„Das neue Paradigma ist in greifbarer Nähe“
Von Helga Zepp-LaRouche
Helga Zepp-LaRouche schloß die New Yorker Konferenz mit den
folgenden Bemerkungen.
Es gibt einen Bereich, über den wir heute nicht genug gesprochen haben, und
das ist, daß wir dringend eine neue kulturelle Renaissance auf der gesamten
Erde brauchen. Ich denke, daß wir uns alle einig sind, und das wurde ja auch
schon von Ramsey Clark angesprochen, daß die populäre Kultur schrecklich
ist, satanisch. Sie verwandelt Menschen in wilde Tiere - nein, so schlimm sind
nicht einmal wilde Tiere. Ich kenne kein Tier, das so bestialisch wäre, wie es
Menschen manchmal werden.
Wir brauchen also dringend eine Renaissance. Wie kommen wir aus einem
Finsteren Zeitalter in eine neue Renaissance?
Wir haben die Universalgeschichte der Zivilisation studiert, und Jeff
[Steinberg] hat schon den Decamerone und das Finstere Zeitalter des 14.
Jahrhunderts erwähnt. Wie kam die Menschheit in das Goldene Zeitalter der
italienischen Renaissance, die ein völliger Bruch mit allen Axiomen der Hexerei
und der Flagellanten des Finsteren Zeitalters war? Die Menschen des 14.
Jahrhunderts, als die Schwarze Pest wütete, wurden wirklich zu Bestien, weil
die Schrecken so groß waren, daß sie jedes menschliche Gefühl, jede
Menschlichkeit verloren. Mütter machten sich nicht mehr die Mühe, ihre toten
Kinder zu begraben. Die Menschen waren vollkommen entmenschlicht.
Und die Zivilisation wurde dann durch eine Handvoll Menschen gerettet, die
auf die Höhepunkte der früheren Zivilisationen zurückgriffen, die griechischen
Klassiker, Dante, Petrarca, und sie begannen, die Schätze aus der antiken
Vergangenheit wiederzubeleben. Und dafür war die Methode, Handschriften und
Originalschriften der Humanisten zu sammeln, absolut entscheidend.
Mein erster Rat ist also, alle diese Bücher mit Fußnoten wegzuwerfen oder
zumindest erst mal in den Keller zu schaffen, und zu den Originalquellen
zurückzukehren. Gehen Sie zurück zu Platon, gehen Sie zurück zu Augustinus.
Gehen Sie zurück zu Konfuzius. Lesen Sie die großen Denker der anderen
Kulturen.
Das geschah in der italienischen Renaissance so: Es gab eine Reihe begabter
Menschen, die das bereits wieder aufgegriffen hatten, aber wirklich in Gang kam
es erst, als Nikolaus von Kues eine ganze Delegation der griechisch-orthodoxen
Kirche dafür gewann, am Konzil von Florenz teilzunehmen, und sie brachten alle
Bücher von Platon mit. Platon war 1700 Jahre lang in Vergessenheit geraten,
nachdem Griechenland nach dem Peloponnesischen Krieg zusammengebrochen war. Und
schon Petrarca hatte versucht, wenigstens eine Übersetzung zu finden, von der
er wußte, weil er Augustinus gelesen hatte, sodaß ihm wenigstens klar war, daß
die platonischen Schriften sehr wichtig sein mußten. Aber er konnte sie nicht
finden.
Aber als die Delegation der griechisch-orthodoxen Kirche kam - Plethon,
Bessarion und andere berühmte Gelehrte -, traf sie zum Glück die Medici, und
sie gründeten eine platonische Schule. Da begann die italienische Renaissance
erst richtig zu blühen, und sie schuf die Grundlage für die folgenden 600 Jahre
der kulturellen Entwicklung des Westens.
Kunst und Wissenschaft
Die Lehren, die wir daraus ziehen können, hängen mit zwei Dingen
zusammen.
Auf der einen Seite müssen wir uns den BRICS-Staaten anschließen, schon aus
dem einfachen Grund, weil die Menschen in den BRICS-Staaten nicht so
pessimistisch sind. Sie sind optimistisch. Sie denken an die Zukunft. Sie
denken darüber nach, wie man die Zukunft gestalten kann. Und dieser Optimismus
ist sehr ansteckend. Lassen Sie sich also von dem Optimismus dieser Länder
anstecken.
Aber gleichzeitig müssen wir zur Wissenschaft, zur Technik und zur großen
klassischen Kunst zurückkehren und die großen Beiträge der Vergangenheit
studieren.
Warum, denken Sie, haben wir in jeder Konferenz, die wir veranstalten,
soviel klassische Musik und Spirituals? Weil wir die moralische Seite der
Menschen verändern müssen. Wir müssen die ästhetische Seite der Menschen
verändern. Die Menschen haben keinen Geschmack mehr! Sie haben vergessen, was
es bedeutet, klassische Musik zu lieben! Wir müssen sie also studieren.
Deshalb hat Diane Sare unseren Chor für New York und New Jersey gestartet,
um den Belcantogesang zu lernen. Kommen Sie jede Woche, oder wann immer sie
stattfinden, zu den Proben und lernen Sie, so zu singen wie die wunderbaren
Sänger, die wir heute gehört haben. Jeder kann singen lernen. Ihre Stimme ist
ein Instrument, und wenn Sie erst einmal anfangen, Mozart, Beethoven, Schubert,
Verdi und andere große Komponisten zu meistern und sich zueigen zu machen, daß
Sie wissen, wie man die Musik singen oder spielen muß, dann werden Sie sehen:
Es wird Sie verändern. Sie werden ein ganz anderer Mensch werden.
Befassen Sie sich dann mit den großen Dichtern. Lesen Sie Shakespeare, lesen
Sie Schiller, lesen Sie Shelley und andere. Und Sie werden sehen: Diese Dinge
werden zu Geistesmassen, Gedankendingen in ihrem Geist, und man wird Schritt
für Schritt, immer wenn man sich ein neues Wissensgebiet erschließt, eine
harmonischere Persönlichkeit. Und man weiß, daß man seine Emotionen verändern
kann. Man kann bewußt eine schöne Seele werden.
Die Menschen gehen in Fitneßstudios und trainieren, wie man die Muskeln
aufbaut, indem man die Maschine entsprechend bedient, und sie verwenden eine
enorme Energie darauf, aber sie konzentrieren sich nicht darauf, eine schöne
Seele zu werden. Schöne Körper sind okay, ich bin da nicht dagegen, aber schöne
Seelen sind etwas wichtiger. Und Friedrich Schiller, nach dem das
Schiller-Institut benannt ist, hatte genau diese Vorstellung, daß jeder Mensch
eine schöne Seele werden kann: ein Mensch, für den Freiheit und Notwendigkeit
das gleiche sind; Menschen, die ihre Pflicht mit Leidenschaft üben und frei
sind, indem sie es tun.
Und Sie können Ihren Charakter so entwickeln, daß er dem entspricht, was die
Nationalbank, die Neue Entwicklungsbank usw. schaffen werden.
Unser hochgeschätzter Freund Krafft Ehricke - ein deutsch-amerikanischer
Wissenschaftler, der die Saturn-Rakete für das Apollo-Programm entwickelte -
hat gesagt, das Schiller-Institut sei deshalb so wichtig, weil man alles
zum Guten wie zum Schlechten verwenden kann. Man kann jede Technologie, jedes
Instrument verschieden nutzen. Man kann Papier dazu verwenden, Menschen zu
betrügen, aber man kann es auch für anderes verwenden. Es gibt nichts
Objektives, alles ist subjektiv: Ist der Mensch, der diese Dinge verwendet,
eine erhabene, edle Seele, ein moralischer Mensch, ein ästhetischer Mensch oder
nicht?
Wir müssen also all das miteinander verbinden: Infrastruktur, neue
Kreditinstitutionen, neue Wissenschaften. Und all das muß immer damit verbunden
sein, Ihre Seele immer schöner zu machen und eine Renaissance von Menschen zu
erschaffe, die ihre Identität nicht in den Besitz von Geld oder Macht legen,
sondern deren Identität in der Kreativität der Menschheit liegt und die mit
ihrem Leben dazu beitragen, daß die Menschheit voranschreitet, oder in den
Worten Wernadskijs: daß die Herrschaft der Noosphäre über die Biosphäre immer
stärker wird.
Wenn man die lange Evolution der Menschheit anschaut, dann sieht man, daß da
ein enormer Fortschritt ist. Und je mehr Menschen Künstler, Wissenschaftler,
Lehrer werden, und vor allem Entdecker in der klassischen Kunst und in der
Wissenschaft, desto mehr Menschen werden besser werden und um so weniger werden
sie den Wunsch haben, anderen Menschen Böses anzutun. Denn wenn Sie einen
Wissenschaftler oder einen großen Komponisten oder Musiker fragen, was er will,
wird er Ihnen sagen: „Ich bin so glücklich, daß ich meine Arbeit tun kann, denn
das ist meine Identität. Selbst wenn ich nicht mehr Geld bekomme, würde ich
doch das gleiche tun.“
Und das ist die Zukunft der Menschheit. Die Menschheit wird aufhören,
kleine, habgierige Bösewichte zu sein, die ihre Nachbarn betrügen. Ich denke,
das sind wir Menschen nicht, sondern wir sind [das Gute], was wir sein
könnten.
Und ich bin optimistisch, daß ich noch in meiner Lebenszeit - und so jung
bin ich ja nicht mehr - ein völlig neues Paradigma der Zivilisation erleben
werden. Denn das ist in greifbarer Nähe. Und ich möchte, daß Sie sich unseren
Bemühungen anschließen, damit dies so bald wie möglich geschieht.
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