Chinas Gürtel-und-Straßen-Initiative
und ihre langfristigen Auswirkungen auf afrikanische Länder
Von Dr. Alexander Demissie
Dr. Alexander Demissie hielt die folgende Rede auf der
Konferenz des Schiller-Instituts am 25./ 26. November 2017 bei Frankfurt/M.;
Lyndon LaRouche machte einige ergänzende Bemerkungen aus dem Publikum. Der
Text wurde aus dem Englischen übersetzt und leicht bearbeitet.
Ich werde mit ein paar Worten über mich selbst anfangen, damit Sie
verstehen, warum ich hier bin. Mein beruflicher Hintergrund sind
internationale Beziehungen. Ich habe in China-Afrika-Beziehungen promoviert,
studiere die chinesisch-afrikanischen Beziehungen seit 2003 und bin daher
recht gut informiert darüber, was im Laufe des letzten Jahrzehnts in diesem
Bereich passiert ist.
Abb. 1: Chinas Wirtschaftsgürtel-Initiative
Heute möchte ich mit Ihnen über die Gürtel-und-Straßen-Initiative (BRI)
sprechen, und wie sie mit Afrika zusammenhängt. Welche langfristigen
Auswirkungen können wir erwarten, wenn wir über die BRI und Afrika sprechen?
Sie sehen hier eine Landkarte, die ich immer in meinen Vorträgen verwende
(Abbildung 1). Ich frage das Publikum immer: „Was sehen Sie hier?“ Eine
ganz einfache Frage. Sie sollten etwas sehen. – Es ist eine rhetorische Frage,
ich erwarte von Ihnen keine Antwort. – Gewöhnlich dauert es einige Minuten,
bis den Menschen klar wird, was sie hier sehen.
Was Sie sehen, ist, daß der amerikanische Kontinent fehlt. (Heiterkeit
im Publikum) Sie sehen, daß die chinesische Vision der BRI ganz eurasisch
orientiert ist. Ausgehend von China, ist sie hauptsächlich eurasisch
orientiert. Die Idee der BRI, wahrscheinlich sogar schon Ihre Idee (der
LaRouche-Bewegung, Red.) dazu damals in den 1970er Jahren, ist die
Landbrücke, über die wir gestern und heute gesprochen haben.
Auf dieser Karte sehen Sie auch Afrika, Afrika ist dort ganz prominent. Es
liegt nicht ganz im Mittelpunkt, aber man sieht es auf der linken Seite, und
es sollte Teil der BRI-Idee sein. Wir wissen, daß Afrika ein Nachzügler ist.
Das kam in China erst später auf, Afrika war am Anfang kein Bezugspunkt für
die BRI. Erst Personen wie Professor He und Professor Justin Yifu Lin von der
Universität Beijing brachten Afrika mit ins Bild, sie waren ab 2013-14 die
ersten, die über Afrika schrieben, und daß man Afrika als Teil der BRI
betrachten sollte. Sie prägten den Begriff „Ein Gürtel, eine Straße, ein
Kontinent“, um den afrikanischen Kontinent einzubinden. Später werden wir
sehen, daß wir nicht allein vom afrikanischen Kontinent sprechen können.
Wie versteht man die BRI aus afrikanischer Sicht? Man sieht, daß die BRI
eine sehr offene und übergreifende Idee ist. Offen insofern, als jeder
mitmachen und sich „andocken“ kann. Vorhin hörten wir von der 16+1-Initiative
in den mittel- und osteuropäischen Ländern. Das ist eine vergleichbare Idee.
Ob sie gut oder schlecht ist, das ist eine andere Debatte.
Die BRI schafft die Möglichkeit, die Geschichte umzuschreiben, sie schafft
Raum für neue Stimmen, die in den letzten Jahrzehnten unterdrückt waren; diese
können jetzt aus ihren Nischen herauskommen und sich auf ihre eigene
Vergangenheit und ihre eigenen Ideen beziehen. In der Hauptrede heute
vormittag haben wir von einer indischen Sichtweise gehört, die sich jetzt
ausprägt. Indien ist zum Teil gegen die ganze BRI-Idee, aber teilweise
erinnert man sich dort auch an die eigene große Geschichte, die viele Jahre
zurückreicht. Wir hören also neue Stimmen. Die BRI im Kontext Afrikas schafft
neue Stimmen, neue Ideen, neue Sichtweisen, das ist gut.
Abb. 2: Die Korridore der „Agenda 2063“ der Afrikanischen Union:
Infrastrukturentwicklung als Hoffnung auf eine „Vision einer vernetzten
Infrastruktur“.
Mein dritter Punkt: Die BRI ist hauptsächlich eine
Infrastruktur-Unternehmung. Es gibt noch keine politische
Institutionalisierung. Es gibt Vorstellungen zur Infrastruktur. Wir haben
Korridore, aber noch keine politischen Institutionen. Wenn wir also von der
Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) oder von der
Seidenstraßen-Bank reden, sind diese nur mit Infrastruktur verbunden; es sind
keine politischen Ideen.
Interessanterweise trifft diese Idee ganz genau den gegenwärtigen
afrikanischen Bedarf: Aufbau von Infrastruktur. Afrika will Infrastruktur
haben; wir können uns hier auf den strategischen Rahmen der „Agenda 2063“ der
Afrikanischen Union beziehen, die zufällig schon zur Sprache kam. Gemeinsam
mit der BRI will Afrika gute Infrastrukturverbindungen, eine gute interne
Vernetzung. Daher paßt die Idee der BRI aus China genau zu diesen
Vorstellungen auf dem afrikanischen Kontinent, die schon verwirklicht werden
oder im Gespräch sind.
Auf der Karte rechts (Abbildung 2) sehen Sie verschiedene Korridore
in Afrika, die verschiedene Akteure zu verschiedenen Zeiten entworfen haben
und die mehr oder weniger als besonders wichtige Korridore betrachtet werden.
Die Frage bleibt: Wer finanziert alle diese Korridore?
Lyndon LaRouche (aus dem Publikum): Man sollte es tun! Das ist ein
Prozeß ... der Entwicklung des neuen Systems für sie. Vor allem geht das weit
über alles hinaus, was die Menschheit, in Rußland oder anderswo, je gesehen
hat. Man hatte in dieser Hinsicht keine früheren Erfahrungen. Sie haben jetzt
zusammen mit anderen die Entwicklung von etwas erreicht, was wirklich ein
System der (Zusammen-)Arbeit ist.
Demissie: Meinen Sie die BRI?
LaRouche: Das System an sich. Das ganze ist im wesentlichen
motiviert durch das, was die Bevölkerung entwickelt hat, das hat das Tor
geöffnet.
Demissie: Ja.
LaRouche: Dann kommen Leute an und fangen an zu arbeiten. Inzwischen
geht ihr Denken weit über alles hinaus, was sie vorher bei einem fortdauernden
Projekt getan haben. Die Aufgabe ist also: Macht es!
Demissie: Jawohl! Ja, genau! Da bin ich ganz Ihrer Ansicht. Denn
wenn Sie die Debatte innerhalb Afrikas, auf dem afrikanischen Kontinent und in
den afrikanischen Institutionen verfolgen, die Agenda 2063 – wir sprechen vom
„Afrika, das wir wollen“ –, dann ist das buchstäblich nichts anderes als
Entwicklung von Infrastruktur, die der Kontinent eigentlich schon seit
Jahrzehnten braucht, die aber nie stattfand.
Wir sehen jetzt, daß China als Akteur dazukommt und ganz konkret Teile
dieser notwendigen Arbeiten übernimmt. Aus afrikanischer Perspektive ist dies
ein gewaltiges Plus für viele afrikanische Länder. Die Idee der BRI, die es
erst seit 2013 gibt, treibt etwas voran, was auf dem Kontinent zwischen China
und den afrikanischen Ländern schon seit dem Jahr 2000 existiert, es heißt
Forum über China-Afrika-Kooperation (FOCAC). Für diejenigen, die mit diesem
Forum nicht vertraut sind: Es ist ähnlich wie die 16+1, wir haben dabei
mindestens 48 afrikanische Länder auf der einen und China auf der anderen
Seite. In diesem Forum hat sich die chinesische Position zwar nicht unbedingt
geändert, aber immer wieder an die aktuellen Bedürfnisse angepaßt.
Lyndon LaRouche: Wir brauchen Veränderungen... (undeutliche
Tonaufnahme).
Demissie: Ja. Ich werde zu diesem Punkt kommen. Es hat sich viel
verändert, ich werde erläutern wie. Ich wollte sagen, daß das alle drei Jahre
stattfindet. Alle drei Jahre wurde dieses Forum – so sehe ich es –
schrittweise auch an die Bedürfnisse Chinas und nicht nur Afrikas
angepaßt.
Seit dem FOCAC-Gipfel und der 6. Ministerkonferenz 2015 in Johannesburg
verlagert China seine Priorität stark von sozialen Aspekten auf Aspekte des
Aufbaus von harter Infrastruktur. China hat klar angekündigt, daß es gerne
sähe, wenn sich die China-Afrika-Kooperation auf den Bau von Fernstraßen,
regionalen Flugnetzen oder Industrialisierung verlagert.
China gibt auch dem Programm der Afrikanischen Union für
Infrastrukturentwicklung hohe Priorität. Dieses Programm umfaßt 51
Einzelprogramme, die in 400 verschiedene konkrete Projekte umgesetzt werden.
Ich rede von Häfen, Straßen, Telekommunikationslinien – was immer man braucht,
damit ein Land oder ein Kontinent funktioniert.
China ist auch seit Johannesburg 2015 sehr klar darin, daß es mit Afrika
mehr bei Infrastrukturprojekten zusammenarbeiten will, die regionale
Vernetzung schaffen. Hier kommt die BRI ins Spiel. Aus diesem Grund habe ich
vorhin erwähnt, daß die BRI hauptsächlich eine Infrastrukturangelegenheit
ist.
Vielleicht sollte ich das hier betonen. China hat auch seinen Schwerpunkt
seit spätestens 2016 geändert und deutlich den Wunsch formuliert, mit Afrika
eine Kooperation bei der Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft
einzugehen. Auch das ist wieder eine realwirtschaftlich orientierte
Herangehensweise. Die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Entwicklung
Afrikas ist gute vorhandene Infrastruktur. Erst kommt gute Infrastruktur und
dann muß gleichzeitig die Entwicklung der Humanressourcen stattfinden.
Grafik: China Africa Advisory
Abb. 3: In Afrika sind derzeit 33 Korridore, die derzeit ausgebaut werden,
im Bau oder geplant sind.
Was wir in Afrika seit mindestens zwei Jahren sehen, ist eine zunehmende
„Korridorisierung“ im Verhältnis China-Afrika. Mit Korridorisierung meine ich
nicht, daß einzelne Länder nicht mehr wichtig sind, sondern daß ganze Regionen
für China wichtiger werden. Das ist eine enorme Abkehr von der bilateralen,
auf einzelne Länder basierten Herangehensweise an die Korridorentwicklung.
Wenn Sie die afrikanischen Korridore auf der Karte (Abbildung 3)
betrachten, können Sie sehen, daß jetzt, während wir heute sprechen, etwa 33
verschiedene Korridore entweder ausgebaut wurden, im Bau sind oder
durchgeplant sind und noch aufgebaut werden müssen. Korridore tun nichts
weiter, als zwei verschiedene Gebiete zu kombinieren, und indem man das tut,
schafft man eine Entwicklungsinitiative, ein Entwicklungsparadigma.
China ist ein großer Akteur der gegenwärtigen Korridorisierungsbewegung in
Afrika, genauso wie wir es vorhin über Bulgarien gehört haben. Die gleiche Art
von Entwicklung findet in den zentralasiatischen Ländern statt. Die BRI stützt
diese existierenden Ideen in Afrika.
Aus afrikanischer Sicht, zumindest aus einigen Subregionen, stellen sich
einige Fragen an China: „Hilft uns unser Verhältnis zu China, die
Infrastrukturentwicklung, die wir planen, voranzubringen? Verhilft uns das
Verhältnis zu China zur regionalen Vernetzung? Und kommt es durch dieses
Verhältnis tatsächlich zum Industrialisierungsprozeß?“
LaRouche: Das ist alles eins. Das sind keine separaten Dinge.
Demissie: Nein, das sind sie nicht.
LaRouche: Diese Charakteristika müssen wirken, wenn diese
Charakteristika ins Spiel kommen. Ich kenne zum Beispiel einige Mitarbeiter
mit Talent in dem Bereich. Wir haben daran gearbeitet, zum Teil habe ich
selbst daran gearbeitet, zusammen mit meiner Frau. Die Vorstellung im Geist
der Wissenschaftler ist dabei, daß man sieht, wie auf diese Weise das Ganze
entsteht. Die Gefahr ist, daß Leute mit Interpretationen, wie es entstehen
soll, Zeit verschwenden. Jetzt weitet sich diese Unternehmung innerhalb kurzer
Zeit explosionartig aus.
Demissie: Das stimmt.
LaRouche: Es wächst so durch andere Gruppen von Menschen. Es gibt
eine Verbindung, eine sehr wichtige, relevante, wenn auch nicht präzise. Man
muß an diesen Dingen arbeiten, denn man muß die Modalität, auf die man
gewöhnlich stößt, darin integrieren. Man muß den Plan überarbeiten, verändern.
Man muß aufbauen, es verstärken... Da ist per se keine Zauberei im Spiel. Es
ist wie ein heißes Eisen, das schon längst zum Schmieden reif ist.
Demissie: Da stimme ich zu. Aber jetzt kommt China und fängt an, das
Eisen zu schmieden. Das ist eigentlich die ganze Geschichte. Es ist wahr! Wir müssen uns fragen: „Warum ist dieses Eisen, das
seit einer Ewigkeit herumliegt, bis heute nicht geschmiedet worden?“ In ein
paar Minuten werde ich auf diesen Punkt kommen: Wer bei diesem „Machtspiel“,
wie ich es nenne, eigentlich verliert. Ich gebe Ihnen nur eine Art Einführung,
und hoffentlich kann ich meinen Zeitrahmen einhalten.
Grafik: China Africa Advisory
Abb. 4: Vor allem in Ostafrika macht der Infrastrukturaufbau große
Fortschritte.
Ostafrika
Gehen wir eine Stufe herunter zu Ostafrika. Die Initiative „This is Africa“
(TIS) existiert schon seit sehr langer Zeit. Mindestens liegen ihre Pläne
schon seit sehr langer Zeit in der Schublade. Wir wissen auch, daß viele
amerikanische Forschungsinstitute sehr viel dazu beitrugen, diese Pläne in den
1950er und 60er Jahren zu entwerfen, besonders in Äthiopien. Der Große
Renaissance-Damm, der jetzt am Blauen Nil in Äthiopien gebaut wird, geht auf
amerikanische Wissenschaftler zurück, die in den 1960er Jahren solche Ideen
hervorbrachten. Viele Ideen in Ostafrika, beispielsweise, liegen seit
Jahrzehnten auf dem Tisch, aber niemand war fähig oder willens, sie zu
bezahlen. Jetzt aber kommt viel Geld aus China, so daß diese
Infrastrukturprojekte gebaut werden können. Das ist die Idee bei der BRI, die
alles verändert, wenn man Afrika mit ins Bild holt.
Was geschieht in Ostafrika? In Ostafrika nehmen verschiedene Arten von
Korridoren Gestalt an, die große Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben
werden (Abbildung 4). Es gibt den Lamu Port-South
Sudan-Äthiopien-Transport-Korridor (LAPSSET). Auf der Karte in gelb und rot,
von Lamu Port nach Nairobi, Hauptstadt und größte Stadt in Kenia; nach Juba,
Hauptstadt und größte Stadt im Südsudan; dann nach Addis Ababa, Hauptstadt und
größte Stadt in Äthiopien; und später nach Dschibuti.
Viele chinesische Unternehmen beteiligen sich am Ausbau von Lamu Port und
auch an der neuen Standardspur-Eisenbahn (SGR), die vor zwei Monaten eröffnet
wurde und jetzt Kenias Hafenstadt Mombasa mit Nairobi verbindet. Es
funktioniert. Es läuft. Die Menschen können mit diesen Bahnen von A nach B
fahren.
Das gleiche gibt es jetzt vom Hafen Dschibuti nach Addis Abeba. Diese reale
Infrastruktur existiert jetzt. Die Idee dazu war schon immer da, aber jetzt
existiert sie.
Wie dies das Leben der Menschen verändert, ist leicht beschrieben. Früher
dauerte der Transport von Gütern vom Hafen Dschibuti nach Addis Abeba drei
Tage. Mit dem Zug sind es jetzt nur zehn Stunden. Man kann sich vorstellen,
welche wirtschaftliche Aktivität sich als Folge des Aufbaus dieses einzigen
Korridors bzw. dieser einen Infrastruktur innerhalb dieses Korridors
entwickeln wird. Gestern hat der äthiopische Generalkonsul Mehreteab Mulugeta
Haile hier über einige Aspekte davon gesprochen.
Betrachten wir andere Entwicklungskorridore: In Tansania kam gerade vor
zwei Wochen die Genehmigung, daß der Hafen Bagamoyo von einem Konsortium
chinesischer Akteure mit Finanzierung von Kuwait ausgebaut wird. Nach der
Fertigstellung wird er der größte Hafen Ostafrikas sein.
Ich erwähne diese Großprojekte nur, um Ihnen zu zeigen, was für
Veränderungen sie in die ganze Region bringen können – nicht nur dem Hafen,
sondern auch seinem Hinterland. Auch hier stehen wieder chinesische Akteure an
der Spitze und verändern die Perspektive in den afrikanischen Ländern.
Für mich ist Ostafrika das Haupteingangstor nach Afrika, was die BRI
betrifft. Ich weiß, daß es auch für Ägypten und Marokko bei der BRI um viel
geht, aber wenn man sich die Gesamtentwicklung der BRI betrachtet, denke ich,
daß die ostafrikaische Region, angefangen von Dschibuti im Norden bis nach
Mosambik, einen größeren Einfluß darauf haben wird, wie die BRI zum
afrikanischen Kontinent kommen wird.
Grafiken: China Africa Advisory
Abb. 5: Chinas Kredite an Afrika:
a: Zwischen 2000 und 2014 gingen die meisten chinesischen Kredite in
Afrika an Angola, Äthiopien, Sudan, Kenia und die Demokratische Republik
Kongo.
b: Der größte Teil dieser Investitionen floß in den Verkehrs- und den
Energiesektor.
Abb. 6: Vorzeigeland Äthiopien – Investitionen in den Verkehrssektor und in
die Industrieentwicklung:
a: Das geplante Eisenbahnnetz in Äthiopien;
b: Geplante Industrieparks in Äthiopien.
Abb. 7: Ein Schwerpunkt der chinesischen Investitionen in Afrika ist die
Stromerzeugung und -verteilung (Quelle: IEA):
a: Aufträge für Kraftwerks- projekte zwischen 2010 und 2020, die an
chinesische Unternehmen vergeben wurden.
b: Kraftwerkskapazitäten chinesischer Projekte in Afrika nach
Subregionen.
Der Grund, warum sich auch die chinesische Haltung gegenüber den
afrikanischen Ländern verändert, ist leicht erklärt. Seit 2016 gruppiert China
einige afrikanische Länder nach zwei Kriterien: „Länder zur Demonstration und
Wegbereitung industrieller Kooperation“, dazu gehören Tansania, Kenia, die
Republik Kongo und Äthiopien; sowie „Länder als bevorzugte Partner für
Kooperation der Produktionskapazität“, dazu gehören Ägypten, Angola und
Mosambik. Das ist sehr interessant formuliert. Der Punkt ist hier, daß diese
Länder primus inter pares werden – sie werden ein bißchen besser als
die anderen werden.
Wir beobachten das Entstehen einer zweiphasigen Beziehung zwischen China
und Afrika. Vielleicht haben meine chinesischen Kollegen da Einwände, aber so
jedenfalls beobachten wir das aus Afrika. Wir haben kein großes Forum, wo
jedes Land gleich ist. Es findet keine Differenzierung statt, außer dieser
Korridorbildung und den Eingangspunkten der BRI.
Ein andere Idee, die ich Ihnen vorstellen möchte: Wo ist all das
chinesische Geld? Eine der Fragen heute war: „Wo bekommen die Chinesen all ihr
Geld her?“ Das ist die eine Frage. Aber die andere ist, wohin geht das Geld,
das nach Afrika fließt? In welche Bereiche? Zahlen aus dem Jahr 2016 zeigen,
daß der größte Anteil des Geldes in Verkehr und Energie fließt (Abbildung
5). Der Verkehrssektor ist ein großer Empfänger von Geld aus China; das
umfaßt Eisenbahnen, Straßen, Häfen usw. Das ist für Sie ein Hinweis, wohin es
geht.
Was Ostafrika betrifft, so sieht man, daß Äthiopien viel Geld aus China
bekommt, und Äthiopien steckt dieses Geld in produktive Bereiche (Abbildung
6). Sie bauen Dämme, Straßen, Industrieparks. Damit hat man alle
notwendigen Voraussetzungen dafür, schneller und breiter zu wachsen. Wenn man
das Geld, das man bekommt – egal von woher – nicht in den produktiven Sektor
steckt, dann wird man wahrscheinlich nicht sehr weit kommen.
Auf der Karte sieht man die geplanten Eisenbahnverbindungen im Land.
Äthiopien plant verschiedene Bahnstrecken, von denen ich eine gerade erwähnte,
die von Dschibuti nach Addis Abeba, die schon gebaut ist. Aber es gibt
insgesamt acht verschiedene Strecken, die von der Regierung geplant sind, die
bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gebaut sein sollen. Andere sind daran
beteiligt, etwa türkische Akteure, und auch Interessen von indischen Akteuren,
aber überwiegend werden chinesische Unternehmen diese Verkehrsnetze bauen.
Gleichzeitig wird man, wenn man diese Strecken anschaut, auch eine Vielzahl
von Industriezonen, von Industrieparks in Äthiopien sehen, die alle entlang
dieser Zugstrecken errichtet werden – Infrastrukturkorridore. Am Ende werden
wir „Produktionskorridore“ haben, die sich durch verschiedene Länder
hindurchziehen, Dschibuti-Äthiopien, Äthiopien-Kenia, Kenia-Tansania, so daß
hoffentlich irgendwann die ganze Subregion industrialisiert sein wird.
Äthiopien hat 22 separate Industrieparks entweder in Planung, im Bau oder
fertig. Die meisten werden von chinesischen staatlichen Unternehmen errichtet.
Das ist hier der wesentliche Punkt. Sonderwirtschaftszonen und Industrieparks
gibt es nicht nur in Äthiopien, sondern auch in Kenia und Tansania. Andere
Länder wie Ruanda oder sogar Senegal treten in ihre Fußstapfen. Sie werden
wichtige Anziehungspunkte – ich nenne sie „Attraktionauten“. Sie werden im
Rahmen der BRI Anziehungspunkte für chinesische Firmen, die sich in
afrikanischen Ländern engagieren wollen. Ohne diese Industrieparks wären nicht
so viele chinesische Firmen in Afrika.
Ein anderer Bereich, den ich Ihnen kurz zeigen will, betrifft die
Stromerzeugung. Wer baut die Energieversorgung für afrikanische Länder auf?
Auch hier sieht man eine starke Beteiligung chinesischer Unternehmen.
Ostafrika ist in diesem Bereich besonders aktiv. „Energie” umfaßt hier alles,
Kraftwerke, erneuerbare Energie, Dämme etc. Ostafrika gibt sich hier wirklich
große Mühe. An der Verteilung chinesischer Projekte und
Stromerzeugungskapazität nach Subregionen bis 2020 können Sie sehen, daß das
südliche und östliche Afrika eine ganze Anzahl dieser Projekte erhält.
Was sind die Auswirkungen für afrikanische Länder? Chinesische Aktivitäten
werden beim Aufbau des ostafrikanischen Korridors immer mehr beherrschend. Das
ist ein Komplettangebot, das wir annehmen müssen. Sie arbeiten an der
Konstruktion, der Umsetzung und der Finanzierung, die ganze Versorgungskette
wird also von chinesischen Akteuren kontrolliert.
Der „infrastrukturell-industrielle Komplex”, wie ich ihn nenne, bietet
afrikanischen Ländern also einen hochinteressanten Mix. Erstens schafft er
Arbeitsplätze. Viele Menschen haben jetzt durch diese Entwicklungsprojekte
Arbeit. Aber gleichzeitig sieht man die ersten Anzeichen für Abhängigkeit. Es
ist wirklich wichtig, das zu wissen. Wir erleben auch, wie ein neues
Verhältnis zwischen immer mächtigeren chinesischen Unternehmen und
afrikanischen Staaten entsteht. Wie bringen wir sie in Aktion? Ich spreche
hier von industrieller Kapitalakkumulation. Wir haben vorhin gehört, daß das
Geld, das aus China kommt, in die produktiven Sektoren gesteckt wird; das ist
kein Geld für Spekulation, sondern Geld mit einem langen zeitlichen Horizont,
das lange in Afrika bleiben kann. Tatsächlich ist es gegenwärtig unsere
einzige Geldquelle für einen solchen Horizont. Es ist ganz anders als das
schnelle spekulative Geld, das aus westlichen Ländern kommt.
Chinas Geld, das in afrikanische Länder kommt, schafft nicht nur
industrielle Kapitalakkumulation, es wirft auch einen anderen „Widerspruch“
bzw. eine Frage für afrikanische Länder auf: „Wie organisiert man die
Arbeitskraft der Menschen, wenn man sie beschäftigt; und wie organisiert man
den verfügbaren Raum?“ Also Organisation von Raum und Arbeitskraft vis à vis
Geld aus China: das ist ein Aspekt, über den wir wirklich gründlich nachdenken
müssen.
Abb. 8: Die Sonderwirtschaftszone Mombasa ist die erste ihrer Art in Afrika.
Diese Entwicklungszonen ziehen bisher vor allem chinesische Investoren an.
Und auch die neuen Produktionszentren – diese Industriezonen, die ich
vorhin erwähnte (Abbildung 8) – schaffen eine neue Interaktion
gegenüber traditionellen Partner und traditionellen Handelsregelungen.
Letztere werden in Frage gestellt – was gut ist. Mit dem Ausdruck
„traditionelle Partner“ beziehe ich mich tatsächlich direkt auf europäische
Akteure. (Lachen.) Traditionelle Entwicklungs-Handelspartner verlieren
zunehmend gegenüber neuen Formen von Produktion, Kapital und Region – vor
allem aus Asien, aus China. Und wenn die Chinesen diese Produktionszentren
planen, finanzieren und realisieren können, dann bedeutet das, daß sie auch
neue Regeln einführen können, daß sie andere, die sie nicht haben wollen,
leicht ausschließen können. Das ist ganz leicht. All dies bedeutet, daß die
Kapitalzuweisung darüber entscheiden wird, welche Unternehmen in diese Zentren
kommen und produzieren werden.
Das Problem, wie ich es sehe, besteht darin, daß die traditionellen Partner
in ihrem Denken noch im alten Paradigma sind. Sie denken immer noch mit
herkömmlichen Grundannahmen: Afrika wird als ein Kontinent gesehen, der von
Entwicklungshilfe abhängt, nicht als ein Kontinent voller Chancen. Es wird
noch mit der falschen Mentalität betrachtet. Das ist eines der größten
Probleme, und das muß sich ändern.
Neue Mechanismen der Marktzuteilung machen es für Unternehmen aus den
traditionellen Partnerländern zunehmend schwieriger, überhaupt Zugang zum
Markt zu erhalten. Selbst wenn sie konkurrieren wollen, können sie es nicht
mehr, denn sie sind von den Märkten ausgeschlossen. Sie können sich gegen die
Konkurrenz in Bezug auf die Preise nicht durchsetzen. Was geschieht also, wenn
man nicht einmal eine Chance auf Zugang zum Markt hat? Wir sehen diese
Entwicklung im Telekomsektor und beim Aufbau anderer Infrastruktur.
Beispielsweise läuft der Prozeß des Staudammbaus in Afrika jetzt
ausschließlich über chinesische Unternehmen. Es gibt hier keine anderen
spezialisierten Akteure.
Eine Frage, über die wir kürzlich mit unseren chinesischen Kollegen
sprachen, lautet: „Könnte eine dreiseitige Unternehmung“ – dreiseitig
bedeutet, die traditionellen (europäischen) Akteure, chinesische Akteure und
afrikanische Akteure zusammenzubringen – „eine Lösung für dieses Dilemma sein,
besonders für europäische Akteure?“ Auf der einen Seite können wir sagen: „Ja,
das wäre möglich, insbesondere wenn europäische Akteure bereits existierende,
von China gebaute Strukturen wie z.B. die Wirtschaftssonderzonen oder
Industriezonen nutzen können, um ebenfalls anzufangen, in Afrika zu
produzieren.“ Wir denken, daß die traditionellen Partner einen
Paradigmenwechsel in ihrem Denken gegenüber Afrika vollbringen müssen. Wenn
sie hartnäckig weiter bei dem Denken bleiben, Afrika sei bloß ein von
Entwicklungshilfe abhängiger Kontinent und kein Kontinent der Chancen, dann
werden sie, davon sind wir überzeugt, in den kommenden Jahren vermutlich nicht
viel Erfolg haben.
Auf der anderen Seite muß man auch zur Kenntnis nehmen, daß China und die
afrikanischen Länder nicht unbedingt besonders erpicht darauf sind, mit
europäischen Partnern zu arbeiten. Warum sollten sie das, wenn es keinen
Paradigmawechsel gibt, besonders wenn alles gut ohne die Europäer
funktioniert?
Man sieht, daß sich durch die BRI auf dem afrikanischen Kontinent
geopolitisch eine Wende vollzieht, die sich auf europäische Akteure auswirkt.
Das ist es, was ich zu sagen hatte. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Zeit.
(Applaus)
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