Berliner Konferenz dokumentiert „Vergessene Kriegsverbrechen im
Jemen“
Unter dem obigen Titel veranstaltete eine Initiative jemenitischer Bürger
am Samstag, den 25. Februar 2017 in Berlin eine Konferenz, die die
schauerliche Tatsache eines fortdauernden Völkermordes im Jemen demonstrieren
und diesen beenden helfen sollte. Elke Fimmen und Stefan Tolksdorf waren als
Vertreter des internationalen Schiller-Institutes eingeladen. Der folgende
Artikel ist eine Zusammenfassung der Konferenz.
Nachdem die Gäste die Nationalhymne Jemens und eine wunderbare Rezitation
aus dem Koran gehört hatten, erklärte Abdullatif Elwashali in seiner
Einführung, daß der Jemen unter einer völligen Blockade des Landes durch die
Koalition unter saudischer Führung leidet; die Nahrungsmittelversorgung im
Land ist vollkommen unzureichend, Schulen und Krankenhäuser werden durch
moderne Kampfjets mit Präzisionswaffensystemen bombardiert; auch die
lebenswichtigen Häfen des Landes sind betroffen. Die Zivilbevölkerung leidet,
während die Welt schweigt, weshalb der Krieg auch „der vergessene Krieg”
genannt wird. Die Konferenz solle dazu dienen, das zu verändern. Die
Teilnehmer und die Welt sollten an die Opfer dieses Krieges erinnert
werden.
Als erster Redner trat Dr. Werner Daum auf, ein ehemaliger deutscher
Diplomat, der inzwischen im Ruhestand ist. „Kein Volk hat mich so berührt, wie
das jemenitische: Offenheit, Stolz auf das eigene Land ohne Überheblichkeit,
sicheres Ruhen in sich selbst”, sagte Daum, der sechs Jahre lang im Jemen
gelebt hat.
„Was die Zeit des Nationalsozialismus angeht, kann sich ein Jemenit kaum
vorstellen, was das bedeutete. Im Jahre 1945 begannen die Nürnberger Prozesse
gegen die Hauptverantwortlichen für die Verbrechen des Nationalsozialismus”,
so Daum. Es ging um den „Tatbestand des Angriffskrieges”. Er fuhr fort: „Seit
1945 gilt ein nicht gerechtfertigter Angriffskrieg als Kriegsverbrechen, das
mit dem Tode zu bestrafen ist. Das gilt auch heute im Jemen: dieser Krieg ist
nicht gerechtfertigt; die Verantwortlichen in Saudi-Arabien und den Emiraten
sind Kriegsverbrecher.”
Er betonte, daß die furchtbare humanitäre Situation im Jemen schlimm sei;
noch schlimmer aber sei die Zerstörung des Kulturerbes im Jemen: „Kulturerbe,
das zerstört wird, kann nicht wieder ersetzt werden. Wenn der Damm von Marib
von den Saudis zerstört wird, werden 3.000 Jahre Geschichte schlicht und
einfach vernichtet.”
Daum kam auch auf die Berichterstattung zu sprechen: „Wir hören immer, es
ginge um einen Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran; doch dafür gibt es
keinen einzigen Beweis... Wenn nicht über die Wirklichkeit berichtet wird,
dann hat das seine Gründe. Weltweit ist die Pressefreiheit nicht mehr
gewährleistet, doch nicht, weil diktatorische Regierungen sie nicht mehr
gewährleisten, sondern weil ein Klima herrscht, in der nur noch eine einzige
Wahrheit existieren darf.”
Dann griff er den Historiker Francis Fukuyama direkt an, der vom „Ende der
Geschichte” geschrieben hat, an dem sich das Reich einer säkularen Religion
auf der Welt etabliert habe, das nie wieder in Frage gestellt werden dürfe.
Daum schloß mit den Worten: „Auch wenn diese Konferenz keinerlei Medienwirkung
haben wird, hoffe ich, daß wir diesem Versuch den Schleier entreißen
können.”
Als nächstes waren Elke Fimmen und Stefan Tolksdorf eingeladen, ein
Grußwort der Präsidentin des Schiller-Institutes, Helga Zepp-LaRouche,
vorzutragen und den Konferenzteilnehmern die optimistische Zukunftsperspektive
und die Aktivitäten des Schiller-Institutes zu präsentieren. Frau Fimmen
bestätigte in ihrem Vortrag, daß der Jemen gerade Schreckliches erleidet, gab
aber auch einen wichtigen Einblick in die Auseinandersetzung in den USA vor
allem den Kampf um die Veröffentlichung der 28 Seiten des 9/11-Berichtes und
das JASTA-Gesetz im vergangenen Jahr - beide haben schließlich direkt mit
der Rolle Saudi-Arabiens zu tun.
Sie zeigte aber auch, welche Rolle der Jemen in der Neuen Seidenstraße als
Brücke zwischen Asien und Afrika spielen wird. Dazu zeigte sie einige Folien
und Grafiken, die von Ulf Sandmark und Hussein Askary vorbereitet worden
waren, und präsentierte die Resolution, die durch Fouad Al-Ghaffaris Arbeit im
Jemen inspiriert und bei der Konferenz des Schiller-Institutes in Berlin im
Juni 2016 angenommen wurde.
Im Anschluß zeigten die Organisatoren der Konferenz Ausschnitte aus
Filmmaterial über die Lage im Jemen, das sie den Teilnehmern auch in Form
einer DVD mit dem Titel Crimes of the Forgotten War zur Verfügung
stellten. (Die Filmdokumentationen sind auch in Youtube eingestellt,
siehe: https://www.youtube.com/watch?v=wxk7O2bU3M4) Nach den
herzzerreißenden und verstörenden Bildern betonte Herr Elwashali, diese Verbrechen müßten umgehend gestoppt werden.
„Ein wenig Hoffnung” war der Titel von Hussain Sharafs Präsentation. Er
erzählte die Geschichte von Amal, einem jungen jemenitischen Mädchen, das
Flugzeuge liebte und davon träumte, eines Tages um die Welt zu reisen und alle
Menschen zu grüßen. Als sie, wie auch sonst so oft, wieder einmal auf die
Straße gelaufen war, um die Flugzeuge zu sehen, die sie gehört hatte, wurde
ihr Haus von einer Bombe getroffen. Ihr Vater war sofort tot; ihre Mutter und
ihr kleiner Bruder starben nur wenig später in einem Krankenhaus ohne
Medikamente und ohne elektrischen Strom. „Das letzte Licht in ihrem Leben war
erloschen. Das Mädchen hatte eine sehr große Zukunft vor sich. Sie hatte große
Liebe in sich. Doch ihr Körper, ihre Familie, ihre Seele, ihre Würde und ihr
Recht auf Leben wurden verletzt”, sagte Sharaf und fuhr fort: „Ein Teil von
Amal lebt noch und will gerettet werden. Amal bedeutet Hoffnung; Hoffnung, die
noch lebt. Alle Kinder im Jemen sind Amal.”
Über die Auswirkungen des Krieges auf die Wasserversorgung sprach als
nächstes Dr. Taha Al-Washali, Research Fellow für Wasserversorgungstechnik am
UNESCO-Institut für Wasser-Ausbildung in Delft. 15,4 Mio. der 27,8 Mio.
Einwohner Jemens, der „ärmsten, bevölkerungsreichsten und jüngsten Nation der
arabischen Halbinsel”, haben derzeit keinen Zugang zu Wasser oder sanitären
Einrichtungen, 7 Mio. brauchen dringend Nahrung. Nach Statistiken der UN haben
in diesem Krieg bis November 2016 10.000 Menschen ihr Leben verloren, 60%
davon durch Luftschläge; 75 werden jeden Tag getötet oder verletzt. Als Folge
des Zusammenbruchs der Wasserversorgung kam es zu einem Cholera-Ausbruch, der
mittlerweile bereits 12.700 Menschen erfaßt hat.
Dr. Al-Washali verwies auf Forschungsergebnisse von Martha Mandy (GB),
wonach die Kampagne Saudi-Arabiens gegen Jemen auch darauf ausgerichtet ist,
die landwirtschaftliche Existenzgrundlage zu zerstören. Bereits vor dem Krieg
mußte der Jemen 90% des Weizens und 100% des benötigten Reises importieren.
Durch die Blockade des Landes sind die Preise stark angestiegen, während die
Löhne im Land seit September 2015 massiv gekürzt wurden. Dr. Al-Washali
stellte schließlich fest, der Schaden im Jemen sei weitreichend, langfristig
und schwer zu reparieren; alle großen Städte seien betroffen. (Weitere Details
aus Al-Washalis Vortrag finden Sie auf Seite 6.)
Über die Auswirkungen der wirtschaftlichen Blockade auf die Menschen sprach
als nächstes Engeline Kramer, Trainerin für Interkulturelle Kommunikation und
Konfliktlösung. Frau Kramer hob zunächst die Gastfreundschaft, Freundlichkeit
und Wärme der Jemeniten hervor und fragte dann: „Was will man im Jemen
eigentlich noch kaputt machen?” Kriegsverbrecher wie George W. Bush und Tony
Blair sollten in Den Haag vor Gericht gestellt werden. Die USA, Großbritannien
und Deutschland könnten und müßten den Wirtschaftsboykott gegen den Jemen
sofort beenden. Jeder müsse jetzt Anstrengungen für Frieden im Jemen
unterstützen. Sie schloß mit dem optimistischen Sprichwort: „Wenn viele
Menschen viele Schritte machen, kann man das Gesicht der Welt verändern.”
Anschließend sprach Dr. R.S. Karim, Mitbegründer von Mona Relief
(Jemenitische Organisation für humanitäre Hilfe und Entwicklung, London). Mona
ist eine der wenigen Hilfsorganisation, die direkt im Jemen aktiv ist. Den
Jemen nannte Dr. Karim ein „narbenbedecktes Land; eine offene Wunde; einen
Schatten seines früheren Selbst”. Saudische Beamte hätten „den Jemen von der
Welt abgeschnitten. Das Land ist eingeschlossen. Das ist Genozid.” Wenn
vor dem Krieg bereits 90% wichtiger Nahrungsmittel importiert werden mußten,
wie solle man jetzt 90% der Bevölkerung mit den verbleibenden 10% ernähren?
Jedes Mal, wenn es Kind stirbt, wurde es von jemandem ermordet. Dr.
Karim erzählte dem entsetzten Konferenzpublikum von Totgeburten wegen
Unterernährung. Er sprach von Vätern, die verzweifelt an Selbstmord denken,
weil sie ihre Familien nicht schützen können. „Solches Elend befleckt die
Seele.”
„Der Jemen ist ein humanitäres schwarzes Loch. Dem Land wurde seine Würde
genommen.” Vor allem aber würden die Jemeniten „den Gestank des Verrates
wittern.”
Dr. Karim schloß: „Wenn eine Militärmacht absichtlich das Leben von Kindern
zerstört, dann kann man nur noch eines tun: Kämpfen. Jeder Vater wird kämpfen.
Jede Mutter wird zur Tigerin. Der Jemen darf nicht zu einer weiteren
vergessenen Krise werden. Der Krieg im Jemen ist nicht der vergessene Krieg
dieses Jahrzehnts; er ist die Schande unserer Generation.”
Als letzte Rednerin sprach Hassna, eine angehende Studentin, über die
Kriegsverbrechen und das Leiden der Frauen und Kinder. Sie zeigte viele
Bilder, die noch einmal an all die Schrecken im Jemen erinnerten. Die
Konferenzen endete nach einem Schlußwort auf Arabisch und einer weiteren
kurzen Rezitation aus dem Koran mit der jemenitischen Nationalhymne.
Das Schweigen über die Grausamkeiten im Jemen war während der Konferenz
wiederholt Gegenstand der Diskussion und wurde noch durch die beschämende
Tatsache unterstrichen, daß außer EIR und der Neuen Solidarität
keine Vertreter von Presse und Medien anwesend waren - und das, obwohl die
Veranstaltung in einem Konferenzsaal im Gebäude der Zeitung Neues
Deutschland stattfand.
Dennoch war die Konferenz ein voller Erfolg. Sie demonstrierte und
verurteilte klar die Greuel, unter denen die Jemeniten leiden. Der Wille,
angesichts dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit Widerstand zu leisten, war
spürbar. Noch wichtiger jedoch: Die Konferenzteilnehmer erfuhren mehr über das
übergeordnete Problem des britischen Empires und lernten die großartige
Perspektive der zukünftigen Rollen Jemens in einem Neuen Paradigma der
Win-Win-Zusammenarbeit kennen.
Stefan Tolksdorf
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