Gibt es eine Philosophie der Seidenstraße?
Von Martin Kaiser
Vielen wird auffallen, daß die „Neue Seidenstraße“ aus ihrer regionalen
Bedeutung herauswächst und immer neue Teile der Erde erfaßt. In Asien selbst
kann es als ein historisches Ereignis betrachtet werden, daß Japan im Januar
2018 ankündigte, sich an dem gesamten Projekt einschließlich der
„Meeres-Seidenstraße“ beteiligen zu wollen und einen Friedensvertrag mit
Rußland anzustreben. Der Bau eines Tunnels von Japan nach Rußland, dessen
Bauzeit nur fünf Jahre betragen soll, wurde zwischen Präsident Putin und
Japans Premierminister Abe diskutiert.
Ferner fanden Konferenzen statt, auf denen eine Arktische und eine
Pazifische Seidenstraße in Angriff genommen wurden. In Afrika beginnt eine
neue Ära der Industrialisierung durch Eisenbahnsysteme und Wassersysteme, die
mehrere Länder zusammenbindet. Dies löst eine Welle der Freude und Hoffnung
aus, nicht länger Almosenempfänger ehemaliger Kolonialherren zu bleiben,
sondern ein Kontinent der Chancen zu werden. Chinas Einladung an alle
Entwicklungs- und auch Industrieländer, sich an der chinesischen
Weltraumstation zu beteiligen, die ab 2019 zusammengebaut wird, dürfte in den
kolonialistischen Köpfen vieler Machthaber in aller Welt einen Schock
ausgelöst haben.
Vor unseren Augen findet eine dramatische Umwälzung der Erde und der
Weltgeschichte statt: In einem friedlichen Miteinander gehen mehr als 60
Staaten aufeinander zu, um Hunger, Unterentwicklung und Kolonialismus zu
überwinden. Denn es entstehen die größten Zukunftschancen, die die Menschheit
je gesehen hat – ja, es entsteht die Zukunft überhaupt, die in der
atlantischen Welt nicht mehr zu finden ist.
Wie reagieren die untergehenden westlichen Eliten darauf? In einem
krankhaft anmutenden Ausbruch von Realitätsverweigerung werden Rußland und
China in dem maßgeblichen Dokument des US-Verteidigungsministeriums, der
Nationalen Verteidigungsstrategie (NDS) vom Januar 2018, als Feinde benannt,
die mit allen militärischen, wirtschaftlichen und Cyberkriegsmethoden daran
gehindert werden sollen, die anglo-amerikanische Weltherrschaft zu
beenden.
Eine der führenden US-Denkfabriken, CSIS, unterstellte China in einer
Schrift vom 20. Februar 2018, die USA in einem Präventivangriff mit Cruise
Missiles angreifen, amerikanische Regierungsmitglieder ermorden und Taiwan
militärisch erobern zu wollen. Ähnliche aberwitzige Verleumdungen erhob der
britische Verteidigungsminister Williamson im Januar 2018 gegen Rußland.
Im US-Kongreß wird eine Hexenjagd gegen chinesische Akademiker und
Studenten in den USA entfesselt, die samt Chinas Kultureinrichtungen, den
Konfuzius-Instituten, der Spionage beschuldigt werden.
Von „Spaltung Europas“ spricht der deutsche Bundesaußenminister auf der
Münchner Sicherheitskonferenz, wenn China mit 16 osteuropäischen Ländern
dringend überfälligen Infrastrukturaufbau betreibt, den Brüssel 20 Jahre nicht
unterstützen wollte – wo doch Europa in Wirklichkeit sich selbst zerlegt. Fast
wie eine heilige Kuh halten die Medien und ihre hörigen Politiker eine
unipolare Welt unter der Führung der Londoner und New Yorker Spekulanten für
selbstverständlich. Wenn aber die Hälfte der Menschheit sich anschickt, eine
multipolare Welt zu schaffen, wird dies als Imperialismus und Gefahr für die
„liberale Weltordnung“ gebrandmarkt, die Herr Schäuble im April 2017 zur
besten aller Welten ausrief.
Was motiviert den Osten – was motiviert den Westen?
Lassen sich Vorstellungen von der Zukunft vorstellen, die entgegengesetzter
sind?
Welche Absichten können wir hinter diesen widersprüchlichen Sichtweisen
entdecken?
Was ist die Triebfeder der vergangenen 40 Jahren chinesischer Politik zur
Armutsbekämpfung, die mittlerweile nach Angaben der Weltbank etwa 700
Millionen Menschen aus bitterster Armut zu einem bescheidenen Mittelstand
verholfen hat?
Bild: Wikimedia Commons/G41rn8/cc-by-sa 4.0
Das „Fliegende Pferd von Gansu” (Östliche Han-Dynastie, 25- 220 n. Chr.,
Provinzmuseum Gansu) ist ein Sinnbild für das heutige China. Anders als der
Pegasus, das fliegende Pferd des Westens, repräsentiert das flügellose Pferd
von Gansu das ideale Pferd, das in vollem Galopp schneller ist als der
Wind.
Weit davon entfernt, sich auf diesem in der Geschichte einmaligen Erfolg
auszuruhen, rastet Präsident Xi nicht, die verbliebenen etwa 60-70 Mio.
ärmsten Menschen aus ihrer Rückständigkeit zu befreien. Dazu veranlaßt er eine
nationale Anstrengung auf verschiedenen politischen Ebenen, einen großen Teil
der Nation in diese Aufgabe einzubeziehen. Denn dieses Ziel ist nicht mit
Wirtschaftswachstum allein zu erreichen, da oft schwierige geographische
Hindernisse, Altersarmut oder Urvölker, die nicht chinesisch sprechen,
scheinbar unüberwindliche Hindernisse aufwerfen. Wie kann man auch ihnen eine
Zukunft geben?
Was motiviert den chinesischen Präsidenten, in einer Rede 2014 in Indien
über die Zukunft von 2,5 Milliarden Menschen zu sagen: „Nichts ist so
notwendig, als unseren Menschen ein bequemeres, sichereres und glücklicheres
Leben zu ermöglichen?“1
Was treibt dagegen die transatlantische Elite an, eine Globalisierung durch
TTIP und EU-Bürokratie voranzutreiben, der längst niemand mehr glaubt, für
alle Menschen eine Verbesserung des Lebens erreichen zu wollen, sondern die
für einen immer größeren Teil der Menschen unerträgliche Verhältnisse schafft.
Das erschreckendste Beispiel ist gewiß das Vorbild USA, wo der Mittelstand
vernichtet wird und eine Steigerung der Sterberate zu beklagen ist, wie es sie
in keinem anderen industrialisierten Land gibt.
Aber auch Europa versagt im Kampf gegen die Armut, wo man 2010 das Ziel
ausgab, die – lt. Eurostat – 117 Mio. Armen um 25% zu verringern. Acht
Jahre später scheitert dies, da trotz einer geringen Verbesserung in wenigen
Ländern dagegen Irland, Spanien, Zypern und Griechenland schlimmer dran sind
als zuvor. Hat jemand etwas von einer gemeinsamen Anstrengung gehört, dies
herumzureißen oder den 60-70% arbeitslosen Jugendlichen in Südeuropa eine
Zukunft zu geben?
Wie steht es um die Friedfertigkeit in Ost und West?
Vor Vertretern der indischen Elite sagte Präsident Xi:
„Um den chinesischen Traum zu verwirklichen, braucht China eine
langfristige friedliche und stabile außenpolitische Umgebung. Nur auf dem Weg
friedlicher Entwicklung kann China das Ziel seiner Entwicklung erreichen.
Nachdem wir an den Schmerzen von über 100 Jahren ununterbrochener Kriege in
moderner Zeit gelitten haben, haßt das chinesische Volk, daß sich solche
tragischen Ereignisse irgendwo in der Welt wiederholen.
China war immer eine friedliebende Nation. Das Ziel von Frieden,
Liebenswürdigkeit und Harmonie ist ein integraler Bestandteil des chinesischen
Charakters. China hat lange geglaubt, daß der Starke den Schwachen nicht
unterdrücken und der Reiche den Armen nicht erniedrigen soll.
Schon in antiken Zeiten kam man in China zu der Einsicht, daß ein
kriegerischer Staat, so groß er auch sein mag, letztlich scheitern muß.
Frieden ist von überragender Bedeutung, Harmonie ohne Gleichförmigkeit und
universellen Frieden gilt es zu erringen.
Die chinesischen Konzepte von ‚universellem Frieden‘ und ‚universeller
Liebe‘ sind den indischen Konzepten von ‚Vasudhaiva Kutumbakum‘ (die Welt als
eine Familie) und ‚ahimsa‘ (keine Verletzung zufügen) sehr ähnlich.
China und Indien betrachten den Weg der Harmonie als den Weg zu einer
besseren Zukunft der Welt und Hoffnung, daß alle Länder in Harmonie und
Frieden leben.“
Die Vision einer gemeinsamen harmonischen Zukunft von mehr als 2,5 Mrd.
Chinesen und Indern setzte Präsident Xi seit seinem Amtsantritt durch den
Aufbau der neuen Seidenstraße um, den er zum strategischen Ziel seiner
Regierung erklärte. Dies gab der Allianz der BRICS-Staaten Brasilien, Rußland,
Indien, China und Südafrika ab 2014 einen großen Schub und gipfelte vorläufig
im Mai 2017 in der Konferenz der „Belt and Road Initiative“ in Beijing,
an der etwa 100 Regierungen der Welt teilnahmen. So entsteht eine Symphonie
von Ländern, die sich beim Wirtschaftsaufbau durch die
„Gewinn-Gewinn-Strategie“ („win-win“) unterstützen. Die Initiative ging
von China aus, aber die Chancen gehören allen Ländern, die sich daran
beteiligen. Im Oktober 2017 lud der chinesische Staatschef dementsprechend
alle Länder der Welt ein, „eine offene, inklusive, saubere und schöne Welt zu
schaffen, die dauerhaften Frieden, universelle Sicherheit und gemeinsamen
Wohlstand teilt“.
Welches Menschenbild prägt dagegen die westlichen Eliten, wenn sie seit 16
Jahren permanente Kriege auslösen, die über eine Million Menschen in
Afghanistan, Irak, Libyen und Jemen umbrachten, und dann kaum Anstrengungen
unternehmen, in diesen Ländern Frieden zu schaffen und diese wieder
aufzubauen? Wenn sie die Weltfinanzkrise, die man nach 2008 nicht behoben hat,
unentwegt verschärfen, indem Billionensummen an sterbende Banken gezahlt
werden, ohne daß reale Wirtschaftstätigkeit zunimmt? Wenn der Westen unter der
Führung des US-Verteidigungsministeriums Rußland und China als gefährlicher
einstuft als den Terrorismus, diesen selbst aber als nicht unwillkommenen
Vorwand nutzt, die Bevölkerung zu ängstigen und Polizeistaatsmaßnahmen
durchzusetzen?
Der immer noch einflußreiche Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985) sieht
im Notstand, dem Ausnahmezustand, die eigentliche Legitimation des Staates.
Nicht Gemeinwohl, die Wohlfahrt künftiger Generationen oder Frieden zu stiften
sei die Aufgabe des Staates, sondern erst im Kampf um Alles oder Nichts, ob im
Finanzkrach, in der Abwehr des Terrorismus oder im Krieg entstehe seine
Daseinsberechtigung. Die Bürger finden sich hier im „Krieg jeder gegen jeden“
wieder, statt als verantwortungsvolle Menschen eine bessere Zukunft für ihre
Nachkommen zu schaffen.
Carl Schmitts Denken wird seit dem 11. September 2001 von den sog.
Neokonservativen, der internationalen Kriegspartei, bis heute benutzt, um die
Freiheiten der westlichen Welt zu beseitigen. Er schuf schon die
„Rechtsgrundlage“ für das Dritte Reich.
Die Warnung vor den falschen Propheten hat an ihrer Aktualität bis heute
nicht verloren, und die Früchte ihrer Taten sind bis heute ein unbestechlicher
Test.
Was ist der kulturelle Nährboden des chinesischen Aufschwungs?
Im Gegensatz dazu bietet die chinesische Regierung allen Ländern an, die
„gemeinsamen Ziele der Menschheit“ zur Grundlage der Zusammenarbeit zu machen.
Das Schiller-Institut arbeitet seit seiner Gründung daran, diese gemeinsamen
Ziele zu verwirklichen, und traf in China auf eine philosophische und
staatspolitische Tradition, die dafür aufgeschlossen ist.
Drei Beispiele mögen auf ein anderes Denken hinweisen, das sich in
Äußerungen hoher chinesischer Staatsvertreter widerspiegelt:
Die Nationale Reformkommission Chinas formulierte die vier Prinzipien der
Seidenstraße so:
1. Friedliche Koexistenz; 2. Niemand wird übergangen; 3. Voneinander
Lernen; 4. Das Gemeinsame betonen und das Trennende zurückstellen.
In einem weiteren Beispiel gab Liu Xiaoming, der chinesische Botschafter in
London, in einem Artikel der Financial Times eine überraschende
Antwort, als er dem Vorwurf entgegentrat, Chinas Politik sei
imperialistisch:
„Der chinesische Geist war nie auf geopolitische oder geoökonomische
Theorien geeicht. Wie Konfuzius sagte: ‚Der, der Erfolg haben will, sollte
anderen zum Erfolg helfen. Chinas ,Ein Gürtel – eine Straße‘ [so wird die Neue
Seidenstraße in China genannt] „ist ein Angebot, in Chinas
Wirtschaftsschnellzug mitzufahren. Es ist Chinas Idee und eine Chance für
jeden.“
Eine Ethik, die einen Großteil der Menschheit eint, führt Präsident Xi
Jinping bei einer seiner Reden an: „Die chinesische Philosophie lehrt seit der
Antike: Tu anderen nicht, was du nicht von ihnen erleiden willst.“
Bei uns ist auch die positive Form des gleichen Gebotes bekannt: Behandle
andere so, wie du selbst von ihnen behandelt werden willst.
Diese sog. „Goldene Regel“ gehört also seit Jahrtausenden zum ethischen
Fundament Chinas und gilt auch in vielen anderen Kulturen, wie in Indien,
Persien, Ägypten, dem Judentum und dem Christentum. Sie steht für ein
allgemein einsichtiges Naturrecht, das zwischen Menschen wie auch den Staaten
angewandt werden sollte. Eine seit Jahrtausenden in vielen Kulturen anerkannte
ethische Regel, die überall das Zusammenleben der Menschen verbesserte, deutet
auch auf eine universelle Ordnung hinter den vielen Unterschieden und
Gegensätzen hin, die vom menschlichen kreativen Geist erkannt wurde. Diese
menschliche Schöpferkraft, hinter die sichtbaren Dinge und Konflikte zu
schauen und ganz neue Lösungen zu entdecken, erweist sich so ebenfalls als
eine alle Epochen verbindende Kraft, die zum einzigartigen Merkmal der
Menschheit im Kosmos gehört.
Wie kann dieses Denken aber mit dem kommunistischen System Chinas in
Einklang stehen, werden manche fragen? Was soll man unter einem „Sozialismus
chinesischer Prägung“ verstehen, wie das jetzige System in China genannt wird?
Hören wir von deutschen marxistischen Ideologen solche ethischen Ansichten?
Redet man dort nicht von Verteilungskampf, von einer rein materialistischen
Sicht des Menschen, der vor allem von seinen Bedürfnissen und Trieben, d.h.
seinem Egoismus bestimmt wird?
Nach Ansicht von Frau Helga Zepp-LaRouche, der Vorsitzenden des
Schiller-Institutes, die China seit über 40 Jahren aus nächster Anschauung
kennt, ist mit dem Begriff des „Sozialismus chinesischer Prägung“ vor allem
der Einfluß des Konfuzianismus gemeint, der in den eben erwähnten Beispielen
anklang.
Bildnis des Konfuzius, um 1500.
Der Konfuzianismus ist gewissermaßen die Staatsphilosophie Chinas seit etwa
2500 Jahren, die auch jahrhundertelang zur Ausbildung der Staatsdiener
gehörte. Tatsächlich gibt es sehr entgegengesetzte Perioden in der
chinesischen Geschichte, in denen Zerstörung der Kultur, Kriege, Verwüstungen,
Bücherverbrennungen und Unterdrückung der Bildung den Blütephasen
gegenüberstehen. In diesen Renaissanceperioden blühten Erfindergeist,
Fortschritte in der Astronomie und Medizin, und man orientierte sich an den
Lehren des Konfuzius.
In der Han-Dynastie (206 v.Chr.- 220 n.Chr.), der sog. Goldenen Zeit, wurde
der Konfuzianismus staatlich anerkannt. Die Wirtschaft und die schöpferischen
Beiträge aus der Bevölkerung erlebten einen Aufschwung, was sich in vielen
Erfindungen wie Stahlerzeugung, Schiffsruder, Meßschieber, Schubkarre,
Hängebrücke, Papier und Seismographen zeigt. Das Reich wurde geeint, die
landwirtschaftlichen Anbauflächen wurden ausgeweitet und auch die wichtigen
Wirtschaftszweige der Eisen- und Salzgewinnung weiteten den Handel in
verschiedene asiatische Regionen aus.
Eine weitere Blütephase unter konfuzianischem Einfluß war die Song-Dynastie
von 960 n. Chr. bis 1279 n. Chr., in der eine einzigartige gesellschaftliche
Blüte das Wirtschaftswachstum antrieb, erkennbar an einer Verdopplung der
Münzprägung trotz der Einführung des Papiergeldes. Städte wuchsen und eine
Sozialgesetzgebung förderte die Wohlfahrt, indem Ämter für Altersheime und
Krankenpflege geschaffen wurden. Gleichzeitig trieb die Erfinderfreude den
Buchdruck, die Weiterentwicklung der Schiffahrt, die Nutzung des Kompasses,
von Kanalschleusen und Schaufelrädern voran. Die Literatur blühte auf vielen
Gebieten auf und Medizin, Architektur und Bibliotheken spiegelten den
Fortschritt wider.
Der Konfuzianismus war der bestimmende Einfluß der chinesischen
Gesellschaft, wenn auch zu unterschiedlichen Graden, außer in der Zeit des
Maoismus, der ihn in den ersten Jahrzehnten der Volksrepublik verfolgte.
Konfuzius selbst (vermutlich von 551 v. Chr. bis 479 v. Chr.) verlor früh
seine Eltern und wuchs in einer Zeit von Kriegen, Wirren und Zerfall der
Staaten auf. Er orientierte sich an der goldenen Periode 500 Jahre vor ihm und
sah sich als deren Vermittler an die Zukunft.
Ein Gedicht, das vor ihm geschrieben wurde und uns an die
Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes erinnert, wird von ihm zitiert:
„Der Himmel, der die Menschheit schuf,
schuf alles gesetzmäßig,
sodaß die Menschen diese Gesetze verstehen können
und die Tugend lieben.“
Ein wichtiger Gedanke seiner Lehren ist die Idee der Liebe zur Menschheit,
Ren, einer Liebe im Sinne von Nächstenliebe und Wohlwollen. In den
später aufgezeichneten Schriften heißt es:
„Meine Lehre enthält ein alles durchdringendes Prinzip, Ren, die Liebe und
ihre Verwirklichung.
Liebe hat die Quelle in sich. Es ist eine geistige Erziehung eines Teils
des inneren Selbst. Deswegen ist ihre Verwirklichung sehr leicht. Sobald ich
Wohlwollen und Liebe wünsche, stellt sich Liebe ein.
Die Menschen brauchen die Liebe dringender als Feuer und Wasser.
Das Prinzip der Liebe sollte sowohl in der Regierung angewandt werden, als
auch von den Regierten.
Habt nicht nur Liebe, sondern praktiziert sie auch. Ich spreche von der
universellen Liebe zu Menschheit.“
Hier treffen wir auf ein Denken, das der Goldenen Regel „Tue anderen nicht,
was du nicht von ihnen erleiden willst“ entspricht, aber auch über sie
hinausgeht.
Ein jüngerer konfuzianischer Gelehrter, Zhu Xi (1130-1200), hilft uns heute
noch besser, dies zu verstehen, wenn er in seiner Abhandlung über Ren
schreibt:
„Ren ist das Prinzip der Liebe. Wenn man Ren als die Quelle der Liebe
versteht und daß Liebe das Ren niemals erschöpfen kann, dann hat man ein
richtiges Verständnis von Ren. Ren ist das Wesen der Schöpfung selbst.“
In diesem Denken ist der Mensch von Grund auf gut und zu unbegrenzter
Vervollkommnung fähig.
Prof. Tu Weiming von der Universität Beijing drückte das Konzept Ren
folgendermaßen aus:
„Wir ziehen für Ren die Übersetzung Liebe zur Menschheit vor. Alle
konfuzianischen Begriffe sind mit Ren verbunden. Mut und Ren heißt wirklicher
Mut, nicht nur Tapferkeit; Gerechtigkeit und Ren heißt menschliche
Gerechtigkeit, nicht Kälte des Gesetzes; Weisheit mit Ren heißt weise sein und
nicht nur schlau. Jede Person ist fähig zu einer mitfühlenden Antwort. Die
Verwirklichung von Ren verlangt Lernen, den eigenen Charakter zu bilden. Ren
fordert einen unentwegten Prozeß des Bemühens, sogar bis ans Ende des
Lebens.“
Etwa 200 Jahre nach Konfuzius schrieb sein Anhänger Menzius:
„Ich liebe das Leben, und ich liebe auch Gerechtigkeit.
Wenn sich sie nicht vereinen kann, dann wende ich mich vom Leben ab und
folge der Gerechtigkeit.
Ich mag den Tod gewiß nicht. Aber es gibt etwas, was ich mehr ablehne als
den Tod, und deshalb werde ich Gefahren nicht ausweichen.“
Die charakterliche Erziehung zum Edlen, zum Junzi
Wie ließen sich aber solche Ziele in der verfallenden Gesellschaft zur Zeit
des Konfuzius verwirklichen? Nachdem er durch verschiedene Regionen Chinas
gewandert war, übernahm er auch Staatsämter, um die Herrscher für ein
tugendhaftes Leben zu gewinnen. Schließlich umgab er sich mit Schülern aus
allen sozialen Schichten und versuchte, den Blutadel durch Adel der Tugend zu
ersetzen: Gleich aus welchem Stand ein Schüler kam, jedem stand es offen, ein
Junzi zu werden.
Da schon früh chinesische Staatsbeamte in den konfuzianischen Lehren
Prüfungen ablegen mußten, kommt der Charakterbildung seit dieser Zeit eine
große Bedeutung zu. Ähnlich wie Friedrich Schiller Jahrhunderte später sah
Konfuzius darin eine wichtige Voraussetzung für einen guten und gerechten
Staat: „Eine gute Person zu erziehen, kann den Weg in eine gute Gesellschaft
ebnen.“
Er lehrte seine Schüler, tugendhaft zu sein, und wandte sich insbesondere
an die Herrscher, daß sie diesem Ideal gerecht werden müßten, dann würden die
Untertanen bereitwillig folgen. Auch der gegenwärtige chinesische Staatschef
scheint diesem Ideal nachzustreben, wenn er in Indien seine Rede so beendete:
„Der tugendhafte Mann, der seinen Erfolg sucht, hilft auch anderen
voranzukommen.“ Oder auf dem jüngsten Parteitag wandte er sich gegen
Liebedienerei: „Ich lege keinen Wert auf Komplimente. Ich wäre zufrieden, wenn
meine Integrität das Universum ausfüllen würde.“ Dort erteilte er einem
Personenkult eine Absage, meinte aber, eine starke Führung sei nötig, um den
Zusammenhalt der Gesellschaft zu gewährleisten.
Zusammenfassend läßt sich allgemein sagen, daß vier Grundtugenden über
Jahrhunderte als Fundament der chinesischen Gesellschaft entstanden sind, von
denen die erste die größte ist:
Liebe zur Menschheit/Nächstenliebe – Gerechtigkeit/Rechtschaffenheit –
ritueller Anstand/Sittlichkeit – und Weisheit.
Irrationalismus oder Vernunft?
Würden wir in unserem Kulturkreis solche Werte nicht der christlichen
Religion zuordnen? Der Konfuzianismus ist aber keine Religion, sondern wird im
chinesischen Ruja genannt, eine „Schule der Gelehrten“, die den Philosophien
und politischen Vorstellungen des Konfuzius anhängen.
In unserer atheistischen Gesellschaft kennt man diese Ideale kaum und würde
sie eher als eine Einschränkung des Mottos ansehen: „Alles ist erlaubt“ –
Vergehen oder Verbrechen werden hingenommen, solange man sich nicht erwischen
läßt, wie die ungezählten Vergehen westlicher Staaten in den Kriegen in
Afghanistan, Irak oder Libyen belegen. Auch den Großbanken sind viele
Verbrechen nachgewiesen worden, wie Rauschgiftgeldwäsche (z.B. HSBC, größte
Bank Europas), Manipulation des Grundzinses aller Zinsen, des LIBOR, oder
Manipulationen des Handels mit Emissionsrechten (Deutsche Bank) – von den
sexistischen Orgien des westlichen Kulturvorbildes Hollywood nicht zu
reden.
Dies ist keine zufällige Anhäufung von bedauerlichen Entgleisungen, sondern
Ergebnis der Herrschaft der Philosophie der britischen Aufklärung. Dieser
zufolge sollen ausschließlich die Sinne – Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten
und Hören – unsere Zivilisation hervorgebracht haben. Seit Mitte des 18.
Jahrhunderts, kurz nach dem Tode von G.W. Leibniz, vertritt diese Schule die
Vorstellung, der Mensch könne eigentlich gar nichts wissen, da Sinne keinen
Zugang zu einem Begriff z.B. eines Stuhls oder eines Hauses zulassen, ganz zu
schweigen von Ideen wie Gerechtigkeit, Liebe, Harmonie oder Evolution.
Ein Vertreter dieses britischen radikalen Empirismus, David Hume
(1711-1776), der durch Immanuel Kant in Deutschland berühmt wurde, leugnet,
daß Objekte eine Identität oder einen einheitlichen Begriff haben. So lasse
sich z.B. kein Grund für den Sonnenaufgang am nächsten Tag erkennen, sondern
nur die Erfahrung sage, daß die Sonne wahrscheinlich morgen aufgehen wird.
Jeremy Bentham (1748-1832), der bis heute einen wichtigen Einfluß in der
britischen „Royal Society“ darstellt, schreibt: „Die Natur hat die Menschheit
unter die Herrschaft von Schmerz und Vergnügen gestellt. Es gibt keinen
anderen Zweck im Leben, als die Vermehrung des Vergnügens und Verringerung des
Schmerzes.“ Berüchtigt wurde er auch für seine Schriften zur Verteidigung der
Homosexualität, Päderastie oder des Wuchers. Sind seine Theorien heute nicht
Allgemeingut?
Fördert diese Sichtweise nicht die tierischen Aspekte des Menschen? Ist es
vielleicht im Interesse der Oligarchie überhaupt, die Menschen primitiv zu
halten und nicht zu Edlen auszubilden, um durch Angst und einen „Krieg Jeder
gegen Jeden“ unangefochten herrschen zu können?
Ein anderer britischer Hofphilosoph, Thomas Hobbes (1588-1679), prägte
dafür das Motto: „Jeder ist des anderen Wolf“, was sich in permanenten
Kriegen, einem Krieg der Kulturen und der Einführung der Diktatur mit Hilfe
des Terrorismus verwirklicht.
Auch unsere Wirtschaftswissenschaften bauen auf solchem Denken auf, denn
der „Papst“ der Ökonomen und des Freihandels, Adam Smith (1723-1790), sieht
genauso wie Bentham maximalen Lustgewinn und Vermeidung von Schmerz als die
Bestimmungen des Menschen, der gar nicht die Folgen seines ökonomischen
Handelns erkennen könne, da dies nur Gott zustehe.
Dieses Glaubensbekenntnis finden wir heute in Computermodellen und
Traktaten von Nobelpreisträgern der Ökonomie, wonach Investitionen in
Tourismus, Spielkasinos oder Drogenhandel (s. Milton Friedman) nicht zu
unterscheiden seien von solchen in Eisenbahnen, Staudämme, Kernenergie oder
Weltraumfahrt.
Ganz im Gegensatz dazu nimmt im konfuzianischen Denken die Idee des
Li eine herausragende Stellung ein, worunter man universelle Vernunft
versteht. Wenn auch dieser Begriff bei uns heute oft mißverstanden wird, er
weist auf die Fähigkeit des Geistes hin, Ideen hervorzubringen, die mit den
Ursachen des Universums in Einklang stehen.
Zhu Xi unterscheidet zwischen dem universellen Prinzip, als dem Prinzip des
ganzen Universums, und den Prinzipien der geschaffenen Dinge. Er sagt: „Das
universelle Prinzip ist wirkliche vollkommene Ganzheit. Es umfaßt die vier
Tugenden Ren/Liebe zur Menschheit, Gerechtigkeit, ritueller Anstand und
Weisheit.“
Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), Gemälde von Christoph Bernhard Francke.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), der durch Missionare in regem
Austausch mit chinesischen Gelehrten stand, schrieb sehr anerkennungsvoll über
diese tiefen Einsichten. Er selbst belebte die italienische Renaissance in
Europa wieder und sah in der menschlichen Vernunft den Weg des Menschen, die
Schöpfungsordnung des Kosmos zu erforschen und fortzuentwickeln.
In seiner Schrift Die natürliche Philosophie der Chinesen schreibt
Leibniz:
„Das erste Prinzip der Chinesen wird ,Li’ genannt, d.h. Vernunft oder der
Grund aller Natur, die universelle Vernunft. Es gibt nichts Größeres und
Besseres als Li... Die Chinesen messen dem Li alle Arten von Vervollkommnung
bei, so vollkommen, daß nichts hinzuzufügen ist.
Können wir daher nicht sagen, daß das Li der Chinesen die souveräne
Substanz ist, die wir unter dem Namen Gottes verehren?“
Derselbe G.W. Leibniz schreibt, daß Gott zu lieben bedeute, das öffentliche
Wohl zu fördern, die universelle Harmonie zu erkennen und zu verwirklichen,
„denn Gott hat vernünftige Naturen geschaffen, daß sie zu seinem Spiegel
dienten und seine universelle Harmonie auf unendliche Weise vervielfältigen
würden“.
Er entdeckte also in einer ganz entfernten und fremden Kultur ein der
christlichen humanistischen Tradition nahes Denken, in dem Glauben, Vernunft
und Liebe eins sind.
Wem fällt nicht auf, daß unser heutiger Wissenschaftsbetrieb ganz anders
gepolt ist? Gemäß der Annahme, man könne gar nichts wissen außer durch Sinne,
streitet man heute ab, es gäbe Ursachen oder gar eine höhere gute Absicht
hinter den Naturerscheinungen. Die Lücke füllt ein radikaler Reduktionismus,
der nur Zahlen, logische Schlüssigkeit und vermeintlich offensichtliche
Tatsachen zuläßt. In einem logischen System aber gibt es nichts, was nicht in
den vorausgesetzten Annahmen schon enthalten war. Das wird dann in
Großcomputer gespeist, die nur noch die Lücken des vorgegebenen Systems
ausfüllen. Man behauptet das „Nullwachstum“ oder die „menschengemachte
Erderwärmung“, füllt die Computer mit vielen Daten und läßt sich seine
Behauptung noch genauer bestätigen.
Wer glaubt heute nicht, je komplexer die Computer würden, desto näher komme
man der Wahrheit? Kein Wissenschaftszweig ist davon verschont, so daß
Astrophysik, die Erforschung des Lebens oder das menschliche Verhalten in
mathematische Korsette gezwungen werden, die allein schon dadurch neue
revolutionäre Entdeckungen ausschließen.
Ist aber ein ganz großer Entdecker wie Johannes Kepler, der eine
Jahrtausende alte, falsche Sicht des Planetensystems umstürzte, nicht einem
nicht-mathematischen Wegweiser gefolgt, wie er es in seinen Büchern schreibt?
Oder hat man übersehen, daß Albert Einstein seine größte Entdeckung machte,
bevor überhaupt eine Mathematik erarbeitet wurde, die seine Entdeckung
ausdrücken konnte? „Sofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit
beziehen, sind sie nicht sicher. Sofern sie sicher sind, beziehen sie sich
nicht auf die Wirklichkeit“, sagte er.
Wenn Kepler, Leibniz, Gauß oder Einstein über ihre Entdeckungen berichten,
erfährt man, daß sie sich der mathematischen Beschränkung entzogen und das
Prinzip der Vernunft, das im Konfuzianismus „Li“ genannt wird, als die wahre
Quelle ihrer revolutionären Erkenntnisse ansahen. Ihnen haben wir die Anstöße
für den großen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt des letzten
Jahrhunderts zu verdanken.
Vernunft und wissenschaftlicher Fortschritt
Die welthistorische Leistung Chinas, in 30-40 Jahren einen Aufbau zu
leisten, für den andere Länder ein bis zwei Jahrhunderte brauchten, gründet zu
einem großen Teil in der Entscheidung Deng Xiaopings, Staatschef von 1979 bis
1997, wissenschaftlichen Fortschritt zum Motor des neuen China zu machen. Vor
ihm hatte die Herrschaft des Maoismus in der Landreform und Kulturrevolution
mehrere Millionen Menschen umgebracht, die Universitäten geschlossen,
Studenten und Akademiker zu primitiven Arbeiten aufs Land geschickt und den
Konfuzianismus verfolgt.
Deng Xiaoping rehabilitierte diesen wieder, öffnete und gründete
Universitäten und schickte Vertraute in viele westliche Länder, um von dem
hohen dortigen Wissenschaftsstandard zu lernen. Seine Regierung wählte sieben
Schlüsselbereiche der Wissenschaften aus, die zu Durchbrüchen führen sollten:
Weltraumtechnik, Laserforschung, Energiegewinnung, Biotechnologien, neue
Materialien, Automatisierung und Informationstechnologien. Er gab auch dem Bau
eines Teilchenbeschleunigers hohe Priorität, um Kernphysiker und -techniker
ausbilden zu lassen.
Heute sieht die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA China auf dem
Weg zu einer wissensbasierten Ökonomie.2 In den Bereichen der
Luftfahrt, Supercomputer, Atomkraft, Quantenkommunikation, embryonischen
Stammzellen und mit seinem eigenen GPS-ähnlichen Satellitensystem „Beidou“
drängt China an die Weltspitze. 150 staatliche Hightech-Industriezentren – und
noch mehr private – sind im ganzen Land dabei, die Durchbrüche der
Grundlagenforschung in industrielle Anwendungen umzusetzen.3
China belebt damit seine eigene Renaissancetradition, die es bis zum 17.
Jahrhundert zum technologisch fortschrittlichsten Land der Welt machte,
schrieb vor zehn Jahren der ehemalige Generalsekretär der
Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Manfred Osten. Unter dem Titel „Chinas
Konfuzius-Offensive: Eine Herausforderung für die Wissensgesellschaft des
Westens“ wies er darauf hin, daß China diesen Status wiedererreichen will,
indem es auf die 2500 Jahre alte Erkenntnis des Konfuzius zurückgreife, daß
Lernen und Bildung das höchste Gut einer Gesellschaft sind. Ein Ergebnis sei
jedenfalls „eine rapide wachsende Wissenschaftsgesellschaft. In keinem Land
steigen zurzeit so sprunghaft auch die privaten Bildungsausgaben wie in China.
Nach Expertenschätzung gaben chinesische Eltern über 90 Mrd. $ für die Bildung
ihrer Kinder aus. Eine sehr frühe Förderung der Kinder ist inzwischen
routinemäßig verbunden mit frühkindlichem Erwerb englischer Sprachkenntnisse
und einer starken Ausbildung musischer Kompetenz vor allem durch Ballett- und
Klavierunterricht.“ Besonders auffällig „ist die Tatsache, daß in China die
Durchschnittszahl an Schulstunden pro Jahr und Kind doppelt so hoch ist wie
zum Beispiel in Deutschland“, wo sie nur bei 625 Stunden liegt. „Über 50% der
chinesischen Teenager gaben nach jüngsten Meinungsumfragen eine erfolgreiche
Karriere als höchstes Lebensziel an.“4
Kann es sein, daß die hohe Verehrung des „Li“, der universellen Vernunft,
im konfuzianischen Denken ein Nährboden für die Renaissance Chinas als einer
bedeutenden Wissenschaftsmacht ist? Lernen und lebenslange Verbesserung zählt
zu den höchsten Tugenden in diesem Denken und ist auch Ausdruck der
universellen Liebe „Ren“, der Liebe zur Menschheit und ihrer Zukunft. Wer
würde bei großen Wissenschaftlern in erster Linie die Absicht vermuten, Geld
anzuhäufen, wie es Jeremy Bentham, Adam Smith oder die Fürsprecher unseres
heutigen Börsenkasinos sehen?
Der große persönliche Einsatz bedeutender Wissenschaftler ist oft mit Geld
nicht aufzuwiegen, und sie finden ihre Genugtuung darin, zu versuchen, der
Menschheit den Weg in eine unbekannte Zukunft zu eröffnen, die ihr eine
Existenz auf einer höheren Ebene ermöglicht.
Führt China die Menschheit in den Weltraum?
Es sollte nicht verwundern, daß China auch zu einer der führenden
Weltraumnationen aufsteigt, wenn es nicht schon an der Spitze steht. Ganz im
„Geist der Seidenstraße“ gegenseitiger Kooperation bietet China allen
Entwicklungsländern, Rußland und Europa die Zusammenarbeit an. Amerika
isoliert sich durch Sanktionen. Für die chinesische Weltraumbehörde ist die
Erschließung des Weltalls ein Anliegen der Menschheit als ganzer. Nach 2020
wird China vielleicht die einzige Weltraumstation haben, da die internationale
ISS ausläuft. Chinas großes Ziel, den Mond industriell zu nutzen und Rohstoffe
abzubauen, eröffnet den Zugang zu Energievorräten für etwa 10.000 Jahre, wie
der Chef des Mondprogramms, Prof. Ouyang Ziyuan, ankündigte.5
So wie die italienische Renaissance die Sicht des Globus revolutionierte
und die Entdeckung Amerikas anstieß, so stehen wir an der Schwelle dazu, die
heimatliche Erde zu verlassen. Heute ist Amerika ein Teil unseres Alltages
auch in Deutschland, als wäre es ein Nachbar. So wird es auch in Zukunft mit
Siedlungen auf dem Mond und dem Mars sein.
Für Prof. Ulrich Walter, ehemaliger Astronaut und heute Inhaber des
Lehrstuhls für Raumfahrttechnik an der TU München, steht es außer Frage, daß
solche Siedlungen auch heute schon machbar sind.6 Er hält sie aber
auch für überlebensnotwendig, weil die Erde in absehbarer Zeit ein
unbewohnbarer Planet wird. Wie auch für andere Wissenschaftler steht für ihn
fest, daß in etwa 50.000 Jahren die Erde fast ganz von einer Eiskuppel bedeckt
sein wird. Auch ein Einschlag von Asteroiden, die Leben auf der Erde
vernichten können, ist für ihn nur eine Frage der Zeit.7 Gerade
Prof. Walter will keine Panik auslösen, sondern zeigt die vielen Möglichkeiten
auf, die wir heute schon haben, um diese Gefahren abzuwenden. Doch wer denkt
heute daran, das Überleben der Menschheit für Zehntausende oder gar Millionen
von Jahren sichern zu wollen?
Wir haben Tausende Jahre Zeit, Siedlungen auf dem Mond und Mars zu
schaffen, wenn wir für viele Generationen Verantwortung übernehmen, statt dem
heutigen Lebensgefühl „nach mir die Sintflut“ nachzugeben.
Der deutsche Raumfahrtpionier Krafft Ehricke, ein Freund von Herrn und Frau
LaRouche, entwickelte seine fundamentalen „Gesetze der Astronautik“, um das
neue Selbstverständnis einer Menschheit herauszubilden, die das Weltall
kolonialisiert. Sein größtes Anliegen war es, daß dies vom höchsten
moralischen und philosophischen Standpunkt geschehe. So heißt es in seinem
dritten Gesetz: „Indem sich der Mensch im Universum ausbreitet, erfüllt der
Mensch seine Bestimmung als Element des Lebens – ausgestattet mit der Macht
der Vernunft und der Weisheit des Moralgesetzes in sich selbst.“ Er selbst sah
sich in der Tradition der Renaissance und der deutschen Klassik, und nicht der
materialistischen mathematischen Philosophie.
Als einzige kreative Gattung im bisher bekannten Kosmos steht die
Menschheit vor der begeisternden Möglichkeit, willentlich einen evolutionären
Sprung zu verwirklichen. Genau für diesen willentlichen Entschluß, unzähligen
Generationen eine Zukunft zu schaffen und dadurch selbst einen Beitrag zum
Guten zu leisten, liefert eine Philosophie der Seidenstraße einen großen
Schatz.
Auch in China ringt man wohl um eine moralische Ausrichtung, die das
materialistische Erbe des Kommunismus und der zügellosen Gründerjahre durch
eine Verbesserung der Gesellschaft überwindet.
Wenn wir beherzt bei uns eine neue Renaissance schaffen, werden wir in der
konfuzianischen Kultur Chinas Unterstützer und Weggefährten finden. Warum
heben wir nicht gemeinsam den Schatz, den wir von Konfuzius, Plato, G.W.
Leibniz, Friedrich Schiller und vielen anderen geerbt haben, und schaffen die
neuen Epochen, die unseren Nachkommen eine Zukunft ermöglichen?
Anmerkungen
1. http://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/topics_665678/zjpcxshzzcygyslshdsschybdtjkstmedfsllkydjxgsfw/t1194300.shtml
2. Neue Solidarität Nr. 36/3.9.2014 „ Auf dem Weg zur
wissenschaftsbasierten Ökonomie“.
3. Neue Solidarität Nr. 34/25.8.2016 „Wissenschaftsprogramm soll
China bis 2030 an die Weltspitze bringen“
4. Neue Solidarität Nr. 22/2016 „Chinas Konfuzius-Offensive“
5. http://www.dailymail.co.uk/sciencetech/article-2716417/Could-moon-fuel-Earth-10-000-years-China-says-mining-helium-satellite-help-solve-worlds-energy-crisis.html
6. https://www.youtube.com/watch?v=4OQLexeAdbM
7. https://www.youtube.com/watch?v=vQpnLIrDhRw
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