gotte;
da stürzet die raubende Rotte
hervor aus des Waldes nächtlichem Ort,
den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord
und hemmet des Wanderers Eile
mit drohend geschwungener Keule.

"Was wollt ihr? ruft er für Schrecken bleich,
"ich habe nichts als mein Leben,
das muß ich dem Könige geben!"
Und entreißt die Keule dem nächsten gleich:
"Um des Freundes willen erbarmet euch!"
Und drei mit gewaltigen Streichen
erlegt er, die andern entweichen.

Und die Sonne versendet glühenden Brand,
und von der unendlichen Mühe
ermattet sinken die Knie:
"O hast du mich gnädig aus Räubershand,
aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land,
und soll hier verschmachtend verderben,
und der Freund mir, der liebende sterben!"

Und horch! da sprudelt es silberhell
ganz nahe, wie rieselndes Rauschen,
und stille hält er, zu lauschen;
und sieh, aus dem Felsen, geschwätzig, schnell
springt murmelnd hervor ein lebendiger Quell,
und freudig bückt er sich nieder
und erfrischet die brennenden Glieder.

Und die Sonne blickt durch der Zweige Grün
und malt auf den glänzenden Matten
der Bäume gigantische Schatten;
und zwei Wanderer sieht er die Straße ziehn,
will eilenden Laufes vorüber fliehn,
da hört er die Worte sie sagen:
"Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen."

Und die Angst beflügelt den eilenden Fuß,
ihn jagen der Sorge Qualen;
da schimmern in Abendrots Strahlen
von ferne die Zinnen von Syrakus,
und entgegen kommt ihm Philostratus,
des Hauses redlicher Hüter,
der erkennet entsetzt den Gebieter:

"Zurück! du rettest den Freund nicht mehr,
so rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
mit hoffender Seele der Wiederkehr,
ihm konnte den mutigen Glauben
der Hohn des Tyrannen nicht rauben."

"Und ist es zu spät und kann ich ihm nicht
ein Retter willkommen erscheinen,
so soll mich der Tod ihm vereinen.
Des rühme der blut'ge Tyrann sich nicht,
daß der Freund dem Freunde gebrochen die Pflicht -
er schlachte der Opfer zweie
und glaube an Liebe und Treue."

Und die Sonne geht unter, da steht er am Tor
und sieht das Kreuz schon erhöhet,
das die Menge gaffend umstehet;
an dem Seile schon zieht man den Freund empor,
da zertrennt er gewaltig den dichten Chor:
"Mich, Henker!" ruft er, "erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget!"

Und Erstaunen ergreift das Volk umher,
in den Armen liegen sich beide
und weinen für Schmerzen und Freude.
Da sieht man kein Auge tränenleer,
und zum Könige bringt man die Wundermär;
der fühlt ein menschliches Rühren,
läßt schnell vor den Thron sie führen.

Und blicket sie lange verwundert an;
drauf spricht er: "Es ist euch gelungen,
ihr habt das Herz mir bezwungen,
und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn -
so nehmet auch mich zum Genossen an.
Ich sei, gewährt mir die Bitte,
in eurem Bunde der Dritte."

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Ritter Toggenburg


"Ritter, treue Schwesternliebe
widmet Euch dies Herz,
fordert keine andre Liebe,
denn es macht mir Schmerz.
Ruhig mag ich Euch erscheinen,
ruhig gehen sehn.
Eurer Augen stilles Weinen
kann ich nicht verstehn."

Und er hört's mit stummem Harme,
reißt sich blutend los,
preßt sie heftig in die Arme,
schwingt sich auf sein Roß,
schickt zu seinen Mannen allen
in dem Lande Schweiz,
nach dem heil'gen Grab sie wallen,
auf der Brust das Kreuz.

Große Taten dort geschehen
durch der Helden Arm,
ihres Helmes Büsche wehen
in der Feinde Schwarm,
und des Toggenburgers Name
schreckt den Muselmann,
doch das Herz von seinem Grame
nicht genesen kann.

Und ein Jahr hat er's getragen,
trägt's nicht länger mehr,
Ruhe kann er nicht erjagen,
und verläßt das Heer,
sieht ein Schiff an Joppes Strande,
das die Segel bläht,
schiffet heim zum teuren Lande,
wo ihr Atem weht.

Und an ihres Schlosses Pforte
klopft der Pilger an,
ach! und mit dem Donnerworte
wird ihm aufgetan:
"Die Ihr suchet, trägt den Schleier,
ist der Himmels Braut,
gestern war der Tag der Feier
der sie Gott getraut."

Da verläßet er auf immer
seiner Väter Schloß,
seine Waffen sieht er nimmer,
noch sein treues Roß,
von der Toggenburg hernieder
steigt er unbekannt,
denn es deckt die edlen Glieder
härenes Gewand.

Und erbaut sich eine Hütte
jener Gegend nah,
wo das Kloster aus der Mitte
düstrer Linden sah;
harrend von des Morgens Lichte
bis zu Abends Schein,
stille Hoffnung im Gesichte,
saß er da allein.

Blickte nach dem Kloster drüben,
blickte stundenlang
nach dem Fenster seiner Lieben,
bis das Fenster klang,
bis die Liebliche sich zeigte,
bis das teure Bild
sich ins Tal herunterneigte,
ruhig, engelmild.

Und dann legt' er froh sich nieder,
schlief getröstet ein,
still sich freuend, wenn es wieder
morgen würde sein.
Und so saß er viele Tage,
saß viel Jahre lang,
harrend ohne Schmerz und Klage,
bis das Fenster klang.

Bis die Liebliche sich zeigte,
bis das teure Bild
sich ins Tal herunterneigte,
ruhig, engelmild.
Und so saß er, eine Leiche,
eines Morgens da,
nach dem Fenster noch das bleiche
stille Antlitz sah.

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Die Teilung der Erde

Nehmt hin die Welt! rief Zeus von seinen Höhen
den Menschen zu; nehmt, sie soll euer sein.
Euch schenk' ich sie zum Erb' und ew'gen Lehen;
Doch teilt euch brüderlich darein.

Da eilt, was Hände hat, sich einzurichten,
es regte sich geschäftig jung und alt.
Der Ackermann griff nach des Feldes Früchten,
der Junker pirschte durch den Wald.

Der Kaufmann nimmt, was seine Speicher fassen,
der Abt wählt sich den edlen Firnewein,
der König sperrt die Brücken und die Straßen
und sprach: der Zehente ist mein.

Ganz spät, nachdem die Teilung längst geschehen,
naht der Poet, er kam aus weiter Fern';
ach, da war überall nichts mehr zu sehen,
und alles hatte seinen Herrn.

Weh mir! so soll denn ich allein von allen
vergessen sein, ich, dein getreuster Sohn?
So ließ er laut der Klage Ruf erschallen
und warf sich hin vor Jovis Thron.

Wenn du im Land der Träume dich verweilet,
versetzt der Gott, so hadre nicht mit mir.
Wo warst du denn, als man die Welt geteilet?
Ich war, sprach der Poet, bei dir.

Mein Auge hing an deinem Angesichte,
an deines Himmels Harmonie mein Ohr;
verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
berauscht, das Irdische verlor!

Was tun? spricht Zeus, - die Welt ist weggegeben,
der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben,
so oft du kommst, er soll dir offen sein.

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Breite und Tiefe

Es glänzen viele in der Welt,
Sie wissen von allem zu sagen,
Und wo was reizet und wo was gefällt,
Man kann es bei ihnen erfragen;
Man dächte, hört man sie reden laut,
Sie hätten wirklich erobert die Braut.

Doch gehn sie aus der Welt ganz still,
Ihr Leben war verloren.
Wer etwas Treffliches leisten will,
Hätt' gern was Großes geboren,
Der sammle still und unerschlafft
Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.

Der Stamm erhebt sich in die Luft
Mit üppig prangenden Zweigen;
Die Blätter glänzen und hauchen Duft,
Doch können sie Früchte nicht zeugen;
Der Kern allein im schmalen Raum
Verbirgt den Stolz des Waldes, den Baum.

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