Statt Blockade: Osteuropa will Zusammenarbeit EU-China
Klaus und Elke Fimmen berichten von einem Besuch in Bukarest,
wo sie am 3. Akademischen Roundtable Rumänien-China teilnahmen.
Seit China sich im sog. „16+1-Format“ (mit 16 mittel- und osteuropäischen
Staaten) in den Ländern Osteuropas engagiert, genießen diese Staaten an der
europäischen Peripherie plötzlich erhöhte Aufmerksamkeit aus Brüssel. Über die
reale Entwicklung von Industrien und Infrastruktur ist von Brüssel wohl viel
geredet worden, aber nur wenig geschehen. Wenn sich die EU zur Zusammenarbeit
mit Chinas Belt-and-Road-Initiative entschließen würde, könnte das einen
massiven Entwicklungsschub für die Länder Ost- und Südosteuropas bedeuten.
Dann wären sie nicht mehr der Rand, sondern Drehkreuz zwischen Europa, Asien
und Afrika. Elke und Klaus Fimmen vom Schiller-Institut hatten Gelegenheit,
während des 3. Akademischen Roundtable Rumänien-China am 20. und 21. September
2018 in Bukarest dazu Gespräche mit Persönlichkeiten aus Politik und
Wissenschaft zu führen und die Perspektive des Schiller-Instituts
vorzustellen.
Unter dem Titel „Die Herausforderungen der Anpassung an eine sich ändernde
Weltwirtschaft im 21. Jahrhundert“ hatte das Weltwirtschaftsinstitut der
Rumänischen Akademie (IWE/RA) in Zusammenarbeit mit vier Instituten der
Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften (CASS) aus Beijing eingeladen.
Unter den etwa 50 Teilnehmern – vornehmlich aus Rumänien und China – befanden
sich auch Repräsentanten aus Frankreich, Serbien sowie aus Deutschland die
Autoren dieses Artikels.
Nach der offiziellen Begrüßung durch Repräsentanten der rumänischen
Regierung und der Institute leitete Prof. Simona Moagăr-Poladian,
Generaldirektorin des Instituts für Weltwirtschaft, die erste Sitzung zum
Thema „Globale wirtschaftliche Machtverschiebungen und die entstehende neue
Weltordnung. Chinas Rolle als game-changer“. Nachdem mehrere hochrangige
Redner, u.a. der ehemalige rumänische Botschafter in China, Doru Costea, über
die zugrundeliegenden Prinzipien des einzigartigen Aufstiegs von China in den
letzten 40 Jahren referierten, skizzierte Prof. Kong Tianping die paradoxe
Situation, daß, während sich China Schritt für Schritt weiter öffne, in Europa
und den USA die gegenteilige Tendenz zur Abkapselung zu beobachten sei. Nur
wenn Europa und China die Felder überlappender Interessen festlegen und
vertraglich vereinbaren würden, könne es zu einer harmonischen
Win-Win-Zusammenarbeit kommen.
In diesem ersten Panel sprach auch Elke Fimmen über „Den Geist der Neuen
Seidenstraße – eine globale Revolution von Kreativität und Fortschritt“. Sie
zitierte Präsident Xi Jinping, der bei vielen Gelegenheiten – z.B. beim
jüngsten BRICS-Gipfel in Südafrika – die entscheidende Rolle von Wissenschaft
und technischem Fortschritt bei der Überwindung von Armut und Unterentwicklung
betont habe. Der Kern seiner Überlegungen habe sich schon in
Essays1 aus den späten 80er Jahren gefunden, wie in der Schrift von
1988 „Wie kann der schwächste Nestling zuerst flügge werden?“ Wie die großen
Ökonomen des Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie, Alexander
Hamilton, Friedrich List und Lyndon LaRouche, habe auch der amtierende
chinesische Präsident den kreativen Geist als die wahre Quelle allen Reichtums
erkannt.
In der angeführten Schrift schrieb Xi: „Verarmte Regionen dürfen keine
verarmten Ideale hegen… Der schwache Nestling kann zuerst fliegen und der
Ärmste kann zuerst reich werden… Aber um zuerst fliegen zu können oder zuerst
reich zu werden, müssen wir ein solches Konzept in unseren Gedanken haben. Das
erlaubt uns, alte Sichtweisen zu durchbrechen und die Dinge mit einem frischen
Ansatz anzugehen.“
Für Länder wie Rumänien, so Fimmen, sei es wichtig, neben
infrastrukturellen Verbesserungen auch auf die Expertise Rumäniens in Feldern
der Kernenergie und anderer Wissenschafts- und Hochtechnologiebereiche zu
bauen.
Der aktuelle Handelskrieg zwischen den USA und China (und Europa) war Thema
des zweiten Panels. Auch wenn einzelne Stimmen die Hoffnung ausdrückten, das
angespannte Verhältnis zu den USA könne zu einem Zusammenrücken von Europa und
China führen, betonte Prof. Sarmiza Pencea (IWE/RA) in ihrer Rede, daß die
ganze Welt nur verlieren könne, wenn es bei den sich gegenseitig
aufschaukelnden Maßnahmen und Gegenmaßnahmen bliebe. In weiteren Beiträgen
wurde anerkannt, daß die bisherige globale Ordnung dringender Verbesserungen
bedürfe – diese sollten aber nicht durch einseitige Maßnahmen, sondern auf dem
Verhandlungswege erfolgen.
Migrationskrise
Am Nachmittag ging es dann im 3. Panel unter Leitung von Prof. Sun
Zhangzhi, dem Generaldirektor des Instituts für Russische, Osteuropäische und
Zentralasiatische Studien (IREECAS), um „Die EU – Gegenwärtige
Herausforderungen, Antworten und Zukunftsperspektiven. Herausforderungen und
Optionen in den Beziehungen zwischen China und der EU“.
Unter den vielen interessanten Reden zeichnete der Beitrag von Dr. Alina L.
Dumitrescu (IWE/RA) eine Migrationskrise ganz anderer Art als diejenige, über
die man in Deutschland spricht: Rumänien hat die höchste Auswanderungsrate
aller EU-Staaten. Fast ein Fünftel der Bevölkerung (1,8 von 9 Mio.) im Alter
zwischen 20 und 64 Jahren hat das Land verlassen. So verliert Rumänien viele
seiner qualifizierten Arbeitskräfte an die westlichen EU-Staaten, was sich
besonders schmerzlich im Gesundheitssektor bemerkbar macht. Aber auch beim
Autobahnbau und anderen Projekten ist das ein Faktor, der neben bürokratischen
Vorgaben oftmals die Bauzeit unnötig in die Länge zieht.
Ein festlicher Empfang am Abend gab dann den Teilnehmern Gelegenheit,
ausgiebig ihre Erfahrungen und Ansichten auszutauschen.
Am zweiten Tag standen die Zusammenarbeit der „16+1“ und ihr Zusammenspiel
mit der Belt-and-Road-Initiative im Mittelpunkt, insbesondere die Rolle
Rumäniens. Geleitet wurden die Sitzungen von Frau Prof. Sarmiza Pencea
(IWE/RA) und dem Direktor des Sekretariats der „16+1“-Denkfabriken beim
Institut für Europäische Studien (IES/CASS), Prof. Liu Zuokui. In einer sehr
offenen und teilweise kontrovers geführten Diskussion ging es um Chancen, aber
auch um Probleme, die bei chinesischen Investitionen unter den gegenwärtigen
politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Ost- und Mitteleuropa
auftreten. U.a. präsentierte Dr. Christian Moisoiu (IWE/RA) die Ergebnisse
einer vergleichenden Studie, die er zusammen mit seinem Kollegen Razvan
Voinescu erstellt hat. In der Studie wird die Ausführung zweier vergleichbarer
Autobahnteilprojekte untersucht: Eines in Montenegro (EU-Beitrittskandidat),
ausgeführt von Chinas staatseigener Baufirma China Road and Bridge Group und
finanziert durch die chinesische Exim Bank; das zweite im EU-Land Rumänien,
das von der EU finanziert in vier Teilabschnitten von Konsortien aus Italien,
Spanien und Rumänien realisiert wird.
Nachdem zwei internationale Ausschreibungen in Montenegro nichts erbracht
hatten (und dringliche Bitten um EU-Unterstützung kein Gehör fanden, wie eine
Teilnehmerin später anmerkte), schloß die montenegrinische Regierung 2015
einen bilateralen Vertrag mit der Volksrepublik China für den Bau der
mittleren Sektion von 41 km der insgesamt 164 km langen, wichtigen
Autobahnverbindung von der Hafenstadt Bar nach Boljare an der Grenze zu
Serbien. Dies ist der montenegrinische Teil des Korridors Bari (Italien) – Bar
- Podgorica – Belgrad – Bukarest bzw. Budapest. Der untersuchte Abschnitt
(Smokovac/Podgorica bis Mateševo) ist der schwierigste Teilabschnitt; er führt
durch gebirgiges Terrain und erfordert den Bau von 16 Tunneln und 20 Brücken
und schlägt mit angesetzten Kosten von 809 Mio. Euro zu Buche, davon 85
Prozent (743 Mio. €) als Darlehen über 20 Jahre mit 6 Jahren tilgungsfreier
Zeit und 2% Zinsen pro Jahr finanziert über Chinas Exim Bank. Der
Teilabschnitt soll bis 2019 fertiggestellt sein. Die anderen Abschnitte wurden
noch nicht in Angriff genommen.
Als Vorteile führen die Autoren u.a. bessere Konnektivität und
Verkehrssicherheit sowie die Einhaltung von Zeit- und Kostenplan an, während
sie als Negativpunkte bemängeln, daß nur knapp ein Drittel der Arbeitskräfte
Einheimische waren, Ausrüstung und Material überwiegend aus China stammten und
damit die wirtschaftliche Stimulierung nur gering ausfalle, und daß
spezifische EU-Normen nicht eingehalten worden seien. Auch werde der Abschnitt
im Vergleich zur Gesamtstrecke nur geringe wirtschaftliche Wirkung zeigen.
Allerdings lassen die Autoren in der Bewertung außer acht, daß dies der
schwierigste aller zu bauenden Abschnitte ist und sich die Strecke von bisher
etwa 80 Kilometern durch die neue Straßenverbindung quasi halbiert hat. Und
der hohe Anteil chinesischer Fachkräfte könnte sich aus den hohen
Anforderungen beim Tunnel- und Brückenbau und der Notwendigkeit, eingespielte
Teams einzusetzen, erklären.
Zum Vergleich wurde der 100 km lange Autobahnabschnitt von Deva nach Lugoj
als Teil des TEN-T-Korridors IV untersucht, der Bukarest mit dem 576 km
entfernten Nadlac an der ungarischen Grenze verbindet. Dieser Abschnitt wurde
in diesem Fall EU-konform, in vier Sektionen von durchschnittlich 25 km
unterteilt, ausgeschrieben und an verschiedene Konsortien vergeben. Die
Baukosten für diesen Abschnitt durch überwiegend flaches Terrain wurden mit
500 Mio. € veranschlagt. Von den vier Sektionen wurde die erste 2015
fertiggestellt, zwei weitere sollen in diesem Jahr vollendet werden. Eine
Sektion wurde 2017 nach Abschluß von etwa 50% der Bauarbeiten wegen
technischer Probleme abgebrochen und muß neu ausgeschrieben werden, was eine
Fertigstellung frühestens 2021 bedeutet. Und: obwohl die EU letztlich die
Gesamtkosten (ohne MwSt.) übernimmt, müssen die beteiligten Firmen und der
rumänische Staat 90% vorfinanzieren. Das bedeutet, daß ein EU-Mitgliedsstaat
die Gesamtkosten im Haushalt unter Einhaltung der Maastrichtkriterien
ausweisen muß, bevor er überhaupt in den Genuß der Fördergelder kommen kann.
Und die beteiligten Firmen müssen sich zu marktüblichen Zinsen
zwischenfinanzieren, um dann nach Abnahme der Projekte in diesem Fall von der
rumänischen nationalen Straßenbehörde NCRIA ihr Geld zu bekommen, die
ihrerseits etwa vier Jahren später die Auslagen von Brüssel ersetzt
bekommt.
In diesem Fall vermerkten die Autoren auf der positiven Seite die
Einhaltung von EU-Standards, Transparenz bei den Ausschreibungen und
Einbettung des Projekts in den europäischen Gesamtplan (TEN, Transeuropäische
Netze). Über Einhaltung von Zeit- und Kostenplan (außer der erforderlichen
Neuausschreibung) wurde nichts berichtet. Auf der negativen Seite werden die
Zerstückelung der Projekte in kleine Einheiten und vor allem die ausufernden
bürokratischen Verfahrenswege aufgelistet. Und letzteres betrifft nicht nur
die Auflagen der EU, sondern auch, daß Rumänien als junges EU-Mitglied (seit
2007) erst neue EU-konforme Strukturen entwickeln muß und z.B. das angeführte
Projekt gleichzeitig in die Zuständigkeit von sieben verschiedenen Behörden
(!) fällt, was den ganzen Realisierungsprozeß natürlich enorm verlangsamt.
Die Autoren kommen zu dem Schluß: „Chinas Investitionen in die
(europäische) Infrastruktur könnten wesentlich verbessert werden, wenn die
Projekte komplementär zu EU-Plänen erfolgten und die regionalen
Entwicklungserfordernisse der Zentral- und Osteuropäischen Länder
berücksichtigten.“ Dafür ist allerdings der politische Wille der EU
erforderlich, den auch das jüngste EU-Asien-Konnektivitätsprogramm deutlich
vermissen läßt.
„Crossing the river by feeling the stone”
Dieser Satz Deng Xiaopings, den man etwa mit „Den Fluß durchwaten durch
Ertasten des Steins“ übersetzen könnte, wurde von mehreren Rednern als
Charakterisierung des chinesischen Vorgehens zitiert. China habe das Ziel, die
verbliebene Armut im Lande zu überwinden und der gesamten Bevölkerung zu einem
moderaten Wohlstand zu verhelfen. Nach jedem Schritt, um im Bild zu bleiben,
werde das Erreichte überprüft und erst dann der nächste Schritt geplant. Darin
liege das Potential für die verbesserte Zusammenarbeit von EU und der
Volksrepublik China.
Eine solche konstruktive Herangehensweise, die sich an der Realität und vor
allem an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, braucht auch Europa ganz
dringend. Auf Deutschland richten sich dabei in jeder Hinsicht besondere
Hoffnungen, wie sich bei dem Besuch in Rumänien, einem Land mit enormem
Potential, einmal mehr zeigte.
Klaus und Elke Fimmen
Anmerkung
1. Xi Jinping: Up and Out of Poverty, Selected Speeches and Writings
from Fujian, Beijing 2016
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