Friedrich Schiller Denkmal
Friedrich Schiller




Schiller-Institut e. V.
"Zweck der Menschheit ist kein anderer als die
Ausbildung der Kräfte des Menschen, Fortschreitung."
Friedrich Schiller

     Konferenz in Flörsheim, November 2012   

Dr. med. Antonio Güell
Raumfahrtmediziner aus Toulouse, Frankreich
 

Schriftlicher Beitrag

Wie Satelliten auf vielfältige Weise dem Gesundheitswesen dienen

Ich möchte mich zunächst bei den Veranstaltern des Schiller-Instituts für die Einladung bedanken, hier über ein Thema sprechen zu dürfen, das ich für äußerst faszinierend und interessant halte.

Ich bin 15 Jahre lang in der neuropsychiatrischen Klinik von Toulouse ärztlich tätig gewesen. Nach 15 Berufsjahren habe ich jedoch mein Leben völlig umgestellt, denn ich wurde stellvertretender Leiter der französischen Raumfahrtbehörde CNES, zuständig für Anwendungen im Weltraum und der Gesellschaft, für Patente, Technologietransfer usw.

Meine Arbeit in dieser Position endete am 1. Juli 2012, und ich bin seither im Ruhestand. Allerdings setze ich mich weiter dafür ein, daß der Nutzen von Satelliten allen Menschen auf der Welt zugute kommt.

Das Thema Ihrer Konferenz lautet „Ein neues Paradigma für das Überleben der Zivilisation“. Das Wort Paradigma kann im Französischen einer Gedankenfolge entsprechen, die einem oft dazu verhilft, eine eigene ursprüngliche Idee zu entwickeln, und ich betone dabei das Wort „ursprünglich“. Wie wir sehen werden, ist es unumgänglich, solche Ideen weiterzuverfolgen und Innovationen umzusetzen. Das Wort Innovation hat mich mein gesamtes Berufsleben als Arzt und dann bei der CNES begleitet, und Sie werden gleich verstehen, warum.

Ideen mögen technologisch, methodologisch oder humanitär sein, aber immer sind sie das Ergebnis wissenschaftlicher Grundlagenforschung, wie [mein Vorredner] Didier Schmitt mit Blick auf die Weltraumforschung im breitesten Sinne erwähnt hat. Diese Art der Forschung führt systematisch oder in 95% der Fälle zu angewandter Forschung, die das Wohlergehen der Bevölkerung eines bestimmten Landes, eines Kontinents oder der gesamten Menschheit fördert.

Mein Vortrag ist in vier Teile unterteilt.

Warum brauchen wir Innovationen in einem Bereich, den ich „Gesundheit und Satelliten“ nenne? Ich möchte Ihnen dafür zwei konkrete Beispiele nennen: Eines aus der Umwelt, und eines, das 7,5% der Leute hier im Raum betrifft; warum, sage ich Ihnen gleich. Anschließend werde ich einige Schlüsse ziehen und Empfehlungen für Innovationen nennen.

Medizinische Innovationen mit Hilfe ziviler Satelliten

Ich bin zwar im Ruhestand, doch ich arbeite weiter als Berater des Instituts für Weltraummedizin von Toulouse, das entstand, als die ESA, die CNES und die DLR in Deutschland ihre Beteiligung an dem Hermes-Raumfährenprojekt beschlossen, das dann aber aus politischen Gründen fallengelassen wurde.

Ich meine, es ist wichtig, im Kopf zu behalten, daß sich die Welt verändert. Ich meine damit nicht die Konflikte, auf die in vorangehenden Beitragen eingegangen wurde, sondern das, was ich als einfacher Arzt sehe, der für die Menschen da ist, in welchem Land oder auf welchem Kontinent sie leben oder welche Sprache sie auch sprechen. Die Welt verändert sich im medizinischen Bereich, da die Menschen immer älter werden, sei es in Europa, in Amerika oder im Nahen Osten.

Was ist die unmittelbare Folge hiervon für das öffentliche Gesundheitswesen? Chronische Erkrankungen, von denen bisher nur wenige betroffen waren, werden sich verdreifachen, wenn nicht sogar vervierfachen. In einer Studie des französischen Gesundheitsministeriums wurde festgestellt, daß, wenn die Regierung nichts gegen die Fettsucht unternähme, 25% der Bevölkerung in weniger als 30 Jahren fettsüchtig sein würde. Dickleibigkeit erzeugt viele chronische Krankheiten, vor allem Diabetes. Schon heute leiden 7% der Franzosen, 6,2% der Deutschen und 5% der Chinesen an Diabetes; und wenn man 5% von 1,3 Mrd. Menschen rechnet, dann sind das sehr viele Leute. Somit ist das Altern der Bevölkerung ein Veränderungsfaktor.

Ein weiterer Faktor im neuen sozialen Verfahren ist all das, was mit „Tele“ zu tun hat, wie Telearbeit und Gebäudeautomation. Man sitzt zu Hause im Sessel und drückt einfach nur eine Taste auf dem Computer, und alles geschieht automatisch. Man tut selbst nichts mehr, macht seinen Mittagsschlaf, ißt usw. Alles geschieht im Sitzen, was der zweite relativ wichtige Veränderungsfaktor ist.

Aufgrund der Krise in Europa, insbesondere in Südeuropa, haben wir leider immer weniger Geld, weswegen wir pragmatische und ganz praktische Ansätze brauchen.

Es gibt auch technische und wissenschaftliche Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie, sei es durch landgestützte Netzwerke oder Satellitennetzwerke, durch Nanotechnologien oder Biocaptors und Biosensoren. Dadurch werden neue Verfahren, neue Gewerbe, neue Arbeitsplätze entstehen. Auf medizinischem Bereich entwickelt sich daraus in Frankreich, Spanien, Italien und anderen europäischen Ländern - ich weiß nichts über Deutschland - eine Art „Entmedikalisierung“, d.h. ein Trend zu immer weniger Ärzten und Pflegepersonal, was sehr problematisch ist. Es ist absolut notwendig, bei diesen Veränderungen Überlegungen über das öffentliche Gesundheitswesen anzustellen, und wir werden sehen, welche Beiträge die Raumfahrt hierbei leisten kann.

Zu den Technologien, die entwickelt werden und immer positivere Ergebnisse bringen, zählen die Robotertechnik, die Telechirurgie und medizinische Bildgebung. Als ich 1970-71 meinen Facharzt in Neurochirurgie machte und ich einen Patienten mit Halbseitenlähmung nach einem Schlaganfall untersuchte, gab es noch keinen Röntgen- oder Magnetresonanzscanner. Wie sollte ich also eine richtige Diagnose stellen? Da fühlte man sich etwas wie ein Tierarzt.

Heute hat sich die Technologie weiterentwickelt, genauso wie die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Dadurch eröffnen sich Perspektiven für Konsultationen in entlegenen Orten, für personalisierte medizinische Behandlungen, für die Anleitung von Patienten und die Gesundheitsüberwachung zu Hause ohne persönliche Anwesenheit eines Arztes. Was folgt daraus? In 5-6 oder 10 Jahren werden Patienten - zumindest in den Augen jener Heilberufler, die an neuen IKTs und Übermittlungsverfahren zu Land oder per Satellit interessiert sind - immer seltener ins Krankenhaus gehen; statt dessen kommt das Krankenhaus zu ihnen. Die Ärzte werden nämlich über neuartige Datenverbindungssoftware und Instrumente und eine Vielzahl technologischer Systeme zur Überwachung und Diagnosestellung verfügen.

Jetzt etwas zu den Satelliten. Satelliten sind im Grunde wie Raketen; man muß dieser Tatsache ins Auge sehen. Genauso wie Raketen erfüllten Satelliten anfangs militärische Aufgaben. Jedoch gibt es Leute in den Raumfahrtagenturen, sei es in den Vereinigten Staaten, Rußland, Europa, Frankreich oder Deutschland, die etwas menschlicher denken und versuchen, zivile Anwendungen für den Einsatz von Satelliten zu finden.

Ich erinnere mich noch an die Satcoms; der erste [französische] Telekommunikationssatellit hieß Astérix. Auf Anordnung General de Gaulles war dieser Satellit damals heimlich entwickelt worden, weil ein Militär de Gaulle klargemacht hatte, daß Frankreich mit Hilfe dieses Satelliten viel schneller Informationen übertragen könnte; ansonsten würden wir im Morsezeitalter verbleiben. Das war 1966-67. Dieser Satellit war der Vorläufer von Télécom 1A, Télécom 1B usw.

Wer hat Satellitennavigationssysteme (GPS) entwickelt? Das amerikanische Verteidigungsministerium für den ersten Golfkrieg. Damals kamen erstmals einige GPS-Systeme auf den Markt. Heute ist der GPS-Markt riesig, und der Galileo-Markt wird es bald ebenso sein.

Die jüngste Entwicklung - die Erdbeobachtungssatelliten, die auf Betreiben des Militärs gebaut wurden, so daß sich unterschiedliche Armeen gegenseitig ausspionieren können - wird heute in verschiedenen Bereichen eingesetzt: So in der Landwirtschaft und der Tele-Epidemiologie.

Die meisten heutigen Satelliten werden inzwischen für zivile Anwendungen gebaut, für Beobachtung, Ortung oder Telekommunikation. Der Markt für Dienste mit zivilen Satelliten außerhalb des Militärs beläuft sich auf 100 Mrd. Euro im Jahr, was sich wie folgt verteilt: 75% für Telekommunikationsdienste, d.h. 75 Mrd. Euro, wovon 90% TV-Plattformen sind (CanalSat, Astra, Eutelsat usw.); 23% für GPS und Galileo (TomTom, Bankgeschäfte, Präzisionsarchitektur); die verbleibenden 2% dienen der Erdbeobachtung.

Bild: MEDES
Abb. 1: Vier Arbeitsfelder für den Einsatz von Satellitentechniken im Bereich der Medizin

Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Meine Erklärung basiert auf persönlichen Erfahrungen nach mehreren Jahren bei der CNES: Als wir die Verwendung von Satelliten definierten, entsprachen sie stets den sozialen Bedürfnissen potentieller Nutzer wie Landwirten, Stadtplanern usw., die verstanden, warum der Satellit für ihre Zwecke vorteilhaft wäre. Bei der Erdbeobachtung schickten jedoch nur DLR, CNES oder ESA ihre Ingenieure, die sich vor allem mit bildgebenden Verfahren auskannten, und sobald diese Satelliten entwickelt waren, wurden sie auf Raketen montiert, und schließlich kreisten Satelliten über unseren Köpfen, mit denen wir im Grunde nichts richtiges anzufangen wußten. Das ist die traurige Seite des europäischen Erdbeobachtungsprogramms (GMES).

1997 war für CNES und meine Kollegen ein wichtiges Jahr, denn der für uns zuständige Bildungs- und Forschungsminister Claude Allègre richtete damals an den CNES-Direktor die folgende Frage: „Können Satelliten für das Gesundheitswesen hilfreich sein, ja oder nein? Erbitte Bericht in 6-9 Monaten.“ Daraufhin fragte der CNES-Direktor mich als einzigen Arzt, eine Arbeitsgruppe einzurichten. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Ich könnte entweder eine Gruppe mit Ingenieuren von CNES, ESA und DLR, mit denen wir zusammenarbeiteten, einrichten oder ich könnte mich an die Anwender wie Ärzte, Krankenschwestern, Patienten wenden. Ich entschied mich für letzteres, und daraus ergaben sich vier Themen, von denen ich hier zwei erläutern will (Abbildung 1).

Satellitengestützte Gesundheitsdienste in entlegenen Gegenden

Das erste Thema ist die sogenannte Telekonsultation in isolierten, entlegenen Gegenden, das zweite ist die Tele-Epidemiologie. Die beiden anderen, Weiterbildung und häusliche Überwachung, beziehen sich nur auf die Sammlung und Übermittlung automatisierter Daten.

Telekonsultation nennt sich die Gesundheitsversorgung in isolierten Gegenden. Welchen Beitrag können Kommunikationssatelliten hierfür leisten? Und was verstehen wir überhaupt unter isolierten Gegenden? Das sind geographisch entlegene Gegenden wie die Tiefen des brasilianischen Amazonas, Wüsten oder das Hinterland von Nizza - das ist wirklich sehr abgelegen, wo man zwischen sieben Stunden und zwölf Tagen auf eine notfallmäßige Ultraschalluntersuchung warten muß. Und das nur 100 km von Nizza entfernt! Oder Französisch-Guyana mit seinen etwa 250.000 Einwohnern, von denen 122.000 etwa zwei Hubschrauberflugstunden vom nächsten Krankenhaus entfernt leben.

Auch aufgrund von Naturkatastrophen oder Industrieunfällen können Orte abgeschnitten werden. Ich selbst habe das in Toulouse erlebt, als dort die Düngemittelfabrik AZF explodierte, wobei 33 Menschen starben und 37.000 verletzt wurden, was innerhalb von zwei Tagen viele Krankenhausbehandlungen bedeutete. Ein ganzer Stadtteil von Toulouse wurde schwer beschädigt. Wir waren überrascht, daß es nicht mehr Tote gegeben hat. In den ersten zwei Tagen konnten die Ärzte untereinander und mit den Rettungskräften und den Krankenhäusern nur über Satellit kommunizieren. Wir betrachteten das als isolierten Ort. Bei einem Erdbeben, einem Tsunami oder selbst bei einem Staatsstreich fallen als erstes die landgestützten Kommunikationssysteme aus. Mit Telekommunikations- oder Navigationssatelliten läßt sich dann gut arbeiten.

(Das war im übrigen auch der Grund, warum Hugo Chavez, als er vor sieben oder acht Jahren von der CIA und der spanischen Polizei entführt wurde, entkommen konnte: Er hatte einen GPS-Sender in der Tasche, ein Geschenk seiner Frau, so daß er sehr schnell geortet werden konnte.)

Weitere isolierte Orte sind Schiffe, Flugzeuge und zivile oder militärische Expeditionen. Ein Airbus 380 zum Beispiel oder bestimmte Charterflugzeuge werden einmal bis zu 1.052 Passagiere befördern können. Während eines 15stündigen Nonstopflugs kann immer ein medizinisches Problem auftauchen, das die Flugbegleiter - und selbst ein Arzt an Bord - nicht lösen können. Wenn die Durchsage kommt: „Befindet sich ein Arzt an Bord?“ so wird zumindest in Frankreich ein Arzt dies geflissentlich überhören. Denn was die Arzthaftung an Bord eines Flugzeugs betrifft, so haben es die Franzosen dummerweise den Amerikanern nachgemacht.

Und es kann, wie gesagt, in geographisch entlegenen Gegenden wie im Fall Nizza und manchmal sogar in Ballungsgebieten zu einem Mangel an Ärzten und Rettungskräften kommen.

Bild: ESA
Abb. 2: Mit Mitteln der ESA entwickeltes ferngesteuertes Ultraschallgerät

Betrachten wir einige Hilfsmittel für die Gesundheitsversorgung, die dank der Raumfahrt entwickelt wurden. Dieses Ultraschallgerät (Abbildung 2) wurde mit Geldern entwickelt, die [mein Vorredner] Didier Schmitt vergeben hat. Der Tastkopf wird dabei auf den Bauch oder eine andere Körperstelle des Patienten gebracht und mit einem „Joystick“ gelenkt, der 100, 1000 oder 15.000 km entfernt ist - oder auch nur im Raum nebenan. Das nennt sich „Fern-Ultraschall“. Dieses Gerät gibt es bereits. In Frankreich wurden drei mittelständische Unternehmen gegründet, um die dazugehörigen Teile herzustellen.

Bild: MEDES
Abb. 3: Für den Einsatz in abgelegenen Gebieten entwickeltes mobiles Untersuchungszentrum, dessen Daten per Satellitenverbindung an ein Krankenhaus übertragen werden können

In Abbildung 3 ist ein weiteres Produkt zu sehen: Ein Kleintransporter mit einer Satellitenantenne auf dem Dach, über die Bilder und relativ große Datenmengen von jedem beliebigen Standort an ein Krankenhaus übertragen werden können.

Bild: MEDES
Abb. 4: Mobile Telekommunikations- zentrale
für den Einsatz in Katastrophenfällen

Abbildung 4 zeigt Geräte für den Notfall, wie sie der französische Zivilschutz einsetzt, denn bei einer Naturkatastrophe fallen meist zuerst die Kommunikationseinrichtungen aus.

Bild: MEDES
Abb. 5: Mobiles Gerät zur EKG- und Blutdruck-
messung, dessen Daten automatisch an das
nächste Krankenhaus übertragen werden

Dieser Behälter (Abbildung 5) wurde im Januar vor zwei Jahren in Haiti eingesetzt - ein kleines Gerät, das inzwischen weiter miniaturisiert wurde. Es hat einen Computer und Geräte zur EKG- und Blutdruckmessung, und alle diese Daten werden aufgezeichnet und automatisch an das nächste Krankenhaus übertragen.

Das DIABSAT-Projekt setzt sich aus den Wörtern Diabetes und Satellit zusammen. In Frankreich, in Spanien, in Italien, in vielen europäischen Ländern steigt die Zahl der Diabetiker. 80% von ihnen wissen gar nicht, daß sie zuckerkrank sind, und merken es erst, wenn sich Komplikationen einstellen. Vier Komplikationen müssen sehr ernst genommen werden. Der Patient kann erblinden, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden, seine Nieren können ausfallen und er kann sämtliche Empfindung an den unteren Gliedmaßen verlieren.

Einen Termin beim Augenarzt, Neurologen, Kardiologen oder einem Nierenspezialisten zu bekommen, kann ein wahrer Hindernislauf werden. Um in Paris einen Augenarzttermin zu bekommen, muß man mindestens sechs Monate warten, in Toulouse sogar zwischen 12 und 15 Monaten.

Wie sind wir vorgegangen? Wir haben alle diese fachärztlichen Untersuchungsmöglichkeiten in einem Kleintransporter untergebracht. Darin fährt kein Arzt, sondern eine Pflegekraft mit, und der Wagen ist in ländlichen Gegenden unterwegs. Wir haben vor drei Jahren eine Studie begonnen, in der insgesamt 2000 Patienten erfaßt wurden. Seither haben die öffentlichen Gesundheitsbehörden auf regionaler Ebene in Frankreich zwischen 1 und 3 solcher Krankenwagen für ihre Regionen bestellt.

In einem Beispiel werden die gesammelten Daten mit Satellitentechnik zwischen 12 und 18 Uhr an das Krankenhaus von Toulouse übermittelt, was sich sehr bewährt hat. Die Kosten für die vier Untersuchungen einschließlich Abzahlung des Krankenwagens und Bezahlung der Pflegekraft betragen 105 Euro. Vier fachärztliche Untersuchungen für 105 Euro und das ohne jede Anfahrt für den Patienten - wobei man wissen muß, daß einer der Gründe für das „Loch“ im französischen Krankenversicherungssystem die Kosten für Patientenfahrten sind.

Bild: MEDES
Abb. 6: Augenuntersuchung im Untersuchungsfahrzeug im Rahmen der DIABSAT-Reihenuntersuchung

Im DIABSAT-Krankenwagen können fünf Untersuchungen durchgeführt werden: Augenhintergrund, Blutdruck, Sensibilität [in den Extremitäten], Fußgeschwürrisiko und Nierenfunktion (Abbildung 6). Das ist kein Screening auf Diabetes, sondern auf diabetische Komplikationen, was ein Unterschied ist.

Was waren die Ergebnisse? Die Untersuchungsreihe begann im Oktober 2010 und endet im Dezember 2012. Bis Juni 2011 wurden 1000 Patienten untersucht und mehr als 3500 Tests durchgeführt. Besonders interessant war, daß bei etwa 240 Patienten eine sofortige stationäre Behandlung als erforderlich erwies. Das bedeutete, der oder die Betreffende drohte zu erblinden, stand kurz vor dem Nierenversagen, hatte Angina pectoris, Arterien waren verschlossen oder ein offenes Bein wollte nicht heilen. Das war extrem nützlich und hat eine relativ große Bedürftigkeit in der Bevölkerung sichtbar gemacht.

Erdbeobachtungssatelliten für die Tele-Epidemiologie

Das zweite Beispiel, das ich anführen möchte, betrifft die sogenannte „Moskitologie“, eine katalanische Spezialität. Darunter werden alle Krankheiten gefaßt, die durch fliegende Vektoren, Mücken oder Vögel, übertragen werden.

Man muß wissen, daß 3,5 Mrd. Menschen auf der Erde zur „Risikobevölkerung“ von vier Krankheiten gehören: Hämorrhagisches Fieber, Malaria (2 Mio. Tote pro Jahr, die Hälfte davon Kinder), Meningitis und Cholera. Diese vier Krankheiten gelten als „umweltbedingt“, d.h. sie stehen mit Umweltveränderungen, hauptsächlich Klimaveränderungen und allem, was in den betreffenden Ländern mit Wasser zu tun hat, in Zusammenhang: Niederschlag, Feuchtigkeit, Temperatur und andere Faktoren, die die Vermehrung von Stechmücken begünstigen.

Heute morgen wurden in einem Vortrag Bewässerungsprojekte in Ägypten zwischen dem Suezkanal und dem Sinai erwähnt. Dazu muß man sagen, daß zwei Jahre nach Fertigstellung dieser Projekte das Rift-Valley-Fieber (RVF) auftauchte, eine Krankheit, die durch Rinder, Kamele und Schafe von Mauretanien über den Sudan nach Ägypten eingeschleppt wurde. Durch eine Veränderung der Umwelt konnten nun Mücken diese Krankheit vom Tier auf den Menschen übertragen.

Bis Ostern letzten Jahres galt nur ein Department in Frankreich als Risikobereich für mückenübertragene Krankheiten. Jetzt wurden auf Antrag des Gesundheitsministeriums im Journal Officiel vier weitere Departments genannt. Zunächst war es nur Alpes Maritimes, doch jetzt sind auch Var, Vaucluse und Bouches du Rhone betroffen. Also im gesamten Südosten Frankreichs sehen wir Anzeichen dafür, daß sich dort in 7-10 oder vielleicht erst in 20 Jahren ein subtropisches Klima einstellen wird, worin sich Vektoren zur Übertragung solcher Krankheiten vermehren können.

Die Bevölkerungszahl nimmt zu, und 50% der Weltbevölkerung ist Krankheiten ausgesetzt, die mit dem Klimawandel einhergehen. Das Wiederauftauchen von Infektionskrankheiten könnte zu 4-5 Mio. Todesfällen im Jahr führen, die Hälfte davon Kinder, was sehr hoch ist. Die Tiersterblichkeit liegt bei 10-15 Mio. pro Jahr. Allein die Zahlen für Malaria sind beängstigend.

Wir haben in der Tele-Epidemiologie eine ungewöhnliche Methode verfolgt. Wir verknüpfen verschiedene vor Ort - in einem bestimmten Department, einer bestimmten Stadt, Region oder Land - gesammelte Daten mit Daten von Erdbeobachtungssatelliten über Vegetation, Niederschläge, Luftfeuchtigkeit in einzelnen Ländern oder Kontinenten. Die Kombination dieser Daten füllen wir dann in einen „Drucktopf“, und das daraus hervorgehende mathematische Modell erlaubt uns, Risikokarten zu erstellen. Somit läßt sich sagen: „Geehrter Minister für Tourismus und Landwirtschaft in Senegal, zwischen Februar und März 2013 wird die Wahrscheinlichkeit für eine Rift-Valley-Fieber-Epidemie oder einen Malaria-Ausbruch zwischen Dakar und Tambacounda etwa 80% betragen. Bitte treffen Sie Vorkehrungen für die Mückenbekämpfung.“

Bild: MEDES
Abb. 7: Darstellung des SPOT-Satelliten zur Erfassung und Beobachtung von Veränderungen der natürlichen Gegebenheiten der Erdoberfläche, aus denen Rückschlüsse auf die Gefahr des Ausbruchs von Seuchen gezogen werden können

Der Ansatz für RVF beispielsweise in Senegal könnte so aussehen: Es beginnt mit einem Rohbild des Erdbeobachtungssatelliten SPOT (Abbildung 7). Dessen Daten werden mit Bodendaten, tiermedizinischen Zahlen, Gebräuchen und Traditionen zusammengebracht, um eine Risikokarte zu erstellen. In den dunkelsten Zonen sollte man sich definitiv nicht aufhalten, die roten Zonen sind sehr riskant, und in den gelben Zonen kann man sich aufhalten, wenn man über einen guten Insektenschutz verfügt. Solche Karten lassen sich alle drei Tage erstellen und werden den Behörden auf Anfrage zur Verfügung gestellt.

Das gleiche gilt für die Malaria in den Städten. Bereits heute können wir in einer Stadt wie Dakar und in anderen Städten von Subäquatorialafrika feststellen, wo sich Mücken bzw. Anophelesweibchen konzentrieren und wo die Risikobereiche sind. Diese Karten werden dem senegalesischen Tourismusamt ebenfalls jede Woche zugestellt. Genauso verfahren wir in Burkina Faso in bezug auf die Malaria in ländlichen Gebieten.

Die Erarbeitung dieser Methode brauchte sieben Jahre. Als ich damals mit dem Leiter des SPOT-Programms sprach, sagte ich ihm, als Arzt sei ich daran interessiert, Erdbeobachtungsbilder zu studieren, um Krankheiten zu bekämpfen. Ich fürchtete, er wolle mich umbringen oder aus der CNES werfen, denn er dachte, ich sei verrückt oder exzentrisch. Es dauerte sieben Jahre, um zu verdeutlichen, daß dies eine fundierte Idee war, und heute sind in Südamerika, Afrika und Asien etwa 22 Netzwerke etabliert. Vier kleine Unternehmen von je 7 bis 10 Mitarbeitern wurden gegründet, um die Bilder und Daten zu verarbeiten. Die Idee ist also Realität geworden und wird sich in den kommenden Jahren weiter verbreiten.

Schlußfolgerung

Abschließend möchte ich sagen, daß der Einsatz von Satelliten in der Medizin, zur Aufdeckung von Epidemien und zur Unterstützung der Gesundheitsversorgung in abgelegenen Gebieten Realität geworden ist. Das ist eine gute Antwort auf die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, besonders was die Umwelt und den Klimawandel angeht.

Zur Erweiterung dieses Vorgehens müssen wir dieses Know-how an alle Regionen Frankreichs sowie an andere Länder und Kontinente weitergeben, ohne dabei allzu sehr auf den Preis zu starren. Tatsächlich betragen die Kosten für Telekommunikation via Satellit nicht mehr 15 Dollar pro 10 Sekunden, wie es noch vor sieben oder acht Jahren bei Inmarset der Fall war. Heute sind das 0,5 Euro bei Globalstar bzw. Thuraya. Wir müssen diese Instrumente und Methoden in unser Gesundheitswesen integrieren und sie den Patienten verfügbar machen. Denn diese müssen zusammen mit den Ärzten darüber entscheiden, nicht die Ingenieure und sicherlich nicht die Raumfahrtbehörden.

Der Schluß aus dem Schluß? Um eine neues Paradigma in der Weltraum- und Sozialforschung zu etablieren, brauchen wir Innovationen. Das ist das Entscheidende im Gesundheitswesen. Innovationen sind nicht leicht, wenn man konservativ ist. Wir brauchen Veränderungen, und wir müssen sie wollen. Wir müssen das Vorgehen, den Ansatz und das Denken ändern. Das muß verständlich gemacht werden, genauso wie Sie hier heute diskutiert haben, daß sich der Iran in einer sehr schwierigen Lage befindet, weil fünf oder sechs Staatschefs aus keineswegs klaren Gründen es so wollen.

Außerdem müssen die „Nutzer“ das Sagen haben. Nicht die Ingenieure, die Satellitenhersteller, die Technik- und Verwaltungseliten in den Regierungskabinetten, sondern die Nutzer sollten entscheiden: Landwirte, Diabetiker, Psychiater usw. - das ist noch nicht in unser Denken eingedrungen. Wir brauchen einen integrierten Ansatz. Vieles davon gibt es bereits, wir müssen nur alles miteinander verbinden.

In Deutschland und Frankreich gibt es etwas wirklich Außergewöhnliches: Das Airbus-Programm. Teile davon werden in England, andere Teile in Deutschland und Spanien produziert, und der Zusammenbau ist auf zwei Standorte verteilt: Hamburg und Toulouse. Beide Städte erlebten dadurch ein außergewöhnliches Wirtschaftswachstum. Man sollte deshalb den integrativen Ansatz nicht vergessen, aber man sollte nicht alles neu erfinden, was es bereits gibt. Wir brauchen revolutionäre Ideen. Je revolutionärer die Idee, desto besser. Wir brauchen revolutionäre Ideen und dürfen keine Angst davor haben, sie zu äußern.

Ich möchte auf den Fachmann [Claude Allègre] zurückkommen, den ich oben erwähnt habe. Ich kenne ihn sehr gut, und ihm sind gewöhnlich zehn neue Ideen am Tag eingefallen. Eine im Monat wurde dann aufgegriffen, und das ist schon sehr gut.

Man muß auch wahrhaftig und ehrlich sein. Man verlangt kein Geld, um irgendwelche Aktionäre zu befriedigen, sondern um diese oder jene Innovation umzusetzen.

Wenn man sich alle Möglichkeiten aus der Weltraumforschung vor Augen führt, könnte man neben dem Gesundheitsbereich und der Sicherheit weitere Anwendungen wie Ressourcen (Landwirtschaft, Wasser, Energie) und Transport zu Land, zu Wasser und in der Luft hinzufügen. Was Raumfahrttechniken im Gesundheitswesen angeht, so sind bis letzten Juli in Frankreich 47 kleine und mittlere Firmen in diesem Bereich mit 1250 Beschäftigten und einem Umsatz von fast 1 Mrd. Euro im Jahr entstanden. Wenn man Satelliten für zivile und menschliche Zwecke einsetzt, lassen sich wunderbare Dinge machen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit