Wie Chinas Win-Win-Ansatz die Welt verändert
Von Christine Bierre
Christine Bierre berichtet über ein gemeinsames Seminar der
Geopolitischen Akademie Paris und des Schiller-Instituts in Paris.
Mehr als hundert Diplomaten, Experten, Unternehmer, China-Spezialisten,
Vertreter französisch-chinesischer Vereinigungen, Mitarbeiter von
Abgeordneten, Studenten fernöstlicher Zivilisationen und interessierte
französische Bürger nahmen an einem sehr erfolgreichen Seminar teil, das am
24. Oktober in Paris gemeinsam von der Geopolitischen Akademie Paris und dem
Schiller-Institut veranstaltet wurde. Thema der Veranstaltung waren Chinas
Win-Win-Ansatz der Neuen Seidenstraße und seine Auswirkungen, die schon jetzt
die Welt verändern. Das Seminar behandelte die wesentlichen Aspekte des
Seidenstraßen-Projekts: die konfuzianische Philosophie, die ihm zugrunde
liegt, seine von List, Carey und LaRouche erarbeiteten wirtschaftspolitischen
Grundlagen und konkrete Beispiele, wie es sich schon jetzt in Afrika auswirkt,
sowie Anregungen für gemeinsame französisch-chinesische Projekte in
Frankreich, Europa und der ganzen Welt.
Das Seminar begann mit einführenden Bemerkungen des Präsidenten und
Gründers der Geopolitischen Akademie Paris, Ali Rastbeen, und der Präsidentin
des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, die in China und interessierten
Kreisen weltweit als die „Seidenstraßen-Lady“ bekannt ist.
„Die Neue Seidenstraße wird China führend im Welthandel machen und seinen
Handel mit Westeuropa, seinem wichtigsten Partner, erleichtern“, sagte
Rastbeen. Das Projekt sichere nicht nur Chinas Handelswege und
Energieversorgung, sondern schaffe auch eine Alternative zur unipolaren
Weltordnung. Das chinesische Projekt werde den Nahen Osten grundlegend
verändern: „Die Beziehungen zwischen China und dem Nahen Osten sind
freundschaftlich, sie haben gemeinsame Visionen in verschiedenen regionalen
und internationalen Fragen wie Frieden und Entwicklung.“
Im Gegensatz dazu beschränke sich Washingtons Politik im Nahen Osten auf
zwei Achsen: die Sicherung seiner eigenen Ölversorgung und Transportrouten
sowie die Sicherung der militärischen Vorherrschaft seines wichtigsten
Verbündeten in der Region, Israel. Dabei gab Rastbeen zu bedenken, daß China
traditionell auch ein guter Handelspartner Israels ist, und das nicht zuletzt
beim Kauf von Rüstungsgütern. Chinas Seidenstraße könne daher auch ein Mittel
sein, die Spannungen abzubauen und Stabilität in der Region zu schaffen.
Bild: Nouvelle Solidarité
Helga Zepp-LaRouche, Vorsitzende des Schiller-Instituts.
Helga Zepp-LaRouche stellte in ihren Ausführungen die weitreichenden
Beschlüsse des 19. Parteitags der chinesischen Kommunistischen Partei für die
Zukunft Chinas und der Welt in den Mittelpunkt. Sie hob die gewaltigen
Leistungen Chinas hervor: „Ich habe den Vorteil, daß ich schon 1971, während
der Kulturrevolution, zum erstenmal in China war und deshalb persönlich und
aus erster Hand gesehen habe, welche unglaublichen Veränderungen das
chinesische Wunder bedeutet.“
Seit dem Beginn der Reformen Deng Xiaopings vor mehr als 40 Jahren habe
China sich mehr verändert als jedes andere Land der Welt. China habe 700
Millionen Menschen aus extremer Armut erhoben, und es sei eine breite
Mittelschicht entstanden, die sehr gut lebt. Auf dem 19. Parteikongreß
verkündete Xi Jinping die Ziele für die Zukunft: bis 2020 werde China die
extreme Armut komplett überwinden, bis 2035 werde es ein umfassend
modernisiertes Land sein, und bis 2050 werde es eine „starke, demokratische,
kulturell fortgeschrittene, schöne und harmonische Nation“ sein. Präsident Xi
habe in seiner Rede 14 Mal erwähnt, daß es sein Ziel ist, den Menschen zu
einem besseren und glücklicheren Leben zu verhelfen, betonte Zepp-LaRouche.
Dagegen könne man nicht behaupten, daß in unseren westlichen Ländern viel über
das Recht auf Glückseligkeit diskutiert wird.
China exportiere mit seiner Neuen Seidenstraße sein Wirtschaftswunder und
biete mit seinem Angebot an alle Länder, sich an einer Win-Win-Politik zu
beteiligen, diesen die Möglichkeit, ihr eigenes Wirtschaftswunder zu
verwirklichen. Das habe bereits zahlreiche Länder in Asien, Afrika,
Lateinamerika und Süd- und Osteuropa spürbar verändert.
Trotzdem organisieren die westlichen Medien eine empörende Welle von
Angriffen auf China; sie werfen ihm vor, es sei imperialistisch, es wolle die
Rohstoffe der Welt an sich reißen, und sie vergleichen Xi Jinping mit Stalin
und Mao. Das sei nichts anderes als eine Fortsetzung der politischen Linie der
anglo-amerikanischen Neokonservativen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion,
die mit Regimewechseln, Farbenrevolutionen und Theorien wie der sog.
„Schutzverantwortung“ ihre unipolare Weltordnung durchsetzen wollten. Ihr
neoliberaler Kurs in der Wirtschaftspolitik habe weltweit zu einer Verarmung
der Mittelschicht und der Bevölkerung insgesamt geführt, und der Brexit, die
Wahlsiege von Trump und Kurz und die Revolte in Katalonien seien Reaktionen
darauf.
Die heutige Weltlage sei geprägt vom Ringen zwischen dem unipolaren
Paradigma des Westens und dem Win-Win-Paradigma, das China und Rußland
verwirklichen wollen. Zepp-LaRouche berichtete, wie sie und ihr Ehemann Lyndon
LaRouche schon 1991 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vorgeschlagen
hatten, die Industrie- und Bevölkerungszentren Eurasiens durch Korridore der
industriellen Entwicklung miteinander zu verbinden, was sie schon damals als
die Eurasische Landbrücke und Neue Seidenstraße bezeichneten. Es sei im
eigenen Interesse der europäischen Nationen, mit China und Rußland bei der
wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas zu kooperieren, denn dies sei „der
einzige humane Weg, die Flüchtlingskrise zu lösen. Wir brauchen ein neues
Paradigma der Zusammenarbeit, und das liegt bereits auf dem Tisch.“
Die konfuzianischen Grundlagen der Seidenstraßen-Politik
Bild: Nouvelle Solidarité
Ali Rastbeen von der Geopolitischen Akademie Paris und Christine Bierre,
Chefredakteurin der Zeitung Nouvelle Solidarité.
Christine Bierre, die Chefredakteurin von Nouvelle Solidarité,
zeigte die Antinomie zwischen der Geopolitik und dem chinesischen Modell der
wechselseitig vorteilhaften „Win-Win“-Beziehungen auf. Der Begriff der
Geopolitik, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den angelsächsischen
Imperialisten Halford Mackinder und Karl Haushofer geprägt wurde und Hitlers
Vorstellung des „Lebensraums“ inspirierte, habe heute leider den Begriff der
Strategie fast völlig ersetzt, obwohl er im Grunde nichts anderes als das
Recht des Stärkeren bedeute.
Das chinesische Win-Win-Modell beruhe im Kern auf dem Konfuzianismus, der
alten Moralphilosophie der Chinesen, deren höchste Werte die Liebe zur
Menschheit und die Verpflichtung zur Selbstvervollkommnung sind – eine
Philosophie, die eigens dazu geschaffen wurde, eine tugendhafte
Staatsverwaltung heranzubilden. Aber um das zu verstehen, sagte Bierre, müsse
man die chinesische Gesellschaft von innen her verstehen. Leibniz habe als
erster entdeckt, daß die Zivilisationen des Westens und Chinas über den
Konfuzianismus einen Dialog führen können. Heute müßten wir wieder diese
Denkweise entwickeln, um zu erkennen, wie nahe wir China stehen, das als so
gefährlich dargestellt wird.
Gerade für die Franzosen, die von den frühen Königen bis hin zu Charles de
Gaulle oft von Missi Dominici, den Beamten des Königs oder der
Staatsverwaltung, regiert wurden, sei es faszinierend zu sehen, wie die
„gebildete“ Administration der Staatsbeamten sich bemühte, die bestmögliche
Regierung zu schaffen, besonders unter den Dynastien der Goldenen Zeitalter
und der Hochzeit der Seidenstraßen, wie der Han-Dynastie (206 v.Chr. – 200
n.Chr.), der Tang-Dynastie (618-957) und der Song-Dynastie (957-1259).
Bierre beschrieb die enormen Fortschritte in Wissenschaft, Wirtschaft und
Kunst in diesen Epochen, die in vieler Hinsicht dem Grand Design bei Karl dem
Großen, Colbert und de Gaulles in Europa vergleichbar seien. Wenn wir zu
diesem Selbstverständnis zurückkehren, könnten wir aufhören, China zu
fürchten, und in eine Partnerschaft mit China eintreten.
Der Weltraum als gemeinsames Ziel der Menschheit
Bild: Nouvelle Solidarité
Sébastien Drochon vom Wissenschaftsteam des Schiller-Instituts.
Der Kampf gegen das geopolitische Denken und für die gemeinsamen Ziele der
Menschheit müsse auch durch eine ehrgeizige Strategie zur Erforschung des
Weltraums geführt werden, betonte Sébastien Drochon vom Wissenschaftsteam des
Schiller-Instituts in Frankreich. Dafür setze sich das Schiller-Institut schon
lange ein, und China tue dies ebenfalls auf seine Weise.
Drochon begann mit einem Zitat des deutsch-amerikanischen Weltraumpioniers
Krafft Ehricke: „Das Konzept vom Weltraumflug hat eine so beträchtliche
Tragweite, daß es den Menschen auf nahezu allen Gebieten seiner physischen und
geistigen Existenz herausfordert.“ Ehricke war überzeugt, daß immer, wenn wir
an die Grenzen eines gegebenen Systems stoßen und gezwungen sind, uns zu
ändern, das Universum uns auch die Mittel bietet, diese Grenzen zu
überwinden.
Drochon berichtete dann über das chinesische Weltraumprogramm: Die Landung
des Rovers Yutu 2013, die laufenden Vorbereitungen für eine Mondlandung
und Rückkehr mit Bodenproben vom Mond sowie für eine Mondlandung mit einem
weiteren Rover auf der erdabgewandten Seite des Mondes 2019. Warum auf der
erdabgewandten Seite? Der Mond hat keine Atmosphäre, und seine erdabgewandte
Seite ist recht gut abgeschirmt gegen die elektromagnetische Strahlung, die
von der Erde ausgeht. Deshalb könne man dort Geräte einsetzen, um das
Universum im Bereich sehr niedriger Frequenzen zu betrachten. Das ermögliche
uns einen Blick auf die Signale bestimmter Radioquellen in der Milchstraße,
auf kohärente Signale aus Clustern unsichtbaren Plasmas im Weltraum und auf
gewaltige magnetische Strukturen, die mit diesen Plasmen verbunden sind.
Der tiefste Krater im Sonnensystem (6 km), auf der erdabgewandten Seite des
Mondes im Aitken-Becken am Südpol des Mondes, wäre ein idealer Ort, um die
Geologie des Mondes zu untersuchen und Experimente mit Tieftemperaturen und im
Vakuum durchzuführen. Dieser Krater sowie die gerade erst entdeckte
Riesenhöhle auf dem Mond – 200 Meter breit und 50 Kilometer lang – wären
ideale Standorte für die Errichtung des „Monddorfs“, das die Europäische
Weltraumbehörde ESA vorbereitet.
Nicht zuletzt machten die russische Weltraumbehörde Roskosmos wie auch die
amerikanische NASA Fortschritte dabei, durch die Entwicklung nuklearer
Antriebe die Dauer von Reisen im Weltraum zu reduzieren. Roskosmos werde 2018
ein solches Antreibssystem testen, und die NASA arbeite nach eigenen Angaben
an einem Prototyp, der den Mars in nur 39 Tagen erreichen kann. Im Bereich des
Fusionsantriebs habe ein Team unter der Leitung von Dr. Michael Paluzsek in
Princeton die Testphase eines vielversprechenden Prototypen erreicht, es
brauche nun 20 Mio. $ an Forschungsmitteln, um weitere Fortschritte machen zu
können.
Gemeinsame französisch-chinesische Projekte finanzieren
Bild: Nouvelle Solidarité
Sebastien Perimony, Afrikaexperte des Schiller-Instituts (links), und Karel
Vereycken von der Zeitung Nouvelle Solidarité.
Karel Vereycken von der Nouvelle Solidarité befaßte sich dann mit
der ganz praktischen Frage der Finanzierung von Win-Win-Projekten. Durch die
Globalisierung wurden die Ausländischen Direktinvestitionen (FDI) gewaltig
gesteigert. Im Fall einer langfristigen Finanzierung könne diese durch
Staatsfonds erfolgen, die etwa 15% der weltweiten Vermögen umfassen, rund 15
Billionen Dollar, die etwa 140 Staatsfonds verwalten.
Welche Haltung sollte ein Land zu FDI einnehmen? Völligen Protektionismus
oder „offene Tür“? Weder noch – die dritte Möglichkeit sei es, die Regeln
eines Win-Win-Systems zu finden, das allen Beteiligten nutzt.
Wie kann man mit Staatsfonds zusammenarbeiten? In Frankreich gebe es dazu
mehrere Initiativen. Ein Beispiel für die interessantesten Abkommen sei die
2014 erfolgte Schaffung einer neuen Form von Finanzinstrumenten, sog.
Sovereign Counterpart Funds, durch CDC International Capital (CDC-IC), eine
Abteilung des französischen Staatsfonds CDC (die Caisse de Depots et de
Consignations mit einem Vermögen von 400 Mrd. Dollar). Die Idee ist dabei,
eine ausländische Investition in einem solchen Investmentfonds durch
entsprechende inländische Investitionen in gleicher Höhe zu ergänzen. CDC-IC
verwaltet solche Partnerschaften zusammen mit QIA, Mubadal, Kingdom Holding
Cie, der China Investment Corp. (CIC), der Korean Investment Corp., russischen
Investmentfonds etc.
So investierte CDC-IC 2015 zusammen mit Chinas CIC 2 Mrd. Euro in das
Projekt Grand Paris, für Wirtschaftszentren um Paris sowie ein Nahverkehrsnetz
für den Ballungsraum, das diese Zentren mit den Flughäfen und TGV-Bahnhöfen
verbinden soll. Und Ende 2017 wurde mit Geldern von Staatsfonds aus Rußland,
Bahrain und Frankreich der bekannte französische Glas- und Kristallproduzent
Arc International gerettet.
Im November 2016 wurde ein Fonds für gemeinsame französisch-chinesische
Investitionen u.a. in Afrika geschaffen, der „Sino-Französische
Investmentfonds für Drittländer“. Er ist mit zunächst 300 Mio. Euro noch
relativ klein, soll aber auf 2 Mrd. Euro anwachsen. Ohne eine neue Politik
staatlicher Kreditschöpfung werde CDC-IC allerdings nicht die erforderlichen
Summen für die von China vorgeschlagenen Gemeinschaftsinvestitionen mit
Frankreich aufbringen können. China hatte nämlich einen Fonds von 50 Mrd.€
vorgeschlagen, aber die CDC-IC hatte nur 300 Mio.€.
Vereycken regte vergleichbare Investitionen in die Infrastruktur in
Frankreich an, wo zur Behebung des Investitionsstaus im Verkehrs- und
Energiesektor mindestens 250 Mrd. Euro benötigt würden. Solche gemeinsamen
Investitionen mit China seien beispielsweise notwendig, um die
Hafeninfrastruktur auszubauen – Vertiefung der Schiffahrtswege und
Hafenbecken, Bau von Schleusen und Docks – und deren Anbindung ans Binnenland
zu verbessern.
Le Havre beispielsweise sei Frankreichs zweitgrößter Hafen und größter
Containerhafen, aber 89% der per Schiff angelieferten Container würden von
dort per LKW weitertransportiert, ein weit höherer Prozentsatz als in
Antwerpen, Rotterdam oder Hamburg. Paradoxerweise habe Elsaß-Lothringen
bessere Schiffsverbindungen als Küstenregionen wie die Bretagne oder
Südfrankreich. Für Le Havre sei eine lange geplante, aber nie gebaute Schleuse
zur Verbindung des Containerhafens mit dem Binnenkanalnetz von größter
Bedeutung.
Auch die Trennung des Güterbahnverkehrs vom Personenverkehr der Bahn
zwischen Le Havre, Rouen, Paris und Deutschland sei eine große
Herausforderung. Es müßten sofort 2,5 Mrd. Euro investiert werden, um einen
Verkehrskollaps zu vermeiden. Der Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahn,
Magnetbahn oder Aerotrain-Verbindung zwischen Le Havre, Rouen und Paris würde
die Umwandlung der bisherigen Bahnstrecke in eine reine Güterbahn ermöglichen.
Vereycken schloß mit der Feststellung, es existiere bereits ein guter
Rahmen gegenseitigen Vertrauens, das müsse man sich zunutze machen.
Die Industrialisierung Afrikas hat begonnen
Sebastien Périmony, der im französischen Schiller-Institut für Afrika
zuständig ist, griff in seinem Vortrag die völlig falsche Vorstellung an,
Afrika sei arm, rückständig, niemals zivilisiert gewesen und habe weder eine
Geschichte noch Helden. Dieses Bild ist nicht nur falsch; mit dem Aufkommen
der BRICS und Chinas Seidenstraßen-Initiative sei Afrika jetzt in eine Ära
gemeinsamer Entwicklung eingetreten, die nicht nur dem Kolonialismus ein Ende
bereite, sondern auch dem schlechten Witz der sogenannten
„Entwicklungshilfe“.
Wie ein McKinsey-Bericht zeige, der im Juni 2017 unter dem Titel „Tanz der
Löwen mit dem Drachen“ erschien, eröffne sich eine neue Welt für Afrika. Seit
Anfang des Jahrtausends ist der Handel zwischen Afrika und China im Schnitt um
fast 20% pro Jahr gewachsen, und im letzten Jahrzehnt stiegen die
ausländischen Direktinvestitionen um jährlich 40%. 2015 investierte China 21
Mrd.$ in Afrikas Infrastruktur, und die Investitionen in die Infrastruktur
wuchsen zwischen 2012 und 2015 um jährlich 16%.
Périmony führte einige Beispiele an:
Nigeria: Im Juni 2016 eröffnete Nigeria die erste Schnellbahnlinie
Westafrikas. Sie verbindet Abuja über 187 km mit Kaduna und erreicht dabei 150
km/h, was dreimal so schnell ist wie die anderen Züge. Die Linie wurde vom
Baukonzern China Civil Engineering Construction Corporation (CCECC) gebaut und
soll die Wirtschaft des Nordens von Nigeria fördern, der unter der Ausbreitung
der terroristischen Sekte Boko Haram leidet. Es ist allgemein bekannt, daß vor
allem die wirtschaftliche Not junge Menschen in die Arme der Terroristen
treibt. Die einzige Lösung für dieses Problem ist wirtschaftliche Entwicklung
in der Region.
Die nigerianische Regierung und Chinas Eisenbahn-Baukonzern China Railway
Construction Corp. (CRCC) schlossen außerdem einen 12-Mrd.-$-Vertrag über den
Bau einer 1400 km langen Bahnstrecke, die Nigerias Hauptstadt Lagos mit
Calabar im Osten des Landes verbinden und über den Hafen Harcourt und die
Petrochemische Fabrik Warri führen wird. Der Bau der Strecke wird 200.000
Menschen beschäftigen und 30.000 dauerhafte Arbeitsplätze schaffen.
Äthiopien: Im Oktober 2016 wurde die erste elektrifizierte
Eisenbahnstrecke Äthiopiens in Betrieb genommen. Die neue Strecke reduziert
die Fahrzeit für die 753 lange Strecke von Dschibuti nach Addis Abeba von
sieben Tagen auf nur noch zehn Stunden. Schon am 14. September 2014 wurde die
84 km lange, sechsspurige Autobahn von Addis Abeba nach Adame eröffnet. Die
Autobahn gehört einem Staatsunternehmen und wurde von der China Communications
Construction Corp. (CCCC) gebaut.
Die neue Dynamik hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich die
Zahl der Kinder, die Schulen besuchen, innerhalb von zehn Jahren verdoppelt
hat. Im gleichen Zeitraum wurden 30 neue Universitäten gegründet, und die Zahl
der Hochschulstudenten wuchs von 3000 auf 37.000 an. Die Kraftwerkskapazität
stieg von 350 MW auf 2400 MW, und weitere 6000 MW werden 2018 ans Netz gehen,
wenn der Große Renaissance-Damm in Betrieb genommen wird.
Auch das Eisenbahnnetz wird von derzeit 800 km auf demnächst 4000 km zügig
weiter ausgebaut. Ebenfalls bemerkenswert ist, daß Äthiopien mit Chinas Hilfe
gerade den Bau seiner ersten Stadtbahnlinie fertiggestellt hat. Sie ist die
erste in Schwarzafrika und verbindet das Stadtzentrum von Addis Abeba mit dem
Flughafen. Man geht davon aus, daß die Linie schon bald von 60.000 Menschen
täglich genutzt werden wird.
Kenia: Kenia hat gerade seine erste schnelle Eisenbahnstrecke
eröffnet, die die Hauptstadt Nairobi mit dem 472 km entfernten Mombasa am
Indischen Ozean verbindet. Die Kosten von 3,8 Mrd. $ wurden zu 90% von Chinas
Eximbank finanziert. Es ist das erste große Infrastrukturprojekt, das seit der
Unabhängigkeit des Landes 1963 in Kenia gebaut wurde. Die Strecke wurde in der
Rekordzeit von nur 2,5 Jahren realisiert, sie beschäftigt 46.000 Menschen,
darunter acht weibliche Zugleiter, die in Beijing ausgebildet wurden, und sie
erzeugt 1,5% des Wirtschaftswachstums des Landes.
Transaqua ist die beste Lösung zur Entwicklung des Kontinents
Bild: Nouvelle Solidarité
Paul Bonnenfant (links), früherer Forscher am CNRS-Institut für die
Erforschung und das Studium der arabischen und muslimischen Welt, und Dr. Mana
Boubakari, Technischer Direktor der Kommission für das Tschadsee-Becken.
Der Technische Direktor der Kommission für das Tschadseebecken (LCBC), Dr.
Mana Boubakari, berichtete über die Bemühungen, den Tschadsee und andere
Feuchtgebiete durch Transfer von Wasser aus dem Kongobecken
wiederherzustellen, um die voranschreitende Zerstörung des Ökosystems zu
beenden und ein integriertes Management der Wasservorkommen zu erreichen.
Ursprünglich war schon beim 6. Treffen der Staats- und Regierungschefs der
LCBC-Mitgliedstaaten im Oktober 1987 in N’Djamena beschlossen worden, einen
Masterplan zur Rettung des Tschadsees und seiner Umgebung auszuarbeiten. Die
1973 vorgestellte Transaqua-Idee galt als zu teuer und diplomatisch zu
komplex, und so beschränkten sich die LCBC-Staaten damals darauf, eine
kleinere Alternative zu prüfen, das sog.
Ubangi-Tschadsee-Wassertransferprojekt.
Aber heute steht Transaqua wieder auf der Tagesordnung. Das Projekt ist
technisch machbar, ökologisch und wirtschaftlich tragfähig, und die Erkenntnis
setzt sich durch, daß es entscheidend ist, um den Exodus der Bevölkerung
aufzuhalten, die vor der Armut und dem Terrorismus flieht.
Transaqua soll 5%, das sind 100 Mrd. m3 der rund 1,9 Billionen
m3 Wasser des Kongobeckens, die derzeit ungenutzt in den Atlantik
abfließen, durch einen 2400 km langen schiffbaren Kanal auffangen, dieser soll
östlich und nördlich des Kongoflusses durch den Norden der Demokratischen
Republik Kongo in die Zentralafrikanische Republik und zum Chari-Fluß
verlaufen. Durch Ausnutzung des Gefälles soll Transaqua 30-35 MW Strom aus
Wasserkraft erzeugen, und es wird die bewässerten Flächen für Landwirtschaft
und Viehzucht in der Sahelzone im Tschad, im Nordosten Nigerias, im Norden
Kameruns und in Niger auf 5-7 Mio. ha ausweiten. Am Kreuzungspunkt des
Transaqua-Projektes mit der Transafrikanischen Fernstraße Lagos-Mombasa werden
Güterverkehrszentren für den Umschlag zwischen Schiff und Straße
entstehen.
Transaqua würde 3200 m3 Wasser pro Sekunde umleiten, das
kleinere Ubangi-Projekt nur 320 m3, was bedeutet, daß letzteres den
Spiegel des Tschadsees nur um einen Meter anheben kann, Transaqua hingegen um
5 Meter. Zudem schafft Transaqua eine allgemeine Infrastrukturplattform, die
enorme Verbesserungen nicht nur für Landwirtschaft, Industrie und Demographie,
sondern auch für Sicherheit und Bildung in mindestens zwölf Ländern
bringt.
Die gute Nachricht ist, daß ein Vertrag mit dem Energiekonzern Power China
geschlossen wurde, die besten Lösungen zu studieren. Eine Vereinbarung
zwischen Power China und dem Ingenieurbüro Bonifica stellt sicher, daß die
bisher erarbeiteten Kenntnisse nicht verloren gehen. Der Stein ist ins Rollen
gekommen, und die Internationale Konferenz zur Rettung des Tschadsees im April
2018 sollte den Beginn einer neuen Ära markieren.
Die Seidenstraße: ganz anders als die „Bomberdemokratie“ des Westens!
Bild: Nouvelle Solidarité
Michel Raimbaud, ehemaliger französischer Botschafter in Mauretanien, Sudan
und Simbabwe sowie früherer Direktor des Französischen Amts für den Schutz von
Flüchtlingen und staatenlosen Personen (links), und Ali Rastbeen.
Der nächste Redner, Michel Raimbaud, ehemaliger französischer Botschafter
in Mauretanien, Sudan und Simbabwe sowie früherer Direktor des Französischen
Amts für den Schutz von Flüchtlingen und staatenlosen Personen, ist als
unermüdlicher Kritiker aller Formen des Imperialismus bekannt. Er betonte,
Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative („One Belt, One Road“, OBOR) schaffe
definitiv „eine Menge Schwierigkeiten für die angelsächsischen Geopolitiker“,
nach deren Meinung derjenige, der Mackinders „Herzland“ – Eurasien –
beherrscht, auch die Weltmeere und damit die Welt beherrscht. Chinas Neue
Seidenstraße bedeute auch eine neue Ära für den „Moslemischen Grünen
Halbmond“, den die Neokonservativen „demokratisieren“, sprich zerstören
wollen.
Beijing schäme sich nicht länger seiner geo-ökonomischen Ambitionen,
nämlich der Sicherung seines Energie- und Rohstoffbedarfs durch ein
„föderatives Projekt“, das seinen wirtschaftlichen Einfluß in den 64
beteiligten Ländern von Eurasien bis zum afrikanischen Kontinent stärkt. Aber
man müsse hervorheben, sagte Raimbaud, „daß OBOR auf der konstruktiven Logik
der Zusammenarbeit beruht, das genaue Gegenteil des militärischen und
destruktiven Ansatzes der Vereinigten Staaten im letzten
Vierteljahrhundert“.
OBOR erreicht 4,4 Milliarden Menschen oder fast zwei Drittel der
Weltbevölkerung, umfaßt bisher 900 Projekte und fast 900 Mrd. Dollar an
Investitionen, das entspricht einem Vielfachen des Marshallplans. Das
gewaltige Ausmaß seiner geographischen und finanziellen Ausdehnung mache das
Projekt höchst attraktiv für die 16 Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas
am Wirtschaftsgürtel der Seidenstraße, für die Erneuerung der antiken
Handelsrouten: Ägypten, Bahrain, Irak, Iran, Israel, Jemen, Jordanien, Katar,
Kuwait, Libanon, Oman, Palästina, Saudi-Arabien, Syrien, Türkei und Vereinigte
Arabische Emirate.
Das OBOR-Projekt sei etwas völlig anderes als der „Großraum Mittlerer
Osten“ (Greater Middle East) von George W. Bush, ein Plan, die Region zu
erobern und zu zerstören. Das sei nicht die Win-Win-Politik Chinas, sondern
die „Lose-Lose-Politik“ des Westens, bei der alle verlieren.
Raimbaud lobte das Programm des Schiller-Instituts für den Wiederaufbau
Syriens und die Weltlandbrücke. Er beschrieb im Detail, warum drei wichtige
Länder der Region, nämlich der Iran, Syrien und der Libanon, ein klares
Interesse haben, einen der drei großen Wirtschaftskorridore von China durch
Zentralasien zum Nahen Osten sowie die Maritime Seidenstraße zu erneuern. OBOR
biete ganz andere Zukunftsaussichten als die westliche
„Bomber-Demokratie“.
Er faßte zusammen: „Zugegeben, die Neue Seidenstraße ist ein chinesisches
Projekt, das unter chinesischer Leitung entwickelt, finanziert und umgesetzt
wird. OBOR ist ein Instrument der Einflußnahme, keine Wohlfahrtseinrichtung,
aber es bietet den drei Ländern Perspektiven für Stabilität, respektvolle
Zusammenarbeit und Schutz vor Extremismus und terroristischer Bedrohung. Es
gibt ihnen wieder eine Zukunft.“
Jemen: vom Felix Arabia zum Schauplatz von Kriegsverbrechen
Paul Bonnenfant, früherer Forscher am Institut für die Erforschung und das
Studium der arabischen und muslimischen Welt (CNRS), sprach über den Jemen –
ein Land, das über viele Jahrhunderte eine wichtige Station in Chinas
Seidenstraße war und das heute von dem saudischen Militärbündnis, das von den
westlichen Mächten unterstützt und mit Waffen beliefert wird, völlig zerstört
wird.
Er umriß zunächst die strategischen Beweggründe der Saudis und beschrieb
dann die schreckliche Lage im Jemen. 9000 Tote, 49.000 Verwundete, drei
Millionen Vertriebene sind das Resultat dieses Krieges. 17 Millionen
Jemeniten, zwei Drittel der Bevölkerung, haben keine gesicherte
Nahrungsversorgung, 7 Millionen droht akut Hunger. 460.000 Kinder brauchen
dringend Nahrungsmittelhilfe. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO
könnte die Zahl der Cholerafälle bis Ende 2017 auf 600.000 ansteigen. Das
ganze Land ist von der Seuche betroffen, aber vor allem die Gebiete, in denen
auch die Unterernährung am schlimmsten ist. Die Hauptursachen sind mangelnde
Hygiene, Mangel an Trinkwasser und der Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Saudi-Arabien hat systematisch Wasserreservoirs, Pumpenanlagen, Krankenhäuser
und Gesundheitszentren angegriffen. Bonnenfant beschrieb auch die schweren
Zerstörungen des kulturellen Erbes: religiöse Zentren, antike Gebäude,
Manuskripte etc.
„Saudi-Arabien und seine Verbündeten machen sich im Jemen Kriegsverbrechen
schuldig.“ Zwar hätten auch die Houthis Menschenrechtsverletzungen begangen,
„aber es ist vor allem die von den Saudis angeführte Koalition, der die NGOs
Vorwürfe machen“. Frankreich sollte sich an den Internationalen Vertrag über
den Waffenhandel halten, der 2013 von den Vereinten Nationen beschlossen wurde
und dem „größte Bedeutung beizumessen Frankreich sich feierlich verpflichtet
hat... Die Tatsachen widersprechen vollkommen diesen schönen Absichten und
französischen Erklärungen... Frankreichs hochoffizieller Bericht von 2015 an
das Parlament über den Waffenhandel spricht von ,wirtschaftlichem Erfolg’...,
einem historischen Erfolg, der Frankreich 2015 zum zweitgrößten Waffenhändler
der Welt machte.“ Allein in dem Jahr habe Frankreich Rüstungsverträge über 16
Mrd. Euro geschlossen, drei Viertel davon für den Nahen Osten.
Bonnenfant fuhr fort: „Ich bedaure sehr, daß Präsident Hollande im März
2016 den saudischen Innenminister Mohammed ben Nayef mit der Medaille der
Ehrenlegion ausgezeichnet hat“ – das sei vielleicht eine Ehre für den Prinzen,
aber sicher keine Ehre für die Legion. „Zivilisten im Jemen sind dem Feuer von
Leclerc-Panzern und den Mirage-Jets ausgesetzt, die Frankreich im Jahr 2000
den Vereinigten Arabischen Emiraten und in den Jahren zuvor an Katar geliefert
hat. Saudi-Arabien, der Anführer der Koalition, war in der Zeit von 2009-15
Frankreichs bester Kunde. Ohne Gefahr zu laufen, sich zu irren, kann man
sagen, daß ein Gutteil dieser Bomben, Granaten und Raketen, die Jemens
Bevölkerung bedrohen, töten und verwunden und ihr Vaterland zerstören,
französischer Herkunft sind. Das ist ganz klar ein Punkt, der von Frankreich
abhängt, von uns.“
Das Wirtschaftsprinzip der Neuen Seidenstraße
Bild: Nouvelle Solidarité
(V.l.) Der frühere französische Präsidentschaftskandidat Jacques Cheminade,
Helga Zepp-LaRouche und Christine Bierre.
Der frühere Präsidentschaftskandidat Jacques Cheminade beschloß die
Veranstaltung mit einem Vortrag über die ökonomischen Prinzipien, die
notwendig sind, um durch produktiven Staatskredit und Investitionen in die
Infrastruktur reales Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Das sei das System von
Alexander Hamilton, Matthew und Henry Carey in den Vereinigten Staaten, von
Friedrich List und von Frankreichs „indikativer Planung“.
„Nachdem Frankreich am 27. Januar 1964 die Volksrepublik China anerkannt
und diplomatische Beziehungen zu ihr aufgenommen hatte, erklärte Charles de
Gaulle: ,Es ist nicht auszuschließen, daß China im nächsten Jahrhundert wieder
das wird, was es jahrhundertelang gewesen ist: die größte Macht des
Universums.’ Das sagte er nicht, weil er Mao Zedong verehrte, sondern weil er
sehr weitsichtig war. Dieses prophetische Wort von Charles de Gaulle hat sich
noch nicht ganz erfüllt, aber der Weg dorthin ist geebnet“, begann Cheminade
seinen Vortrag.
Diese beispiellose historische Veränderung, die sich derzeit vollziehe,
habe zwei wesentliche Gründe. „Vor allem hat China nicht das getan, was wir
getan haben, insbesondere nach 1971... Die Übernahme des Britischen Systems
der politischen Ökonomie in den westlichen Ländern hatte verheerende
Konsequenzen. Es war die Unterwerfung unter ein monetaristisches
Wirtschaftskonzept, das sich durch monetären Profit definiert... Das Extrem
war die Entscheidung der Buchhalter der Europäischen Union, die verlangten,
daß die Mitgliedsstaaten in ihrer Einkommensstatistik auch die Einnahmen aus
dem Drogenhandel und anderem profitablen Schmuggel einrechnen.“
In diesem System sei die skrupellose Kreditaufnahme ein Mittel, um den
Kreislauf der kurz- und mittelfristigen Finanzschulden aufrecht zu erhalten –
„im besten Fall, um den Konsum aufrecht zu erhalten, im schlimmsten Fall, um
die spekulativen Blasen weiter aufzublähen. Die Finanz- und Kreditinstitute,
die mit solchen Zielen agieren, haben die Kontrolle über die Staaten an sich
gerissen. So sieht man, daß in der Eurogruppe die Vertreter des
Weltwährungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen
Kommission vor allen anderen reden, vor den Ministern und Staatschefs der
verschiedenen Länder, die ... auf die Rolle von Jasagern reduziert sind. Und
es ist eine wohlbekannte Tatsache, daß es in den Vereinigten Staaten außer den
Militärausgaben und verwandten Ausgaben seit 50 Jahren keine größeren
Investitionen mehr gegeben hat.“
Im Gegensatz zu diesem selbstmörderischen Konzept, das immer zu Lasten der
Zukunft gehe, habe China sich für eine Kreditpolitik für Infrastruktur,
langfristige Investitionen und niedrige Zinsen entschieden. „Es ist wahr, in
zehn Jahren wurden [in China] 20 Billionen Dollar Schulden akkumuliert, aber
10 Billionen wurden in die Infrastruktur investiert. Wenn man als Bezugspunkt
die Totale Faktorproduktivität nimmt – einen Indikator, der die Wirkung des
technischen Fortschritts auf die physische Arbeitsproduktivität mißt –, so lag
diese in den Vereinigten Staaten unter Roosevelt bei 3 oder 3,5, in einer
ähnlichen Größenordnung in Frankreich, Deutschland und Europa in den 50er
Jahren, und in China zwischen 1999 und 2011 bei 3,11%.“
Carey, List, LaRouche
China habe das Wirtschaftskonzept des produktiven Staatskredits und der
Infrastrukturinvestitionen übernommen, „das System Alexander Hamiltons und
Matthew und Henry Careys in den Vereinigten Staaten, das Amerikanische System
Henry Clays, auch das Konzept beim ,Nationalen System der politischen
Ökonomie’ von Friedrich List, der in China sehr bekannt und geschätzt ist, und
bei unserer Indikativen Planung, dem französischen Konzept, das China
übernommen hat, während wir selbst es aufgegeben haben.“
Das Geheimnis von Chinas beispielloser Entwicklung liege einerseits „in den
Stärken der Chinesen, mit den industriellen Erfahrungen der Vergangenheit
unter den Tang und den Song, in den konfuzianischen Qualitäten, die heute
wieder aufgegriffen wurden, aber gleichzeitig auch in der Übernahme der
Prinzipien, die die Entwicklung unserer eigenen Volkswirtschaften ermöglicht
hatten, als wir uns tatsächlich noch entwickelten“.
Was sind diese Prinzipien?
„Zunächst einmal auszugehen von der Tatsache, daß die menschliche
Kreativität die Quelle und das Maß der realen Wirtschaft ist, nicht der in
monetären Größen ausgedrückte finanzielle Gewinn.“ Die Wirtschaft habe die
Aufgabe, die günstigsten Bedingungen für die Entwicklung der schöpferischen
Qualitäten der individuellen Menschen zu schaffen, sowohl in den einzelnen
Ländern als auch in der Gesamtheit aller Länder.
„Zweitens bedeutet dies konkret, dem Vorrang der Finanzen ein Ende zu
setzen. Das ist es, was Roosevelt unter der Bezeichnung Glass-Steagall, der
Bankentrennung, in den Vereinigten Staaten getan hat.“
China habe heute ein annäherndes Äquivalent zu Glass-Steagall mit der
gleichen Wirkung, daß der Staat die Geschäftsbanken stützt, nicht aber die
Investmentbanken. In China gebe es zwar auch Nichtbanken, die den westlichen
Spekulationsfonds entsprechen, „aber dort hat das Gesamtsystem die Lage unter
Kontrolle bzw. kann sie beherrschen. Das ist der Grund, warum in China zwei
Drittel der Kredite an den Nichtfinanzsektor – den man in den Vereinigten
Staaten den Unternehmenssektor nennt – vergeben werden, an 22 Großunternehmen,
die sich auf Infrastruktur und Energie konzentrieren.“
Das dritte Prinzip betreffe die Auswahl der Investitionsprojekte und
Maßnahmen zur Sicherstellung ihrer kompetenten Leitung. „Das Kriterium, das
Friedrich List, Matthew und Henry Carey, Sergej Wittes Berater in Rußland und
noch mehr unsere Wirtschaftsplaner nach dem Krieg aufstellten, ist das, daß
man auf die Zukunft setzt. In Frankreich taten wir das nach dem Krieg mit
unserer Indikativen Planung, in Deutschland mit der Kreditanstalt für
Wiederaufbau. Und das Kriterium ist die Kapitalintensität der Investitionen,
d.h. des Realkapitals – ganz allgemein gesprochen der Maschinen und des
Humankapitals –, das auf die Maximierung der Produktion ausgerichtet ist und
dem Prinzip der geringsten Wirkung folgt. D.h. man maximiert die freie
Energie, die erzeugt wird, im Verhältnis zu der Energie, die das System
verbraucht. So gibt es einen Anstieg der Energieflußdichte und der
Technologien, eine ständig steigende Produktion im Verhältnis zum Kapital, zur
Fläche, zum Material, das das System verbraucht. Das Ziel sind langfristige
Investitionen, oder wie es die Chinesen so treffend nennen, ,geduldiges
Kapital’. Schließlich ist die Qualifikation der menschlichen Arbeit
wesentlich, die Bildung und Ausbildung auf immer höherem Niveau, um das System
zu organisieren.“
Fundamentale Entdeckungen
Diese drei fundamentalen Orientierungen könnten sich konkret nur unter zwei
Voraussetzungen äußern: „Die erste sind Investitionen in die Infrastruktur im
Energiesektor und im Verkehrssektor und die damit verbundenen Dienstleistungen
sowie in das Schulwesen, das Gesundheitswesen und in die Forschung, wobei der
gemeinsame Nenner aller dieser Dinge das Prinzip der Transformation ist. Die
zweite, noch wichtigere, ist die Qualifikation der Arbeitskräfte.“
Diese Investitionen müßten in grundlegende Entdeckungen, deren technische
Anwendung und Innovationen bei den Anwendungen fließen. China sei von den
Innovationen zu den technischen Anwendungen vorangeschritten und stehe kurz
vor der Ebene der grundlegenden Entdeckungen. „Es ist ein dynamisches Ganzes:
die Aus- und Weiterbildung der Arbeitskräfte von der Schule an durchs ganze
Leben, die großen Projekte – Weltraum, Kernenergie, fortgeschrittene
Technologien in Sektoren, die das geeignete Umfeld für die Forschung und eine
immer höhere Dichte verwendeter Technologien schaffen –, und die Kriterien,
die diese Entscheidungen bestimmen. Es muß dort investiert werden, wo die
menschliche Kreativität sich ausdrücken kann.“
Dies dürfe man nicht mit gewissen heutigen, ähnlich klingenden Ideen
verwechseln. „Es geht nicht darum, den Homo Deus zu schaffen, der die
,NBIK-Technologien’ – Nano, Bio, Info, Kognitiv - beherrscht, die zwar
wesentlich sind, wenn sie mit der Transformation der Realwirtschaft verbunden
sind, die aber in einem System offener Lehre verheerend wirken können, wenn
man sie als Werte an sich betrachtet – und wir sehen vor unseren Augen, wie
das geschieht.“ Die Informationstechnologie an sich habe keine reale
Produktivitätssteigerung bewirkt, wie Robert Gordon in seinem Buch Rise and
Fall of American Growth („Aufstieg und Niedergang des amerikanischen
Wachstums“) gut belege.
„Das bedeutet, um es noch deutlicher zu sagen: Um den Weltraum zu erobern,
brauchen wir Antriebe der höchsten technischen Stufe, d.h. den Fusionsantrieb,
die kontrollierte Kernfusion sowie die Beiträge der Roboter- und
Digitaltechnologien, auch der künstlichen Intelligenz, um das zu beherrschen
und zu steuern, was unsere einfache menschliche Wahrnehmung übersteigt. Diese
Kombination erlaubt es uns, in die Zukunft voranzuschreiten.“
Lyndon LaRouche sei noch über diese Prinzipien hinausgegangen, indem er ein
übergreifendes Kriterium formulierte, das diese globale Dynamik unterstreicht:
das, was LaRouche die „potentielle relative Bevölkerungsdichte“ einer
Gesellschaft nennt. „Relativ“ bedeute dabei die Steigerung der Kapazität zur
Erhaltung der Gesellschaft, „was möglich wird durch die Einführung immer
wieder neuer, grundlegender Entdeckungen in der Form neuer Technologien, die
diese Entdeckungen neuer Naturprinzipien anwenden. Der russische
Wissenschaftler und Experte für Weltraumwirtschaft Pobisk Kusnezow taufte
dieses Prinzip [nach LaRouche] das ,L-Prinzip’, und viele russische
Universitäten befassen sich mit diesem Konzept, während im Westen in Bezug auf
diesen Beitrag völlige Ignoranz herrscht.“
Heute äußere sich diese Perspektive in LaRouches sog. Vier Gesetzen: „eine
strikte Bankentrennung – Glass-Steagall –, um der Wall Street und ihrer
Zockerei ein Ende zu setzen; eine Politik des produktiven Staatskredits, um
die Wirtschaft durch reale Entwicklung wieder anzukurbeln; eine wirkliche
Nationalbank statt einer Zentralbank wie der Federal Reserve oder EZB, die von
den Finanzmächten beherrscht wird; und Investitionen in die höchste
Energieflußdichte, wie wir sie heute in der kontrollierten Kernfusion kennen,
und morgen vielleicht in Materie/Antimaterie-Reaktionen“.
Cheminade kam dann auf Chinas Wirtschaftsprinzipien zurück: „Betrachten wir
nun Xi Jinpings Begriffe, wie er und seine Wirtschaftsberater sie verwenden:
ein Win-Win-System, gegründet auf gegenseitigen Vorteil, Investitionen in die
Infrastruktur und in die fortgeschrittensten Technologien; geduldiges, d.h.
langfristiges Kapital in einer Gesellschaft, die prinzipiell innovativ ist;
und schließlich ein zusammenhängendes System, in das alle Elemente dieser
Dynamik eingebunden sind. Sie sehen, wie nahe dies an das herankommt, was ich
Ihnen gerade gesagt habe.“
Cheminade schloß: „Sagen wir es ganz brutal: Die Frage ist nicht
Globalisierung oder Deglobalisierung. Es geht darum, zu erkennen, daß die 25
Jahre seit dem Fall der Berliner Mauer in den internationalen Beziehungen
verschwendet wurden, und daß uns das heute in ein finanzielles Chaos geführt
hat, in den Kampf jeder gegen jeden, und es wird uns in einen bewaffneten
Konflikt stürzen, wenn wir die Richtung nicht ändern.
China und die BRICS bieten uns die Möglichkeit einer Wende, einer Änderung
des Paradigmas, wie es Frau LaRouche nennt, dessen zugrundeliegende Prinzipien
ich hier zu entwickeln versucht habe. Das bedeutet, daß wir zu dem Besten
unserer eigenen historischen Beiträge zurückkehren müssen. Es ist eine Frage
des Willens, der Führungsstärke oder leadership, wie es die Amerikaner
nennen, in einem Moment, der eine einzigartige Chance ist, die wir ergreifen
müssen. Und es ist auch eine Frage des Mutes, gegen die finanzielle Diktatur
zu kämpfen, die sich zu Unrecht Liberalismus nennt.
Setzen wir also auf den Frieden. Ich denke, das ist es, was wir uns heute
vornehmen müssen.“
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