S C H I L L E R J A H R

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F R I E D R I C H   S C H I L L E R

Die Schillerfeste 1999:
Schiller-Feiern auf beiden Seiten des Atlantik

Stockholm: Schiller-Feier im hohen Norden

Wiesbaden: "Wenn der Zufall Helden macht"
Schiller-Feiern auf beiden Seiten des Atlantik

Mit Vorträgen, viel Musik und Rezitation gedachte man bei dem "letzten Schiller-Geburtstag in diesem Jahrtausend" des großen Dichters und Denkers. Häufig wurden dabei auch zwei andere Jahrestage begangen: der 150. Todestag von Frédéric Chopin und natürlich der 250. Geburtstag von Johann Wolfgang Goethe.

Letzte Woche berichteten wir bereits über die Feier in Stockholm und über das neue Programm der "Dichterpflänzchen" aus Wiesbaden. Dreimal wurde dieses Programm mit dem Titel "Wie groß wird da der Mensch, wie klein das Schicksal" vorgestellt, am 6. November im Wiesbadener Kurhaus, am 14. November im Kurfürstlichen Schloß zu Mainz sowie vier Tage später im Konzertsaal der Trinkkuranlage im hessischen Bad Nauheim. Insgesamt 150-170 Schillerfreunde besuchten diese für die heutige Zeit inhaltlich sehr anspruchsvollen Veranstaltungen.

"Ja, wer auch nur eine Seele
sein nennt auf dem Erdenrund..."

In Hannover hatte die "Tell-Gruppe" für den 13. November eingeladen, Schillers Geburtstag zu feiern. 70 Gäste - Mitglieder und Freunde des Schiller-Instituts sowie Bewohner des Senioren-Wohnparks Kastanienhof - waren gekommen. "Freude, Freude heißt die Feder in der ewigen Natur", sangen sie aus voller Kehle am Ende der Feier.

Was mit Beethovens Freudenmelodie endete, begann auch mit Beethoven. Der dritte Satz seiner Cellosonate op. 5,2 erklang zur Eröffnung. Und auch Renate Müller De Paoli erinnerte in ihrer Einführung - unter Bezugnahme auf den Fall der Berliner Mauer vor zehn Jahren - an Florestan, den wahrheitsliebenden Charakter aus Beethovens Oper Fidelio, und an die "namenlose Freude", die seine Gattin Leonore nach der Errettung ihres Mannes aus dem finsteren Kerker mit ihm besingt. Schillers Wahrheitsliebe wurde am Beispiel einer kurzen Szene aus dem Trauerspiel Kabale und Liebe vorgestellt, mit Katharina Pagel als Lady Milford und Roland Pagel als Diener. Der Kammerdiener schildert der Mätresse des Fürsten den grausamen Verkauf hessischer junger Männer als Soldaten für Englands Heere im Kampf gegen das junge, freie Amerika: "... Ich hab' auch ein paar Söhne drunter."

14 Gedichte und Balladen standen auf dem Programm, zwei von Goethe und zwölf von Schiller, unter ihnen viele bekannte wie Der Handschuh, Die Bürgschaft und Der Taucher, aber auch unbekanntere wie Das verschleierte Bild zu Sais oder Der Tanz. Nach über zwei Stunden Konzentration im Publikum ertönte schließlich der frohe Schlußgesang: "Freude, Freude treibt die Räder in der großen Weltenuhr ..."

Aus einer "kulturellen Insel" werden viele

Auch in Kopenhagen feierte man am Sonnabend, den 13. November. Außergewöhnlich war, daß die 32 Teilnehmer des bunten Abends sprichwörtlich aus "aller Herren Länder" kamen, vom Kosovo bis Syrien, vom Irak bis zur Schweiz. Der Chor des Kopenhagener Schiller-Instituts sang drei Kanons, darunter Dreifach ist der Schritt der Zeit von Schubert nach Schillers Worten des Konfuzius. Zum besonders intensiven Zuhören und Vergleich regte Goethes Veilchen an: Es wurde nämlich zunächst als Gedicht in einer dänischen Übersetzung rezitiert und dann in zwei verschiedenen deutschen Vertonungen gesungen, der bekannten von Mozart und der weniger bekannten von Clara Schumann. Christina Bruun-Jensen, Sopran, wurde dabei am Klavier begleitet von Michelle Rasmussen. Goethes Zauberlehrling wurde auf deutsch und dänisch präsentiert, und Schillers Hoffnung erklang als Gedicht (vorgetragen von Feride Gillesberg) und in der Liedfassung von Franz Schubert.

Es folgten verschiedene kürzere musikalische Beiträge: Klaviermusik von Mozart, Haydn und Beethoven und das berühmte "Regentropfen-Präludium" von Chopin sowie ein Stück für Geige und Klavier von Arcangelo Corelli. Gemeinsam sang man die Ode an die Freude. Ein 81-jähriges aktives Mitglied des Schiller-Instituts rezitierte ein heiteres dänisches Gedicht, und Tom Gillesberg schloß den Reigen mit Beethovens drolligem Lied Der Kuß.

Viele Gäste, die sonst nur mit der politischen Arbeit des Schiller-Instituts vertraut sind, waren überrascht und erfreut, auch diese Seite des Instituts kennenzulernen. Zwei Teilnehmer zeigten Interesse daran, in dem munteren kleinen Chor mitzusingen. Einer der Gäste, ein syrischer Experte für Wasserentsalzung, sagte: "Meine Frau und ich haben unseren Kindern arabische Gedichte und Lieder beigebracht, aber wir kamen uns immer wie eine kulturelle Insel vor. Jetzt sehe ich, daß Sie auch so eine Insel sind."

Die Antigone des Sophokles

Jenseits des Atlantiks gab es weitere Feiern und Veranstaltungen, von denen bisher zwei Berichte vorliegen. Im Büro des Schiller-Instituts in Baltimore im US-Staat Maryland an der Ostküste stand die Feier diesmal im Zeichen eines anderen Meisters der Tragödie, Sophokles, der im 5. Jh. v.Chr. als Zeitgenosse des Sokrates in Athen lebte. Seit August hatten die "Baltimore Schiller Players" intensiv an seiner Antigone gearbeitet. Zur Einführung in das antike Drama hielt Larry Freeman einen halbstündigen Vortrag, in dem er betonte, daß die klassische Dichtung und Tragödie heute unverzichtbar seien, um die Menschen zu erheben und zu stärken, damit sie in der Zivilisationskrise Lösungen finden könnten.

Die Aufführung des Stücks bildete natürlich den Höhepunkt des Programms vor den fast 50 Gästen. Hinzu kamen jedoch noch Musik von Chopin (Nocturne op. 24), Beethoven ("Kyrie" aus der C-Dur-Messe und ein Satz aus der "Waldsteinsonate"), Mendelssohn-Bartholdy (einige Lieder ohne Worte) und Schumann (Arabesque) sowie kurze Gedichte von Shakespeare, Keats und Schiller.

Amerikanische Schillertradition von Lincoln bis heute

Ausgiebig feierten auch 40 Mitglieder des ICLC mit zehn Kindern und einigen Gästen am 14. November in einem Musiksaal in Leesburg (Virginia), wo sich das Hauptbüro des amerikanischen Schiller-Instituts befindet. Susan Bowen erinnerte an die ersten großen Schillerfeste kurz nach der Gründung des Instituts vor 15 Jahren (zum 225. Geburtstag 1984). Sie schilderte auch, wie schon zu Schillers 150. Geburtstag im Jahre 1859 in den USA zahllose Schiller-Aufführungen und -Ehrungen stattgefunden hatten und daß daran besonders die Schichten mitwirkten, die Abraham Lincoln unterstützten. Lincoln führte damals gerade seinen Präsidentschaftswahlkampf. Es wurde auch des Falls der Berliner Mauer vor zehn Jahren gedacht und dazu ein Ausschnitt aus einem Film mit Helga Zepp-LaRouche gezeigt, der damals dazu gedreht worden war.

Das Programm war äußerst vielfältig: Don Phau beschrieb die historischen Hintergründe zu Schillers Schrift Der Geisterseher in der venezianischen Finanzoligarchie; Denise Henderson rezitierte Gedichte von Puschkin und Lermontow auf englisch und im russischen Original; Ted Andromidas erfreute die Hörer mit Werken von John Keats. Besonders gut gelang auch eine Rezitation von drei Gedichten in drei unterschiedlichen Dialekten der englischen Sprache: Robert Burns - Schottisch, Scholom Aleichem - jiddischer Akzent, Paul Lawrence Dunbar - Südstaaten-Negro-Akzent. Dazwischen erklangen immer wieder Lieder (u.a. Schubert, Schumann, Spirituals) und Stücke für Streichinstrumente, die teilweise auch von den Kindern gespielt wurden.

Viele andere Gäste fühlten sich im Rahmen der formlosen Feier mit Buffet und Wein inspiriert, Gedichte zu rezitieren, so von Shakespeare und Schiller. Auch Lincolns bewegende Rede für die Gefallenen der Schlacht von Gettysburg ("Gettysburg Address"), ein Meisterwerk der englischen Sprache, ertönte. Ein Höhepunkt des Abends waren die poetischen Beiträge der beiden politischen Gefangenen Paul und Anita Gallagher, die seit nunmehr sechs Jahren unschuldig im Gefängnis sitzen und die Gedichte geschrieben und für das Schillerfest auf Tonband aufgenommen hatten.

wh/bb