Der Kampf aus der Sicht Griechenlands
Von Dean Andromidas
Die folgende Rede hielt Dean Andromidas, Korrespondent von
EIR in Wiesbaden, auf der Konferenz des Schiller-Instituts am 13.-14
Juni in Paris.
Ich war gerade eine Woche lang in Griechenland, wo ich als eine Art
Ansprechpartner des Schiller-Instituts fungiere. Es war meine vierte
Griechenlandreise in fünf Jahren. Bisher kam es mir so vor, als würde man ein
Konzentrationslager besuchen: Die Menschen litten schrecklich, sie waren
verzweifelt. Sie lebten unter einer Quisling-Regierung und spürten, daß die
Situation hoffnungslos war.
Jetzt war es wie Stalingrad: Das Elend geht weiter, aber die Griechen haben
jetzt eine vom Volk gewählte Regierung - ein Signal an die Europäer, daß sie
es satt haben. Sie haben die wohl radikalste Regierung gewählt, die in den
letzten 100 Jahren in einer europäischen Hauptstadt im Amt war. Das Leiden
geht weiter, aber der Kampf hat begonnen, und das ist sehr, sehr wichtig.
Alle Menschen hier im Raum sollten verstehen, was ihre persönliche
Verantwortung in dieser Zeit sein sollte.
Ich möchte Ihnen eine anschauliche Idee vermitteln, wie die Situation in
Griechenland aussieht. Ich bin jedesmal aufs neue entsetzt; bei jedem Besuch
in den letzten fünf Jahren hat sich die Situation weiter unerträglich
verschlechtert. Die neue Regierung erbte eine Politik des Völkermords, die
Griechenland von den EU-Institutionen auferlegt wurde. Man sieht es überall.
Hier in den Zeitungen steht, daß die Arbeitslosigkeit bei 27% liege; sie
beträgt aber nicht 27%, sondern 45%. Man berichtet Ihnen nicht über die
300.000 kleinen Geschäfte, die bankrott gegangen sind. Das taucht in den
offiziellen Arbeitslosenzahlen nicht auf. Man muß nur nach Athen fahren und
all die zugenagelten Geschäfte sehen. Das waren alles kleine Geschäfte, die
Familien ernährten.
Es geht also real um 45%. Wie leben die Menschen? Oft nur mit der Rente
ihrer Großeltern - bis zu zehn Personen. Die Großeltern, ihre Söhne, die
Familien ihrer Söhne - drei Generationen werden von einem einzigen Haushalt
unterhalten. Sie leben von einer Rente von 400 Euro im Monat; die Renten
wurden um 25-45% gekürzt. Und nun fordert Brüssel, daß die Regierung die
Renten einen Monat lang nicht auszahlt, damit die Schulden bedient werden
können. Das ist die Situation.
Die Aussichtslosigkeit im Lande ist unerträglich. Ich habe mit ganz
normalen Leuten gesprochen - Taxifahrern, Geschäftsleuten. Die Unsicherheit
durchzieht alle Schichten. Der Rentner ist nicht nur darüber besorgt, ob er
seine Rente bekommt, sondern auch darüber, ob er seine Medikamente bezahlen
kann, die ihn am Leben halten. Die Europäische Zentralbank schneidet
Griechenland die Liquidität ab, aber sie überflutet bankrotte Banken in
Frankreich und Deutschland mit Geld - ohne Gegenleistung. Griechenland
hingegen bekommt nichts.
Sie müssen verstehen, was es bedeutet, wenn das Bankensystem nicht liquide
ist. Gesunde Unternehmen oder Hotels bekommen kein Geld, das sie für ihre
täglichen Geschäfte brauchen. Ihnen wird von der EU verordnet, die Löhne auf
300 Euro pro Monat zu kürzen, um ausländische Investitionen anzulocken. Aber
ausländische Investitionen bleiben aus. Wer wird es schon riskieren, jetzt in
Griechenland zu investieren - bei all der Unsicherheit und angesichts der
Tatsache, daß die Wirtschaft kollabiert?
Athens Geschäftsviertel - das Hauptgeschäftsviertel des Landes - sieht aus
wie eine Drogenszene. Wenn man die Straßen entlang geht, sieht man, wie sich
Abhängige Drogen spritzen.
Wir mußten einmal vor dem Archäologischen Museum, einem der schönsten
neoklassischen Gebäude Europas, auf einen Bus warten. Ich war so gekleidet wie
jetzt [in einem Anzug], doch als ich mich umsah, fiel mir auf, daß ich der
einzige war, der so gekleidet war. Die griechische Nationalkleidung scheinen
blaue Hosen zu sein - nicht Designer-Jeans, sondern einfache blaue Jeans, die
billig sind. Wer arbeitslos ist, kann sich keine gute Kleidung leisten. Doch
das sieht man nicht bloß auf den Straßen, auch die Leute in den Ministerien
laufen so herum! Erst dachte ich, okay, das ist ihr Stil als linke
SYRIZA-Regierung, aber nein! Das ganze Land ist verarmt!
Doch jetzt regt sich Widerstand. Die Regierung wird von der SYRIZA-Partei
gestellt, die bis zum Januar 2015 nie mehr als 4% der Stimmen bekommen hatte.
Jetzt stimmten das ganze Land, alle Bevölkerungsschichten, Leute der
konservativen Partei genauso wie die Linken für diese Regierung, und zwar, um
ein Zeichen an Brüssel, Berlin, Paris und die anderen Länder zu senden, daß es
die griechische Bevölkerung satt hat.
Wenn man sich SYRIZA genauer anschaut, dann ist das keine normale „linke“
Partei, nicht der übliche sozialistische Gemischtwarenladen. Griechenland hat
eine einmalige Nachkriegsgeschichte. Einige versuchen SYRIZA als
Eurokommunisten hinzustellen, da viele von ihnen bei den Kommunisten waren,
dann aber die traditionelle Kommunistische Partei verließen, weil diese nichts
für das Land tat. Darüber hinaus waren einige ihrer Anführer, die in meinem
Alter sind, als Studenten politische Gefangene. Unter der Militärdiktatur
1967-1974 waren viele, die jetzt Minister sind oder andere hohe Ämter
bekleiden, ins Gefängnis geworfen worden. Sie wurden gefoltert, weil sie als
Studenten gegen das Regime kämpften. Das ist etwas Einmaliges.
Widerstand
Griechenland hat eine 3.000 Jahre lange Geschichte des Widerstands. Es gab
die Persischen Kriege, Kriege gegen das Osmanische Reich und gegen das
Britische Empire. Und heute steht Griechenland im Krieg gegen das Britische
Empire, der noch nicht vorbei ist.
Viele Griechenland-Kenner und europäische Professoren der klassischen
Geschichte versuchen uns einzureden, daß die heutige griechische Bevölkerung
nichts mehr mit den alten Griechen zu tun habe, nicht einmal die Sprache sei
mehr die gleiche. Wenn man das heute einem Griechen zu erklären versucht, wird
er Sie am liebsten umbringen wollen. Denn die Griechische Klassik gibt ihnen
heute Stärke.
Die Frage des Widerstandes ist tief verwurzelt. 1942 war ein 16jähriger
Junge im von den Nazis besetzten Athen auf die Akropolis geklettert und hatte
die Naziflagge heruntergeholt. Mit dieser Tat begann der europäische
Widerstand. Dieser Junge ist jetzt 90 Jahre alt und sitzt für die SYRIZA im
Europaparlament.
Das ist die Natur des Widerstandes. Alle machen mit. Es ist ein Widerstand
von Menschen aller Altersgruppen. Vor allem Leute im Ruhestand, die einmal für
die Regierung oder in der Politik tätig waren, aber sich vor der Krise nicht
engagiert hatten, kämpfen jetzt den Kampf ihres Lebens. Ich habe mit diesen
Leuten gesprochen. Viele von ihnen sind 70 Jahre und älter, wie der ehemalige
Botschafter Chrysanthopoulos, ein pensionierter Diplomat. Er mußte sein Auto
verkaufen, aus seiner Wohnung ausziehen und wieder in sein Haus auf dem Land
zurückkehren; doch er kämpft. Und es gibt viele mehr. Also der Widerstand ist
da.
Noch ein weiterer Widerstandskämpfer, Mikis Theodorakis, ist sehr wichtig,
denn er verkörpert eine Tradition, die die Leute heute in ihrem Kampf
motiviert. Mikis Theodorakis, falls Sie den Namen nicht kennen, ist der
berühmteste moderne Komponist Griechenlands. Er wird demnächst seinen 90.
Geburtstag feiern. Er ist sehr krank, denn die Wunden, die ihm durch Folter
wegen seines Widerstandes während des Krieges, während des Bürgerkrieges in
den 40er Jahren und während der Militär-Junta in den 60er und 70er Jahren
zugefügt wurden, haben seine Gesundheit ruiniert, und er kann nicht mehr so
aktiv sein.
Aber dieser Mann ist eine lebende Legende, ein Symbol des Kampfes. Er schuf
in den 50ern und 60ern eine neue Musik. Dazu verwendete er die sehr bewegenden
Gedichte moderner griechischer Dichter, viele von ihnen Nobelpreis-Träger, die
die Bürgerkriege und die Nazibesatzung erlebt hatten, und vertonte sie. Mit
Hilfe dieser Musik begann er in den 50er und 60er Jahren die Bevölkerung
politisch zu mobilisieren. Und viele junge Leute, die Teil dieser Bewegung
waren, sind jetzt in der Regierung. Also der Widerstand ist da.
Bei meiner Ankunft nahm ich ein Taxi. Ich spreche immer mit den
Taxifahrern, da ich selbst einmal einer war und mich mit ihnen solidarisch
fühle, und sie kennen die lokale Situation. Ich fragte ihn: „Was denken Sie
über die neue Regierung?“ Er sagte: „Die Regierung bemüht sich.“ Und weiter:
„Wissen Sie, wir fühlen uns nicht als ein Teil Europas; wir fühlen, daß uns
Europa gehört. Wir Griechen haben Europa geschaffen.“ Das ist die Einstellung,
die sie haben.
Einer meiner Freunde in Griechenland ist Ingenieur. Dort werden jetzt alle
massiv besteuert. Die Ungeborenen werden besteuert, die Arbeitslosen werden
besteuert, und wenn Sie Kinder haben, zahlen Sie höhere Steuern.
Er sagte zu mir: „Wir Ingenieure zahlen Steuern“ - trotz der Tatsache, daß
viele nicht arbeiten, aber sie gelten als unabhängige Berater. Viele von ihnen
haben Steuerschulden. Er sagte zu mir: „Wir treffen uns im Ingenieur-Verband,
doch wir sitzen da nicht herum und beschweren uns; wir diskutieren die jetzige
Krise vom Standpunkt von Sokrates und Platon, um deren Konzepte anzuwenden und
die Krise durchzukämpfen.“
Was getan werden kann
Lassen Sie mich folgendes hier hinzufügen. Bevor ich nach Griechenland
fuhr, fragte ich mich natürlich: „Was soll ich den Leuten sagen?“ Soll ich
ihnen sagen: „Schaut, es ist die Finanzoligarchie“? Ich denke, Sie wissen das
schon. Soll ich ihnen sagen: „Ihr müßt das Glass-Steagall-Trennbankensystem
einführen!“? Glass-Steagall ist schon Teil ihres Programms; die meisten Leute
würden die Banker am liebsten aufhängen. Soll ich ihnen sagen: „Arbeitet mit
den BRICS zusammen“? Sie haben sich bereits den BRICS angeschlossen. In
gewisser Hinsicht sind sie mehr für die BRCIS, als die BRCIS für sie sind. Sie
wissen all das, sie handeln bereits danach.
Ich werde ihnen nicht sagen: „Verlaßt doch einfach die Eurozone!“ Warum
sollte Griechenland, das schwächste aller Länder, die schwierigste Aufgabe von
allen übernehmen? Griechenland ist nicht Deutschland oder Frankreich. Es hat
nicht die Ressourcen, diese Verantwortung jetzt zu übernehmen. Man könnte auch
raten: „Ihr solltet eine Nationalbank gründen“ und so weiter - aber sie
brauchen Importe. Wer soll die Medikamente bezahlen, die sie importieren
müssen?
Als politischer Aktivist und Repräsentant einer politischen Bewegung in
Europa und den USA sagte ich ihnen, was wir in dieser Lage tun, wie
wir diesen Krieg führen. Denn es ist ein Krieg. Die Griechen stehen
derzeit, wie man im Militär sagt, an vorderster Front; sie haben eine Mission,
sie bekamen diese Mission von einem Befehlshaber, der über uns allen steht,
und sie führen diese aus. Sie kennen ihre Verantwortung und übernehmen ihre
Verantwortung.
Wie unter solchen Umständen am angebrachtesten, übermittelte ich ihnen die
Ideen und Analysen von Lyndon LaRouche, dem Gründer dieser Organisation, der
ein außerordentliches Verständnis der jetzigen Situation hat, vor allem was
die USA angeht.
In den USA, sagt LaRouche explizit, müssen wir das Glass-Steagall-Gesetz
durchsetzen - wir waren diejenigen, die diese Bewegung in Gang gebracht haben
-, und wir müssen uns den BRICS anschließen, auch dafür haben wir mobilisiert.
Jetzt gibt es einen wichtigen Durchbruch mit dem ehemaligen Gouverneur von
Maryland, Martin O'Malley, der seine Präsidentschaftskandidatur erklärt hat.
Nach LaRouches Auffassung sei O'Malley im Moment der einzig kompetente
Kandidat, weil er Glass-Steagall und die Wall Street zum Hauptthema seiner
Kampagne macht.
Ich erzählte ihnen, daß wir nicht Wahlkampf für O'Malley führen, sondern
dafür sorgen, daß das erforderliche Umfeld einer neuen Präsidentschaft
entsteht, um die Probleme zu lösen, mit denen wir heute konfrontiert sind; das
sei die beste Methode, um jemanden mit Qualifikationen wie O'Malley ins Weiße
Haus zu bekommen.
Ich sagte ihnen, daß Griechenland handeln müsse, um diese Entwicklung zu
beeinflussen und die Veränderung zu schaffen. Denn wenn in den USA die Wende
geschafft werden kann, dann haben wir die Macht, die Politik in Europa zu
ändern.
Diejenigen, die der griechischen Regierung am nächsten stehen, haben das
sofort verstanden. In ihrem Denken gibt es daran keinen Zweifel. Sie sagten:
„Sie haben völlig Recht, so müssen wir handeln.“
Was können Sie hier im Publikum zu diesem Kampf beigetragen, um die
bösartige Oligarchie zu zerstören, die für die Situation in Griechenland
verantwortlich ist? Denn die Krise wird sich in ganz Europa ausbreiten, wenn
wir die Oligarchie nicht stoppen. So müssen wir denken und handeln.
In Griechenland gibt es einen berühmten, von allen geliebten Schriftsteller
namens Nikos Kazantzakis, der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts
gewirkt hat. Auf seinem Grabstein steht: „Ich fürchte nichts, ich hoffe auf
nichts, und deswegen bin ich frei.“ Der Punkt ist: Ich handle, weil ich
handeln muß. Ich fürchte nichts, weil ich handeln muß. Ich handle nicht
notwendigerweise aus der Hoffnung heraus, daß eine Veränderung kommen wird,
sondern ich handle aus meiner Menschlichkeit heraus.
Das ist die Einstellung, die viele Griechen jetzt haben. Und das ist die
Einstellung, die wir brauchen, wenn wir diesen Raum verlassen. Handeln wir,
wie ich es sagte, um die Finanzoligarchie zu zerstören.
Unsere Waffe gegen die Oligarchie ist das Glass-Steagall-Trennbankensystem.
Unsere Verbündeten sind die BRICS, und unsere Kraft sind die Ideen, die wir
entwickeln können, um die Menschheit zu retten - nicht nur im Augenblick,
sondern auch in 50, 100 oder 200 Jahren.
Das ist es, worum es in Griechenland wirklich geht.