Friedrich Schiller und unsere Mission im Universum
Von William Wertz
William Wertz, Präsident des Schiller-Instituts in den
Vereinigten Staaten und Übersetzer einer vierbändigen englischen Werkauswahl
Schillers, hielt anläßlich der Feiern zu Friedrich Schillers Geburtstag am 12.
November in den USA die folgende Rede.
Hallo, mein Name ist Will Wertz, ich habe die Ehre, Präsident des
Schiller-Instituts [in den Vereinigten Staaten] zu sein, das Helga
Zepp-LaRouche im Jahr 1984 gegründet hat. Ich denke, wir alle schulden Helga
Dank dafür, daß sie uns mit Friedrich Schiller vertraut gemacht und das
Schiller-Institut gegründet hat, das über die letzten Jahrzehnte eine
zunehmend entscheidende Rolle bei den Bemühungen um die Schaffung einer neuen,
gerechten Weltwirtschaftsordnung gespielt hat.
Ich möchte heute die Bedeutung Friedrich Schillers für die Welt, wie sie
sich uns jetzt darstellt, deutlich machen. Eines der wichtigsten Themen, das
Schiller ausgearbeitet hat, ist, daß man die Emotionen des Menschen erziehen
muß. Zu der Schlußfolgerung, daß das notwendig ist, gelangte er nach der
Französischen Revolution, als ein großer historischer Augenblick auf
kleingeistige Menschen traf, die sich leicht manipulieren ließen, und so
endete die Französische Revolution in einer Katastrophe, anstatt nach der
Amerikanischen Revolution die politische Freiheit zu bringen. Es kam damals
nicht zu der erhofften Befreiung Europas von der Oligarchie.
Keine Erdlinge mehr sein
In seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen
schreibt Schiller, man müsse der Welt die Richtung zum Guten geben. Er
argumentiert: Wir leben zwar in unserem Jahrhundert, dürfen uns aber nicht
damit begnügen, Geschöpfe unseres Jahrhunderts zu sein; wir müssen der
Menschheit geben, was sie braucht, nicht was sie lobt.
Ich halte das besonders angemessen für die Umstände, in denen wir uns heute
befinden, wo die Chance besteht, die Zukunft zu gestalten, wir aber diese
Chance sehr schnell ergreifen müssen. Wir können uns die Zukunft nur zu eigen
machen, wenn wir auf einer weit höheren Ebene agieren als die große Mehrheit
der Menschen.
Meine These beruht auf Bemerkungen Lyndon LaRouches vor einigen Tagen: Eben
daß wir, genauso wie Schiller sagt, in unserem Jahrhundert leben, aber nicht
sein Geschöpf sind, und dem Menschen geben, was er braucht, und nicht bloß,
was er lobt - und davon ausgehend, daß wir zwar auf dem Planeten Erde leben,
aber nicht bloße „Erdlinge“ bleiben dürfen, sondern daß wir unsere Identität
in Bezug auf die wahre Mission des Menschen lokalisieren müssen. Wir müssen
die Menschheit so organisieren, daß sie erkennt, was diese Mission ist und was
wahres Menschsein bedeutet.
Konkret bedeutet das, daß man sich seinen Standpunkt außerhalb der Erde
denken muß. Wir müssen uns vorstellen, wir seien auf dem Mond - oder erst
einmal in der Internationalen Raumstation - und betrachteten von dort aus, was
auf der Erde gebraucht wird. Wir müssen auf einer weltweiten Grundlage
handeln, um eine neue Weltwirtschaftsordnung zu schaffen. Die Russen, die
Chinesen, die Inder, die anderen BRICS-Nationen haben in der Hinsicht die
Initiative ergriffen, aber noch sind wir in einer gespaltenen Welt. Das
transatlantische Gebiet ist völlig bankrott, und es ist unbedingt notwendig,
daß wir die Vereinigten Staaten wirtschaftlich in die neue Geometrie
hineinbringen.
Das ist eine große Aufgabe, und sie läßt sich nur in dem Maße realisieren,
wie Menschen in aller Welt das wirtschaftliche Denken Alexander Hamiltons und
Lyndon LaRouches „Vier Gesetze“ verstehen.
Zu dieser Idee, daß man seinen Platz im Universum sieht, in der Mission der
Menschheit, sich das Universum zu erschließen, gibt es ein berühmtes Gedicht
Schillers, das Beethoven in seiner Neunten Sinfonie vertont hat, die Ode an
die Freude. In allen Refrains stellt Schiller den Menschen in diese
Position, z.B.: „Brüder - überm Sternenzelt richtet Gott, wie wir gerichtet“
oder: „Droben überm Sternenzelt wird ein großer Gott belohnen.“
Das ist der Ort, die Platzierung, die wir haben müssen, wenn wir jetzt die
Bedürfnisse der Menschheit erfüllen wollen und sicherstellen wollen, daß die
Chancen, die Selbstzerstörung der Menschheit durch einen thermonuklearen Krieg
zu verhindern, optimal genutzt werden. Denn, wie Lyndon LaRouche betont:
Solange die finanziellen Umstände nicht beseitigt sind, die die Welt an den
Rand des Krieges gebracht haben, solange wird diese Kriegsgefahr immer wieder
auftauchen.
Der gute Samariter
Ich möchte nun auf einige der Hauptaspekte dessen, was Schiller
ausgearbeitet hat, aufmerksam machen.
Zunächst einmal betonte er, daß es die Schönheit ist, durch die der Mensch
zur Freiheit gelangt. Man kann nur Freiheit haben, wenn man wirklich schöne
Seelen in der Menschheit erzeugt, die sich durch die Emotion der Agape auszeichnen, das ist das griechische Wort für Liebe bzw. Nächstenliebe.
Das ist die fundamentale Emotion - so hat LaRouche es oft genannt -, die man
braucht. Schiller befaßt sich in vielen seiner Werke mit diesem fundamentalen
Thema, und er sagt, wenn man wirklich aus Liebe, Agape heraus handelt, der
Liebe zur Wahrheit, zur Menschheit, dann erreicht man den freudigen Bereich
des kreativen Spiels, wie er es nennt, und das sei die wahre Natur des
Menschen.
In den Kallias-Briefen befaßt er sich damit anhand seiner Auslegung
der Parabel vom Guten Samariter aus der Bibel. Er nennt fünf Beispiele von
Personen, die auf einen Mann reagieren, der verletzt am Straßenrand liegt. Nur
der fünfte Vorübergehende hilft dem Mann wirklich, ohne sich vorher groß
Gedanken zu machen, ob er es nun tun soll oder nicht. Einige der anderen
dachten beispielsweise daran, ob sie für ihre Hilfe bezahlt werden sollten -
was für sie dabei „herausspringt“. Schiller erklärt nun, daß die moralische
Schönheit nur dann entsteht, wenn für den Menschen die Pflicht zur inneren
Natur geworden ist. Das heißt, man erfüllt seine Pflicht freudig, weil die
inneren Emotionen von Agape, von Nächstenliebe geprägt sind.
In seinen Philosophischen Briefen schreibt Schiller: „Wenn ich
hasse, so nehme ich mir etwas; wenn ich liebe, so werde ich um das reicher,
was ich liebe. Verzeihung ist das Wiederfinden eines veräußerten Eigentums -
Menschenhaß ein verlängerter Selbstmord; Egoismus die höchste Armut eines
erschaffenen Wesens.“
Er betrachtet dies im folgenden aus der Sicht verschiedener Vorstellungen
der menschlichen Gesellschaft und schreibt: „...Egoismus und Liebe scheiden
die Menschheit in zwei höchst unähnliche Geschlechter, deren Grenzen nie
ineinander fließen. Egoismus errichtet seinen Mittelpunkt in sich selber;
Liebe pflanzt ihn außerhalb ihrer in die Achse des ewigen Ganzen. Liebe zielt
nach Einheit, Egoismus ist Einsamkeit. Liebe ist die mitherrschende Bürgerin
eines blühenden Freistaats, Egoismus ein Despot in einer verwüsteten
Schöpfung. Egoismus säet für die Dankbarkeit, Liebe für den Undank. Liebe
verschenkt, Egoismus leiht...“
Schuldenerlaß
Auch in anderen Werken entwickelt Schiller das gleiche Konzept, so etwa in
Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon. Eine der ersten Amtshandlungen
Solons, als er Herrscher von Athen wurde – als Nachfolger Drakons, von dessen
Namen sich das Wort „drakonisch“ ableitet –, bestand darin, die Schulden zu
erlassen. Wörtlich schreibt Schiller: „...wodurch alle Schulden aufgehoben und
zugleich verboten wurde, daß künftig keiner dem andern auf seinen Leib etwas
leihen durfte“.
Hier muß man daran denken, was jetzt im transatlantischen Teil der Welt
notwendig ist, nämlich eine komplette Konkurssanierung, in der die Schulden
annulliert werden, so wie damals bei Solon. Die Alternative dazu war Schiller
zufolge die Gesellschaft in Sparta, die im Kern auf Sklaverei beruhte. Das
sind die Alternativen, vor denen wir auch bis heute noch stehen.
In seiner Schrift über die Universalgeschichte, Schillers Antrittsrede als
Geschichtsprofessor, beschreibt er folgendes: Er unterscheidet zwischen dem
„philosophischen Kopf“ und dem „Brotgelehrten“, der nur an die Karriere und an
Geld denkt. Der philosophische Kopf dagegen hat „die Wahrheit immer mehr
geliebt als sein System, und gerne wird er die alte mangelhafte Form mit einer
neuern und schönern vertauschen. Ja, wenn kein Streich von außen sein
Ideengebäude erschüttert, so ist er selbst, von einem ewig wirksamen Trieb
nach Verbesserung gezwungen, er selbst ist der erste, der es unbefriedigt
auseinanderlegt, um es vollkommener wieder herzustellen.“
Das gescheiterte System verwerfen
Das ist Liebe zur Wahrheit und Liebe zur Menschheit - alle früheren
Überzeugungen abzuwerfen und sie im Dienst der Menschheit durch die Wahrheit
zu ersetzen. Das ist etwas, was in großen Augenblicken der Geschichte von den
Menschen gefordert ist, wenn eine gescheiterte Ordnung, ein mangelhaftes
System von Überzeugungen abgeschüttelt werden muß. Einen solchen Augenblick
erleben wir jetzt. In der Französischen Revolution konnten die
Verantwortlichen das alte System nicht abschütteln und liefen so in ihre
eigene Zerstörung. Das ist die Lage, mit der wir es heute in den Vereinigten
Staaten und überall auf der Welt zu tun haben.
In seinem Gedicht Die Künstler schreibt Schiller, diese
Verantwortung laste besonders auf dem Künstler, und er gibt zu verstehen, daß
wir im Grunde alle Künstler sind, weil wir alle Abbild des Komponisten des
Universums sind. Es bezieht sich nicht nur auf die Menschen, die sich im
engeren Sinne als Künstler verstehen, sondern auf alle Menschen. Wir alle
sollten als Künstler handeln, in Hinsicht darauf, ein schöneres Universum zu
schaffen. Schiller sagt: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
bewahret sie! Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!“ Das ist die
ungeheure Verantwortung, die jeder von uns verinnerlichen muß.
Hoffnung
Ich möchte nun mit folgendem schließen. Wir hatten vor acht Jahren eine
Präsidentschaftswahl, bei der man uns nur vorgaukelte, es ginge um „Hoffnung“
und um „Veränderung“. Aber es gibt tatsächlich reale Hoffnung und eine reale
Grundlage für Veränderung! Man muß nur seinen Geist zu dem Verständnis
entwickeln, was das wirklich ist, damit man nicht manipuliert werden kann und
sich nicht zum Narren halten läßt.
Eines von Schillers wichtigsten Gedichten ist das Gedicht Hoffnung.
Es endet mit dieser Strophe:
Es ist kein leerer, schmeichelnder Wahn,,
erzeugt im Gehirne des Toren,
im Herzen kündet es laut sich an:
zu was Besserm sind wir geboren.
Und was die innere Stimme spricht,
das täuscht die hoffende Seele nicht.
Und ich denke, Hoffnung beruht darauf, einen ästhetischen Geisteszustand zu
schaffen, sich von Vorurteilen zu befreien, sich aus den Umständen zu
befreien, die sonst unsere Reaktionen, unser Verhalten konditionieren - und
zur Ebene des kreativen Spiels aufzusteigen, wo man seine Identität im
Universum ausmacht.
Ich würde sagen, das ist genau das, was Lyndon und Helga LaRouche seit
Jahrzehnten betonen und in den letzten Tagen noch einmal besonders betont
haben. Das ist die Herausforderung für uns alle - die Herausforderung, wenn
wir nun den 257. Geburtstag Friedrich Schillers feiern.
Zudem ist dieses Wochenende auch der Geburtstag von Sun Yat-sen, der stark
von der Amerikanischen Revolution beeinflußt war.
In Schillers Schauspiel Wilhelm Tell (soweit ich weiß, werden unsere
Kollegen in Texas Ausschnitte daraus aufführen) lautet der letzte Satz,
ausgesprochen von Rudenz:
Dieses Schauspiel wurde 1805 verfaßt. Tatsächlich ist es eine Unterstützung
der Amerikanischen Revolution, denn darin ist der berühmte Rütlischwur und die
Rede, in der es heißt:
Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht,
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden,
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Mutes in den Himmel,
Und holt herunter seine ew’gen Rechte,
Die droben hangen unveräußerlich...
Das ist unsere Perspektive heute.
Freiheit für Leben jenseits der Erde
Am 24. November 1984 nahm das Schiller-Institut die „Erklärung der
unveräußerlichen Menschenrechte“ an, eine leicht veränderte Fassung der
amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, bezogen auf die ganze Menschheit.
Schiller unterstützte 1805 nicht nur die Amerikanische Revolution, er nahm
gleichzeitig auch die Notwendigkeit von Lincolns Emanzipationserklärung
[Sklavenbefreiung] vorweg. Ich würde heute sogar sagen, er nahm Franklin
Roosevelts Vier Freiheiten vorweg, und auch den von Krafft Ehricke
formulierten Grundsatz, daß der Mensch die Freiheit haben muß, sich über den
Planeten Erde hinaus zu verbreiten, um so sein wahres Menschsein zu
verwirklichen.
Und ich möchte nochmals meinen persönlichen Dank an Helga Zepp-LaRouche
ausdrücken, dafür, daß sie mich und unsere Organisation und dadurch Menschen
in ganz Amerika und überall auf der Welt mit Friedrich Schiller bekannt
gemacht hat. Ich zähle ihn zu meinen besten Freunden, und ich hoffe, Sie tun
das ebenfalls. Damit grüße ich nochmals die Feiern zu Schillers
Geburtstag.
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