Das Radio Research Project
Der Feldzug zur Ausrottung der klassischen Musik in Amerika eskalierte in
den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts dramatisch. Das von der
Rockefeller-Stiftung finanzierte „Radioforschungsprojekt“ (Radio Research
Project) an der Universität Princeton untersuchte ab 1937 die Wirkung der
„Massenmedien“, wie man sie später nennen sollte, und ein wichtiges Ergebnis
davon war das Radioformat der „Hitparade“, der sogenannten „Top 40“. Das
Interesse an den propagandistischen Möglichkeiten des Radios nahm noch massiv
zu, nachdem bei der Ausstrahlung von Orson Welles’ Hörspiel Krieg der
Welten am Vorabend von Halloween 1938 ein Viertel aller Zuhörer überzeugt
war, New Jersey würde tatsächlich von Außerirdischen vom Mars oder von den
Deutschen angegriffen.
Die Hitparade „Top 40“ war eine „quantitative Beliebtheitsumfrage“, auf der
Grundlage von Theorien der Projektleiter Paul Lazarsfeld und T.W. Adorno, wie
man die Bevölkerung am leichtesten glauben machen könnte, daß sie unabhängig
und rein „auf vielfachen Wunsch“ entscheiden, was sie mehrmals am Tag in ihren
Radiogeräten hören wollten. Für die „Top-40“-Radioprogramme der 50er und 60er
Jahre galt eine eiserne Regel: Mit ganz wenigen Ausnahmen durfte kein
Musiktitel länger als vier Minuten sein. Damit wurde praktisch sämtliche
klassische Musik aus den Radioprogrammen verbannt, ausgenommen die
Sonntagsübertragungen aus der Metropolitan-Oper oder andere
„Sondersendungen“.
Verbrämt als theoretisch unbegrenzte Vielfalt wurden auf diese Weise die
Zuhörer jahrzehntelang einem strengen, willkürlichen Formalismus unterworfen,
dessen Hauptzweck war, die Konzentrationsspanne aufmerksamer Hörer zu
verkürzen. Das änderte sich erst Ende der 60er Jahre, als die in den
unmittelbaren Nachkriegsjahren geborene Generation der „Babyboomer“, deren
Musikgeschmack während ihrer gesamten Kindheit und Jugend schon wesentlich
durch das Projekt beeinflußt worden war, den größten Umsatz im
Schallplattengeschäft machte. (Schallplatten ersetzten nach und nach die
Hausmusik, die vorher weitverbreitet gewesen war, als noch in vielen Häusern
Klaviere standen.)
Was als „demokratischer Ausdruck des Zeitgeschmacks“ daherkam, diente
letztlich dem gleichen Ziel wie die Tätigkeit des Propagandaministers Joseph
Goebbels im Dritten Reich: sich das einflußreiche, noch neue Medium des Radios
für propagandistische Zwecke zunutze zu machen. Auf diese Weise wurde durch
„klammheimliches Ermuntern“ verrücktes und unmoralisches Verhalten als
vermeintlich „in“ gefördert - ganz ähnlich wie heute im Internet.
Zu den Mitgliedern des Radio Research Project gehörten:
- Frank Stanton, Präsident von CBS von 1946 bis 1971 und
Vorsitzender der Rand Corporation von 1961 bis 1967.
- Gordon Allport, führender Vertreter des britischen Tavistock-Instituts
in den Vereinigten Staaten.
- Theodor W. Adorno, führendes Mitglied der Frankfurter Schule, früherer
Kader der Kommunistischen Internationale (Komintern) und lautstarker
Verfechter der „Zwölftontechnik“ des inzwischen weitgehend vergessenen Arnold
Schönberg.
- Paul Lazarsfeld, Leiter des Projekts, oft auch als „Vater der
amerikanischen Soziologie“ bezeichnet. Er verwendete häufig quantitative
Analysemethoden, den Vorläufer der Systemanalyse, die später an der Rand
Corporation und anderswo praktiziert wurde. Er wurde einmal mit dem Satz
zitiert, sein Ziel in der Soziologie sei, „mehr Paul Lazarsfelds zu
produzieren“, was ihm leider gelungen ist.
Das Projekt beruhte auf früheren theoretischen Arbeiten bei der
Untersuchung von Kriegspropaganda und -psychosen und den Arbeiten Walter
Benjamins und Theodor Adornos von der Frankfurter Schule. Diese früheren
Arbeiten liefen auf die These hinaus, daß die Massenmedien dazu benutzt werden
könnten, regressive Geisteszustände zu induzieren, die Individuen zu
„atomisieren“ und eine erhöhte Labilität zu erzeugen. Dieser von außen
induzierte Geisteszustand wurde später von der darauf spezialisierten
britischen Tavistock-Klinik als „gehirngewaschen“ bezeichnet.
1938 schrieb Theodor W. Adorno als Leiter der Musikabteilung des Projekts,
die Hörer von Radioprogrammen „wechseln ab zwischen umfassendem Vergessen und
plötzlichem Eintauchen in Erkenntnis. Sie hören atomistisch und dissoziieren,
was sie hören... Sie sind nicht wie Kinder, aber sie sind kindisch; ihr
Primitivismus liegt nicht darin, daß sie unentwickelt sind, sondern daß sie
zwangsweise retardiert sind.“
Das Ziel war die Schaffung einer neuen Form der autoritären Gesellschaft -
nicht der „Große Bruder“ aus George Orwells 1984, sondern Millionen
„Kleine Brüder“, eine Diktatur wie in Herr der Fliegen: die Diktatur
der Konformität. Adorno schrieb (hier bezogen auf die Musik des Modernisten
Igor Strawinsky) in seinem Buch Die Philosophie der Neuen Musik:
„Sind die autoritären Charaktere von heutzutage ausnahmslos Konformisten, so
wird der autoritäre Anspruch von Strawinskys Musik ganz und gar auf den
Konformismus übertragen... Schließlich will sie ein Stil für alle sein, weil
sie mit dem Allerweltsstil zusammenfällt, an den sie ohnehin glauben und den
sie ihnen nochmals aufredet.“ Die durchgängige Verwendung von starken Rhythmen
als eine Art „militaristische“ Konstante in allen Formen der „Popmusik“ - im
Schlagzeug, in den Baßlinien oder im rhythmischen „Hip-Hop“-Geschrei - ist das
beste Beispiel für die Vorherrschaft dieses diktatorischen, autoritären
Prozesses.
dhs/lw
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