Internationale Tschadsee-Konferenz in Abuja:
ein historischer Durchbruch für Afrikas Entwicklung
Von Claudio Celani
Die Internationale Tschadsee-Konferenz, die vom 25.-28. Februar 2018 in der
nigerianischen Hauptstadt Abuja stattfand, markierte einen historischen
Durchbruch für Afrika und die Welt. Die Konferenz beschloß die „Charta von
Abuja“, einen Fahrplan zur Erstellung eines Entwicklungsplans, in dessen
Mittelpunkt das ehrgeizigste Infrastrukturprojekt steht, das jemals für den
afrikanischen Kontinent entworfen wurde. Ein italienisch-chinesisches
Gemeinschaftsunternehmen wurde mit der Erstellung einer Machbarkeitsstudie
beauftragt. Während der dreitägigen Konferenz erlebte man ein neues Bewußtsein
und Selbstbewußtsein der afrikanischen Nationen, das sich – inspiriert vom
beeindruckenden Erfolg des Wirtschaftsaufbaus Chinas – in der Bereitschaft
äußerte, „groß zu denken“ und das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
Gleichzeitig sah man die Entstehung einer dreiseitigen Kooperation zwischen
Europa, Afrika und China, die zum Vorbild für internationale Zusammenarbeit im
Geiste der chinesischen Wirtschaftsgürtel-Initiative werden kann.
In der von den anwesenden acht Staats- und Regierungschefs afrikanischer
Staaten beschlossenen „Charta von Abuja“ wird betont:
- die Rettung des Tschadsees ist eine Aufgabe für ganz Afrika;
- der See kann nur durch Wassertransfer aus dem Kongobecken gerettet
werden; und
- die beste Lösung für diesen Transfer ist Transaqua.
Unsere Leser kennen Transaqua: Es ist die Idee, eine 2400 km lange
Wasserstraße vom Südosten des Kongobeckens bis zur Wasserscheide zwischen der
Zentralafrikanischen Republik und dem Tschad zu schaffen, die alle rechten
Nebenflüsse des Kongo-Flusses quert und jährlich bis zu 100 Mrd. m3
Wasser transportieren kann. Damit soll nicht nur der Tschadsee wieder bis zu
seiner ursprünglichen Größe aufgefüllt werden (auf 25.000 km2, heute
ist es nur noch ein Zehntel davon), sondern die Wasserführung der Flüsse
reguliert, Wasserkraft erzeugt und eine wichtige Verkehrsinfrastruktur
geschaffen werden, die die Region der Großen Seen im Osten des Kontinents mit
der Sahelregion verbindet. Lyndon LaRouche und Helga Zepp-LaRouche setzten sich
seit fast 30 Jahren für diesen Plan ein, meist Seite an Seite mit den Erfindern
des Projektes vom italienischen Ingenieurbüro Bonifica SpA.
Dieses Unternehmen, das die Idee in den 70er Jahren entwickelte, und der
große chinesische Baukonzern PowerChina haben vor kurzem ein strategisches
Bündnis geschlossen, um die Machbarkeitsstudie für Transaqua durchzuführen. In
der Konferenz in Abuja, an der Vertreter der beiden Unternehmen teilnahmen,
kündigte die italienische Regierung an, daß sie für diese Machbarkeitsstudie 1,5
Mio. Euro zur Verfügung stellt.
Der Verfasser begleitete die Bonifica-Delegation zur Konferenz und nahm dort
an öffentlichen und geschlossenen Konferenzen sowie an bilateralen Gesprächen
teil. Auch mein Kollege Sebastién Périmony vom französischen Schiller-Institut
nahm als Beobachter teil und trug dazu bei, die Diskussionen in den
Plenarsitzungen und den verschiedenen Vortragsrunden auf einem hohen Niveau zu
halten. Wir hatten auch Gelegenheit, verschiedenen Würdenträgern den neuen
Sonderbericht des Schiller-Instituts über die Entwicklung Südwestasiens und
Afrikas zu überreichen;
darunter waren der Präsident und Vizepräsident von Nigeria, der Staatspräsident
von Niger und Nigerias Wasserminister, der die Konferenz gemeinsam mit der
Kommission für das Tschadsee-Becken (LCBC) und der UNESCO veranstaltete,.
Um die Bedeutung der Entscheidungen der Tschadsee-Kommission richtig
einzuschätzen, muß man sich die dramatische Lage am Tschadsee und in der Region
vergegenwärtigen. 40 Millionen Menschen leiden direkt und indirekt unter den
Folgen des schrumpfenden Sees und der Ausbreitung der Boko Haram, einer der
schrecklichsten Terrororganisationen der Welt.
Die Krise des Tschadsees ist nichts Neues, sie begann schon in den 70er
Jahren. Der scheidende Exekutivsekretär der LCBC, Sanusi Abdullahi, berichtete
dazu in seiner Eröffnungsrede:
„Ein Vorschlag, Wasser aus dem Kongo zum Tschadsee zu leiten, namens
Transaqua, wurde der LCBC 1984 auf dem Höhepunkt der schlimmsten Dürre
vorgelegt, die das Tschadsee-Becken je getroffen hatte. Der Vorschlag wurde vom
damaligen Präsidenten des Kongo (dem früheren Zaire), Mobuto Sese Seko,
befürwortet und herumgereicht, aber für zu groß befunden. Deshalb nahmen die
Mitgliedstaaten der LCBC einen kleineren Vorschlag an, Wasser aus dem Ubangi zum
Tschadsee zu leiten, wie es die Regierung der Zentralafrikanischen Republik
beantragt hatte.“
Tatsächlich ist Transaqua keineswegs „zu groß“, wenn man etwa bedenkt – wie
Périmony in einem Beitrag aus dem Publikum anmerkte –, daß Frankreich etwa
10.000 km Wasserstraßen gebaut hat, im Vergleich dazu seien die 2400 km des
Transaqua-Projektes „klein“. Die Vorstellung, Transaqua wäre „zu groß und zu
teuer“, wird von den Kreisen verbreitet, die Afrika für immer rückständig halten
wollen – allen voran eine ehemalige europäische Kolonialmacht, deren Einfluß in
den Mitgliedstaaten der LCBC andauert und sogar in der Konferenz spürbar war.
Doch dank der hervorragenden Arbeit der LCBC, des Bündnisses zwischen
Bonifica und PowerChina sowie der italienischen Entscheidung für die
Machbarkeitsstudie wurden alle Hindernisse überwunden.
Keine Utopie
Schon während der ersten Konferenzsitzung wurde deutlich, daß es keine
Alternative zu Transaqua gibt. Mohammed Bila, ein Experte der LCBC, berichtete
knapp aber präzise über die Machbarkeitsstudie des kanadischen Unternehmens CIMA
über das kleinere Projekt, Wasser aus dem Ubangi zum Tschadsee zu leiten. Die
Studie kam zu dem Schluß, daß das Projekt zwar machbar wäre, aber große
Nachteile hätte: 1. Man müßte Wasserkraft dazu nutzen, um Wasser bergauf zu
pumpen, weshalb nur wenig Elektrizität für andere Zwecke zur Verfügung stünde,
und 2. würde die auf diese Weise bereitgestellte Wassermenge den Wasserspiegel
des Tschadsees nur um höchstens einen Meter anheben.
Deshalb, berichtete Bila, lehnte die LCBC das Ubangi-Projekt ab und
betrachtet nun Transaqua als den einzigen machbaren Vorschlag.
Dieser mit wissenschaftlicher Strenge und entwaffnender Offenheit gehaltene
Vortrag lenkte die Aufmerksamkeit sofort auf Transaqua, schon vor der
offiziellen Vortragsrunde über das Transaqua-Projekt mit Vertretern von Bonifica
und PowerChina am folgenden Tag. Viele Interventionen vom Podium und aus dem
Publikum bewiesen die starke Unterstützung für das „große“ Projekt, und in
einigen Fällen auch erstaunlich detaillierte Kenntnisse über Transaqua.
Dies zeigte beispielsweise die Antwort an einen Vertreter der Regierung der
Demokratischen Republik Kongo, von wo der Großteil des umgeleiteten Wassers
kommen wird. Dieser äußerte zwar seine Solidarität mit den Ländern des
Tschadsee-Beckens, trug jedoch eine Reihe von Einwänden vor, die vom Bestreben
des Kongo motiviert seien, in die Fußstapfen des großen Pioniers der Einheit
Afrikas Kwame Nkrumah zu treten; hierauf antwortete Abubakar Bobboi Jauro vom
Podium: „Die italienische Firma Bonifica hat die Transaqua-Idee ganz im Geiste
von Nkrumahs Vision entwickelt.“
Die mit Spannung erwartete Sitzung mit Vertretern von Bonifica und PowerChina
am zweiten Konferenztag, vor einem völlig überfüllten Saal, hinterließ einen
außerordentlich starken Eindruck.
Der Technische Direktor von Bonifica, Franco Bocchetto, erläuterte, wie
Transanqua in mehreren Stufen gebaut werden kann. Die von Bila zitierte
CIMA-Studie habe ergeben, daß ein Damm am Kotto-Fluß (einem Nebenfluß des
Ubangi) einen Wassertransfer über die Wasserscheide zum Bamingui (einem
Nebenfluß von Longone und Schari) und somit zum Tschadsee unter Nutzung der
Schwerkraft „genau am Ende der Route des Transaqua-Projektes“ ermöglichen
würde.
Der Damm am Kotto an sich würde zwar nicht viel ändern, er würde nur einen
begrenzten Wassertransfer ermöglichen, der kaum Einfluß auf das Gleichgewicht
des Tschadsees hätte. „Aber er bildet das erste Glied in einer Kette ähnlicher
Stauseen an anderen Nebenflüssen des Ubangi und des Kongo, die durch Kanäle zur
Transaqua-Wasserstraße verbunden würden.“
Der erste Abschnitt, in der Zentralafrikanischen Republik, könne in mehreren
Stufen realisiert werden, die jeweils bereits vor Ort Nutzen brächten, in Form
von Wasserkraft, Bewässerung und/oder Wasserregulierung.
Der stellv. Chefingenieur von PowerChina, Huang Ziping, zeigte und erläuterte
einen Film über den 1400 km langen Kanal, den das Unternehmen in China gebaut
hat, die Mittlere Route des Süd-Nord-Wassertransfer-Projekts zur Umleitung von
Wasser vom Jangtse in die Region Beijing. (Lesen Sie dazu auch den Bericht
von Michael Billington in dieser Ausgabe.) Zusammen hatten diese beiden
Vorträge eine sehr starke Wirkung: Man sah ein Projekt, das Kritiker als
„gigantomanisch“ verspotten, und dann wurde gezeigt, daß ein genauso
„gigantomanisches“ Projekt schon gebaut wurde.
In der anschließenden Diskussion antwortete der Ingenieur von PowerChina auf
eine Frage aus dem Publikum: Zwischen der Machbarkeitsstudie und der Vollendung
des Projektes würden zwar Jahre vergehen, aber man müsse nicht bis zur
Fertiggestellung der Wasserstraße warten, um „den Hahn aufzudrehen“ und mit der
Wiederauffüllung des Tschadsees anzufangen. Das Wasser werde fließen, sobald der
erste Damm gebaut ist, nämlich der Kotto-Damm in der Zentralafrikanischen
Republik am Ende der Transaqua-Route.
Zustimmung der Staatschefs
Wie der italienische Botschafter vorab dem LCBC-Exekutivsekretär Sanusi
Abdullahi mitteilte und am folgenden Tag in der abschließenden Plenarsitzung
offiziell bekanntgab, wird Italien die Hälfte der Kosten der Machbarkeitsstudie
übernehmen, die andere Hälfte trägt PowerChina.
In einem Diskussionsbeitrag erklärte der Verfasser, die Afrikaner sähen den
Tschadsee zwar vollkommen zu recht als eine panafrikanische Angelegenheit, aber
mit der anvisierten Lösung trügen sie auch eine globale Verantwortung. Das
entstehende italienisch-chinesische Bündnis zur Wiederherstellung des Tschadsees
könne nämlich ein Modell für eine erfolgreiche dreiseitige Zusammenarbeit
zwischen Europa, China und Afrika im Geiste der chinesischen
Wirtschaftsgürtel-Initiative werden. Bekanntlich gebe es im Westen starke
Widerstände gegen die Gürtel- und Straßen-Initiative, die überwunden werden
müssen. Das dreiseitige Transaqua-Bündnis sei der beste Weg, um zu zeigen, daß
ein „Win-Win-Modell“ möglich ist. Der Moderator schlug daraufhin vor, diesen
Vorschlag zusammen mit den weiteren Ideen, die in dieser Vortragsrunde
vorgetragen wurden, in das offizielle Konferenzresümee aufzunehmen.
Anschließend hielten Bocchetto und Huang einen weiteren Vortrag in einer
nichtöffentlichen Sitzung des Ministerrats der Tschadsee-Anrainerstaaten.
Der letzte Konferenztag begann mit einer hochrangigen Sitzung in Anwesenheit
von Staats- und Regierungschefs: Muhammadou Buhari, Präsident der Bundesrepublik
Nigeria, Issoufou Mahamadou, Präsident der Republik Niger und derzeitiger
Präsident der LCBC, Idriss Déby, Präsident der Republik Tschad, Ali Bongo
Ondingba, Präsident der Republik Gabun, Faustin-Archange Touadéra, Präsident der
Zentralafrikanischen Republik, und Philémon Yunji Yang, Premierminister von
Kamerun, als Vertreter von Präsident Paul Biya.
Als der offizielle Berichterstatter seine Zusammenfassung der Plenarsitzungen
und Arbeitsgruppen vortrug, tauchte ein Problem auf: Entgegen der allgemeinen
Stoßrichtung der Konferenz wurde die Vortragsrunde mit den Vertretern von
Bonifica und Power China inhaltlich völlig übergangen und sogar die Namen der
Redner und das Thema der Sitzung unterschlagen. Daraufhin forderte der
Moderator, der stellv. Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der LCBC
Lawrence Freeman, den Berichterstatter zu einer Korrektur auf, weil aus seinem
Bericht nicht hervorging, daß Transaqua das Hauptthema bei mindestens drei
Sitzungen war.
Anschließend stellte Prof. Salihu Mustafa einen „Fahrplan“ vor, nach dem
Transaqua die bevorzugte Lösung für die Krise des Tschadsee ist und ein
„Tschadsee-Fonds“ von 50 Mrd. $ geschaffen werden soll, um Wassertransfer und
Infrastrukturausbau zu finanzieren.
Die Abschlußsitzung, die Nigerias Vize-Außenminister leitete, schloß mit
einer Ansprache des italienischen Botschafters, Stefano Pontesilli, und seine
Ankündigung, daß der italienische Staat die Machbarkeitsstudie mitfinanziert,
wurde mit lautem Applaus aufgenommen. Der Vize-Außenminister und Nigerias
Wasserminister dankten und lobten Italien für diese Unterstützung.
Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, faßte den Erfolg
der Konferenz in dem Satz zusammen: „Das sind wirklich gute Nachrichten für
jeden, dem die Menschheit am Herzen liegt.“
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