Wenn die USA sich der Seidenstraßen-Initiative anschließen,
kann das Neue Paradigma beginnen
In der Mai-Ausgabe der chinesischen Monatsschrift China
Investment, die an alle Teilnehmer des BRI-Forums in Beijing verteilt
wurde, erschien auch der folgende Beitrag der Vorsitzenden des
Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche.
Anfangs hatten zwar fast alle amerikanischen Denkfabriken eine negative
Haltung zu Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative (Belt and Road Initiative,
BRI) oder sie weigerten sich, sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, aber in
jüngster Zeit gab es eine Wende. Außer dem harten Kern der neokonservativen
Denkfabriken haben nun etliche begonnen, über die gewaltigen
Geschäftsmöglichkeiten zu berichten, die das Projekt der Neuen Seidenstraße
amerikanischen Unternehmen bietet, vor allem nach dem trotz schwieriger
Umstände sehr erfolgreichen Gipfeltreffen zwischen Präsident Xi Jinping und
Präsident Trump in Mar-a-Lago/Florida.
Der offensichtlichste der vielen Bereiche für eine solche Zusammenarbeit
wäre natürlich die Verbindung der Gürtel- und Straßen-Initiative mit den
geplanten Billionen-Investitionen in die Infrastruktur, die Präsident Trump in
seinem Wahlkampf versprochen hat und deren Plan dem Vernehmen nach noch im Mai
vorgelegt werden soll. Allerdings müssen noch einige Hindernisse überwunden
werden, bis dies geschehen kann.
Der Infrastrukturbedarf der Vereinigten Staaten ist aufgrund der
jahrzehntelangen Nicht-Investitionen der früheren Regierungen enorm. Abgesehen
von denen, die selbst in China waren, haben die meisten Amerikaner keine
Vorstellung davon, wie weit die Infrastrukturentwicklung der USA hinter China
zurückgefallen ist. Die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der 736 km langen
„Hochgeschwindigkeitsbahn“ Acela1 liegt bei nur 105 km/h, nur auf
kurzen Abschnitten werden 145 km/h erreicht. Das ist keine hohe
Geschwindigkeit. Im Vergleich dazu gibt es in China rund 22.000 km
Hochgeschwindigkeitsbahnen, also mehr als 50mal so viel!2
Die Straßen in den Vereinigten Staaten sind in einem schrecklichen,
gefährlichen Zustand, ebenso die Brücken und die Kanalisation – aber ihre
Nutzung ist trotzdem noch teuer. Für eine Fahrt von Washington nach New York
muß man pro Fahrzeug die beträchtliche Summe von 115 Dollar an Mautgebühren
und Benzin zahlen.
Die American Society of Civil Engineers hat kürzlich bei einer Konferenz
die Schätzung vorgelegt, daß der Investitionsbedarf der US-Infrastruktur bei
4,5 Billionen Dollar liegt. Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß die
Finanzierung dieser Summen von den privaten Kapitalmärkten kommen wird. Die
Vertreter dieses Sektors haben vor kurzem in Gesprächen mit Präsident Trump
unerfüllbare Forderungen gestellt, wie Renditen von 11-12% pro Jahr und eine
vollständige Rückzahlung des investierten Kapitals innerhalb von zehn Jahren.
Auch die Idee, Infrastruktur durch ein Mautsystem zu finanzieren, ist
problematisch. In dichtbesiedelten Gebieten wäre es vielleicht gerade noch
machbar, doch in abgeschiedenen Regionen würde es sicherlich scheitern. Schon
die Vorstellung, daß Infrastrukturinvestitionen eine unmittelbare Rendite
abwerfen sollen, zeigt ein völlige Unkenntnis, welche Rolle die Infrastruktur
in der Wirtschaft insgesamt hat.
Die Qualität und Dichte der Infrastruktur ist eine notwendige Voraussetzung
für die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft. Eine moderne
Volkswirtschaft erfordert, daß etwa 50% ihrer Ausgaben dazu genutzt werden
sollten, die Infrastruktur auszubauen und zu modernisieren, da die
Lebenserwartung der verschiedenen Kategorien der Infrastruktur zwischen 20 und
50 Jahren liegt. Eine gut geplante Infrastrukturplattform ist ein integriertes
System von Hochgeschwindigkeitsbahnen, Wasserstraßen, Autobahnen,
Energieerzeugung und -verteilung und Kommunikation, sowie sogenannter
,weicher’ Infrastruktur wie Gesundheits- und Bildungssystemen. Je mehr die
technologische Entwicklung und Produktivität eines Wirtschaftsraumes ansteigt,
desto wichtiger werden die Geschwindigkeit und Effizienz des Verkehrs und die
Dichte der Infrastruktur generell, da all die verschiedenen Ebenen der
Produktion von Halb- und Fertigprodukten wie eine komplizierte Maschine
zusammenwirken, in der jedes Einzelteil seinen Beitrag zu einem harmonischen
Funktionieren leistet.
Die Erträge der Infrastrukturinvestitionen sind also an der Steigerung der
Produktivität der gesamten Volkswirtschaft zu messen. Daher kann man die
Finanzierung nicht privaten Investoren überlassen, sondern sie muß in der
Verantwortung des Staates liegen, der dem Gemeinwohl der Volkswirtschaft als
ganzer verpflichtet ist.
Das Potential für eine amerikanisch-chinesische Kooperation
Wenn Präsident Trump einfach beim Kongreß beantragen würde, das
Infrastrukturprogramm aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren, würde er auf den
gleichen Widerstand der Demokraten und Teilen der Republikaner stoßen, der
bereits die Aufhebung von Obamacare verhindert hat. Und wenn China und andere
ausländische Investoren einfach mit Hilfe der privaten Kapitalmärkte
investieren würden – vorausgesetzt, man erlaubt es ihnen –, dann wären diese
Investitionen möglicherweise den Fluktuationen der Märkte ausgesetzt.
Aufgrund der jahrzehntelangen Politik der Auslagerung in Billiglohnländer
fehlt dem Produktionssektor der USA derzeit eine vollständige vor- und
nachgeschaltete Wertschöpfungskette, was ein weiteres Hindernis ist. China
hingegen hat eine vollständige vor- und nachgeschaltete Wertschöpfungskette,
und es hat große Erfahrungen beim Bau moderner Infrastruktursysteme – nicht
nur durch seine Erfahrungen in China selbst, sondern auch dadurch, daß es
solche Systeme in anderen Ländern gebaut hat.
China könnte daher nicht nur den Städten mit den größten Verkehrsproblemen
helfen, wie New York, Los Angeles, Boston, Chicago, San Francisco und
Washington, es könnte auch helfen, das nachzuvollziehen, was China im eigenen
Land tut, nämlich alle großen Städte durch Hochgeschwindigkeitsbahnen
miteinander zu verbinden.
Für Regionen wie beispielsweise die um New York, New Jersey und
Philadelphia wäre ein integriertes Infrastrukturnetz wie das geplante System
zur „integrierten Verkehrsentwicklung“ der Region Beijing-Tianjin-Hebei sehr
sinnvoll, da die Menschen täglich viele Stunden für das Pendeln zwischen ihren
Wohnvierteln und ihrem Arbeitsplatz verlieren. Während man für die rund 1300
km lange Reise von Beijing nach Shanghai mit einer
Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 300 km/h nur 5 Stunden benötigt, braucht
man für die etwa gleich weite Reise von New York City nach Chicago 19
Stunden!
Die Vereinigten Staaten würden auch sehr vom Bau ganz neuer Städte
profitieren, die in den bisher nur sehr dünn besiedelten Gebieten in den
zentralen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten liegen könnten. Dies könnten
Wissenschaftsstädte als Bildungs- und Forschungszentren sein, oder sie könnten
in der Nähe anderer, dringend benötigter großer Infrastrukturprojekte liegen,
wie etwa Projekten zur Wasserregulierung in den dürregefährdeten Regionen im
Südwesten des Landes. Ein solches Projekt, das seit der Kennedy-Regierung in
den Schubladen liegt, ist die Nordamerikanische Wasser- und Stromallianz
(NAWAPA), die vor kurzem für das 21. Jahrhundert aktualisiert
wurde.3
Andererseits würde solch eine modernisierte US-Wirtschaft auch auf den
expandierenden chinesischen Markt exportieren. Die chinesische Mittelschicht -
mit etwa 900 Millionen Menschen – genießt eine rasch wachsende Kaufkraft, was
durch die Strukturreformen, die die chinesische Regierung umgesetzt hat,
möglich wurde. 2016 betrug das bilaterale Handelsvolumen zwischen den
Vereinigten Staaten und China bereits 519,6 Mrd.$, und die bilateralen
Investitionen wuchsen im gleichen Jahr auf 170 Mrd.$ an. Im letzten Jahrzehnt
stiegen die US-Exporte nach China um 11% und die chinesischen Investitionen in
den Vereinigten Staaten um 5,6%. Das Wachstumspotential ist in all diesen
Kategorien enorm, wenn die beiden komplementären Volkswirtschaften der
Vereinigten Staaten und Chinas sich in dieser Weise verbinden würden.
Eine solche amerikanisch-chinesische Kooperation würde sich natürlich nicht
auf den bilateralen Handel beschränken, sondern angesichts des gewaltigen
Bedarfs für den Ausbau von Infrastruktur, Landwirtschaft und Industrie in
aller Welt würden Joint Ventures fast überall auf der Welt eine
„Win-Win“-Perspektive für die Vereinigten Staaten, China und das jeweilige
Drittland bieten. Angesichts des gewaltigen Potentials der Gürtel- und
Straßen-Initiative zur Weltlandbrücke,4 die das Schiller-Institut
2014 vorgeschlagen hat, könnte in nicht allzu ferner Zukunft ein Netz von
Hochgeschwindigkeitsbahnen von der Südspitze Südamerikas in Chile und
Argentinien durch Mittel- und Nordamerika gebaut und durch einen Tunnel unter
der Beringstraße mit den eurasischen Verkehrsnetzen verbunden werden. Dies
würde den Vereinigten Staaten einen Weg eröffnen, sich der nun entstehenden,
pazifisch ausgerichteten Welt anzuschließen. Dazu müßten die
Eisenbahnkorridore durch Kanada nach Alaska stark verbessert und ausgebaut und
mit einem neuen Eisenbahnsystem in den Vereinigten Staaten verbunden
werden.
Das Beispiel Roosevelt
Eine solche Perspektive von etwa 65.000 km modernen elektrifizierten
Eisenbahnstrecken, wovon etwa die Hälfte Hochgeschwindigkeitsstrecken sein
sollten, bedeutete auch enorme Investitionen in die Industrieproduktion, um
die notwendigen Teile und Materialien zu produzieren, sowie in die Aus- und
Fortbildung der qualifizierten Arbeitskräfte, die zur Bewältigung einer
solchen gewaltigen Aufgabe benötigt werden. Insbesondere bei der Ausbildung
der Jugend kann man auf die Erfahrungen mit Franklin Roosevelts Civilian
Conservation Corps – dem CCC-Programm – zurückgreifen, das wesentlich dazu
beigetragen hat, die Vereinigten Staaten aus der Depression der 1930er Jahre
herauszuführen. Roosevelt nannte das CCC „die größte Bewegung, die unser Land
je in Friedenszeiten erlebt hat“. Es wurde geschaffen, um dem schrecklichen
Bildungs- und Qualifikationsmangel der Jugend abzuhelfen – einem Zustand, der
im heutigen Amerika die Form verbreiteter Drogenabhängigkeit und
Drogenstraftaten annimmt.
Bei ihrem Gipfeltreffen beschlossen Präsident Trump und Präsident Xi
Jinping, vier permanente Dialoge einzurichten, von denen einer den
wirtschaftlichen Fragen gewidmet ist. Diese Expertengruppe könnte sofort damit
anfangen, zu untersuchen, wie die Vereinigten Staaten sich an der BRI
beteiligen können.
Der wichtigste Aspekt der Idee, daß die Vereinigten Staaten sich der
Gürtel- und Straßen-Initiative anschließen, wäre jedoch, die gesamte
Bevölkerung mit Hoffnung auf die Zukunft zu begeistern, auf eine bessere
Zukunft für die kommenden Generationen, etwas, was in den letzten fünf
Jahrzehnten verloren gegangen ist.
Es würde auch demonstrieren, daß Präsident Trumps Versprechen, „Amerika
wieder groß zu machen“, nicht im Widerspruch zu den Interessen anderer Länder
steht, sondern daß eine solche Win-Win-Kooperation die ganze Welt in eine neue
Ära der Zivilisation führen würde. Wenn die beiden größten Volkswirtschaften
der Welt in dieser Weise zusammenarbeiten, gibt es kein Problem auf der Erde,
das nicht gelöst werden kann.
Wenn man die Wirtschaftstheorie hinter dem enormen Erfolg des chinesischen
Wirtschaftswunders der letzten 30 Jahre studiert, wird man feststellen, daß
Chinas gegenwärtige Wirtschaftspolitik, die sich auf die Ausbildung seiner
Bürger stützt, sehr stark mit dem konfuzianischen Prinzip des lebenslangen
Lernens und der Innovation übereinstimmt, und daß sie den Prinzipien des
Amerikanischen Systems der Ökonomie, wie es von Alexander Hamilton, John
Quincy Adams, Henry Clay, Henry C. Carey und Lincoln entwickelt und umgesetzt
wurde, faktisch sehr nahe kommt. Alle diese Männer wußten, daß die wichtigste
Quelle des Reichtums eines Landes in der Entwicklung der schöpferischen Kräfte
seiner Bevölkerung liegt. Und deshalb entwarfen sie ein System der Wirtschaft,
das genau dies förderte, um soviel wissenschaftlich-technischen Fortschritt
und Innovationen wie möglich zu katalysieren.
Es ist auch faszinierend, daß der eigentliche geistige Vater der
Amerikanischen Revolution, Benjamin Franklin, begeistert und inspiriert von
den Schriften des Konfuzius war, aus denen er die Überzeugung übernahm, daß
die moralische Veredelung des einzelnen unbedingt der Schlüssel zur
Verbesserung der Gesellschaft ist. Franklin gründete sein System der
Morallehre auf Konfuzius, und das hat den Geist der Gründung Amerikas
entscheidend geprägt. Eine ganz ähnliche geistige Nähe existierte zwischen
Präsident Lincoln und Chinas Gründervater [Sun Yatsen].
Die Zusammenarbeit in der Neuen Seidenstraße sollte daher auch eine
kulturelle Dimension haben, und genauso wie die alte Seidenstraße sollte sie
einen Austausch in der Kunst und in der Philosophie bewirken. Sie sollte auch
die besten Traditionen und den höchsten Ausdruck der Menschlichkeit in allen
beteiligten Ländern hervorbringen, und dadurch werden die Menschen die
unerwarteten Schönheiten der anderen Kulturen entdecken. Dieses Wissen wird
dann zur Bewunderung führen und neue Horizonte öffnen. Die Epoche der
Gemeinschaft einer gemeinsamen Zukunft ist in greifbarer Nähe. Wenn Präsident
Trump und Präsident Xi Jinping sich die Hände zu dieser Kooperation reichen,
dann werden sie beide einen Platz in der Geschichte behalten, weil sie die
Menschheit zu ihrer wahren Bestimmung geführt haben.
Anmerkungen
1. Das ist die Strecke Washington D.C.-New York City-Boston.
2. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Strecke Peking-Shanghai liegt bei
300 km/h.
3. Siehe http://archive.larouchepac.com/files/20120409-nawapa-press-release_0.pdf
4. Siehe http://worldlandbridge.com/
Om
Purnamadah Purnamidam
Purnath Purnamudachyate
Purnasya Purnamadaya Purnameva Vashishyate
Jenes ist ganz und dieses ist ganz
Aus dem Ganzen ist das Ganze manifestiert
Wenn das Ganze aus dem Ganzen genommen wird, bleibt immer noch das
Ganze
Die Videos mit allen Vorträgen der Tagung finden Sie in Kürze unter
www.impulswelle.ch
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