S C H I L L E R J A H R

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F R I E D R I C H   S C H I L L E R

Schillerfeste zum 200. Todestag:
Mainz: Warum feiern wir Schiller heute?

Berlin: Verteidigt Schiller gegen das Regietheater!

Wiesbaden: Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben...

Aachen: Schiller, Deutschlands "schöne Seele"

Hamburg, Hannover: "Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf"

Dresden: Gegen den "vermoosten" Pessimismus der 68er!

Zittau: 750 Jahre Stadt Zittau und Schillers Vermächtnis
Hamburg, Hannover: "Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf"

Parallel zum Evangelischen Kirchentag fanden in Hamburg und Hannover Feiern des Schiller-Instituts zum 200. Todestag Friedrich Schillers statt.

Wer hier raten soll, von wem dieser Satz stammt, auf wen wird wohl seine Wahl fallen? Vielleicht hat ein Vertreter des Evangelischen Kirchentags in Hannover, der Hunderttausende Gläubige, Sinnsehnende und Erlebnishungrige zusammenführte, die Worte gesprochen? Der Kirchentag wurde ursprünglich von dessen Gründer im Gefängnis erdacht, um sicherzustellen, daß die Protestanten niemals mehr abirren, wie es im Nationalsozialismus geschehen war. Der Kirchentag sollte die Laien schulen und im wahrhaften Glauben stärken.

In Hannover konnte keiner dieser großen Veranstaltung entfliehen. Von den zahlreichen Podien war die Innenstadt in die laute Musik des "Kirchenrocks" regelrecht eingehüllt. Überall wurden Texte verteilt oder Gottesdienste mittels großer Leinwände im Freien abgehalten, und auch im Gesamtbild und auf vielen Veranstaltungen war der ökologisch-fundamentale Ansatz, "Christ sein in der heutigen Zeit heißt, auf das Kleine sehen", zu spüren. Bischöfin Käßmann von der Landeskirche Hannover, die zwar zur Eröffnung engagiert gegen den Neu-Gott Mammon predigte, wies in einem Interview in der TAZ den Vorwurf des Anschmiegens an den Zeitgeist zurück - Jesus habe schließlich auch in seiner Zeit gelebt.

Wie anders fand die Auseinandersetzung in Schillers Kopf statt. Schillers Bekenntnis zur uneigennützigen Liebe in dem Brief des Julius an Raphael in den Philosophischen Briefen bildete neben dem neunten der 27 Briefe zur Ästhetischen Erziehung des Menschen einen Schwerpunkt der Gedenkveranstaltung des Schiller-Instituts und der Tell-Gruppe in Hannover und Hamburg. Schillers Glaube ist ein frohes Argument gegen den "kalten, tötenden... Hauch einer kleinmütigen Indifferenz... Wenn ich hasse, so nehme ich mir etwas, wenn ich liebe, so werde ich um das reicher, was ich liebe." Der junge Schiller befindet: "Viele unserer denkenden Köpfe haben es sich angelegen sein lassen, diesen himmlischen Trieb aus der menschlichen Seele hinwegzuspotten... Aus einem dürftigen Egoismus haben sie ihre trostlose Lehre gesponnen und ihre eigene Beschränkung zum Maßstab des Schöpfers gemacht..." Und statt die Menschen im Kleinsein zu bestärken, will Schiller sie mit dem Werkzeug der Kunst lehren, "ihre Gedanken zum Notwendigen und Ewigen" zu erheben: "Wenn du (der Künstler) handelnd oder bildend, das Notwendige und Ewige in einen Gegenstand ihrer Triebe verwandelst. Fallen wird das Gebäude des Wahns und der Willkürlichkeit, fallen muß es, ... aber in dem innern, nicht bloß in dem äußern Menschen muß es sich neigen ... Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf."

Und noch einen wichtigen Gedanken gibt Schiller dem Künstler auf den Weg. Im Müßiggange läßt sich der Mensch noch packen, nicht bei seinen Meinungen oder Überzeugungen, denn "ihr Geschmack ist keuscher als ihr Herz ... Verjage die Willkür, die Frivolität, die Rohigkeit aus ihren Vergnügungen, so wirst du sie unvermerkt auch aus ihren Handlungen, endlich aus ihren Gesinnungen verbannen. Wo du sie findest, umgib sie mit edlen, mit großen, mit geistreichen Formen..." (Wie schade, daß dieser Gedanke heute nur umgekehrt verstanden wird! Die Verantwortlichen der Freizeitindustrie haben Schiller wohl studiert und sich den Geschmack der Menschen zum Objekt genommen.)

Wie aber muß die Kunst - in diesem Falle die Dichtkunst - aussehen, die den Menschen zum Notwendigen und Ewigen führt? Das Lied von der Glocke ist ein solches Beispiel. Die Tell-Gruppe sprach das von Schiller als Lied bezeichnete Gedicht mit verschiedenen Sprechern, wenige Stellen auch chorisch besetzt. Der Zuhörer erfährt vom stolzen Handwerksmeister alles über den Guß einer Glocke:

    "Hoch auf des Turmes Glockenstube
    Da wird es von uns zeugen laut."

Er durchlebt vor allem im individuellen Leben des Menschen und im politischen des Gemeinwesens die schöne Entwicklung und die schreckliche Gefahr (Zerstörung und Krieg) gleichermaßen.

    "Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
    Das ist der Mensch in seinem Wahn."

Der Meister tauft die Glocke Concordia:

    "Dem Schicksal leihe sie die Zunge,
    Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
    Begleite sie mit ihrem Schwunge
    Des Lebens wechselvolles Spiel.
    Und wie der Klang im Ohr vergehet,
    Der mächtig tönend ihr entschallt,
    So lehre sie, daß nichts bestehet,
    Das alles Irdische verhallt."

Den Abschluß bildeten die Worte des Glaubens:

    "Und ob alles in ewigem Wechsel kreist,
    Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist".

Zu Beginn der Veranstaltung hatte Renate Müller De Paoli die letzten Wochen und Tage vor Schillers Tod in Briefen naher Freunde und Anverwandter an den Zuhörern vorüberziehen lassen. So ausdrucksvoll beschrieben diese das Denken und Leiden Schillers in dieser Zeit, daß alle Zuhörer mitfühlten, als Goethes Epilog zu Schillers Glocke erklang, den dieser direkt nach Schillers Tod schrieb:

    "Da hör ich schreckhaft mitternächtges Läuten,
    Das dumpf und schwer die Trauertöne schwellt.
    Ist's möglich? Soll es unsern Freund bedeuten,
    An den sich jeder Wunsch geklammert hält?"

Goethe fügte 1815 - 10 Jahre nach Schillers Tod - dem Epilog eine Strophe hinzu, in der er - was auch nach 200 Jahren immer noch gültig ist - dichtet:

    "Er glänzt uns vor, wie ein Komet entschwindend,
    Unendlich Licht mit seinem Licht verbindend."

Birgit Brenner